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»Faszinierend, provozierend, bahnbrechend. Ein Buch, das in den kommenden Jahren für Diskussionen sorgen wird.« Rutger Bregman, Autor von »Utopien für Realisten«
Ein großes Buch von gewaltiger intellektueller Bandbreite, neugierig, visionär, und ein Plädoyer für die Macht des direkten Handelns.
David Graeber, der bedeutendste Anthropologe unserer Zeit, und David Wengrow, einer der führenden Archäologen, entfalten in ihrer großen Menschheitsgeschichte, wie sich die Anfänge unserer Zivilisation mit der Zukunft der Menschheit neu denken und verbinden lässt. Sie revidieren unser bisheriges
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Produktbeschreibung
»Faszinierend, provozierend, bahnbrechend. Ein Buch, das in den kommenden Jahren für Diskussionen sorgen wird.« Rutger Bregman, Autor von »Utopien für Realisten«

Ein großes Buch von gewaltiger intellektueller Bandbreite, neugierig, visionär, und ein Plädoyer für die Macht des direkten Handelns.

David Graeber, der bedeutendste Anthropologe unserer Zeit, und David Wengrow, einer der führenden Archäologen, entfalten in ihrer großen Menschheitsgeschichte, wie sich die Anfänge unserer Zivilisation mit der Zukunft der Menschheit neu denken und verbinden lässt. Sie revidieren unser bisheriges Menschenbild und erzählen Menschheitsgeschichte, wie sie noch nie erzählt wurde. Über Jahrtausende hinweg, lange vor der Aufklärung, wurde schon jede erdenkliche Form sozialer Organisation erfunden und nach Freiheit, Wissen und Glück gestrebt. Graeber und Wengrow zeigen, wie stark die indigene Perspektive das westliche Denken beeinflusst hat und wie wichtig ihre Rückgewinnung ist.Lebendig und überzeugend ermuntern sie uns, mutiger und entschiedener für eine andere Zukunft der Menschheit einzutreten und sie durch unser Handeln zu verändern.

David Graeber war der bedeutendste Kulturanthropologe seiner Generation, der wichtigste Vordenker der Occupy-Bewegung und ein weltbekannter Intellektueller. Er lebte seine Ideen von sozialer Gerechtigkeit und Befreiung, gab den Unterdrückten Hoffnung und inspirierte zahllose andere zur Nachfolge. Am 2. September 2020 starb David Graeber völlig überraschend im Alter von 59 Jahren in Venedig; drei Wochen zuvor hatten er und David Wengrow "Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit" beendet. Vor mehr als zehn Jahren hatten beide Autoren ihre Arbeit an diesem Opus magnum außerhalb ihrer akademischen Verpflichtungen aufgenommen: Ein Anthropologe und ein Archäologe beleben mit dem heute vorhandenen Quellenmaterial den großen Dialog über die menschliche Geschichte wieder. Dieses Meisterwerk ist das Vermächtnis von David Graeber.

»Ein faszinierendes Werk, das uns dazu bringt, die Natur der menschlichen Fähigkeiten neu zu überdenken. Es handelt von den stolzesten Momente unserer eigenen Geschichte, unserem Austausch und unserer Schuld gegenüber indigenen Kulturen und ihren vergessenen Intellektuellen. Herausfordernd und erhellend.«Noam Chomsky

»Graeber und Wengrow entlarven Klischees über die weit zurückreichende Geschichte der Menschheit, um unserem Denken zu erschließen, was in der Zukunft möglich ist. Es gibt kein vitaleres, kein unserer Zeit angemesseneres Projekt.« Jaron Lanier, Autor von Anbruch einer neuen Zeit
Autorenporträt
David Graeber (1961-2020) war Professor für Anthropologie an der London School of Economics und Autor der Weltbestseller 'Schulden', 'Bullshit Jobs' und 'Bürokratie' und Vordenker von 'Occupy Wall Street'. Völlig überraschend starb David Graeber am 2. September 2020 in Venedig. Sein letztes großes Werk 'Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit' erschien postum im Frühjahr 2022 bei Klett-Cotta.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Nikolaus Nützel gewinnt mit dem Band von David Wengrow und David Graeber einen "ganz anderen Blick" auf die Vergangenheit und die Gegenwart der Menschen. Die beiden Forscher stellen eine neue Menschheitsgeschichte dar, die keineswegs so linear und konsequent verlief, wie es ihrer Ansicht nach andere glauben machten, resümiert der Rezensent. Beginnend in der Barockzeit und dem später irreführenden Gedankenexperiment Rousseaus, liefern der Archäologe und der Anthropologe eine fast schon "überbordende Detailfülle" an Erzählungen der Zivilisationsformen von vor hunderttausend Jahren von Südamerika bis Asien, staunt Nützel. Dabei hinterfragen die Autoren immer wieder zahlreiche für unumstößlich gehaltene Erkenntnisse und haben so auch ein "kapitalismuskritisches Buch" geschrieben, meint der Rezensent. Allein von der deutschen Edition ist er enttäuscht, der er eine geduldigere Übersetzung und ein besseres Korrektorat gewünscht hätte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2022

Aus dem Munde des Huronen

Seht doch, der Staat muss gar nicht sein! David Graeber und David Wengrow nehmen es mit großen Theorien zur Geschichte der Menschheit auf.

Die Angst der Menschheit vor sich selbst hat nicht nur in der Bezeichnung des gegenwärtigen Erdzeitalters als Anthropozän, sondern auch im populären Genre der globalen Menschheitsgeschichten ihren Niederschlag gefunden. Schon lange sind die Zeiten vorbei, in denen man wie Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch ein Ende der Geschichte und ein zukünftiges Reich des Friedens und allgemeinen Wohlstands voraussagte. In dessen neueren Schriften über den Ursprung der politischen Ordnung wie auch in den zu internationalen Bestsellern gewordenen Abhandlungen des israelischen Historikers Yuval Noah Harari überwiegen bei Weitem die dystopischen Elemente. Und wenn auch der Grundtenor des Gemeinschaftswerks des Archäologen David Wengrow und des kurz nach Abschluss des Manuskripts verstorbenen Ethnologen David Graeber nicht ganz so pessimistisch ausfällt: Auch für sie steht fest, dass in der Weltgeschichte etwas "entsetzlich schiefgelaufen" ist.

Anlass für ihr ambitioniertes Unternehmen, diese Geschichte neu zu schreiben, sind aufsehenerregende archäologischen Funde der letzten drei Jahrzehnte. Ihrer Auffassung nach widerlegen sie das klassische Entwicklungsschema, dem zufolge die egalitären Jäger- und Sammlerhorden der Urzeit durch verwandtschaftlich gegliederte Stammesfürstentümer abgelöst wurden, aus denen nach der Erfindung der Landwirtschaft die ersten Städte hervorgingen. Zu ihnen zählt auch die vor etwa neuntausend Jahren angelegte Siedlung Çatalhöyük in Anatolien. Die Häuser ihrer etwa zehntausend Einwohner hat man zwar gefunden, nach einem Königssitz und einem administrativen Zentrum dagegen vergeblich gesucht. Anders als die fest ummauerten Städte im Zweistromland brauchten die Bewohner Çatalhöyüks offenbar keinen Herrscher und Verwaltungsapparat, um ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.

Noch ergiebiger für die Kritik der Autoren an den herkömmlichen Entwicklungstheorien ist, was bei Ausgrabungen im Amazonasgebiet zutage trat. Sie zeigten, dass es bereits zur Zeit von Christi Geburt mit einem Netzwerk von Städten, Monumenten und Straßen durchzogen war, dessen Ausläufer bis in das heutige Peru reichten. Die Ausbreitung dieser beeindruckenden Regenwaldzivilisation war offensichtlich durch die bereits einige Jahrtausende zuvor erfolgte Domestikation von tropischen Wildpflanzen begünstigt worden. Doch sei deren Anbau, so Graeber und Wengrow, nur in spielerischer Form betrieben worden. Später hätten die Menschen ihn wieder aufgegeben und wie früher vom Jagen und Sammeln gelebt. Einer der Gründe sei gewesen, dass man für diese Tätigkeit einen weit geringeren Aufwand an Arbeitszeit benötigt. Auch bot die nomadisierende Lebensform Möglichkeiten des Rückzugs in schwer zugängliche Gebiete, die denn auch verstärkt genutzt wurden, als die Kolonisierung Brasiliens durch die Europäer begann.

Diese und viele andere Beispiele beweisen für Graeber und Wengrow, dass die ökonomischen, sozialen und politischen Organisationsformen der frühen Menschheit vielfältiger waren als bisher angenommen. Das trifft nicht nur auf die frühen Städte zu, sondern auch auf das bis heute vorherrschende Bild vom Egalitarismus der steinzeitlichen Jäger- und Sammlerhorden. Gräberfunde zeigten nämlich, dass es auch schon in einigen dieser Gruppen tyrannische Anführer gab, bei deren Tod Dutzende von Menschen umgebracht und mit ihnen bestattet wurden. Die Frühgeschichte der Menschheit erweist sich so als ein einziges soziales Experimentierfeld. Wieder und wieder habe man neue politische Ordnungen geschaffen, sie aufgegeben und sich an anderen Formen des Zusammenlebens versucht. Allerdings seien die Menschen damals noch so mobil gewesen, dass sie einfach weggezogen sind, wenn es ihnen zu viel wurde. Erst mit der Entstehung des modernen Staates habe sich das geändert. Erst er habe ihnen mit all seinen Zwangsinstitutionen die Möglichkeit genommen, ihre Verhältnisse so zu gestalten, wie sie selbst es wollten. Doch dürfe man die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich dies eines Tages wieder ändern könne.

Graeber und Wengrow verfügen über das Talent, auch komplizierte Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, und imponierend ist die Respektlosigkeit, die sie den etablierten großen Theorien entgegenbringen. Mit anhaltender Spannung verfolgt man, wie diese revidiert werden. Hat sich die erste Begeisterung aber erst einmal gelegt, merkt man, dass die geschickte Rhetorik der beiden Autoren leicht dazu verführt, offensichtliche Widersprüche zu übersehen. Kann man zum Beispiel die anhand von steinzeitlichen Gräberfunden aufgestellte Behauptung, dass man damals körperlich oder auch psychisch von der Norm abweichenden Menschen religiöse Sonderstellungen zuwies, damit begründen, dass dies die südsudanesischen Nuer auch heute noch so täten? Hier findet offensichtlich ein Rückfall in jene evolutionistischen Denkschemata statt, gegen die das Buch sich richtet.

Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass die beiden Autoren unilineare Entwicklungstheorien zwar summarisch ablehnen, einige ihrer Argumentationsstränge aber dann doch übernehmen, wenn sie in ihr eigenes Konzept passen. Zu Recht distanzieren sie sich etwa von den im neunzehnten Jahrhundert aufgekommenen Überlegungen, dass dem Patriarchat in der Menschheitsgeschichte ein weltweites Matriarchat vorangegangen sei. Akzeptabel erscheint ihnen dennoch die umstrittene Theorie der litauischen Prähistorikerin Marija Gimbutas über die ursprünglich in Osteuropa verbreitete Kurgan-Kultur, deren Göttinnen-Kult zeige, welch überragende Rollen Frauen in der Frühzeit zukamen. Selbst die alten Hypothesen über deren politische Vorherrschaft im minoischen Kreta werden von ihnen wieder aufgenommen. Als ein Beleg für diese Annahme dient ihnen, dass sie auf minoischen Palastfresken bekleidet und weit größer dargestellt werden als die ihnen zugesellten, kleinen und meist vollständig nackten Männerfiguren.

Wie stichhaltig solche "Beweise" sind, müssen Prähistoriker und Archäologen entscheiden. Ähnliche argumentative Schwachstellen treten noch deutlicher hervor, wenn sich die Überlegungen auf die Forschungsgebiete benachbarter Disziplinen beziehen. So dürften etwa Theologen und Mediävisten der Behauptung heftig widersprechen, dass im Mittelalter keinerlei Konzepte von sozialer Gleichheit und Ungleichheit existiert hätten. Ihre kühnste These aber findet sich gleich auf den ersten Seiten des Buchs. Sie besagt, dass die von den Philosophen der Aufklärung entwickelte Fortschrittsidee nichts anderes gewesen sei als eine Abwehrreaktion auf die Kritik, die von Vertretern indigener Völker an der europäischen Zivilisation geübt wurde.

Als Kronzeuge für diese Behauptung gilt den Autoren der Huronen-Häuptling Kondiaronk, der sich gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Kanada als geschickter Unterhändler zwischen den französischen Kolonisten und den einheimischen Bevölkerungsgruppen bewährt hatte und auch selbst einmal Europa besucht haben soll. Unter dem Namen Adario wurde er zur Titelfigur der "Gespräche mit einem Wilden", die 1703 als Anhang der Reisebeschreibung des ehemaligen französischen Kolonialoffiziers und libertären Freigeists Louis-Armand de Lahontan erschien, der sich nach seiner Flucht aus der Armee zunächst in Holland niedergelassen hatte. Punkt für Punkt werden in dem Dialog die Missstände der französischen Gesellschaft abgehandelt, am Maßstab der allen Menschen gemeinsamen Vernunft gemessen und mit dem so viel freieren und glücklicheren Leben der Huronen verglichen. Eine Begegnung zwischen den beiden hat sicher stattgefunden. Und die Bedeutung des Textes für die Frühaufklärung steht außer Frage. Anders steht es dagegen um die Authentizität der Äußerungen Adarios. Denn unschwer lassen sich viele der Positionen, die er vertritt, bis zurück zu den antiken Naturrechtslehren verfolgen. Auch die höhnische Kritik, die er am Christentum vorbringt, orientiert sich eindeutig am zeitgenössischen Deismus. Dennoch nehmen die beiden Autoren alle Worte, die La Hontan seinem Gesprächspartner in den Mund gelegt hat, für bare Münze. Es wird gar nicht erst in Betracht gezogen, dass ihm der Hurone auch als Sprachrohr seiner eigenen Auffassungen gedient haben könnte. Unerwähnt bleibt ebenso, dass einige der radikalsten sozialkritischen Ausführungen der im frühen achtzehnten Jahrhundert unter Philosophen weitverbreiteten Schrift weder von Adario noch von La Hontan stammen. Eingefügt hat sie vielmehr später der ebenfalls ins holländische Exil geflüchtete Calvinist und Freidenker Nicolaus Gueudeville, der sicher nie einen kanadischen Ureinwohner zu Gesicht bekommen hat.

Auch Rousseau hätte eine sorgfältigere Lektüre verdient. Graebner und Wengrow werfen ihm vor, den Mythos vom "dummen Wilden" in die Welt gesetzt zu haben, der im neunzehnten Jahrhundert rassistisch weiter gesponnen und zur Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus herangezogen worden sei. Doch beziehen sich die entsprechenden Passagen bei Rousseau auf seine Gedankenkonstruktion des einsam und ungesellig umherstreifenden Naturmenschen, der in den Tag hinein lebt und weder an das Gestern noch an das Morgen denkt. Dagegen repräsentieren die damals als Wilde bezeichneten indigenen Völker Amerikas für ihn ein bereits fortgeschritteneres Stadium der Geschichte: einen Zustand der lockeren Vergesellschaftung, in dem die Freiheit des Einzelnen noch nicht eingeschränkt ist. Für ihn stellt er das Goldene Zeitalter der Menschheit dar, das sie nie hätte verlassen dürfen. Dies bewiese auch, wie viele Franzosen in Amerika zu den Wilden übergelaufen seien, während es den Europäern nie gelungen sei, auch nur einen Einzigen von jenen zu ihrer Lebensweise zu bekehren. Seinen La Hontan hatte Rousseau offensichtlich auch gelesen.

Wahrscheinlich ist es die Nähe zu ihren eigenen Konzeptionen, die die Autoren der "Anfänge" dazu bewogen hat, sich in aller Schärfe von Rousseau zu distanzieren. Denn ähnlich romantisch geprägt sind auch die Bilder, die sie selbst von einigen frühen Etappen der Menschheitsgeschichte zeichnen. Und allzu groß ist der Unterschied ja nun auch nicht, wenn man den Beginn der Verfallsprozesse nicht wie Rousseau mit der Erfindung des Eigentums, sondern mit der Entstehung des modernen Staats beginnen lässt. KARL-HEINZ KOHL

David Graeber und David Wengrow: "Anfänge". Eine neue Geschichte der Menschheit.

Aus dem Englischen von H. Dedekind, H. Dierlamm und A. Thomsen. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2022. 667 S., Abb., geb., 28- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ich empfehle das Buch gern, weil es für mich auch ein sehr optimistisches Buch ist, das zeigt, dass die Menschen schon immer sehr kreative Lösungen für ihre Probleme gefunden haben und das kann heute immer noch der Fall sein.« Isabel Fargo Cole, SWR 2 Lesenswert Kritik, 14. Mai 2023 Isabel Fargo Cole SWR 2 lesenswert Kritik 20230514
Die Zivilisationsfalle

Ist unsere Vorstellung vom Gang der Geschichte unausweichlich? David Graebers und David Wengrows Buch "Anfänge" ist ein Manifest gegen das unaufgeklärte Selbstbild moderner Gesellschaften. Es wird die Debatten verändern - auch bei uns.

Von Anselm Franke und Bernd Scherer

Wer sich angesichts tödlicher Gefahr nicht zu bewegen vermag, steckt in einer Falle. So ergeht es unserer Gesellschaft: Wir wissen, dass nur grundlegende Veränderungen kommenden Generationen eine Zukunft sichern können. Ein "Weiter so" führt in Anbetracht des drohenden Klimakollapses in die sichere Katastrophe. Die Flucht nach vorne, zu neuen Planeten, bleibt - so sie nicht reines Wunschdenken ist - einigen Superreichen vorbehalten. Und auch eine Rückkehr zu "vormodernen" Zuständen scheint keine Option. Es ist dieses Szenario einer kollabierenden Welt ohne Denk- und Handlungsalternativen, dem wir im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) entgegenarbeiten. Wir müssen neue Landkarten und diskursive Koordinatensysteme entwickeln, um Wege aus Denkgewohnheiten aufzuzeigen. Denn die Falle, in der wir stecken, ist eine Falle der Denkweisen, allerdings mit katastrophalen materiellen Konsequenzen.

In dieser Lage eröffnet das jetzt auf Deutsch erscheinende Buch "Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit" neue Perspektiven. Der Anthropologe und Aktivist David Graeber hatte es zusammen mit dem Archäologen David Wengrow geschrieben; kurz vor Graebers Tod 2020 war es fertig geworden. Das Buch befreit unser politisches Vorstellungsvermögen von den Fesseln, die uns überkommene Erzählmodelle und Ideologien auferlegen. "Anfänge" widerlegt das seit dem 18. Jahrhundert entwickelte und noch heute in unterschiedlichen Ausprägungen in den Werken der "Big History" - etwa in den Bestsellern von Jared Diamond, Steven Pinker und Yuval Noah Harari - reproduzierte Standardmodell der Zivilisationsgeschichte. Dieses beschreibt eine lineare Entwicklung von einfachen und ursprünglichen zu immer komplexeren Gesellschaftsformen, von egalitären Sammler- und Jägergesellschaften über Pastoralismus und Ackerbau bis hin zu modernen, kapitalistischen Gesellschaften.

"Anfänge" weist nun anhand eines atemberaubenden Panoramas archäologischer Befunde nach, dass das evolutionistische Modell auf Trugschlüssen basiert, die uns zu Gefangenen unserer eigenen Gedankengebäude machen. Unsere Vorfahren waren keineswegs Wilde, bevor ihnen irreversibel das Joch der Zivilisation auferlegt wurde. Vielmehr haben sie seit jeher mit dem offenen Spektrum menschlicher Möglichkeiten experimentiert, Formen des sozialen Lebens zu gestalten und zu verändern.

Zu Beginn führen uns die Autoren an die Geburtsorte der europäischen Aufklärung: in die Londoner und Pariser Salons des 18. Jahrhunderts. Die Aufklärung verdankte sich nicht allein einzelnen Denkern, sondern einem Milieu, das geprägt war von neuen Ideen und Kontroversen. Diese entzündeten sich, so Graeber und Wengrow, ganz wesentlich auch an den von Missionaren, Reisenden und Siedlern nach Europa übermittelten Ansichten indigener Gesprächspartner aus der "Neuen Welt". Eine zentrale Vermittlungsinstanz bildeten dabei weithin rezipierte Buchprojekte wie die "Jesuit Relations", eine Dokumentation der weltumspannenden Korrespondenzen des Ordens, oder "Le grand voyage du pays des Hurons" des Mönchs Gabriel Sagard, das etwa von Locke und Voltaire wiederholt zitiert wurde. Die indigenen Gesprächspartner der Missionare überraschten mit ihrer Schlagfertigkeit und Gewitztheit sowie mit ihrer oft vernichtenden Kritik an der Gesellschaftsform der Eroberer. Eine der faszinierendsten Figuren dieser Debattenkultur war der Hauptstratege der nordamerikanischen Volksgruppe der Wendat, Kandiaronk, der wahrscheinlich auch Paris besuchte und dessen Denken durch den französischen Aristokraten Louis-Armand de Lom d'Arce, genannt Lahontan, über die Publikation gemeinsamer Dialoge in den französischen Salons verbreitet wurde. Kandiaronk hatte sich über viele Jahre in politischen Verhandlungen mit Europäern auseinandergesetzt und kritisierte insbesondere die unerbittliche Dominanz von Geld und Privateigentum in den europäischen Gesellschaften und die damit verbundenen Bestrafungssysteme. Der Satz "Wer Interesse geleitet ist, kann kein Vernunftmensch sein" bringt Kandiaronks Haltung auf den Punkt.

Die Kunst der Debatte, so Graeber und Wengrow, beherrschten die Vertreter nordamerikanischer Gesellschaften nicht zuletzt, weil ihre Anführer darauf angewiesen waren, ihre Ideen und Vorstellungen permanent rhetorisch und argumentativ zu verteidigen und durchzusetzen. Denn sie hatten aufgrund des Freiheitsanspruchs der anderen Mitglieder dieser Gesellschaften in der Regel nicht die Machtmittel wie europäische Regenten, Gefolgschaft zu erzwingen. Für die blinde Akzeptanz hierarchischer Befehlsketten bei den Europäern hatten sie kein Verständnis. Das Leben der Franzosen in ständiger Angst vor der Willkür der Autoritäten etwa sei "kaum besser als das von Sklaven".

Die indigenen Ansichten zum Verhältnis von Freiheit und Fürsorge hinterließen einen tiefen Eindruck in den europäischen Salons. Gleichzeitig stellten sie die etablierten Autoritäten derart radikal infrage, dass sich eine mächtige Gegenreaktion bildete, die bis in die Gegenwart fortwirkt. Das Standardnarrativ der Menschheitsgeschichte wurde nach Graeber und Wengrow "zu dem Zweck erfunden, die Bedrohung durch die indigene Kritik zu neutralisieren". Die indigene Kritik hatte nicht nur die revolutionäre Durchsetzung von bürgerlichen Freiheitsrechten in Europa zur Folge. Sie hinterfragte potentiell auch den kolonialen Herrschaftsanspruch der Europäer. Die Gegenreaktion bestand laut Graeber und Wengrow darin, dass unterworfene und indigene Völker nunmehr in einem linearen Zeitmodell einem vergangenen, vor-zivilisatorischen Naturzustand zugeordnet wurden.

Die Argumentationsfigur des Naturzustandes entfaltete sich in zwei Ursprungserzählungen, die, wie die beiden Autoren zeigen, das europäische Denken bis zur heutigen Zeit nachdrücklich prägen. Nach Hobbes ist der Naturzustand ein Kriegszustand. Es bedarf eines Souveräns und eines starken Staatsapparats, bestehend aus Polizei und Bürokratie, um die zerstörerischen menschlichen Instinkte zu kontrollieren und einzudämmen. Die Gewalt des Staats ist im Sinne der Gesamtentwicklung zu tolerieren und hat erzieherische Funktionen. Im Gegensatz dazu entwirft Rousseau einen Naturzustand, den er bewusst als Gedankenexperiment und nicht als historische Tatsache deklariert, in dem die Menschen in friedlicher und egalitärer Koexistenz zusammenleben. Erst der Gesellschaftsvertrag legt sie in Ketten und beendet den idealen Urzustand. Mit der Aufgabe der nomadischen Lebensweise als Jäger und Sammler und dem Eintritt in immer größere und "komplexere" Zivilisationen verliert der Mensch seine ursprüngliche Freiheit. Hierarchien und permanente Eliten werden unausweichlich.

Wurde Hobbes' Modell eines hierarchisch autoritären Staates in der Folge zum Leitmodell rechter Positionen, diente Rousseaus Naturzustand friedlich koexistierender Individuen linken Gesellschaftsmodellen als Bezugspunkt. Die Unterteilung der modernen politischen Landschaft in links und rechts, so Graeber und Wengrow, ist also ein Resultat der bürgerlichen Reaktion auf die indigene Kritik. Der unausgesprochene Konsens beider Ursprungsmythen - von Hobbes und Rousseau - besteht aber darin, den indigenen Gesellschaften die Gleichwertigkeit abzusprechen. Die Menschen, mit denen man es zu tun hatte, wurden nicht mehr als Gesprächspartner anerkannt, sondern einem "früheren Stadium" zugerechnet - gemäß ihrer angeblichen Nähe zum mythischen "Naturzustand". Sie waren entweder Teufel im Falle Hobbes, von denen Gewalt ausging, oder Engel im Falle Rousseaus, zwar friedlich, aber eigentlich kindlich naiv.

Aus unserer Sicht liefert Graebers und Wengrows Beschreibung der Abwehr der indigenen Kritik eine Grundlage für die überfällige Selbstaufklärung europäischer Gesellschaften. Denn der damals festgeschriebene Begriff moderner Zivilisation schafft eine mythische symbolische Schwelle, einen Sortier- und Ausschlussmechanismus, der in das Herz gegenwärtiger Debatten um das Verhältnis von Aufklärung, Universalismus und Rassismus führt. Der Mythos von der Überwindung des Naturzustands gebiert unzählige Monstren: Die bürgerlichen Freiheiten werden formalisiert und an Eigentumsrechte und deren staatliche Sicherung geknüpft. Das Geschichtsbild wird eurozentrisch und fortschrittsorientiert. Europa schließt sich aus der Ökumene der Menschheit aus. Der Mythos der "Würde des Weißen Mannes" stellt koloniale Gewalt als Akt der Aufopferung im Dienste des Zivilisationsfortschritts dar. Der Versuch, den Mythos zu verwissenschaftlichen, führt schließlich zum biologischen Rassismus, in dessen Bann sich die Geschichte seit dem späten 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bewegt.

Es wird somit deutlich, wie eine zu Beginn des 18. Jahrhunderts sich ausdifferenzierende globale Diskurskultur von den Europäern erstickt wird. Von nun an wird nur noch über die anderen gesprochen, aber nicht mehr mit ihnen. Als Teil der Natur können sie genauso wie die Natur selbst ausgebeutet werden. Das Vernunftprojekt der Aufklärung tritt hier in den Dienst des Machtprojekts und wird damit zur Karikatur seiner selbst. Koloniale Unterwerfung wird zur Befreiung von "selbstverschuldeter Unmündigkeit" stilisiert. Darauf beruht die Hybris vieler populistischer Verteidiger der Aufklärung heute.

Im Anschluss entfalten Graeber und Wengrow auf der Grundlage von neuem archäologischen Material den Reichtum unterschiedlicher historischer Gesellschaftsmodelle, die die unhinterfragten Grundannahmen des Standardnarrativs auf vielfältige Art widerlegen. Gesellschaften haben ihre Organisationsformen häufig verändert, etwa im Rhythmus der Jahreszeiten, oder sie haben sich bewusst entschlossen, bestimmte Praktiken und Organisationsformen aufzugeben, und sich zum Beispiel aus Imperien herausgelöst, um demokratische Gesellschaften "gegen den Staat" zu begründen. Die Sklaverei wurde immer wieder und in unterschiedlichsten Gegenden der Welt abgeschafft.

Es bleibt kein Stein auf dem anderen: Die Einführung der Landwirtschaft war keine "neolithische Revolution", sondern ihre Durchsetzung dauerte viele Jahrtausende, und höchstwahrscheinlich war sie zuerst eine kollektive Tätigkeit, ohne notwendigerweise abgegrenzte Territorien und Familienstrukturen zu etablieren. Städte machen die Herausbildung von Hierarchien und Eliten nicht unausweichlich - wie etwa das Beispiel von Teotihuacán in Mexiko zeigt. Auch die Bedeutung von Blutsverwandtschaft wurde wohl massiv überschätzt: In einer der frühesten Siedlungen des erweiterten fruchtbaren Halbmonds, Catalhoyuk, waren die Menschen in Haushaltsgemeinschaften selten genetisch miteinander verwandt. Und es werden Hypothesen zu großen Fragen aufgestellt, etwa zum Ursprung des Eigentumskonzepts aus der Kategorie des Heiligen. Gewaltherrschaft, schlagen Graeber und Wengrow vor, ist nur dann von Dauer, wenn sie sich mit Fürsorge vermischt oder gar als solche darstellt, wie etwa im Patriarchat. Tatsächlich erscheinen auch in diesem Buch vergangene und nicht staatliche Gesellschaften freier und egalitärer, aber vor allem agiler und experimentierfreudiger als unsere hoch technisierten, nationalstaatlichen Gesellschaften heute. Das Buch erschöpft sich aber nicht in einfachen Gegenüberstellungen und Zuschreibungen. Denn die Autoren sind äußerst bedacht, keine weitere Sündenfallerzählung und keine weiteren Ursprungsmythen in die Welt zu setzen. Wir betrachten und konstruieren die Geschichte aus der Gegenwart heraus: statt angebliche Zivilisationsstufen oder Anfänge zu postulieren, zeigen Graeber und Wengrow auf, wie unsere Ursprungsgeschichten unsere Gegenwart strukturieren.

Dieses ketzerische Buch verschiebt die Debatte nachhaltig. Seine Verdienste beschränken sich nicht darauf, die neueren explosiven Entwicklungen in den Geschichtswissenschaften zu verbinden, sondern es greift auch lange verschüttete Denklinien der Anthropologie wieder auf. Vieles von dem, was hier über Zivilisationsmythen zu lesen ist, haben die Intellektuellen unterschiedlicher Widerstandsbewegungen tatsächlich schon lange gesagt. Was hier vorliegt, ist ein Manifest gegen das unaufgeklärte Selbstbild moderner Gesellschaften, das paradoxerweise auf die Aufklärung selbst zurückgeht. In einem Moment, in dem die westlichen Gesellschaften endlich am Beginn einer Auseinandersetzung mit ihrer Kolonialgeschichte stehen, ist dieser Beitrag zur Selbstaufklärung essenziell. Denn die etablierten Abwehrmechanismen sind noch immer aktiv, der Mythos des Evolutionismus lebt in der Vorstellung unumkehrbarer Zivilisationssprünge durch technologische Revolutionen ungehindert weiter. Aus der Perspektive unserer Arbeit am HKW hat diese Studie das Potential, neue Allianzen von Wissenschaften und sozialen Bewegungen zu schaffen. Sie macht deutlich, dass auch Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen die Strukturen der Kolonialzeit, die sich bis tief in die Arbeitsteilung der Disziplinen eingeschrieben haben, sprengen müssen. "Anfänge" stellt dafür ein mögliches Koordinatensystem bereit.

Bernd Scherer ist der Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt, Anselm Franke ist dort Leiter des Bereichs Bildende Kunst und Film. Vom 27. bis 29. Mai nimmt das HKW das besprochene Buch zum Ausgangspunkt der Konferenz "Die Zivilisationsfrage".

David Graeber, David Wengrow: "Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit". Aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind, Helmut Dierlamm und Andreas Thomsen. Klett-Cotta, 1084 Seiten, 28 Euro (erscheint am 29. Januar).

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