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"Meine Mutter war sehr hässlich. Alles andere hätte mein Großvater ihr nie erlaubt. 'Doofsein kannst du dir mit dem Gesicht wenigstens nicht erlauben', sagte er, und wie mit Allem im Leben hatte er natürlich auch damit recht. Also machte meine Mutter das, was sie am besten konnte: alle stolz. Mein armer Großvater konnte sich kaum entscheiden, welche ihrer tollen Begabungen das gesamte Gewicht seiner übersteigerten Erwartungen am meisten verdiente. Das Einzige, wozu meiner Mutter leider völlig das Talent fehlte, war die Liebe." Dass die Mutter der Erzählerin ein Wunderkind ist, das steht schon…mehr

Produktbeschreibung
"Meine Mutter war sehr hässlich. Alles andere hätte mein Großvater ihr nie erlaubt. 'Doofsein kannst du dir mit dem Gesicht wenigstens nicht erlauben', sagte er, und wie mit Allem im Leben hatte er natürlich auch damit recht. Also machte meine Mutter das, was sie am besten konnte: alle stolz. Mein armer Großvater konnte sich kaum entscheiden, welche ihrer tollen Begabungen das gesamte Gewicht seiner übersteigerten Erwartungen am meisten verdiente. Das Einzige, wozu meiner Mutter leider völlig das Talent fehlte, war die Liebe." Dass die Mutter der Erzählerin ein Wunderkind ist, das steht schon vor ihrer Geburt fest - mehr Wunder als Kind, denn von der Kindheit hält der Großvater fast noch weniger als von der Schönheit. Beides steht ihm nur im Weg bei dem Plan, mit seiner Tochter und dem Modegeschäft das zu schaffen, was ihm als Wehrmachtsoffizier nicht mehr gelungen ist: die Welt zu erobern. Gefühle gewöhnt er ihr dabei vorsorglich ab. Hochintelligent, hochbegabt und nur ganz heimlich hochgradig einsam, ist die Mutter auf dem besten Weg, genau das Leben zu führen, das er sich für sie ausgedacht hat - als die Liebe mit einem Mal doch zuschlägt, und das mit einer solchen Wucht, dass die Mutter ein halbes Leben braucht, um sich davon zu erholen. Nie war Hässlichkeit schöner, Liebe nie gemeiner und Sprache selten solch ein Fest wie in Sarah Strickers fulminantem Debütroman.
Autorenporträt
Sarah Stricker, 1980 in Speyer geboren, schrieb nach Einsätzen bei der taz und Vanity Fair für viele deutsche Zeitungen und Magazine (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Neon). 2009 ist sie mit einem Stipendium nach Tel Aviv gegangen und kurzerhand dort geblieben, sie berichtet für deutsche Medien über Israel und für israelische Medien über Deutschland.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Von Sarah Strickers Romandebüt "Fünf Kopeken" ist Rezensentin Felicitas von Lovenberg tief beeindruckt. Ganz mitgerissen liest die Kritikerin diese ebenso "bissige" und ironische wie liebevolle Geschichte, in der die Tochter am Sterbebett ihrer krebskranken Mutter deren Lebenserinnerungen - teils gegen ihren Willen - erzählt bekommt und aus ihrer Perspektive schildert. Lovenberg erfährt etwa, wie die Mutter unter der erdrückenden Erziehung ihrer Eltern litt oder wie sie kurz vor der Hochzeit mit ihrem späteren Ehemann eine Affäre mit einem jungen Mann beginnt, der für all das steht, was sie verachtet und sich zugleich ersehnt. Die Rezensentin lobt nicht nur den virtuosen Kunstgriff der Autorin, die Rollen von Mutter und Tochter in jeder Hinsicht zu vertauschen, sondern bewundert auch Strickers ebenso souveräne wie unbefangene Erzählkunst.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2013

Er liebte sie, und das verzieh sie ihm nie
Alles über meine Mutter: Sarah Strickers fulminanter Debütroman "Fünf Kopeken" erzählt von einer Frau unter falschen Männern

Während Eltern gern meinen, in ihren Kindern lesen zu können wie in einem offenen Buch, behalten Mutter und Vater für die Kinder umgekehrt stets ein Geheimnis, einen Bereich, der ihnen verwehrt bleibt, weil er den Eltern allein gehört, als einem wie auch immer gearteten Paar, das sie vielleicht noch sind oder wenigstens einmal gewesen sein müssen. Es ist kindlicher Instinkt, über diesen Bereich vieles, aber niemals alles wissen zu wollen - zu leicht könnte das die elterliche Schutzfunktion beschädigen, ja aufheben.

Genau das geschieht in "Fünf Kopeken", dem beeindruckenden Romandebüt von Sarah Stricker (F.A.Z. vom 31. Juli). Denn wie hier eine Tochter einer Mutter dabei hilft, alle Schranken fallen zu lassen, mag zwischenmenschlich belastend sein - literarisch aber ist es absolut überzeugend und mitreißend gelungen, und zwar vom ersten Satz an.

"Meine Mutter war sehr hässlich. Alles andere hätte mein Großvater ihr nie erlaubt." Der Ton, der hier angeschlagen wird, heiter, bissig, ironisch, wird, was die Geschichte der Familie Schneider und ihrer größeren und kleineren Tragödien angeht, mit leichter Hand durchgehalten, aber es ist dies keineswegs die einzige Tonlage, die die Autorin beherrscht. Die Tochter, die die dienende Rolle der Erzählerin dieses Lebens übernimmt, begegnet uns auf der zweiten Seite und mit ihr ein anderer, sachlich-liebevoller Zungenschlag: "Erst kurz vor Schluss, als sie sich schon nicht mehr allein aufrichten konnte und ich sie mit dem Löffel füttern musste, wurde sie mit einem Mal schön." Denn erst jetzt, da die Mutter, kaum fünfzig Jahre alt, krebskrank im Sterben liegt und die Zukunft "zusammenschnurrte wie ein Planschbecken, wenn man am Ende des Sommers den Stöpsel zieht", beschließt sie, mit der Geheimnistuerei Schluss zu machen und ihrer Tochter aus ihrem Leben zu erzählen, von Kindheit, Jugend und, vor allem, von ihrer großen Liebe. So wird "meine Mutter" zur heranwachsenden Heldin einer Geschichte, in der die Tochter, die über weite Strecken selbst nie dabei war, die Rolle des erzählenden Souveräns einnimmt, passend zu den im Krankenhaus ohnehin vertauschten Rollen von Eltern und Kind.

"Meine Mutter" - ihren Vornamen erfahren wir nicht, nur den Nachnamen: Schneider, passend zum Textilhandel der Familie - ist keine zweite Anna Karenina, doch es gibt Ähnlichkeiten. Die Mutter ist eine blasse Frau mit zusammengerupftem Pferdeschwanz, die mit ihrem Körper auf Kriegsfuß steht: "Die Drähte und Schläuche in ihrem Inneren, die sich unkontrolliert erhitzten, ihr das Blut in die Wangen trieben und aller Welt ihre Verlegenheit verrieten, all das schien ihr nur einem einzigen Zweck zu dienen: sie bloßzustellen." Darum achtet sie peinlich auf Reinlichkeit, sucht alles Körperliche in Sterilität zu ersticken und verabscheut Raucher wie überhaupt jeden weniger hygienischen Menschen als sich selbst, was ihr Körperkontakt unheimlich macht und die Pubertät nicht eben erleichtert. Was ihr hingegen sehr leichtfällt, ist Lernen, denn sie ist hochintelligent - dass sich die Gehirnstärke indes nicht automatisch in lebenserleichternde Klugheit übersetzen lässt, muss sie erst noch erfahren.

Als begabtes Kind wird sie maßlos angefeuert von ihrem Vater, dessen Drill der einzigen Tochter einen Ausgleich bietet zur überschäumenden und übergriffigen Besorgnis der Mutter. In einigen starken beiläufigen Szenen entsteht das Bild eines klaustrophobischen Familienalltags, der in der unseligen Verbindung der Großeltern wurzelt: "Rastlosigkeit war immer die Grundlage ihrer Beziehung gewesen. Außer der Angst vor Stehenbleiben verband sie nur die schiere Dauer ihrer Ehe." So verfällt der Großvater auf die Idee, kurz nach der Wende sein Bekleidungsgeschäft nach Berlin zu verlegen. Die Tochter, die den Umzug zunächst als Chance zur Eigenständigkeit begreift, wird nach einigen Wochen hinterhergeholt und funktioniert so perfekt, wie es ihr vom Vater antrainiert wurde: "Morgens ging sie in die Uni, mittags ins Geschäft, abends in die Bibliothek, dann ins Bett für ein paar Stunden, bis sie das mit dem Schlafen irgendwann ganz bleiben ließ."

Nachdem die Jungs in der pfälzischen Provinz keinen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, bekommt in der Hauptstadt gleich ein neuer Protagonist seinen Auftritt. Die Art, wie er mit einem beiläufigen Fanfarenstoß eingeführt wird, ist typisch für Stricker: "Der Einzige, der Berlin noch mehr hasste als meine Mutter, war mein Vater." Bereits im nächsten Absatz wird dann die ganze Tragödie all dessen, was über die nächsten 350 Seiten folgt, unsentimental vorweggenommen: "Er liebte sie. Er liebte sie, wie nur jemand lieben kann, der nicht im selben Maß wiedergeliebt wird. Er liebte sie, vom ersten Moment an, und das verzieh sie ihm nie." Dass die Mutter die Erfahrung, mehr zu lieben als geliebt zu werden, selbst auch noch bevorsteht, ahnt die fleißige Medizinstudentin da noch nicht, die glaubt, dass man sich alles im Leben erst verdienen muss, also auch die Liebe.

Dabei hat sie es mit Arno bestens getroffen. "Mein Vater" ist intelligent, liebevoll, fürsorglich, findet das Gefallen der Eltern, hilft im Geschäft - der perfekte Schwiegersohn. Der er auch werden soll, doch just, als der Hochzeitstermin feststeht, tritt urplötzlich in der wenig aparten Gestalt von Nachbar Alex die Liebe ins Leben der Mutter. Alex, ein Jude aus Odessa, trägt mit Vorliebe speckige Jogginganzüge, raucht und hält nicht viel von Zähneputzen. Und doch wird die Mutter seinetwegen zur Lügnerin, die ihrem Doppelleben alles andere unterordnet. Es ist eine amour fou - sie mag Alex nicht, aber sie ist ihm verfallen. Der Wunsch, ein Kind von ihm zu bekommen, erfüllt sich indes so wenig wie andere Sehnsüchte.

Diese Liebesbeziehung, an die sich die Mutter im Krankenhaus in allen Details erinnert und mit deren Schilderung sie die Tochter geradezu schwelgerisch traktiert, steht im Zentrum des Buchs. Einmal nur fragt sich die Tochter, warum die Mutter ihr das alles erzählt. "Warum musste ich das wissen? Warum sollte überhaupt irgendjemand so etwas über seine Mutter wissen?" Sie gibt sich die Antwort, dass jene Frau, "die all die Jahre nur in ihrem Gedächtnis weitergelebt hatte", nach einem Zeugen ihrer Existenz sucht: "Mein Zuhören sollte ihre Erinnerung beglaubigen."

Neben klaren, markanten Sätzen, die ihr offenbar liegen, beeindruckt Sarah Strickers Debüt durch die Souveränität, mit der hier scheinbar draufloserzählt wird. Der Kunstgriff, die Rollen von Mutter und Tochter in jeder Hinsicht zu vertauschen, erweist sich als verblüffend tragfähig und sorgt nicht nur für Komik und Leichtigkeit, sondern auch für Aufrichtigkeit. Eine fairere Chronistin als diese Tochter kann sich keine Mutter wünschen.

FELICITAS VON LOVENBERG

Sarah Stricker: "Fünf Kopeken". Roman.

Eichborn Verlag, Köln 2013. 506 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Sarah Stricker: Diesen Namen sollte man sich merken. Denn der Roman Fünf Kopeken ist eines der besten Debüts der literarischen Herbstsaison. [...] Von rasanter erzählerischer Quirligkeit, witzig, weise und wehmütig." FAZ, Felicitas von Lovenberg "Eine extrem bewegende Geschichte, die große Gefühle und feinen Witz gekonnt vereint." Freundin "Ein Debütroman, souverän, mit viel Humor und großer Leichtigkeit gechrieben. [...] Grandiose Geschichten sind das - richtig gemein, komisch, sehnsuchtsvoll, unsentimental. Erzählt mit einer unglaublichen Sprachbeherrschung." Kleine Zeitung