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2 Kundenbewertungen

"Genau der Schriftsteller, den wir brauchen." Daniel Kehlmann, FAZ
"Leidenschaftlich, verstörend, fesselnd." Salman Rushdie
"Ein herzzereißendes Porträt von Amerikanern, die von der Welt nach 9/11 zum Anderssein verbannt wurden." Jennifer Egan
Ayad Akhtars "Homeland Elegien" ist ein intelligenter Roman über den zerrütteten Zustand des heutigen Amerikas. Über ein Amerika, in dem die Ideale der amerikanischen Demokratie den Göttern der Finanzindustrie geopfert wurden und eine TV-Persönlichkeit Präsident werden konnte. Es ist ein persönliches Memoir über die Erfahrungen von im Westen…mehr

Produktbeschreibung
"Genau der Schriftsteller, den wir brauchen." Daniel Kehlmann, FAZ

"Leidenschaftlich, verstörend, fesselnd." Salman Rushdie

"Ein herzzereißendes Porträt von Amerikanern, die von der Welt nach 9/11 zum Anderssein verbannt wurden." Jennifer Egan

Ayad Akhtars "Homeland Elegien" ist ein intelligenter Roman über den zerrütteten Zustand des heutigen Amerikas. Über ein Amerika, in dem die Ideale der amerikanischen Demokratie den Göttern der Finanzindustrie geopfert wurden und eine TV-Persönlichkeit Präsident werden konnte.
Es ist ein persönliches Memoir über die Erfahrungen von im Westen lebenden Muslimen, insbesondere nach 9/11, und eine Reflexion über die Möglichkeit einer westlichen muslimischen Identität.
Es ist die intellektuelle Biografie eines künstlerischen Ausnahmetalents und eine manchmal komische, manchmal bewegende, manchmal konfliktreiche Einwandererfamiliengeschichte.
Und nicht zuletzt erzählt der Roman mit großem Esprit und aus ungewohnter Perspektive globale Zeitgeschichte, vom Konflikt zwischen Pakistan und Indien über den ersten Afghanistan Krieg bis hin zu Osama bin Laden und dem islamistischen Terror der jüngsten Gegenwart.
Autorenporträt
Dirk van Gunsteren, geboren 1953, hat u.a. T.C. Boyle, Philip Roth, Thomas Pynchon und V. S. Naipaul ins Deutsche übertragen. Für sein Werk wurde er mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis und jüngst mit dem Übersetzerpreis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein wenig unentschieden ist Rezensentin Valérie Eiseler, ob sie dieses Buch loben soll, oder ob es unter den vielen Fragen, was daran "wahr" ist, eher so zusammenschrumpft, dass sie es keinen Roman mehr nennen will. Der Ayad Akhtar genannte Romanheld, seine Romanfamilie und Romanbekanntschaften folgen zu einem großen Teil dem Leben des Schriftstellers, das durch die Zäsur des 11.September 2001 geprägt wurde. Dieses Buch ist, wie die Kritikerin findet, eine lange "Antwort" auf die Frage, ob auch Akhtar, wie die Dramenfigur, mit der er berühmt wurde, einen "Hauch von Stolz" an jenem Tag empfunden habe.  Der Autor lädt uns in seine Romanfamilie ein, um den Verwerfungen sehr unterschiedlicher Arten von Heimatliebe nachzugehen, schreibt sie. Und ob er die frustrierte Romanmutter, die sich nach Pakistan zurücksehnt, den stoischen Romanvater oder die jüngere Freundesgeneration der Romankinder vorführt, jeder leistet einen Teil der Antwort, so scheint es. Immerhin werden in dieser literarischen "Reality-Show" doch ein paar grundlegende "Wahrheiten" am Ende deutlich, urteilt die Kritikerin, die sich dem hier auch ausgedrückten Schmerz von Heimatverlust immerhin nicht entziehen will.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2020

Ich habe vergessen, welches Wir ich war
Ayad Akhtars autobiographische "Homeland Elegien" sezieren die Identitäten der amerikanischen Einwanderernation

Die "Great American Novel" - so der Schriftsteller John William DeForest, der 1868 den Begriff prägte - soll die literarische "Abbildung der gewöhnlichen Gefühle und Verhaltensweisen" der US-Amerikaner, das "Porträt der Seele" ihres Landes sein. Für DeForest war die gelungenste Annäherung an jenes Ideal "Onkel Toms Hütte", die Geschichte afroamerikanischer Sklaven und ihrer Eigentümer, die Harriet Beecher Stowe 1852 veröffentlichte und die bis heute inbrünstig diskutiert wird. Im Laufe der Jahrzehnte ist die Liste der Anwärter auf die literarische Ehre lang geworden. Und sie ist mit Ayad Akhtars Roman "Homeland Elegien" gerade um einen Titel reicher geworden.

In "Homeland Elegien" erzählt ein New Yorker Dramatiker namens Ayad Akhtar, Sohn eines aus Pakistan eingewanderten Ärztepaares, von seinem bemerkenswerten Werdegang. Vom Spagat zwischen der kindlichen Begeisterung seines Vaters für den "American Way of Life" (der nach Akhtar in hohem Maße darauf basiert, dass jeder auf sich allein gestellt ist, Schulden gemacht werden, um Schulden zu bezahlen - und man dabei schwört, man würde in einer strahlenden "Stadt auf dem Hügel" leben) und der Verachtung seiner Mutter alldem gegenüber. Davon, wie er durch Spekulation ein Vermögen aufbaute und verlor. Auch davon, wie er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Theaterstück über Islamophobie und die Identitätskonflikte amerikanischer Muslime schrieb. Und auch davon, wie er sich in "meinem Heimatland Amerika" nie zu Hause gefühlt hat - ein Gefühl wiederum, das ihm, als er es endlich annahm, den Weg zum Erfolg als Autor ebnete.

Diese Eckdaten aus dem Leben des Protagonisten Akhtar gehören zur Biographie des Schriftstellers Akhtar. Wie dieser selbst aber erklärt hat, ist sonst vieles dessen, was sein Erzähler uns auf fesselnde und oft humorvolle Weise über sein Leben anvertraut, ausgedacht. Doch was genau? Gerade die Tatsache, dass wir es nicht wissen, gehört zur Anziehungskraft des Romans: Unser Leben, scheint er - auf sehr US-amerikanische Weise - zeigen zu wollen, ist hauptsächlich das, was wir anderen und uns selbst erzählen. Und sowieso spürt man im Laufe der Geschichte, dass die Frage nach dem Realen und dem Fiktiven hier irrelevant ist. Es gibt in "Homeland Elegien" nämlich keine Seite, die sich nicht authentisch anfühlt, keine Anekdote oder Überlegung, die nicht einen gewissen Aspekt der Realität der Vereinigten Staaten beleuchtet.

Zum Beispiel Akhtars Bericht über die wahnsinnige Sympathie, die sein Vater für Donald Trump hat. Der pakistanische Kardiologe soll Trump in den achtziger Jahren einmal behandelt haben - und seitdem fasziniert vom künftigen Präsidenten gewesen sein. Wenige Tage von einer neuen, gefürchteten Präsidentenwahl tut es weh, zu lesen, wie Akhtars Vater Trumps Lügen und Gemeinheiten, auch gegen Muslime, rechtfertigt ("Er ist ein Showman. ... Er meint es nicht so") oder verharmlost. ("Ich bete nicht, ich faste nicht, ich bin eigentlich gar kein Muslim, und für dich gilt dasselbe. Er meint uns nicht. Und außerdem war ich sein Arzt, also brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.") Diese Faszination teilen Millionen von Menschen - und sie ist, wie Trumps Erfolg selbst, das Symptom tieferer Übel. Der Roman erforscht sie.

Ebenso liest sich die Geschichte des Hedgefonds-Gründers Riaz Rind, der Akhtar zum Millionär macht, wie eine Parabel auf die paradoxen Werte der amerikanischen Gesellschaft. Rind - in dem die "New York Times" einen modernen Jay Gatsby sieht - ist der Sohn einer muslimischen Familie aus einer verarmten Arbeiterstadt in Pennsylvania. Dank seines Talents wurde er stinkreich und machte es sich zur Aufgabe, das Leben amerikanischer Muslime zu verbessern. Mit den gleichen Waffen, mit denen seiner Ansicht nach der Westen die sogenannte "muslimische Welt" knechtet - faule Kapitalanlagen und Kredite -, rächt er sich an einer Reihe von Städten für die Diskriminierung, die er dort erlebt hat.

Und auch Akhtars Geständnis, er hätte nach dem 11. September vor lauter Angst, auf der Straße angegriffen zu werden, monatelang ein Kreuz um den Hals getragen, oder wenn er manchen seiner schikanierenden Landsleuten erklären muss, sein Name käme zwar aus Ägypten, er selbst aber aus New York: Egal ob Fiktion oder nicht, es sind prägnante Pinselstriche im Gemälde der heutigen, real existierenden Vereinigten Staaten. Die Frage, die durch "Homeland Elegien" - und überhaupt Akhtars Werk - durchzieht, lautet: Wie kommt man mit einem Land klar, in dem man geboren wurde, dessen Sprache die eigene ist, auf das man stolz sein soll - und das einem ständig signalisiert, man solle dorthin abhauen, wo man angeblich herkam?

Ayad Akhtar, 1970 in New York geboren, hat bisher vier Theaterstücke, mehrere Drehbücher und zwei Romane geschrieben. 2016 war er der meistgespielte Dramatiker der Vereinigten Staaten. Für "Disgraced", sein erstes Stück aus dem Jahr 2012, bekam er den begehrten Pulitzer-Preis. Es erzählt von einem Essen, bei dem vier New Yorker - ein nicht praktizierenden muslimischer Anwalt pakistanischer Herkunft namens Amir, seine Frau, eine weiße Künstlerin, eine afroamerikanische Anwältin und ein jüdischer Kunsthändler - sich über Religion unterhalten. Als Amir irgendwann beichtet, er hätte am 11. September einen "Hauch von Stolz" verspürt, eskaliert die Diskussion. Spätere Stücke handeln etwa von der Spannung zwischen kapitalistischer Gier und islamistischem Fanatismus. Akhtar erster Roman "Himmelssucher" (2012) erzählt von einem pakistanisch-amerikanischen Jungen und seinen religiösen und familiären Konflikten.

Hinter der Frage, wie man sich zum Land verhält, das das eigene ist und einen gleichzeitig als Fremden sieht, steckt eine andere, fundamentale: Was heißt eigentlich "wir"? Sie wird in "Disgraced" besonders beklemmend gestellt. Als seine entsetzte Frau Amir fragt, worauf er denn am 11. September stolz gewesen sei, antwortet der: "Darauf, dass wir endlich gewonnen haben." "Wir?", fragt sie. "Ich glaube", antwortet Amir beschämt, "ich habe vergessen welches ,wir' ich war." In den "Homeland Elegien" hallt jetzt dieses Unbehagen wider. "Ich war", erzählt Akhtar, "nachdem ich über vierzig Jahre in Amerika gelebt hatte, noch immer bereit, mich als ,anders' zu betrachten." Später entscheidet er aufzuhören, "so zu tun, als fühlte ich mich als Amerikaner".

Wie jeder großartige Roman ist auch dieser vieles gleichzeitig: Eine intelligente und kurzweilige Geschichte von einem, der langsam versteht, wie er selbst, aber auch sein Land ticken - auch im Bezug auf das Sexuelle, wovon Akhtar mit einem genialen Sinn fürs Komische erzählt; die spannende literarische Veranschaulichung von "Trumps Triumph" als "Schleifung aller Bollwerke gegen jenes Streben nach gottgefälligem Reichtum, das offenbar die einzige verbliebene amerikanische Leidenschaft ist"; eine fast essayistische Auseinandersetzung mit den falschen Versprechen der Ökonomie, Edward W. Saids Orientalismus, Freuds Traumdeutung oder dem Ende des Goldenen Zeitalters des Islams; ein Klagegedicht - daher der Titel - über den Tod eines Traumes, der auch der Akhtars war: von der Einzig- und Großartigkeit der Vereinigten Staaten.

Vor allem aber ist der Roman - wie es ja jede "Great American Novel" zu sein hat - eine raffinierte Erkundung der "Gefühle und Verhaltensweisen", die in den letzten Jahren entstanden sind, sich entzündet und erhärtet haben und nun die "Seele" eines zerrissenen Landes bestimmen, die, wie es im Roman einmal heißt, sich selbst plündert. Diese Emotionen werden - ganz gleich, was am 3. November geschieht - die Zukunft der Vereinigten Staaten, mit allen ihren verschiedenen Identitätskrisen, weiter gestalten. Wer "Homeland Elegien" liest, wird besser verstehen, wie es dazu kommen konnte.

HERNÁN D. CARO.

Ayad Akhtar: "Homeland Elegien". Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Claassen, 464 Seiten, 24 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2020

Kein Pardon
Ayad Akhtar verweigert in „Homeland Elegien“ die
Entschuldigungen und Bescheidenheitsgesten, die muslimischen
Minderheiten üblicherweise abverlangt werden.
Warum ist dieser Roman kein Skandal?
VON FELIX STEPHAN
Ayad Akhtars Theaterstück „Disgraced“ („Geschändet“), wurde 2012 in Chicago erstmals aufgeführt und kurz darauf zu einem wahnwitzigen Welterfolg. Seinen Autor machte es so berühmt, wie es seit Arthur Miller kein amerikanischer Theaterautor mehr war. Vier New Yorker treffen sich in diesem Stück zum Dinner: ein muslimischer Anwalt, eine weiße, protestantische Künstlerin, ihr jüdischer Galerist und eine afroamerikanische Anwältin.
Alle vier sind liberale, progressive Amerikaner in der Welthauptstadt des Pluralismus, und beruflich läuft es auch. Als Amir Kapoor, der muslimische Anwalt, relativ früh am Abend anmerkt, die USA hätten sich den 11. September redlich verdient und er empfinde auch einen gewissen Stolz, dass „wir“ so einen bildschönen Anschlag hinbekommen haben, geht es mit dem Abend allerdings relativ zügig bergab. Das Stück war eine Sensation, im Jahr 2013 wurde sein Autor mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.
Acht Jahre später ist jetzt Ayad Akhtars Roman „Homeland Elegien“ erschienen, und dass dieser Roman nicht ebenfalls erbitterte Leitartikel-Fehden nach sich gezogen hat, kann eigentlich nur daran liegen, dass er sich von Diderot das Stilmittel abgeschaut hat, blasphemische Ungeheuerlichkeiten stets mit einem Lächeln zu präsentieren. In der Sache jedenfalls ist das Buch eine fröhliche Totalzurückweisung all dessen, was in der soziologischen Kulturkritik seit Jahrzehnten als gut und richtig gilt: Identitätspolitik, Integration von Minderheiten, strukturelle Gesellschaftsanalyse.
Das Buch erzählt die Geschichte vom aufhaltsamen Aufstieg eines amerikanischen Schriftstellers muslimischen Glaubens namens Ayad Akhtar. Es erzählt von dessen Vater, der 2016 Trump gewählt hat, obwohl er Muslim ist, sich von dessen Rassismus aber nicht gemeint fühlte, weil er als Arzt gut verdient. Und von seiner Mutter, die in ihrem Dasein als amerikanische Arztfrau die spirituelle Wesentlichkeit der pakistanischen Heimat bitter vermisst. Mutter, Vater und Sohn bilden so etwas wie einen kulturkritischen Gesprächskreis, der zwanzig Jahre lang über die Frage diskutiert, wem in welchem Maße das Recht zukommt, die USA zu kritisieren.
Der Vater hält dem Sohn vor, dass seine ständige Mäkelei vor allem Ausdruck seines Undanks sei, schließlich hätte er sich seine erfolglose Schriftstellerei in Pakistan ganz in die Haare schmieren können. In den Gesprächen mit der Mutter wiederum verteidigt der Sohn die USA gegen ihre antiimperialistischen Anwürfe, die aus ihrem Mund sehr leicht wie islamischer Fundamentalismus klingen, obwohl sie genau genommen nichts sagt, das Jutta Ditfurth oder Katja Kipping im Frühstücksfernsehen nicht auch jederzeit sagen würden.
Irgendwann aber ist der renitente Junge Ende dreißig und bekommt den Pulitzerpreis. Mit dem Ruhm kommen Reichtum und Sex, in den Garderoben berühmter Theater wird er von umwerfenden Frauen abgeschleppt, es beginnt eine Zeit, die er im Nachhinein als „sexuell verantwortungslos“ beschreibt.
Mit dem Ruhm kommt aber eben auch das Publikum, das selbstgerecht übergriffige Fragen stellt, vor allem die, wie viel von dem Autor selbst in dem Stück enthalten sei. Lange habe er die Frage abgewehrt, berichtet Ayad Akhtars Ich-Erzähler Ayad Akhtar, aber mit der Zeit sei ihm klar geworden, „dass man eigentlich wissen will, ob auch ich am 11. September vor Stolz errötet bin, und wenn ja, ob ich glaube, dass Amerika bekommen hat, was es verdient hat, und schließlich, ob ich wie meine Figur der Meinung bin, dass weitere islamistische Anschläge in Amerika wahrscheinlich sind“. Der Verweis auf die Fiktionalität brachte in dieser Angelegenheit natürlich genau nichts, denn: „Dass ich mich von solchen Gefühlen nicht distanzierte, wurde als stillschweigendes Schuldbekenntnis gewertet.“
Das unbedingt Interessante an dem Roman ist nun erstens, dass der Erzähler den Unterschied zwischen Realität und Fiktion nicht noch einmal ausbuchstabiert, sondern vielmehr der Frage nachgeht, inwiefern die Sätze, die der muslimische Anwalt Amir Kapoor in dem Stück zum Besten gibt, nicht womöglich doch mit ihm selbst, seiner Biografie und seiner Sozialisierung zu tun haben. Und dass er zweitens relativ bald die Entdeckung macht, dass ihm diese antiamerikanischen Gewaltfantasien näherliegen, als es ihm womöglich lieb ist.
Der Satz, die Amerikaner hätten sich „den 11. September verdient“, ist zum Beispiel tatsächlich einmal gefallen: Seine Mutter hatte ihn am Telefon ausgesprochen, nachdem die USA einen Mann ermordet hatten, für den sie seit der Studienzeit eine gewisse Schwäche hatte. Dieser Mann hieß Latif, war amerikanischer Staatsbürger und ist nach dem Studium als Arzt nach Pakistan gegangen, um dort Leuten zu helfen, die andernfalls keinerlei medizinische Versorgung bekommen hätten. In Pakistan nutzt ihn die CIA als Brückenkopf, um Operationen in Afghanistan zu koordinieren, bis sie ihn eines Tages samt seiner Praxis mittels einer Drohne in die Luft jagt, weil er nebenberuflich offenbar für al-Qaida tätig war. Unter dem Eindruck dieses Todesurteils, das ohne Prozess an einem amerikanischen Staatsbürger vollstreckt wurde, telefoniert die Mutter also mit dem Sohn und schimpft auf die heuchlerische Ruchlosigkeit der USA, die anderen Regierungen die Menschenrechte vorhalten, selbst aber bei Bedarf ihre eigenen Bürger umbringen, sofern sie Muslime sind: Bin Laden habe recht, muslimisches Blut sei billig, sie hätten verdient, was sie gekriegt haben und was sie noch kriegen werden. „Diese letzten Worte landeten schließlich in meinem Stück.“
Die westlich weiße Mehrheitsgesellschaft teilt die Muslime unter ihren Staatsbürgern in der Regel ein in moderate und radikale Vertreter des Islams, um sie im nächsten Schritt voneinander zu trennen, und die einen zu integrieren und die anderen zu isolieren. Akhtars Roman entblößt nun den Generalverdacht, der dieser Logik zugrunde liegt, indem er seine Muslime je nach Stimmungslage beides sein lässt: moderat und radikal, pro- und antiamerikanisch, säkular und zutiefst gläubig. Was genau genommen auch nicht anders zu machen ist, schließlich handelt es sich um denkende und fühlende Personen, die wie jeder andere auch verschiedene Lebensphasen durchlaufen, gelegentlich spirituelle Orientierung suchen und das Land, in dem sie leben, eben manchmal zum Teufel wünschen.
Das Bekenntnis zu den in der Regel nicht näher beschriebenen „westlichen Werten“, das von Muslimen vor allem nach Anschlägen regelmäßig abgefragt wird, verweigert Akhtars Erzähler vor diesem Hintergrund jedenfalls ausdrücklich. Gleichzeitig fordert er aber auch keine besondere Nachsicht ein, weil er etwa einer Minderheit angehört, deren Bewusstsein vor allem dadurch modelliert wird, dass sie strukturellem Rassismus ausgesetzt ist und von den Vertretern der weißen Hegemonie als „anders“ markiert wird. Denn erstens tritt der Rassismus dem Erzähler und seiner Familie alles andere als subtil entgegen, mehr als einmal werden sie von bewaffneten Amerikanern auf der Straße als „Affen“ beschimpft. Und zweitens haben sie sich ihre Andersartigkeit aus freien Stücken und mit voller Absicht selbst ausgesucht. Obwohl er in den USA geboren wurde, heißt es an einer Stelle, „hatte auch ich einen willentlichen Anteil an meiner Ausgrenzung, denn ich war, nachdem ich über vierzig Jahre in Amerika gelebt hatte, noch immer bereit, mich als ‚anders‘ zu betrachten“.
Die Entfremdung des Erzählers fußt nicht auf strukturellem Rassismus, sondern auf seiner eigenen „spirituellen Ablehnung“ der amerikanischen Kultur. Dass diese Ablehnung aber nur dann zu einem Thema für die Behörden wird, wenn sie von einem Muslim formuliert wird, während Knausgård oder Houellebecq dafür eher keine Telefonüberwachung zu erwarten haben, offenbart den Rassismus, der auch progressiven Positionen inhärent ist. Auch die Identitätspolitik betrachtet Muslime häufig als Kollektivsubjekt, das der Kultur hilflos ausgeliefert und zum selbstbestimmten, reflexiven Individualismus nur bedingt fähig ist.
Wie um herauszufinden, wie viel das Publikum ihm zu vergeben bereit ist, verteidigt Akhtars Erzähler eine mit liberalen Normen unvereinbare muslimische Tradition nach der anderen. Die arrangierte Ehe zum Beispiel, deren Vorzüge auch Houellebecqs Erzähler mehr als einmal gepriesen haben: Als seine Eltern einmal Besuch bekommen von seinem Onkel Muzzammil und dessen Frau Safiya, fällt dem Erzähler auf, wie zärtlich die beiden miteinander umgehen, obwohl sie sich am Tag ihrer Verlobung zum ersten Mal begegnet sind. Später ist er der Ansicht, „dass das von keiner Kenntnis getrübte amerikanische Geschwätz über das himmelschreiende Unrecht arrangierter Ehen nicht anderes war als genau das: dummes Geschwätz“. Oder die Episode, in der sein überintegrierter Vater einmal Hochzeitseinladungen verschicken will und dafür Briefmarken verwendet, auf denen christliche Motive zu sehen sind, und der Ich-Erzähler feststellt, dass ihn das wütend macht. „Wir Muslime“ lebten zwar in einem christlichen Land, schreibt er, aber: „Wir verstanden und respektierten es nicht. Für uns war es etwas Behelfsmäßiges, eine illegitimer Abkömmling des jüdischen Glaubens, eine gigantische Fehlinterpretation, die sich auf eine ontologische Absurdität stützte: dass Gott einen Sohn brauchte und dass dieser Sohn – angeblich ebenfalls göttlich – von Menschenhand getötet werden konnte.“
Auf die Frage, wie viel von der Figur des Amir Kapoor in Ayad Akhtar selbst steckt, ist dieser Roman also gewissermaßen die längstmögliche Antwort. Und dass er überhaupt geschrieben wurde, hat sehr wahrscheinlich mit den gigantischen Entdifferenzierungsmaschinen der sozialen Netzwerke zu tun. Immer wieder erwähnt der Erzähler, wie viel Zeit er damit verbringt, in den sozialen Netzwerken Kommentare über sich selbst zu lesen. Und was Autoren dabei genau erleben, hat das New Yorker Magazin n+1 kürzlich in dem brillanten Essay „The New Reading Environment“ so zusammengefasst: Nie zuvor konnten Autoren ihren Lesern so genau beim Lesen ihrer Texte zuschauen. Und nie zuvor stand ihnen so unbarmherzig vor Augen, wie eklatant ihre Texte missverstanden werden. Weil Zitate und Informationsschnipsel in den sozialen Netzwerken je nach Agenda hunderttausendfach umgedeutet werden und der verzweifelte Autor live dabei zusehen kann, besteht die Erfahrung großer Reichweite heute vor allem in der Erfahrung großer Machtlosigkeit.
Vor diesem Hintergrund lautet die Ausgangsbehauptung von Ayad Akhtars Roman, dass das berühmte Theaterstück so häufig böswillig verdreht, missverstanden und instrumentalisiert wurde, dass dem Autor im Grunde gar nichts anderes übrig bleibt, als gänzlich unverstellt ein paar klärende Worte loszuwerden, bevor die Diskussion vollkommen aus dem Ruder läuft. Und es ist sicher nicht die schlechteste Pointe dieses Buches, dass diese erzählerische Geste natürlich zutiefst amerikanisch ist. Eines der Grundanliegen des amerikanischen Romans liegt sei jeher darin, dem von Standesdünkel durchsetzten europäischen Vorbild eine demokratische Alternative entgegenzusetzen und in verständlichen Worten die Wahrheit auszusprechen, wie Holden Caulfield es einst formuliert hat. Der Erzähler wird in diesem Sinne genau dann Teil der amerikanischen Kultur, als er sich von ihr lossagt.
Ayad Akhtar: Homeland Elegien. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Claassen, Berlin 2020. 464 Seiten, 24 Euro.
In der Sache eine fröhliche
Totalzurückweisung dessen, was
der Kulturkritik als richtig gilt
In den sozialen Medien sieht der
Autor, wie eklatant seine
Texte missverstanden werden
Im Lauf der Zeit
ist mir klar
geworden, dass
man eigentlich
wissen will,
ob auch ich
am 11. September
vor Stolz
errötet bin.“
Der New Yorker Autor
Ayad Akhtar schreibt
Theaterstücke, Filmscripts und „Homeland Elegien“ –
das ist sein zweiter Roman
nach dem Debüt
„American Dervish“ (2012).
Foto: Robert Newald/
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»Ein flirrend hybrider Text im besten Sinne, Coming-of-Age-Geschichte, Essay, Erkundung, Autofiktion, Familiengeschichte, Migrationsstory, Gesellschaftsanalyse, verfasst von einem faszinierend begabten Erzähler.« Ulrich Noller DLF Kultur 20201104
Rezensent Ulrich Noller hält Ayad Akhtar für einen begabten Erzähler. Akhtars Geschichten aus seinem Leben als nur bedingt gläubiger Muslim in den USA geben Noller einen Eindruck von der Verfasstheit der amerikanischen Gesellschaft, vom Trauma des Generalverdachts gegen Muslime nach 9/11, vom Leben in der Ära Trump. Der "hybride" Text aus Essay, Entwicklungsroman, Familiengeschichte und Analyse überzeugt Noller durch Verstand, Witz und Stil.

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