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Wer Einblick in Prousts Leben gewinnen will, einen sehr intimen zuweilen, muss seine Gedichte lesen. Meist sind es Gelegenheitsgedichte an Freunde und Bekannte; sie finden sich in Briefen, auf Notizzetteln, auf der Rückseite von Fotografien, als Widmungen in Büchern. Dazu kommen Pastiches sowie Gedichte über Maler und Musiker, die Proust verehrte. Ein besonderes Kapitel bilden die Gedichte an seinen Herzensfreund Reynaldo Hahn, für den er sich die abenteuerlichsten Namen einfallen lässt (u. a. »Puncht, »Binchnibuls«). Man lernt den Autor darin von einer ganz neuen Seite kennen: verspielt,…mehr

Produktbeschreibung
Wer Einblick in Prousts Leben gewinnen will, einen sehr intimen zuweilen, muss seine Gedichte lesen. Meist sind es Gelegenheitsgedichte an Freunde und Bekannte; sie finden sich in Briefen, auf Notizzetteln, auf der Rückseite von Fotografien, als Widmungen in Büchern. Dazu kommen Pastiches sowie Gedichte über Maler und Musiker, die Proust verehrte. Ein besonderes Kapitel bilden die Gedichte an seinen Herzensfreund Reynaldo Hahn, für den er sich die abenteuerlichsten Namen einfallen lässt (u. a. »Puncht, »Binchnibuls«). Man lernt den Autor darin von einer ganz neuen Seite kennen: verspielt, neckisch und manchmal auch albern.
Alle Gedichte werden in Original und Übersetzung und mit den zugehörigen Zeichnungen Prousts präsentiert. Dazu hat Bernd-Jürgen Fischer, der Übersetzer von Prousts Suche nach der verlorenen Zeit, sämtliche bekannten Proust-Gedichte zusammengestellt, neu übersetzt und kommentiert. Ergänzt wird die Ausgabe durch einen umfangreichen farbigen Bildteil, in dem zahlreiche der Gedichtadressaten abgebildet sind.

Sprachen: Französisch, Deutsch
Autorenporträt
Marcel Proust (10.7.1871 Paris - 8.11.1922) kommt als ältester Sohn eines wohlhabenden Arzt-Ehepaares zur Welt, was ihm zeitlebens eine von ökonomischen Sorgen unbeschwerte Existenz ermöglichen wird. Bis er Mitte dreißig ist, führt er das mondäne Leben eines Dandys, danach widmet er sich ausschließlich seinem Romanwerk, an dem er bei Nacht in seinem korkgetäfelten, vom Rauch des Asthmapulvers durchzogenen Schlafzimmer am Boulevard Haussmann arbeitet. Die sieben Bände »À la recherche du temps perdu« kreisen um die Reflexionen eines Erzähler-Ichs über Erinnerung, Wahrheit und Bedeutung, die nur im Mittelteil des ersten Bandes »Un amour de Swann« (dt. »Eine Liebe von Swann«) durch die auktoriale Erzählung um Charles Swann unterbrochen wird. Im Frühjahr 1922 setzt Proust das Wort FIN - ENDE - unter das Manuskript des letzten Bandes »Le temps retrouvé« (dt. »Die wiedergefundene Zeit«), ein halbes Jahr später stirbt er, nur 51 Jahre alt. Proust verkehrte im literarischen Salon Madeleine Lemaires in Paris, ein kultureller Hotspot, in dem namhafte Politiker wie Raymond Poincaré, Paul Deschanel oder Léon Bourgeois, Adelige wie Prinzessin Mathilde Bonaparte oder die Comtesse Greffulhe sowie Schriftsteller wie Jacques Bizet, Guy de Maupassant, Paul Bourget und Robert de Montesquiou zusammenkamen. In diesem Milieu lernte er auch seinen späteren Geliebten und Lebensmenschen Reynaldo Hahn kennen, mit dem ihn ein lebenslanger Briefwechsel von rund 220 Schriftstücken verbindet.   Herausgegeben und übersetzt von Bernd-Jürgen Fischer: Bernd-Jürgen Fischer, ursprünglich Mathematiker und Linguist, ist nach längerer Tätigkeit am Germanistischen Fachbereich der Freien Universität Berlin als freier Autor tätig und hat sein Interesse in den letzten zehn Jahren vorwiegend der französischen Literatur zugewandt. Bernd-Jürgen Fischer, ursprünglich Mathematiker und Linguist, ist nach längerer Tätigkeit am Germanistischen Fachbereich der Freien Universität Berlin als freier Autor tätig und hat sein Interesse in den letzten zehn Jahren vorwiegend der französischen Literatur zugewandt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2018

Seine unerwiderte Jugendliebe zur Lyrik

Marcel Prousts Gedichte sind nur Experten bekannt. Nun gibt es sie erstmals vollständig auf Deutsch. Sie zeigen einen Autor, der bei aller Hinwendung zum Vers die Grenzen seiner Begabung erkannte.

Ganze acht Gedichte hat Proust zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Neun, wenn man es ganz genau nimmt: Eingelagert in sein erstes Buch, den 1896 erschienenen Band "Les plaisirs et les jours" (Tage und Freuden), ein Angebinde von Novellen, poetischen Aperçus, Skizzen und "zeitfarbenen" Träumereien, finden sich dort vier Maler- und vier Musikerporträts. Die ersten vier begleiten Partituren des intimen Freundes und Geliebten Reynaldo Hahn, den Proust zwei Jahre zuvor kennengelernt hatte. Die "Portraits de peintres" waren schon 1895 in einer Zeitschrift erschienen und 1896, parallel zu "Tagen und Freuden" im Pariser Musikverlag Au Ménestrel - unter Beigabe von Stichen der lyrisch porträtierten Maler Anton Cuyp, Paulus Potter, Antoine Watteau und Anton Van Dyck. Kleine Gesamtkunstwerke mithin.

Es kam auch, am 28. Mai 1895 im Salon von Madeleine Lemaire, die zu dem üppig ausgestatteten und über Jahrzehnte nahezu unverkäuflichen Band "Les plaisirs et les jours" dekorative Blumenzeichnungen beigesteuert hatte, zu einer Aufführung. Es blieb die einzige. Aufgrund, wie Prousts Biograph Jean-Yves Tadié meint, des doch allzu epigonalen Charakters von Lyrik und Musik. Im selben Jahr 1895 verfasste Proust noch ein inzwischen in mehreren Versionen überliefertes Gedicht mit dem Titel "Mensonges" (Lügen), das der junge Klaviervirtuose Lucien Delafosse vertonte - angeblich eines der Vorbilder des in der "Suche nach der verlorenen Zeit" vom Baron de Charlus protegierten Violinisten Morel - und das ebenfalls im Musikverlag Au Ménestrel erschien.

Und das war's. Die Maler- und Musikerporträts beziehungsweise die Auswahl der Porträtierten - bei den Musikern waren es Chopin, Gluck, Schumann und Mozart - spiegeln den Salongeschmack der Belle Époque. Die von Baron Haussmann neu erschlossenen Straßen und Terrains rund um den Pariser Parc Monceau, in dessen unmittelbarer Nähe auch Proust bis zum Tode der Mutter lebte, tragen zum Teil noch heute die Namen flämischer Maler des siebzehnten Jahrhunderts und zeugen mit ihren imposanten Häuserfassaden vom "style belle époque".

Und Prousts Gedichte sind geprägt - um nicht zu sagen: Sie werden erdrückt (wie Tadié richtig vermutete) - von Tradition und Epochenstil. Als der große deutsche Wortakrobat Ludwig Harig sich 1985 für Michael Krügers Zeitschrift "Akzente" an eine Übersetzung dieser frühen und gewissermaßen auch letzten Gedichte Prousts machte, entschied er sich, gegen moderne Gewohnheit, dafür, Reim und Metrum (den sakrosankten französischen Alexandriner) zu berücksichtigen und lieber von der Wörtlichkeit Abstand zu nehmen, die, so Harig, in ihrem zeittypischen Schwulst und der noch unerträglicheren deutschen Übersetzung desselben - die französischen Fin-de-siècle-Wörter "paresse, ennui, langueur" mögen noch angehen, aber "Trägheit, Langeweile, Schmachten"? - eigentlich nur mit Humor und einem Schuss Parodie aufzufangen sei. Recht hatte er. Luzius Keller entschied sich kurz darauf, 1988, in seiner "Frankfurter Ausgabe" der Proustschen Frühschriften für eine Prosaübersetzung, die deutlichen Aufschluss gibt über den doch recht schwerfälligen, teils preziösen, teils prätentiösen Stil dieser Jugenddichtungen.

Nein, Proust war kein Lyriker. Und zum Glück, möchte man sagen, hat er das selbst früh genug bemerkt. Mit genau diesem Befund eröffneten schon 1982 Claude Francis et Fernande Gontier einen Band mit Prousts Gedichten, der als Nummer 10 der "Cahiers Marcel Proust" in Paris erschien, einer Reihe mit Archivalia und Texten von und über Proust, einer Reihe also, die allem gewidmet ist, was es an Interessantem und Kuriosem zu einem großen Autor sonst noch zu berichten gibt.

Francis und Gontier hatten aus dem Nachlass von Prousts Nichte Suzy Mante-Proust, aus der Korrespondenz, aus anderen Archiven neben den Maler- und Musikerporträts allerlei unveröffentlichte Gedichte geborgen: Widmungsgedichte, Adressen (das heißt lyrisch eingekleidete Postadressen auf Briefumschlägen: "Postmann, finde in Nr. 102 Boulevard Haussmann / Proust, der im letzten Jahrhundert verknallt war in Laure Hayman"), Satiren, oftmals zur Belustigung des Freundes Reynaldo Hahn, gereimte Mitteilungen und so weiter. All dies zeigte, dass Proust Zeit seines Lebens Verse schmiedete, durchaus amüsante, unterhaltsame, wie zum Beispiel an Reynaldo Hahn: "J'écris un opuscule / Par qui Bourget descend / Et Boylesve recule". Er schreibe ein Werklein - Proust sitzt bereits an der "Recherche", das (den zeitweise bewunderten) Paul Bourget zurechtstutzen und den (erfolgreichen Romancier) René Boylesve zurückweichen lassen werde. Ahnte Proust, wie recht er habe würde?

Warum aber, außer um eine Lücke zu füllen (was auch Anerkennung verdiente), das Ganze jetzt in einer so aufwendig gestalteten, üppig illustrierten, liebevoll gemachten und von Bernd-Jürgen Fischer reichhaltig dokumentierten, kommentierten und um ein paar Trouvaillen ergänzten Ausgabe nochmal auf Deutsch? Und dann auch noch mit dem etwas polternden Aplomb des bestimmten Artikels: "Les poèmes / Die Gedichte"?

Zumal man, wie Harig und Keller auf ihre Weise an den Maler- und Musikerporträts schon demonstrierten, bei der Übersetzung gestelzter Lyrik nur verlieren kann und man bei Stegreifversen - man möchte aus Respekt vor Goethes Definition der "Gelegenheitsdichtung" (für ihn war alle Dichtung Gelegenheitsdichtung) eben diesen Terminus nicht verwenden - zwangsläufig plump ("das gleichschenklige Dreieck der höchsten Wonn(e)", die sich auf "Yvonne" reimen muss) oder platt wird (die poetischen Farbtöne "émeraude" und "carmin" verblassen zu "grün" und "rot"), und nur mit einem aufwendigen Apparat zu verstehen geben kann, wo das Interesse an diesen oder jenen Versgebilden liegen soll.

Weil sich bei näherem Hinsehen Prousts lyrisches Privatvergnügen dann doch als etwas, wen wundert's, komplexer erweist. Proust hat zum einen sein Leben lag Lyriker gelesen, vor allem französische Lyriker, Lyrik kommentiert, und sein Werk und seine Korrespondenz sind durchzogen von Versen, von kurzen Gedichtzitaten - das geht von La Fontaine und Racine über Baudelaire bis zu dem allgegenwärtigen, heute vergessenen ersten Literaturnobelpreisträger Sully Prudhomme, und auch Freunde und Bekannte wie Robert de Montesquiou, Henri de Regnier oder Anna de Noailles bleiben nicht aus. Die lyrischen Zitate bei Proust wirken wie Peilbaken, wie Bojen, ausgelegt auf diesem Ozean an Sprache, auf dass sein zeitgenössischer Leser immer wieder Bekanntes vorfinde, woran er sich festhalten oder orientieren mochte.

Zum anderen ist Proust zwar ganz gewiss kein Lyriker gewesen beziehungsweise geworden, aber sein Verständnis von Literatur bleibt von seiner unerwiderten Jugendliebe zur Lyrik geprägt. In einer postum publizierten Notiz aus den Jahren 1898/1900, jenen Jahren, in denen er an seinem ersten Roman-Experiment "Jean Santeuil" arbeitet und mit Hilfe des englischen Kunsthistorikers und Sozialreformers John Ruskin zu seiner ästhetischen Theorie finden wird, schreibt Proust, dass der "poète", der Dichter, sich zwar unauffällig wie alle in der Welt bewege, aber von den unscheinbarsten Dingen Signale empfange, die auf eine Welt, eine Wahrheit, hinter den Erscheinungen verwiesen. Um diese Wahrheit zu fassen, verharre er oft ein Leben lang in der vergeblichen Hoffnung, ein zweites Signal zu empfangen, das ihm Gewissheit gebe. Das ist genau der Zustand, den Proust Jahre später in der berühmten Madeleine-Episode beschreiben wird, da den Erzähler ein Signal aus der Welt hinter den Erscheinungen zu erreichen scheint, ausgelöst durch den Geschmack des in Lindenblütentee getauchten Gebäcks.

Proust indes beschließt, nicht zu warten, sondern sich auf die Suche zu begeben, zu "schaffen", wie er schreibt: "Chercher? Pas seulement: créer." Und seine Kunst wird es sein, diese Suche zu erzählen, mit all ihren Irrungen und Wirrungen. So bleibt der Romancier, wie Proust zugleich in einer Notiz festhält, in der Wirklichkeit, um irgendwann hinter sie kommen zu können - so wie Zeit verloren werden muss, um wiedergefunden zu werden.

All das klingt bestenfalls einmal zaghaft in dem einen oder anderen Gedicht an. Und es wertet diese Gedichte in keiner Weise auf. Aber es zeigt, bei einem großen Autor - und unabhängig vom Witz und Humor, den einige dieser Dichtungen prägen -, dass er zu unterscheiden wusste zwischen einer Liebe zur Sache, einer gewissen Fertigkeit - und seinen veritablen Möglichkeiten.

JÜRGEN RITTE

Marcel Proust: "Les Poèmes/Die Gedichte".

Hrsg. und aus dem Französischen von Bernd-Jürgen Fischer. Reclam Verlag, Ditzingen 2018. 422 S., Abb., geb., 48,- [Euro].

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