»So elegant und mühelos erzählt. Dieses neue Buch von Florian Illies zu lesen, ist wie einen Billy-Wilder-Film zu schauen - einfach großartig.« Ferdinand von Schirach
Mit Florian Illies kann man Vergangenheit plötzlich als Gegenwart erleben. In »Zauber der Stille« breitet er erstmals die abenteuerlichen Geschichten Caspar David Friedrichs vor uns aus. Eine wilde Zeitreise zu dem Mann, der für die Deutschen die Sehnsucht erfand.
Friedrichs abendliche Himmel wecken seit Jahrhunderten die leidenschaftlichsten Gefühle: Goethe macht ihre Melancholie so rasend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen will, Walt Disney hingegen verliebt sich so heftig in sie, dass er sein »Bambi« nur durch Friedrich'sche Landschaften laufen lässt. Von Hitler so verehrt wie von Rainer Maria Rilke, von Stalin so gehasst wie von den 68ern, von der Mafia so heiß begehrt wie von Leni Riefenstahl - am Beispiel von Caspar David Friedrich werden in diesem mitreißend erzählten Buch 250 Jahredeutscher Geschichte sichtbar. Und Friedrich, der Maler, wird zu einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Nach »1913« und »Liebe in Zeiten des Hasses« das dritte große historische Epochenportrait von Florian Illies.
Mit Florian Illies kann man Vergangenheit plötzlich als Gegenwart erleben. In »Zauber der Stille« breitet er erstmals die abenteuerlichen Geschichten Caspar David Friedrichs vor uns aus. Eine wilde Zeitreise zu dem Mann, der für die Deutschen die Sehnsucht erfand.
Friedrichs abendliche Himmel wecken seit Jahrhunderten die leidenschaftlichsten Gefühle: Goethe macht ihre Melancholie so rasend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen will, Walt Disney hingegen verliebt sich so heftig in sie, dass er sein »Bambi« nur durch Friedrich'sche Landschaften laufen lässt. Von Hitler so verehrt wie von Rainer Maria Rilke, von Stalin so gehasst wie von den 68ern, von der Mafia so heiß begehrt wie von Leni Riefenstahl - am Beispiel von Caspar David Friedrich werden in diesem mitreißend erzählten Buch 250 Jahredeutscher Geschichte sichtbar. Und Friedrich, der Maler, wird zu einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Nach »1913« und »Liebe in Zeiten des Hasses« das dritte große historische Epochenportrait von Florian Illies.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
"Gegensätze ziehen sich an", sagt man. Florian Illies' und Caspar David Friedrich sind ein gutes Beispiel dafür, findet Rezensent Tilman Krause. Der eine ein spirituell veranlagter, in sich gekehrter Einzelgänger, bereits zu Lebzeiten vergessen, mit einer Biografie, die nicht wirklich zu einer spannenenden Erzählung gereicht. Der Andere ein Star der deutschen Literaturszene, einer, der durchaus ab und an Gefahr läuft ein "Thomas Gottschalk der Kunstgeschichtsschreibung" oder auch der Geschichtsschreibung im Allgemeinen zu werden, wie Krause es liebevoll spöttelnd ausdrückt. Viel Gutes entsteht aus der Verbindung dieser Gegensätze, findet der Rezensent: Geschickt, einfühlsam, effektvoll schreibt Illies über den Maler und vor allem dessen Rezeption, denn diese ist es, die die interessanten Fragen aufwirft - Fragen, die Illies gern stellt, die er sich jedoch nicht oder nur ansatzweise zu beantworten anmaßt. Mit intellektuellem Interpretationsgeschwafel hält sich der Autor erfreulicherweise zurück, so Krause. Lässig und unterhaltsam ist sein Stil, manchmal vielleicht ein wenig allzu unterhaltsam. Großartig ist dieses Buch jedoch vor allem dort, wo der Autor analysiert, wo er sich dem "Zauber der Stille" hingibt und seiner Demut und Liebe zu Friedrichs Malereien Ausdruck verleiht. Diese Passagen sind es, in denen der Funke der Leidenschaft auf den Leser überspringt, so der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Florian Illies feiert den Maler Caspar David Friedrich und das Wunder der Kunst in „Zauber der Stille“
So elegant, so leicht, so umfassend gebildet und belesen, ohne all das oder die natürlich auch gründlichen Recherchen heraushängen zu lassen, fächert uns Florian Illies seit einigen Büchern bedeutende Jahre wie das Vorkriegsjahr 1913 auf und ganze Epochen wie die Dreißigerjahre in „Liebe in Zeiten des Hasses“. Schon um die Jahrtausendwende lieferte er mit „Generation Golf“ ein Porträt seiner Generation, den Teenagern der Achtziger, er brillierte als Kunsthistoriker, Kurator, Journalist, verirrte sich kurzzeitig als Verleger – und legt jetzt schon wieder eins dieser federleichten Bücher hin, die man wie süchtig liest und mit denen man durch die Zeiten fliegt. Der Untertitel sagt es: „Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten.“
Der dunkelste aller Romantiker feiert im nächsten Jahr seinen 250. Geburtstag, das wirft jetzt schon Schatten voraus, Ausstellungen, Bücher, und in diesen unruhigen, blutigen und entsetzlichen Zeiten ist Illies’ „Zauber der Stille“ ganz genau das: Zauber. Stille. Trost. Was für ein Wunderbuch. Und keine reine Schwärmerei, Illies gibt zu: „Manche Bilder von Caspar David Friedrich sind schwach, manche bemüht. Nein, nicht alles ist meisterlich bei ihm, er ist zum Glück kein Gott, sondern ein Mensch gewesen.“ Aber: „Die Natur hält kurz inne, wenn Friedrich sie sieht, sie hält den Atem an für ihn.“
Aufgeteilt ist das Buch in vier große Kapitel, die nach den Elementen benannt sind. Los geht es mit dem „Feuer“: Ich hatte keine Ahnung, wie viele der Friedrich-Bilder in verschiedenen Feuern (Weltausstellung, Krieg, Hausbrände) verloren gegangen sind! Da brennt während der Weltausstellung 1931 der Münchner Glaspalast ab, der wie die Titanic als unsinkbar, als unbrennbar galt – ach, immer dieser menschliche Hochmut! –, und in ihm gehen 110 der schönsten romantischen Werke zugrunde, darunter neun Gemälde von Caspar David Friedrich. Das ist der 6. Juni, der 56. Geburtstag von Thomas Mann, der in seinem Roman „Lotte in Weimar“ Adele Schopenhauer vom „himmlischen David Caspar Friedrich“ schwärmen lässt – das wissen wir, aber das Tagebuch, in dem er vermutlich vom Brand berichtet, hat er, schreibt Illies, „1945 im Garten seines Hauses im kalifornischen Exil von Pacific Palisades ganz unromantisch, nun ja, verbrannt“.
Diese raffinierte Querverbindung über zig Ecken und dieses lässig eingestreute „nun ja“ – das ist es, was die Bücher dieses Autors schier unwiderstehlich macht, keiner kann das so wie er. Ja, viel Information, natürlich, aber immer so, dass es wie selbstverständlich wirkt – ach, das wussten Sie nicht, dass 1901 das Geburtshaus des Malers in Greifswald niederbrannte? Nachkommen wohnten noch dort, Bilder lagerten da, und wieder verbrannten neun Gemälde. Und so kam es, dass dieser Maler allmählich komplett vergessen wurde.
Irgendwann landete eines seiner Bilder beim Kunsthändler Gurlitt, der „ständig abgebrannt“ (!) war und irgendwann Deutschland verließ. Friedrichs Bild nahm er mit – gut gemacht, denn seine Berliner Wohnung brennt 1943 aus. Und so geht es weiter mit den abenteuerlichen Geschichten der Bilder, die Jahrhunderte und Feuersbrünste überstanden haben, und man fragt sich: Woher weiß der das alles? Fiktion und Wirklichkeit verweben sich wohl aufs Allerschönste, und dazu gibt’s eine gehörige Dosis Zeitgeschichte – aber so elegant und oft im Präsens, mit wenigen Worten, dass wir glauben, in dieser Mondnacht dabei gewesen zu sein, und haben wir nicht selbst gesehen, wie sich der Maler eine blaue Blume ans Revers steckt?
Ach ja, und 1911 brennt in Dresden das Taschenbergpalais der Prinzessin Mathilde aus, und da hingen auch zwei Friedrichs… Das Feuer greift immer wieder auf die Werke dieses Malers über, vor allem im Zweiten Weltkrieg, in dem die Nazis den schmalen rothaarigen Mann als blonden deutschen Helden vereinnahmen, der das Vaterland gemalt hat. Das gefällt dem Führer, er versteckt Bilder, 1945 kommt die Rote Armee und brennt alles nieder, wieder brennen auch Friedrichs Gemälde. Was für ein nicht endendes Desaster.
Das nächste große Kapitel heißt „Wasser“, wir sehen: Illies erzählt nicht chronologisch, sondern an den Elementen entlang. Wasser hat Friedrich zeitlebens angezogen, die Elbe, auf die er vom Arbeitszimmer blickte, das Meer, er malt traumverlorene Hafenbilder und sein kühnstes, modernstes Bild, „Mönch am Meer“. So verloren steht der da in seiner Welt wie wir heute in der unseren. Keine Gewissheiten mehr. Die Besucher einer Berliner Ausstellung sind irritiert, das Bild wird verspottet, „alles untrügliche Anzeichen dafür, dass hier wirklich etwas Neuartiges zu sehen ist“, schreibt Illies, und er weiß, dass der Dichter Kleist in diesem Bild seine eigene Verlorenheit erkennt, und er spekuliert, dass der Mönch unter seiner Kutte vielleicht eine Pistole trägt, und er weiß, dass Bilder wie dieses Samuel Beckett zum Stück über das sinnlose Warten auf Godot angeregt haben.
„Die Romantik“, schreibt Illies, „ist auch eine Geschichte der Missverständnisse.“ Friedrichs Hoffnung, Professor an der Dresdner Akademie zu werden, zerschlägt sich – der Obrigkeit sind seine Bilder zu trübsinnig. „Diese Idioten“, merkt Illies kurz an und beschreibt, wie Friedrich seinen Kummer in das gewaltige Bild vom Eismeer hineinmalt, das ein Schiff zermalmt.
Es folgt das Kapitel „Erde“: Caspar David Friedrich wandert, immer wieder, er liebt seine Heimat, er malt Landschaften, erdverbunden, meist menschenleer. Aber, Achtung: nie naturgetreu. Nie einen konkreten Ort. Er fügt verschiedene Skizzen von verschiedenen Orten in einem Bild zusammen, es ist sinnlos, nach dieser Eiche, diesem Hafen zu suchen. Er baut sozusagen Collagen aus naturgetreuen Vorlagen – auch das: modern. Und Illies findet einen hinreißenden Kommentar dazu: „Caspar David Friedrich atmet Natur ein, um sie als Kunst wieder auszuatmen.“ Kann man es schöner sagen? Das Gemälde „Der einsame Baum“ ergreift Rainer Maria Rilke so sehr, dass er ein Gedicht darüber schreibt – es handelt vom Fühlen, nicht vom Begreifen, und Illies kommentiert: „Denn erst dann, wenn der Wille zum Begreifen besiegt ist, erst dann hat man überhaupt eine Chance, Friedrich wirklich zu verstehen.“ Durch mein Leben zieht sich ein Zitat, das der heiligen Teresa von Ávila zugeschrieben wird: „Es ist zu lehren, wie man nicht versteht.“ Einfach etwas zulassen. Läge ich diesem Autor nicht eh schon, nun ja, zu Füßen: spätestens jetzt.
Man durfte den Maler in seinem Atelier an der Elbe jederzeit aufsuchen und stören, es gab nur eine Ausnahme, erfährt man im Abschnitt „Luft“: „Jetzt malt er gerade Luft“, lässt Illies Friedrichs Frau Line sagen, „jetzt darf man ihn nicht stören, denn wissen Sie, Himmelmalen ist für ihn wie ein Gottesdienst.“ Illies ergänzt kühn: „Ja, genau so hat sie es gesagt.“ Wir glauben es sofort. Friedrich liebt den Himmel, die Gestirne, die Wolken, immer wieder malt er auch den Mond, den Nebel, und, schwärmt Illies: „Wer von seinen Zeitgenossen einmal das Glück hat, Caspar David Friedrich in die Augen zu blicken, der beschreibt deren Farbe hinterher als: himmelblau.“ Wolken malt er bei geschlossenen Fensterläden, er sieht sie mit dem erinnernden Auge, sie sind so weit weg – spiegeln sie einen Himmel, den es gibt? „Die Gefahr des Verlorenseins springt einem nicht entgegen aus Friedrichs Bildern, sie schleicht sich an (…). Vielleicht kann sich deshalb unsere Sehnsucht auch zweihundert Jahre später noch immer nicht daran sattsehen.“ So schreibt Illies, und im nächsten Satz lässt er die Luft wieder raus: „Keine Angst, komplizierter wird es nicht.“
Keine Angst: Nichts an diesem Buch ist kompliziert, nichts verstört, auch wenn das Wort „verstörend“ sehr oft vorkommt. Denn es sind verstörende Bilder, die dieser so gar nicht romantische große Maler der Romantik gemalt hat. Alles atmet eine ruhige Gelassenheit, die uns daran erinnert, dass wir auf dem Fluss der Zeit schwimmen, mit unseren Ängsten und Sehnsüchten und Erinnerungen, wie alle vor uns, wie alle nach uns. Die Künstler können es benennen, malen, in Töne und Bilder setzen. Die klugen und weitsichtigen Schriftsteller können es erklären, ohne es zu zerfasern. „Alles ist Stille“, hat Caspar David Friedrich gesagt, und Illies spürt, wie sich „die Stille auch über unsere unruhigen Augen legt“. Er hat ein Wunderbuch über das Wunder der Kunst geschrieben.
ELKE HEIDENREICH
Ja, viel Information, natürlich,
aber immer so, dass es wie
selbstverständlich wirkt
Nichts an diesem Buch verstört,
auch wenn das Wort „verstörend“
sehr oft vorkommt
„Jetzt malt er gerade Luft, jetzt darf man ihn nicht stören, denn wissen Sie, Himmelmalen ist für ihn wie ein Gottesdienst.“ Friedrich-Gemälde „Der Morgen“ (1821/1822).
Foto: Niedersachsisches Landesmuseum Hannover/Mauritius Images /SuperStock
Florian Illies: Zauber der Stille - Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023. 256 Seiten, 25 Euro.
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Diese Kunstwerke haben auch Walt Disney inspiriert: Florian Illies erzählt die Geschichte wichtiger Bilder von Caspar David Friedrich.
Auf überraschende Weise fängt Florian Illies zu Beginn seines Buchs über Caspar David Friedrich dessen Kernmotiv ein, das Zusammenspiel von Feuer, Wasser, Erde und Luft. Alle vier Elemente umgeben Friedrich in der Ekphrasis von Illies' Einstiegs-Tableau-vivant: Bei einer Bootsfahrt vor Greifswald während der Flitterwochen mit Line, seiner aus Dresden gekommenen Frau, ist der Maler von Wasser umgeben und vom Wind umweht. Er empfindet das für ihn bislang unbekannte Gefühl glühender Liebe und erfährt etwas Neues, das er sogleich malen will.
Friedrich wird durch das geblähte Segel zum Fixieren des in seinem Inneren "Gesehenen" animiert, da das Arbeiten auf einer über einen Holzrahmen gespannten Leinwand tatsächlich an den Eindruck des Segels denken lässt. Friedrich wird somit gerade nicht als der kauzige Außenseiter im Elfenbeinturm seines Ateliers porträtiert, sondern als Mensch aus Fleisch und Blut. Für diese Interpretation benutzt lllies Passagen aus Briefen des Malers, in denen dieser beispielsweise seinem Bruder Christian gegenüber schwärmt, er habe noch nie im Leben so viel geschlafen, gegessen und "gelepscht" - worauf Illies im nächsten Halbsatz dezent die Ankündigung des ersten Kindes der beiden Eheleute folgen lässt.
Auch der folgende harsche Szenenwechsel und Zeitensprung zum 6. Juni 1931 mit dem brennenden Münchner Glaspalast ist wohlbegründet: Dort gingen nicht weniger als neun Gemälde Friedrichs in Flammen auf, darunter "Ostseestrand", Friedrichs Sehnsuchtsbild über seine Heimatstadt, der "Hafen in Greifswald", der Blick aus dem Fenster seiner Atelierwohnung in "Augustusbrücke in Dresden" sowie die innige "Abendstunde" mit seiner Frau und der sie umarmenden Tochter Emma. Der Schriftsteller und Journalist Eugen Roth war von drei Uhr morgens an Augenzeuge für eine Münchner Zeitung, sein Bericht der Brandkatastrophe wimmelt vor in Sprache übersetzten Metaphern von Bildern und Zeichnungen Friedrichs, die Roth auch sammelte.
Grenzen der Metaphernverliebtheit des Autors zeigen sich dort, wo die Bilder loriothaft leicht schief hängen. Zu erwähnen, das Hitlers Nichte Geli Raubal kurze Zeit nach der Brandkatastrophe "das Feuer gegen sich eröffnen", sich also entleiben wird, fügt der Causa Friedrich nichts hinzu. Ebenso wenig zielführend erscheint der etwas zu phantasievolle biographische Bogen der permanent verbrannten Finger des jungen Friedrich beim Kerzenziehen in der väterlichen Werkstatt, weshalb er lieber Künstler geworden sei. Als solcher aber versage er lebenslang beim Zeichnen von Menschen, weil er sie "in unentrinnbarer Familientradition" wie Kerzen in die Länge ziehe.
Dagegen sind bildliche Wendungen wie "Sein Charme wedelt welpenhaft in alle Richtungen" über das Liebesleben des schillernden Kunsthändlers und Friedrich-Vermittlers Wolfgang Gurlitt rilkehaft treffend. Sie werden auch nicht getrübt von dem vielleicht persönlich gefärbten Kommentar: "Muss man erst mal hinbekommen."
Die Wiederholung dieses anfangs bewundernden Seufzers ist beim zweiten Mal bloße Ironie, obgleich historisch gedeckt, wenn der Autor Gurlitts "tollkühnsten Coup" beschreibt: Der gewiefte Händler, der seine Kunstsammlung während des Zweiten Weltkriegs in einem Bergstollen neben jenem einlagerte, in dem sich die Rembrandts, Michelangelos und übrigen Schätze für Hitlers geplantes "Führermuseum Linz" befanden, kaufte die eigene Kollektion in der Nachkriegszeit als Linzer Museumsdirektor für den nicht nur damals sagenhaften Betrag von 1,6 Millionen Mark für "sein" Museum an. Unter anderem veräußerte Gurlitt damals sein halb verbranntes, übel "restauriertes" und deshalb nahezu unverkäufliches Friedrich-Gemälde "Uttewalder Grund" an sich selbst - und zwar in seiner Eigenschaft als Direktor.
Bei weiteren Unglücken wie dem Abbrennen der elterlichen Kerzenzieherei im Jahr 1901 gingen nochmals neun bedeutende Gemälde zugrunde, beim Feuer im Dresdner Taschenberg-Palais mindestens zwei und ungezählte weitere im Flakbunker Friedrichshain 1945 und bei den Bombardierungen Deutschlands. Und so wird klar: Friedrich ist nach seinem Tod und dem Zweiten Weltkrieg auch deshalb in Vergessenheit geraten, weil sein meist unsigniertes OEuvre stark dezimiert wurde - seine von vielen unverstandene Avantgarde-Haltung tat ein Übriges.
Was aber hat das Disney-Filmkitz Bambi mit Feuer und Friedrich zu schaffen? In einer Filmszene erahnt es witternd den durch das Lagerfeuer der Jäger verursachten Waldbrand. Und Disney kaufte 1935, als er auf Deutschlandreise - Hitler ist bekanntlich ein erklärter Freund von dessen Produktionen - in München die Reaktion auf sein Werk "Die lustige Palette - Im Reiche der Micky Maus" mit eigenen Augen in den bayrischen Kinos sehen wollte, 149 Bücher. Darunter befanden sich etliche mit Friedrich-Abbildungen. Illies geht so weit zu mutmaßen, dass Disney von Thomas Mann auf Felix Saltens Buch mit dem Rehkitz Bambi als potentiellem Stoff für einen Zeichentrickfilm aufmerksam gemacht wurde. Nachweisbar ist zumindest, dass Disney und Mann im Sommer 1938 gleichzeitig von der Harvard-Universität die Ehrendoktorwürde verliehen wurde und beide beim festlichen Dinner danach Tischnachbarn waren. Und Fakt ist, dass Disney von seinen Zeichnern für die Hintergründe des Films Friedrich-Bilder wie "Morgennebel im Gebirge" oder die "Felsenschlucht" getreu zitieren ließ, weil ihn deren schwer zu beschreibende mysteriöse Grundstimmung begeisterte.
Friedrich stammte aus Greifswald und hielt sich gerne in der Nähe des Wassers auf, das ebenso grenzenlose Freiheit jenseits jeder Alltagslimitierung verheißt, wie es große Gefahren birgt. Bei der Rettung des ins eiskalte Wasser gefallenen kleinen Friedrich kam der Bruder Johann Christoffer ums Leben. In keinem Bild wird diese Ambiguität des flüssigen Elements deutlicher als in "Gescheiterte Hoffnung" von 1824, dem kleinen Schiff der Sehnsüchte, das von den Eisschollen zermalmt wird. Illies deutet das Bild zu Recht als persönlich gehaltenen Mahlstrom der eigenen gescheiterten Hoffnung auf einen dauerhaften Professorenposten an der Dresdner Akademie, der dem Künstler unter anderem dabei geholfen hätte, die Schulden beispielsweise für die 300 Taler teure antinapoleonische Kriegsausrüstung inklusive Pferd für seinen Freund Kersting zu refinanzieren.
Die Offenheit der weit zu deutenden Form der alles vernichtenden Eisberge hat dafür gesorgt, dass das Bild bis heute das meistadaptierte und -zitierte Gemälde der deutschen Kunst bleibt, bis hin zum Film "Titanic" und dem 1922 vom Bauhaus-Direktor Walter Gropius errichteten Denkmal für die Opfer des Kapp-Putsches. Selbst die Verschmutzung der Eisschollen mit Erde erkennt Illies, mit der Friedrich für dieses Grab in eisiger See Teile seines eigenen gemalten Epitaphs "Mein Begräbnis" von 1804 volle 36 Jahre vor dem tatsächlichen Ableben ausformulierte; hervorzuheben ist auch der heute so gerühmte "Tetschener Altar" als Grabbild für die früh verstorbene Schwester Dorothea, der einst von Carl Friedrich von Rumohr als unerhörtes Einschleichen eines erdigen Landschaftsbildes in die religiöse Malerei scharf kritisiert wurde.
Die gültige Synthese aus Himmel, Meer und Land, mithin aus den Elementen Luft, Wasser und Erde, bildet für Illies der "Mönch am Meer". Zu Recht beschreibt er den verschwindend kleinen Menschen angesichts der überwältigenden Natur als Auflösung des Subjekts in ebenderen Elementen, sieht nur die 13 Möwen des Bildes als bleibend an. Das im Gemälde fehlende Feuer kommt durch die Ergänzung des berühmten Kleist-Zitats hinein, der nicht nur konstatierte, dass es vor diesem Bild sei, als würden einem die Augenlider weggeschnitten, sondern der auch vom Erlöschen jedes Lebensfunkens in ihm schrieb - und der sich kurz nach Abfassung dieser Zeilen und dem Verlust von Vater und Schwester erschoss. Noch weniger bekannt ist - und das spricht für die zu ziehenden Wissensgewinne aus Illies' Zeitsprüngen - dass Samuel Beckett den "Mönch am Meer" am 31. Januar 1937 in Berlins Alter Nationalgalerie sah und zur Blaupause seines "Warten auf Godot" machte.
Es gilt somit auch nach Lektüre dieser durchgängig fesselnden Wanderungen durch Zeit und Raum mit Friedrichs Bildern unverändert, was Alexandr Turgenew im Angesicht des "Tetschener Altars" schrieb: "Vor seinen Bildern kann man träumen, aber man kann sie nicht klar verstehen. Denn auch in seiner Seele sind sie nicht eindeutig." STEFAN TRINKS
Florian Illies: "Zauber der Stille". Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023. 256 S., Abb., geb., 25,- Euro.
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sein geistreiches und elegant geschriebenes Buch Philipp Meier Neue Zürcher Zeitung 20231127
»[Stephan Schad führt] mit seinen leichten Stimmmodulationen sehr sicher und souverän durch den [...] Text und versteht es sehr gut, die Stimmungen herauszuarbeiten.« Dorothee Meyer-Kahrweg hr2 kultur 20231117