Das dieser Briefroman keine gewöhnliche Liebesgeschichte ist, wird einem schon auf den ersten Seiten klar. Man wird verzaubert von Worten und Gedanken, aber man versteht zunächst… nichts. Oder nicht viel. Es geht um Melonen, Mohrrüben, Mona Lisa und Krieg, ein sogenannter „Segen für das keuche
Vaterland“, welcher ein junges, verliebtes Paar gewaltsam auseinanderreißt. Wolodenka, der an die Front…mehrDas dieser Briefroman keine gewöhnliche Liebesgeschichte ist, wird einem schon auf den ersten Seiten klar. Man wird verzaubert von Worten und Gedanken, aber man versteht zunächst… nichts. Oder nicht viel. Es geht um Melonen, Mohrrüben, Mona Lisa und Krieg, ein sogenannter „Segen für das keuche Vaterland“, welcher ein junges, verliebtes Paar gewaltsam auseinanderreißt. Wolodenka, der an die Front berufen wird und Saschenka, für die das Leben daheim ohne ihn einfach weiter gehen muss.
Durch ihre Briefe bleiben sie zusammen, schreiben über ihren Alltag – auf der einen Seite einsam, düster und vom Tod bedroht, auf der anderen Seite hoffnungsvoll und voller Erinnerungen an frühere Zeiten. Der Krieg an sich braucht da nicht einmal einen Namen, denn Wolodenka und Saschenka sind ein Paar, wie es sie während eines Krieges millionenfach gibt. Erst nach einer ganzen Weile merkt man als Leser, dass zwischen den Zeilen etwas nicht stimmt. Die beiden schreiben sich regelmäßig, doch warum geht keiner auf die Briefe des Anderen wirklich ein?
Der Klappentext verrät für meinen Geschmack schon ein bisschen zu viel. Es dauert lange, bis man als Leser beginnt Fragen zu stellen und es würde noch länger dauern, wenn man dieses Hintergrundwissen aus dem Klappentext nicht hätte.
Es bliebe einfach mehr Zeit, eigene Vermutungen aufzustellen, denn erst ab einen gewissen Punkt weit nach der Hälfte des Buches ist die Story nicht mehr misszuverstehen. Vorher ist reichlich Potential vorhanden, welches die eigenen Gedanken wie im Buch selbst so schön beschrieben wird, in Fetzen auseinander fliegen lässt.
Wolodenka und Saschenka reden oder besser schreiben über die banalsten Dinge, die im Gegensatz zu den großen Themen wie Krieg, Politik und Tod eine unglaublich hohe Bedeutung haben. Denn die kleinen Dinge sind es, die Hoffnung verleihen und sowohl Krieg als auch den Tod schlussendlich überdauern. Für ein so düsteres und drückendes Setting kommt selbst der Humor in Briefsteller nicht zu knapp, was die beiden Protagonisten unheimlich sympathisch werden lässt.
Man kennt sie nur durch ihre Briefe, bekommt nicht mal eine genaue Beschreibung ihres Äußeren und trotzdem glaubt man am Ende, sie zu kennen. Vielleicht weil sie stellvertretend für alle Paare auf der Welt stehen, die durch Kriege getrennt werden, so wie auch dieser Krieg in Briefsteller stellvertretend für alle Kriege steht, die es jemals gegeben hat und leider wohl auch immer wieder geben wird.
Schlussendlich ist das Buch nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch ein Weckruf, eine Warnung an die Unfähigkeit der Menschheit, nach über 2000 Jahren endlich einmal etwas dazuzulernen.
Aber das Buch ist auch ein Zeichen dafür, dass selbst Trennung, Einsamkeit, Leid und Tod keinerlei Macht gegen nasse, quietschende Haare haben, oder wie Wolodenka so wunderbar schreibt: „Die einfachsten Dinge, bei denen man sterben könnte vor Glück.“ S.18
Die Lobeshymnen für Mikhail Shishkins Werk(e) als auch seinen unverwechselbaren, außergewöhnlichen Schreibstil kennen eine Menge Superlative und werden mit Auszeichnungen wie „Meisterwerk“ und „ein Sprachvirtuose“ versehen. Briefsteller ist mein erstes Buch des Autors, aber ganz sicher nicht mein letztes und ich kann und muss mich diesen Lobeshymnen einfach bedingungslos anschließen.
Mikhail Shishkin versteht die Magie, die Worte kreieren können so wie nur sehr wenige Autoren es können und man kommt einfach nicht drumherum, Namen wie Fjodor Michailowitsch Dostojewski oder Lew Tolstoi im selben Atemzug zu nennen.