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Als vor acht Jahren Ulli Lusts autobiographischer Comic Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens erschien, wurde er als Meisterwerk gefeiert und mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. In ihrem sensationellen neuen Comic erzählt sie die heftige Geschichte einer ménage à trois, einer utopischen Liebe, die in Besitzanspruch und Gewalt umschlägt, eine Geschichte der sexuellen Obsession, der Geschlechterkonflikte und der Selbstbefreiung - ihre Geschichte.
Ungeschützt, sinnlich, kraftvoll erzählt sie in diesem autobiographischen Comic, wie sie als junge, lebensgierige
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Produktbeschreibung
Als vor acht Jahren Ulli Lusts autobiographischer Comic Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens erschien, wurde er als Meisterwerk gefeiert und mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. In ihrem sensationellen neuen Comic erzählt sie die heftige Geschichte einer ménage à trois, einer utopischen Liebe, die in Besitzanspruch und Gewalt umschlägt, eine Geschichte der sexuellen Obsession, der Geschlechterkonflikte und der Selbstbefreiung - ihre Geschichte.

Ungeschützt, sinnlich, kraftvoll erzählt sie in diesem autobiographischen Comic, wie sie als junge, lebensgierige Anarchistin im Wien der neunziger Jahre eine Zukunft als Künstlerin aufzubauen versucht - und von ihrer Liebe zu zwei Männern: dem zwanzig Jahre älteren »perfekten Gefährten« Georg, Schauspieler, und dem »perfekten Liebhaber«, dem nigerianischen Lebemann Kimata. Dessen fehlende Aufenthaltsgenehmigung legt, trotz Ullis Bedenken, eine einzige Lösung nahe: Es muss geheiratet werden. Zugleichführt Kimatas Eifersucht immer öfter zu Gewaltausbrüchen, die zunehmend ihr Leben bedrohen ...
Autorenporträt
Ulli Lust, geboren 1967 in Wien, 1999–2004 Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee; lebt und zeichnet Comics in Berlin. 2009 erschien ihr autobiographischer Comic-Roman Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens, der in sieben Sprachen übersetzt wurde und zahlreiche Preise erhielt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2017

Die beiden Bilderwundertäter aus Berlin

Zwei deutsche Comics machen Sensation: Ulli Lust erzählt in "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein" ihr Leben weiter, Reinhard Kleist widmet Nick Cave eine Musikerbiographie der besonderen Art.

Es ist ein Ereignis: Nahezu gleichzeitig haben jetzt zwei der bedeutendsten und international erfolgreichsten deutschsprachigen Comiczeichner neue Hauptwerke veröffentlicht. Sie stammen von einer Frau und einem Mann, beide etwa gleich alt (geboren 1967 beziehungsweise 1970), sie in Wien, er in der Nähe von Köln, heute leben beide in Berlin, aber nur einer ihrer Bände hat zentral etwas mit dieser Stadt zu tun. Es handelt sich dabei um eine Musikerbiographie, der andere Band ist autobiographisch. Beide Bücher sind mit mehr als dreihundert Seiten von gewaltigem Umfang, setzen aber nicht nur damit die Entwicklung in Deutschland zu komplexen Comicpublikationen entscheidend fort: Beide loten, obwohl einmal streng schwarzweiß und das andere Mal nur mit einer Zusatzfarbe (Rosa) gedruckt, auch graphisch konsequent aus, was diese Erzählform hergibt. Und es sind beides ganz gegenwärtige Stoffe, wenn auch das Geschehen im autobiographischen Comic zu Beginn der neunziger Jahre angesiedelt ist und die Musikerbiographie ein mittlerweile sechzigjähriges Leben umfasst. Die Rede ist von Ulli Lusts "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein" und von Reinhard Kleists "Nick Cave - Mercy on me".

Auf beide Comics haben wir sehnlich gewartet, weil sie thematisch an die berühmtesten Werke dieser beiden Autoren anknüpfen. Kleist ist einer der produktivsten deutschen Zeichner, aber seinen großen Durchbruch hatte er 2006 mit einer anderen Musikerbiographie, "Cash - I see a darkness" über den Country-Star Johnny Cash, damals sein Debüt bei Carlsen, dem traditionsreichsten Comicverlag hierzulande. Ihm blieb Kleist bis heute treu, obwohl er zwei seiner erfolgreichsten Comics, die vielfach preisgekrönten Geschichten "Der Boxer" und "Der Traum von Olympia", in dieser Zeitung erstveröffentlichte, bevor sie dann auch als Bücher erschienen. Nebenher zeichnete Kleist journalistisch und als Illustrator, doch weltweit zum Maßstab geworden ist er seit "Cash" im biographischen Genre; auch Fidel Castro hat er einen umfangreichen Band gewidmet. Von seinem Nick-Cave-Projekt erzählte er erstmals vor drei Jahren; da hatte ihm der australische Musiker gerade seine Zustimmung erteilt.

Ulli Lust macht sich als Zeichnerin dagegen sehr rar. Wahrgenommen wurde sie außerhalb der Berliner Szene erst 2009, dann aber gewaltig: "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" erschien im hochambitionierten, aber kleinen Avant Verlag und erzählt schonungslos über Ulli Lusts Jugend als Punkerin und Ausreißerin nach Italien. Danach brauchte es vier Jahre für die gefeierte Romanadaption von Marcel Beyers "Flughunde", die bei Suhrkamp herauskam - als zweiter Comic des wichtigsten deutschen Literaturverlags nach dem Sensationserfolg von Nikolas Mahlers "Alte Meister" nach Thomas Bernhard. Und nun hat Suhrkamp auch wieder den Zuschlag erhalten für das dritte große Lust-Werk, "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein", das graphisch wie inhaltlich "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" fortsetzt. Wenn man darauf wartet, dass endlich einmal ein bedeutender deutscher Literaturpreis an einen Comic geht, dann hat man mit Kleists und Lusts neuen Büchern heiße Kandidaten.

Was macht ihre Bedeutung aus? Die Intensität des Erzählens bei Ulli Lust, die Originalität des Zeichnens bei Reinhard Kleist. In "Nick Cave" wird das Prinzip der Seitenarchitektur als feste Verfugung der Bilder auf einer Seite einem anderen Verfahren geopfert: der Verschmelzung von Panels, die ineinandergreifen und zu ganzseitigen Arrangements werden, die gerade nicht mehr Stabilität, sondern Spontaneität und Transgression vermitteln wollen - ihrem Thema adäquat, der Rockmusik und speziell dem Schaffen von Nick Cave. In Chaos und Wildwuchs der Karriere dieses exzentrischen Künstlers, der nach Drogenexzessen und musikalischem Scheitern schließlich im West-Berlin der achtziger Jahre zu sich und seinem Stil fand, hat Kleist den geeigneten Stoff für eine graphische Tour de Force gefunden. Und für eine inhaltliche.

Denn hier wird nicht chronologisch erzählt, ja nicht einmal realistisch. Der Comic vermischt Lebensstationen mit Liedtexten, ohne eine einzige Jahreszahl zu nennen. Cave trifft immer wieder auf diverse Alter Egos: jüngere, ältere, Figuren aus seinen Liedern und aus seinem Roman "Und die Eselin sah den Engel". Wiederkehrendes Motiv ist das religiös grundierte Erlösungsstreben, doch das wird kontrastiert mit einem ebenso unsentimentalen wie rücksichtslosen Umgang mit seinen Mitstreitern. Im Zentrum steht immer Nick Cave; nur nebenbei wird im Comic zum Beispiel erwähnt, dass sein Freund und Gitarrist Blixa Bargeld die Band verlassen hat und ein gewisser Warren Ellis eingetreten ist. Wer nicht schon einiges über Nick Cave (und damit über Blixa Bargeld und Warren Ellis) weiß, der darf nicht erwarten, von Kleist Erläuterungen zu bekommen. Er arrangiert Begebenheiten, kommentiert sie aber nicht.

Damit gehorcht sein Comic dem Prinzip eines Pop-Albums, und er bietet denn auch immer wieder graphisch interpretierte Liedtexte, die sich stilistisch deutlich vom Rest der Geschichte unterscheiden. Wobei Kleist für die immer wieder ins Phantastische spielende Cave-Biographie zu den eigenen Anfängen zurückgekehrt ist, zu Bravourstücken wie seinem Band "Amerika" von 1998 oder der Heftserie "Fucked" von 2000 - beides Arbeiten, auf die Kleist sich jahrelang nicht gerne ansprechen ließ. Nun aber erweisen sich deren Stimmungen als genau passend zum rauen Stil von Caves erster Band, The Birthday Party, und dem der späteren Bad Seeds.

Auch Ulli Lust greift graphisch über den Vorgängerband "Flughunde" zurück, wobei das der Kontinuität zu ihrer ersten autobiographischen Erzählung geschuldet ist: Der Drastik bei der Schilderung sexueller Affären und der Ich-Fixiertheit der Protagonistin Ulli entspricht die bewusst kleinteilige Seitenarchitektur und bisweilen krude Gestaltung der Figuren. Thema ist das Liebesleben einer jungen Frau in Wien, die ihre erste große Leidenschaft platonisch werden lässt, um mit anderen Partnern ihre erotischen Träume auszuleben. Geschickt blendet Ulli Lust an Schlüsselstellen ruhiggestellte ganzseitige Bilder ein, dann wieder lässt sie den sexuellen Exzess auch graphisch regieren, wobei sie manchmal Bildideen ihrer belgischen Kollegen Judith Vanistendael variiert. Doch für die schockierende Intensität dieses scheinbar unbedeutenden individuellen Schicksals gibt es in Europa kaum Vorbilder; man muss bis nach Amerika zu Chester Brown oder Jason Lutes sehen, um annähernd Vergleichbares zu finden. Ulli Lust zählt mit ihrem neuen Band endgültig zur internationale Spitze der Comic-Autobiographen.

Sie kennt keine Skrupel, pfeift auf politische Korrektheit, hier ist alles radikal subjektiv und expressiv, ein Selbstporträt mit bedingungslosem Mut zur Entblößung. Das ist ein ganz anderer Ton als bei Reinhard Kleist, der bislang noch nie dezidiert autobiographisch erzählt hat (mit Ausnahme der journalistischen Comics natürlich). Doch seinem "Nick Cave" merkt man die persönliche Anteilnahme an. Die masochistische Rücksichtslosigkeit des Erzählens ist hier nur besser kaschiert als bei Ulli Lust. Was mag Nick Cave, der dem Comic nach Fertigstellung seinen Segen gegeben hat, etwa bei einer Szene gleich zu Beginn empfunden haben, in der ein Junge in einen Abgrund stürzt? Wem bekannt ist, dass Cave erst vor wenigen Jahren einen seiner Söhne durch einen tödlichen Klippensturz verloren hat, der mag eine Vorstellung davon haben, was auch Reinhard Kleist hier riskiert hat. Ohne Caves Billigung wäre dieser Band nicht erschienen. Aber wie hätte ein großer Künstler ein großes Kunstwerk verkennen können? Hier wird ohne Sicherheitsnetz erzählt. Aber mit doppeltem Boden.

ANDREAS PLATTHAUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2017

Watschenmann
Mit ihrem Comic „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ setzt Ulli Lust ihre Autobiografie fort: Ohne Angst vor Tabubrüchen
und handwerklich perfekt wird die Geschichte einer Emanzipation erzählt – leider gerinnt dabei die Wirklichkeit zum Klischee
VON THOMAS VON STEINAECKER
Die deutschsprachige Literatur hat ein Frauenproblem. Alljährlich wird spätestens bei der Bekanntgabe der Longlist zum Deutschen Buchpreis wieder hitzig diskutiert über die im Betrieb unterrepräsentierten Schriftstellerinnen und den unterschwelligen Sexismus bei Kritikern und in Jurys. Dann wird gern der Comic als Beispiel dafür angeführt, wie es auch anders geht. Oberflächlich betrachtet herrschen hier utopische Zustände: Seitdem der Comicbuchpreis der Leibinger Stiftung, die höchst dotierte Förderung für deutschsprachige Projekte, vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde, ging er zweimal an Frauen; die renommierteste Auszeichnung, der Max und Moritz-Preis, wurde letztes Jahr der Künstlerin Barbara Yelin für ihr Opus Magnum „Irmina“ verliehen. Soeben erschienen ist der originellste deutsche Comic der Saison, „Das Hochhaus“ von Katharina Greve.
Teil und zugleich Avantgarde dieser beeindruckenden Frauen-Power ist die Österreicherin Ulli Lust, die seit mehr als 20 Jahren in Berlin lebt. Als sie 2009 ihren autobiografischen Band „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ veröffentlichte, sorgte das für ein mittelgroßes Beben in der Branche. Beeindruckend war nicht nur der Umfang, mehr als 450 Seiten, die bis dahin längste deutschsprachige Graphic Novel, sondern auch die radikale Intensität der Geschichte. Schonungslos offen erzählte die Autorin von ihrer etwas anderen Italienischen Reise in den 1980ern. Als 17-jährige Punkerin trampt sie von Wien nach Sizilien und gerät in eine beispiellose Abwärtsspirale aus Drogen, Kriminalität und Prostitution inklusive einer Vergewaltigung, die so subtil und zugleich furchtbar geschildert wird, dass man kaum noch weiterlesen kann – und doch muss, weil man unbedingt wissen will, was aus dieser Ulli wird. Das Ergebnis waren zahllose Auszeichnungen, darunter ein amerikanischer Ignatz-Award, eine für einen deutschsprachigen Künstler seltene Ehre.
Es ist also nicht übertrieben zu sagen, dass die Erwartungen an Ulli Lusts Fortsetzung ihrer Autobiografie, „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“, hoch sind. Zudem erscheint das Buch nicht mehr im kleinen Comic-Verlag Avant, sondern bei Suhrkamp. Wir befinden uns etwa zehn Jahre nach den Ereignissen aus dem Vorgänger, Mitte der 1990er-Jahre in Wien. Von einem One-Night-Stand hat Ulli einen Sohn, der bei ihren Eltern auf dem Land aufwächst; sie selbst versucht verzweifelt, in der Kunstszene Fuß zu fassen. Doch weder wird sie an der Kunsthochschule angenommen, noch stoßen ihre Kinderbuchillustrationen auf große Gegenliebe. Auf die anderen Jobs, die ihr angeboten werden, hat sie keine Lust, sodass sie einen Kleinkrieg mit dem Arbeitsamt führt. Ihre Hauptenergie fließt ohnehin in ihr Privatleben, in dem eine klassische Dreiersituation für tägliche Konflikte und Extremsituationen sorgt: Ulli liebt den zwanzig Jahre älteren Kleindarsteller Georg, der zwar mit seiner ruhigen Art ausgleichend wirkt und sie intellektuell inspiriert; doch sexuell kann und will er sie nicht befriedigen. Er hat allerdings auch kein Problem damit, dass Ulli ihre Libido mit fremden Männern auslebt. So trifft sie auf den Nigerianer Kimata, der nicht nur schwarz, sondern auch sonst das ziemliche Gegenteil von Georg ist: extrovertiert, unausgeglichen und sexbesessen. Trotz regelmäßiger heftiger Auseinandersetzungen kehrt Ulli am Ende doch immer wieder zu ihm zurück – bis er eines Tages mit dem Messer auf sie losgeht.
Wie schon „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ entwickelt auch die Fortsetzung bereits nach wenigen Seiten einen ungeheuren Drive, der den Leser sofort gefangen nimmt. Dieser Sogeffekt vollzieht sich auf einigermaßen subtile Weise. Denn abgesehen davon, dass Lust detailreiche Splash-Panels für sich entdeckt hat, die als Kapiteleinteilungen dienen und stimmungsvoll die Orte der Handlung ausmalen, wirken die meisten anderen Bilder, betrachtet man sie isoliert, aufs Wesentliche reduziert und schmucklos. Lusts große Kunst besteht darin, wie sie diese Einzelpanels zur Erzählung formt. Denn die Sequenzen halten die genaue Balance zwischen pointierter Auslassung und atmosphärischer Ausführlichkeit, ja manchmal haben sie etwas von einem Storyboard für einen jener Filme, die in ihrer schmerzvollen Genauigkeit und schwarzen Komik nur aus Österreich kommen können – wären da nicht die comictypischen Elemente, die auf so klug-unauffällige Weise aufscheinen, dass man sie eher spürt als sieht.
Das beginnt schon bei der Kolorierung. Passend zum Liebes-Thema des Bandes schafft ein zarter Rosaton auf den Schwarz-Weiß-Zeichnungen Flächen und setzt dezente Akzente auf Gesichtern und Kleidungsstücken. Außerdem finden sich kleine poetisch-bezaubernde Momente, etwa wenn Ulli mit ihrem Kimata schwer verliebt im Licht der Autoscheinwerfer spazieren geht, das kleine Herzchen bildet, und dann plötzlich nur mehr sie beide in einer leeren Landschaft dastehen, weil sie eben buchstäblich die Welt um sich herum vergessen haben. Und die ist die meiste Zeit, zumal für zwei Außenseiter wie eine Anarchistin und einen Nigerianer, keine erfreuliche – gerade in Wien, wo im Prater immer noch die Figur eines Schwarzen als „Watschenmann“ aufgestellt ist und die Polizei bei Gewalt in der Ehe untätig zuschaut, bei einer ausgelaufenen Aufenthaltsgenehmigung aber sofort mit einem Großaufgebot anrückt.
Bei all diesen Qualitäten, die Lust als Meisterin der Neunten Kunst ausweisen, stören die Plattheiten des Buches umso mehr. Vor allem bei den breit ausgeführten Sexszenen zwischen Ulli und Kimata. Seitenweise wird die Libido der Protagonistin gefeiert, die nun endlich ausgelebt werden kann. Aber alles, was der Autorin dazu einfällt, sind Stellungswechsel und Geschlechtsteile in Großaufnahme, fantasielose Pornografie, die schnell redundant wirkt. Das führt zum Knackpunkt des Comics. Denn am Ende entspricht Kimata tatsächlich sämtlichen rassistischen Stereotypen, die Lust sonst so fein analysiert: Er ist der Schwarze mit dem großen Schwanz, der sich als misogyn und gewalttätig entpuppt und zudem damit prahlt, seine Partnerin mit einem archaischen Zauber belegt zu haben, so dass sie ihn nicht verlassen kann. Am Höhepunkt der Geschichte entweichen dann dem Messer schwenkenden Kimata, dessen Gesicht in diesem Augenblick einer blinden afrikanischen Maske ähnelt, tatsächlich Zorneswölkchen aus der platten Nase. Macht das nun aus dem Comic das Buch der Stunde, weil sich hier endlich eine Frau traut, über Gewalt durch Ausländer zu sprechen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen? Oder spielt das unabsichtlich AfDlern in die Hände, die es immer schon gewusst haben wollen?
Keine Frage, das Buch ist explizit als autobiografisch ausgewiesen, und es zeugt schon von enormem Mut, all das mit solcher Offenheit und ohne Angst vor Tabubrüchen wiederzugeben. Trotzdem beschleicht den Leser an Stellen wie diesen ein ungutes Gefühl. Wo wahre Begebenheiten in den Bereich der Kunst überführt werden, läuft die Wirklichkeit Gefahr, zum Klischee zu werden. Und vielleicht wünscht man sich gerade von einer Künstlerin wie Ulli Lust, die über ein so genaues Sensorium für die Vorurteile ihrer Umwelt und über ein derart subtiles Instrumentarium verfügt, dass sie ein Bewusstsein für die Fallstricke ihrer eigenen Geschichte entwickelt, um gar nicht erst zu riskieren, Applaus von jener Seite zu bekommen, gegen die die Hauptfigur des Werkes mit jeder Faser ihrer anarchistischen Existenz steht.
Ein Comic also, der am Ende ratlos macht. Mitreißend und handwerklich perfekt, wie hier in Bildern die Geschichte einer Emanzipation erzählt wird; in der deutschsprachigen Szene gibt es nichts Vergleichbares. Zugleich aber auch irritierend, wie die Aporien des gegenwärtig so populären Genres der Memoir aufscheinen, ohne dass die Autorin darauf eine Antwort fände. Oder, um es in Comicsprache zu sagen: „Wow“ und „Uff“.
Ulli Lust: Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein. Suhrkamp, Berlin 2017. 367 Seiten, 25 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Ulli liebt den ruhigen Georg.
Aber sie liebt auch den wilden Sex
mit dem Nigerianer Kimata
Am Ende entspricht Kimata
allen rassistischen Klischees, die
Ulli Lust sonst so fein analysiert
Ein zarter Rosaton setzt Akzente in dieser schwarz-weißen Liebes- und Emanzipationsgeschichte von Ulli Lust.
Foto: Suhrkamp
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»Ulli Lust zählt mit ihrem neuen Band endgültig zur internationalen Spitze der Comic-Autobiographen.« Andreas Platthaus Frankfurter Allgemeine Zeitung 20170908