Michael Kleeberg, Das amerikanische Hospital, DVA 2010, 233 Seiten, ISBN 978-3-421-04390-0
Der neue Roman des Schriftstellers Michael Kleeberg ist ein großes Werk und steht nicht ohne Grund auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2010. Er verbindet mit einer dichten, gleichwohl leichten,
stellenweise poetischen Sprache die Lebensgeschichten und aktuellen Problemen zweier Menschen.
Die…mehrMichael Kleeberg, Das amerikanische Hospital, DVA 2010, 233 Seiten, ISBN 978-3-421-04390-0
Der neue Roman des Schriftstellers Michael Kleeberg ist ein großes Werk und steht nicht ohne Grund auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2010. Er verbindet mit einer dichten, gleichwohl leichten, stellenweise poetischen Sprache die Lebensgeschichten und aktuellen Problemen zweier Menschen.
Die beiden, die Französin Helene und der Amerikaner Cote begegnen sich durch Zufall im Herbst 1991 in einem Warteraum hinter der Rezeption des American Hospitals in Neuilly in Paris. Helene ist dort, um Doktor Le Goff zu treffen, der Arzt, der ihr und ihrem Mann, der nur am Anfang und am Ende des Buches in die Handlung einbezogen wird, zu der seit langem erhofften Schwangerschaft verhelfen soll. Cote ist amerikanischer Soldat, der im Hospital in psychoanalytischer Behandlung ist, weil er die grausamen Erfahrungen des ersten Irakkrieges, an dem er als Offizier teilgenommen hat, nicht verarbeitet hat.
Vor Helenes Augen bricht der zunächst noch fremde Mann zusammen. Sie hält ihn fest, spricht mit ihm, bis weitere Hilfe kommt. Als Helene einige Wochen später wieder im Wartezimmer sitzt für ihre nächste Behandlung zur Vorbereitung einer künstlichen Befruchtung, wird sie plötzlich von Cote, der immer noch im Krankenhaus ist , angesprochen. Das Buch, in dem er liest, ist Helene bekannt. Warum genau, erfahren wir erst am Ende des Buches. Es sind die Gedichte von Elisabeth Bishop, einer 1979 in Boston verstorbenen Lyrikerin. Helene gibt sofort zu erkennen, dass sie die Dichterin kennt und zitiert ihre Lieblingszeile:
„The art of losing isn`t hard to master“, sagt sie zu Cote und gibt damit dem ganzen weiteren Geschehen die innere Überschrift.
Denn in der weiteren Beziehung der beiden geht es um das Verlieren und die Kunst, ein verloren gegangenes Leben wieder zu gewinnen. Erst beim dritten Zusammentreffen der beiden, nun schon fast verabredet, erfährt Helene, dass Cote amerikanischer Berufssoldat ist, der im Irak gekämpft hat. Zunächst zeigt sie offen ihre Wut und Enttäuschung darüber, dass er ihr diese Tatsache bei ihrem letzten Treffen, wo es nur um Poesie ging, verschwiegen hat. Sie hasst den Krieg, und hat eine klare Meinung zu der Rolle der USA in der Welt.
Dennoch ist sie von der Person Cotes derart angezogen, dass sie sich auf weitere Treffen einlässt. Sie kommen sich näher, allerdings nicht als Liebende, sondern als zwei Menschen, die sich einander öffnen auf eine Weise, wie es selbst Liebenden selten gelingt. Und so stehen die beiden Geschichten der beiden im Vordergrund dieses Romans, der seinen Leser einhüllt in seinen Charme. „Es ist die Geschichte der Begegnung zweier Versehrter, die den Anforderungen, die ihre Umwelt an sie stellt und die sie selbst an sich stellen, nicht gerecht werden können. Zwei Menschen, die sich in dieser Situation stützen und helfen auf dem schmerzhaften Weg, die Autonomie, die sie verloren haben, wiederzuerlangen“, sagt Michael Kleeberg in einem Interview über seine beiden Protagonisten.
Wir erfahren viel über die Qualen und den Seelenschmerz, der mit einer, immer wieder scheiternden, künstlichen Befruchtung verbunden ist und wir erfahren Details über das Leben und die grauenvollen Erfahrungen eines Offiziers mit einer langen militärischen Familientradition im ersten Irakkrieg. Auch die verschiedenen therapeutischen Methoden, ihn von seinem posttraumatischen Stresssyndrom zu heilen, sind vorzüglich beschrieben. Michael Kleeberg hat in beiden Fällen genauestens recherchiert und mir jedenfalls bisher völlig unbekannte Aspekte und Informationen vermittelt.
Es ist ein Roman, in dem nicht nur zwei Personen aufeinandertreffen, sondern, wie Kleeberg sagt, eine ganze Konzeption der Lebens- und Weltbewältigung und unser Glaube an die Machbarkeit aller Dinge. Obwohl das vom Autor sicher nicht beabsichtigt war, hat der Roman nicht nur eine wunderbar poetische Dimension, sondern auch eine spirituelle.