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Pantheon
Thomas Melle über die
„Beastie Boys“ und seine Jugend
Thomas Melle muss erst mal ausbrechen. „Ausgebüchst“ ist er, aus dem Jesuiten-Internat, das er einst besuchte. Irgendwann Mitte der Neunziger. „Ill Communication“, das 1994 erschienene Album der Beastie Boys, das alles enthält, was diese fantastische Band so fantastisch machte (grandiose Playbacks, viele davon selbst und live eingespielt, die markantesten Stimmen des Genres, wirklich sehr guter Humor), war jedenfalls schon veröffentlicht. Und in Bonn, genauer: im dortigen Musiktheaterclub Pantheon, wohin er ausgebüchst war, hörte Melle, gerade als er in der Freiheit ankam, nun den Beastie-Boys-Hit „Sure Shot“. Vielleicht. Denn Melle ist natürlich schlau genug, um zu wissen, dass keiner von uns sich so gut an irgendein Konzert erinnern kann, wie unser Hirn uns das glauben machen will. „In Wahrheit, glaube ich jetzt, wird es irgendwann gespielt worden sein.“
Der Schriftsteller Melle, gefeiert für seine Romane „Sickster“ und „3000 Euro“ und zuletzt „Die Welt im Rücken“, ist nun also auch Teil der „KiWi Musikbibliothek“, bei der mal mehr mal weniger bekannte Fans, Experten oder Kollegen über ihre Erstbegegnungen und das folgende Leben mit Bands oder Popkünstlerinnen schreiben. Melle liefert dabei neben Betrachtungen zur Band unter anderem: eine Art Treibjagd mit den Internatsschergen, die den Ausgebüchsten bis ins Pantheon verfolgt hatten (er entkam). Und das paterliche Leviten lesen („Mein Zorn ist unendlich“) am nächsten Tag. Außerdem ist ein T-Shirt sehr wichtig. Gekauft in „meinem schönsten Jahr, damals in Austin (Texas)“. 1996 war das wiederum. Angeblich fuhr er dort ein Auto, wie es auch im Video zu „Sabotage“ vorkommt. Angeblich feierte er dort Partys, bei denen mindestens eine Frau auf dem Sofa masturbierte (wurde ihm erzählt).
Es geht in diesem Buch also auch viel um Melle selbst. Das ist typisch und konsequent für die Reihe, für die ja programmatisch ist, dass der erste Erkenntnisgegenstand von Pop hier nicht die Kunst selbst sein soll, sondern der Fan als zentrales Medium. Da rutscht man leicht ab in die Nabelschau. Sei’s drum. Wer mit den Beastie Boys aufgewachsen ist und sie liebt, hat schließlich etwas gelernt, das in dieser Welt der Selbstdarstellungen und Urteile über selbige ja immer nur noch wichtiger wird: Vergebung. Man betrachte nur den Umgang der Band mit Frauen: Für den ersten Plattenvertrag feuerten sie – der Über-Produzent Rick Rubin hatte das verlangt – noch Schlagzeugerin Kate Schellenbach, immerhin Gründungsmitglied. Kurz darauf gab’s den wohl ironisch gemeinten aber trotzdem steinblöden Song „Girls“. Dann aber 1994 eben auch „Sure Shot“ und diese Zeilen vom verstorbenen und niemals genug zu vermissenden Beastie Boy Adam Yauch alias MCA: „I want to say a little something that’s long overdue / The disrespect to women has got to be through / To all the mothers and the sisters and the wives and friends / I wanna offer my love and respect till the end.“ Melle hängt den Zeilen eine Petition an: „Wer mag, kann hier unterschreiben.“
JAKOB BIAZZA
Der erste Erkenntnisgegenstand
von Pop ist hier nicht die Kunst
selbst, sondern der Fan
Thomas Melle:
Beastie Boys.
Verlag Kiepenheuer
& Witsch, Köln 2022.
85 Seiten, 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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