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Hanau, Halle, Kassel, Christchurch oder Utøya - wahnhafte Absichten und rationales Vorgehen schließen sich nicht aus. Justus Benders Essay gewährt einen erschreckenden Einblick in die Strategien des modernen Rechtsterrorismus.Der einhellige Tenor von Berichterstattung und Politik lautet, der Rechtsterrorismus sei irrational und geistlos. Oft wird angenommen, es handele sich um Taten von unzurechnungsfähigen Einzeltätern. Diesem Fehlschluss, aus der Wahnhaftigkeit der Motive auf die Wahnhaftigkeit der Tat zu schließen, stellt sich dieses Buch vehement entgegen. Angemessen auf die…mehr

Produktbeschreibung
Hanau, Halle, Kassel, Christchurch oder Utøya - wahnhafte Absichten und rationales Vorgehen schließen sich nicht aus. Justus Benders Essay gewährt einen erschreckenden Einblick in die Strategien des modernen Rechtsterrorismus.Der einhellige Tenor von Berichterstattung und Politik lautet, der Rechtsterrorismus sei irrational und geistlos. Oft wird angenommen, es handele sich um Taten von unzurechnungsfähigen Einzeltätern. Diesem Fehlschluss, aus der Wahnhaftigkeit der Motive auf die Wahnhaftigkeit der Tat zu schließen, stellt sich dieses Buch vehement entgegen. Angemessen auf die rechtsterroristische Gewalt der Gegenwart kann die offene Gesellschaft nur reagieren, wenn sie sich der Rationalität und des Kalküls ihrer Gegner bewusst ist. Der Plan ist ein unentbehrliches Vademecum, in dem sechs einflussreiche, in der rechtsextremen Szene weithin zirkulierende Handreichungen zu einer rechtsextremen Praxis nach der Niederlage des Nationalsozialismus vorgestellt werden - vom »Werwolf« der letzten Kriegstage der Jahre 1944/45 über die fiktiven Turner-Tagebücher 1978 bis zum »Blücher-Plan« aus dem Jahr 2000, auf den auch der NSU in seinem Bekennerschreiben zu verweisen scheint. In der Rekonstruktion ihrer strategischen Erwägungen und wechselseitigen Bezugnahmen werden die Konturen der führerlosen und nahezu beliebige Opfer treffenden, aber keineswegs absichtslosen Gewalten sichtbar, die den Rechtsterrorismus der Gegenwart als Plan bestimmen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Justus Bender, 1981 in Bonn geboren, ist Journalist im Ressort Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Seit 2013 berichtete er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schwerpunktmäßig über die Entwicklung der AfD. 2017 erschien sein vielbesprochenes Sachbuch Was will die AfD?.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2021

Die breite Spur des rechten Terrors
Justus Bender und Martín Steinhagen beleuchten die Pläne und Mordtaten
der rechtsextremistischen Szene in Deutschland – und ziehen unterschiedliche Schlüsse daraus
VON TANJEV SCHULTZ
Trotz zahlreicher Morde und Anschläge, die Rechtsextremisten verübt hatten, herrschte in den Behörden der Bundesrepublik lange Zeit die Vorstellung, zu organisiertem Terrorismus wären Neonazis nicht in der Lage. Für eine „braune RAF“ würden die Konzepte, die Köpfe und die Strukturen fehlen. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung war das Bild dumpfer Glatzköpfe verbreitet, die im Suff zuschlagen, sonst aber wenig auf die Reihe bekommen. Es war ein Zerrbild.
„Solange Rechtsterroristen als irrationale Hassverbrecher gesehen werden, nimmt die Öffentlichkeit sie nicht als geeignete Adressaten von Wut und Empörung wahr“, schreibt Justus Bender. Die Geistlosigkeit der Neonazis bedeute nicht, dass sie keinen Plan hätten. Schon seit Jahrzehnten kursieren in der militanten Szene Strategiepapiere und Terroranleitungen, einige stellt Bender in seinem Büchlein vor. Als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung recherchiert er schon länger zum Rechtsextremismus. Und auch er verfolgt nun einen Plan: Das Studium der Pamphlete, die einen „führerlosen Widerstand“ und den Aufbau terroristischer Zellen propagieren, soll die gesellschaftlichen Abwehrkräfte stärken.
Denn wer den Plan der Rechtsterroristen kenne, habe ihn bereits durchkreuzt. Von der Erkenntnis, dass auch Neonazis „kalt und berechnend“ vorgehen, verspricht sich Bender eine Art Befreiungsaktion für die kollektive Psyche. Werden die Täter in ihrer perfiden Rationalität ernst genommen, haben sie „unseren Zorn, unsere Ablehnung und unsere Ansprache“ verdient. Wird die Wut jedoch aufgestaut, richte sie sich gegen Institutionen des Staates, denen man vorwerfe, das Morden nicht verhindert zu haben.
Doch sind solche Vorwürfe nicht oft vernünftig und berechtigt? Wenn jemand die von Bender analysierten Strategiepapiere verkannt hat, so waren das zunächst einmal die Beamten in den Kriminal- und Verfassungsschutzämtern, die sich hauptberuflich damit befassen sollen. Ihre Rolle kritisch zu beleuchten, muss ja auch nicht unbedingt bedeuten, die Schuld der rechtsextremistischen Täter kleinzureden.
So elegant Benders Essay erscheint, inhaltlich blendet er zu vieles aus. Wer das weitsichtige „Eskalationsmodell“ heranzieht, dass ein Team um den Soziologen Wilhelm Heitmeyer entwickelt hat, kann erkennen: Die von Bender behandelten Strategietexte entspringen einem Planungs- und Unterstützungsmilieu, das die Terroristen anregen und versorgen kann – aber diesen Gewaltkern umgeben weitere soziale Schichten, die ideologische Schützenhilfe leisten, ohne im juristischen Sinne schuldig zu werden.
Diesen Zusammenhang zum gesellschaftlichen Klima, das dazu beiträgt, dass sich Rechtsterroristen – ob die Neonazis des NSU oder der Mörder Walter Lübckes – zur Tat ermächtigt fühlen, ignoriert das Buch weitgehend. Deutlich besser arbeitet diesen Zusammenhang Martín Steinhagen in seiner Darstellung des Attentats auf Lübcke heraus. Der freie Journalist schildert nicht nur die teilweise anrührende Geschichte des Opfers und die erschreckende Biografie des Mörders Stephan Ernst. Er referiert nicht nur die Erkenntnisse aus dem Gerichtsprozess, der im Frühjahr mit der Verurteilung von Ernst zu einer lebenslangen Haftstrafe endete. Ausgehend von diesem Fall zeigt das Buch die breite Spur rechter Gewalt, die sich durch die Bundesrepublik zieht.
Stark ist das Buch, wo das Zusammenspiel individuellen Handelns und gesellschaftlicher Stimmungen greifbar wird. Stephan Ernst verbrachte bereits seine Jugend im Hass. An dem Tag, als im November 1992 aus Mölln die Nachricht von drei Toten kam, die durch einen rassistisch motivierten Brandanschlag ums Leben kamen, schlug auch Ernst zu. In Wiesbaden stach er auf einer Bahnhofstoilette mit einem Messer einen Imam nieder. Eine Notoperation rettete dem Mann das Leben.
Vieles war zuletzt zwar schon in der Berichterstattung über den Mordprozess im Fall Lübcke zu lesen gewesen, Steinhagen sortiert die Erkenntnisse nun aber gut lesbar und verbindet sie mit hilfreichem Hintergrundwissen. Er hat umfassend recherchiert und so auch die noch jahrzehntelang unter Verschluss stehende Akte einsehen können, in der festgehalten ist, wie der hessische Verfassungsschutz nach dem NSU-Debakel seine eigene Arbeit bilanziert hat. Der Name von Stephan Ernst taucht mehrmals in diesem Bericht auf.
Das Zeugnis, das sich die Behörde selbst ausstellte, sei „vernichtend“, so Steinhagen. Offenbar herrschte in der Behörde „Chaos schon in der Ablage“. Material wurde nicht registriert, manches ist einfach verschwunden. Oft sei bei Quellen in der Neonazi-Szene weder nachgefragt noch versucht worden, Informationen zu verifizieren oder in einer Gesamtschau zu analysieren. Interessanten Hinweisen, so halte es der Bericht fest, wurde „sowohl in der Auswertung als auch in der Beschaffung nicht immer konsequent nachgegangen“.
Ein ähnliches Bild hatte sich im Zuge der Aufarbeitung des NSU-Falls bereits in anderen Ämtern gezeigt. Wie Justus Bender zu Recht schreibt, ist eines der Ziele rechter Terroristen die „Entfremdung zwischen den Opfergruppen und den Sicherheitsbehörden“. Sein Rat, Hinterbliebene von Opfern müssten zuerst dieses Ziel verdammen, bevor sie eine womöglich berechtigte Kritik an Ermittlern oder Verfassungsschützern äußerten, wirkt jedoch angesichts des Versagens der Ämter, das Steinhagen herausarbeitet, etwas anmaßend. Es unterstellt den Menschen, sie seien zu einfältig, um mehrere Ebenen gleichzeitig in den Blick nehmen zu können: die brutalen Pläne und Taten der militanten Rechten, die unverantwortliche Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und die rassistischen Diskurse, die bis in die Mitte der Gesellschaft reichen.
Bei einigen Sicherheitsbehörden
herrschte sogar schon
„Chaos in der Ablage“
Der Mörder erschoss ihn auf seiner Terrasse: Trauerakt für den Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, im Juni 2019.
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Justus Bender:
Der Plan. Strategie und Kalkül des
Rechtsterrorismus.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2021.
80 Seiten, 10 Euro.
E-Book: 6,99 Euro.
Martín Steinhagen:
Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt. Rowohlt Polaris, Hamburg 2021, 303 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr engagiert bespricht Rezensent Tanjev Schultz zwei Neuerscheinungen zum Thema rechte Gewalt und vergleicht sie miteinander. Die Art, wie Justus Bender die Verharmlosung der Rechten zurückweist und stattdessen ihre Strategiepapiere und Ähnliches vorführt, um ihre Gefährlichkeit zu beweisen, hat ihm durchaus gefallen. Dennoch scheint ihm der Essay zwar "elegant", aber dennoch fragwürdig in dem, wie er vieles beiseite schiebt - etwa das Versagen des Verfassungsschutzes. Zwar lobt der Rezensent die Analyse, zum Beispiel dass es rechte Strategie sei, Beamte und Opfer auseinanderzudividieren. Einigermaßen "anmaßend" findet der Kritiker dann aber den Rat des Autors an die Hinterbliebenen, dies in ihrer Wut gegen staatliches Versagen mitzubedenken.

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