Erzählt werden die Geschichten – denn es ist eher eine Sammlung von Geschichten als ein Roman – aus der Perspektive von Nell, der Stellvertreterin Margret Atwoods, die uns in Rückblenden und aus der erzählerischen Gegenwart in den Personenkreis und das Leben ihrer Familie und Freunde einführt. Aus
den Beschreibungen und Analysen gewinnen wir ein abgerundetes Bild der Zeit und Lebensumstände von…mehrErzählt werden die Geschichten – denn es ist eher eine Sammlung von Geschichten als ein Roman – aus der Perspektive von Nell, der Stellvertreterin Margret Atwoods, die uns in Rückblenden und aus der erzählerischen Gegenwart in den Personenkreis und das Leben ihrer Familie und Freunde einführt. Aus den Beschreibungen und Analysen gewinnen wir ein abgerundetes Bild der Zeit und Lebensumstände von ziemlich ungewöhnlichen Menschen.
Es ist eine nachdenklich und sehr angenehme Sprache, derer sich die Autorin bedient. Sie verfügt über ein unglaublich großes Erinnerungspotential, aus dem sie mühelos zu schöpfen scheint. Ich bin immer wieder verblüfft, wie genau sie sich an kleinste Details erinnern kann, Dialoge wiedergeben, Lebendigkeit in ihren Erinnerungen schafft. Ob es sich um Kindergeschichten handelt oder um Gefühle und Gedanken als Erwachsener.
Sehr gut gefallen hat mir übrigens auch, wie sie zu Einsichten in sich selbst findet. Wie klar und offen sie damit umgeht. (S.73) Und auch, aus welch changierenden Perspektiven sie die unterschiedlichen Rollen sieht, in die sie schlüpft, als sie von ihrer Freundin (?) Oona zu einer Art Zweitfrau für deren Gatten auserkoren wird („Was soll ich überhaupt darstellen“, S.127, fragt sie Tig); oder auch, dass sie diese Rollen als „Tarnungen“ vor den anderen bezeichnet, S.128). Oona hält in den Geschichten über die Autorin meinem Empfinden nach den größten Spannungsfaden in der Hand – in ihrer Beziehung zu dieser ebenso wie für ihre Leserschaft (Haus, Aufmerksamkeit, Ansprüche).
Außerordentlich spannend – nur hat es weniger mit der Familie der Autorin als mit einer vom Vater nacherzählten Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1903 zu tun –, ist die ungewöhnliche und wahre Geschichte über zwei Männer, „die sich einen Namen machen wollen“, und einen Führer, die bei ihrem Vorhaben kläglich scheitern.
Beobachtungen von Natur und Landschaften, Stimmungen des Geistes und Empfindungen werden so behutsam und eindrücklich beschrieben, dass sie ganz nahe rücken. Man spürt förmlich die Hitze des August und die Verlorenheit der kleineren Schwester. Es ist ein ganz besonderer Ton, den die Autorin für sich – und ihre Figuren – gefunden hat, und den ich als erstaunliche und gut gelungene Spiegelung ihrer Figuren bei mir als Lesender wiederfinde.
Hervorzuheben sind sehr schöne Vergleiche und Bilder der Autorin:
„Ein Schlafzimmer, das wie der Umschlag eines Taschenbuchkrimis wirkte“.
„Er sieht leicht schurkisch aus…wie ein Führer in den nördlichen Wäldern, die Sorte, die plötzlich über Nacht m it dem besten Gewehr verschwindet, kurz bevor die Wölfe auftauchen“
„Es kann sein, dass ich mich an die Einzelheiten ihrer Stiefel…besser erinnere als an ihr Gesicht, weil sich die Stiefel nicht änderten.“
„(Auf Fotos:) Die Schatten der Sonne vertieften ihre Augenhöhlen und Stirnfalten und legten kleine Schnurrbärte unter ihre Nasen.
Ein Buch, das auf jeden Fall sehr zu empfehlen ist.