Für Jugendliche ab 16 Jahren ist der kürzlich in deutscher Übersetzung veröffentlichte Roman „Das zweite Leben des Señor Castro“ des spanischen Schriftstellers Jordi Sierra i Fabra (71) gedacht. Doch auch Erwachsenen kann man diese Geschichte durchaus empfehlen, zumal der in Spanien wegen seiner
über 400 Bücher berühmte Autor wegen fehlender Übersetzungen uns noch unbekannt ist. Obwohl der Roman…mehrFür Jugendliche ab 16 Jahren ist der kürzlich in deutscher Übersetzung veröffentlichte Roman „Das zweite Leben des Señor Castro“ des spanischen Schriftstellers Jordi Sierra i Fabra (71) gedacht. Doch auch Erwachsenen kann man diese Geschichte durchaus empfehlen, zumal der in Spanien wegen seiner über 400 Bücher berühmte Autor wegen fehlender Übersetzungen uns noch unbekannt ist. Obwohl der Roman vom spanischen Bürgerkrieg und die sich für eine Dorfbevölkerung daraus ergebenden Folgen handelt, können wir ihn ohne Schwierigkeit auf die Zeit des Nazi-Regimes und deren Aufarbeitung in den Sechzigern übertragen.
"Man kehrt nicht nach über 40 Jahren in sein Dorf zurück, nur um einen Spaziergang zu machen oder seine Schwester zu besuchen." Niemand im kleinen Bergdorf mag dies glauben, als das Gerücht umgeht, Rogelio Castro sei von den Toten auferstanden und werde in sein Heimatdorf zurückkehren. Jeder glaubt an Rache. Denn damals, bei Ausbruch des Bürgerkriegs (1936) zwischen den Republikanern und den faschistischen Putschisten unter General Franco, hatte der faschistische Dorfbürgermeister die einheimische Gruppe junger Sozialisten und Kommunisten, darunter auch der frisch verlobte Rogelio, gefangennehmen, erschießen und in einem Massengrab verscharren lassen. Jeder glaubte seitdem, auch Rogelio sei unter den Toten. Doch ihn traf keine Kugel, so dass er in der Dunkelheit entkommen konnte. Erst nach dem Tod Francos (1975) und dem Ende seiner Diktatur trauen sich die damals vom Regime Verfolgten aus ihren Verstecken.
Der spanische Autor erzählt uns am Beispiel des Dorfes die Geschichte seines Landes. Alle versuchen, das Geschehene zu verdrängen und zu vergessen. Auch in Rogelios Heimatdorf wagt noch nach 40 Jahren kein Dorfbewohner, über das damalige Massaker zu sprechen. In ruhiger und einfühlsamer Erzählweise schildert uns der Autor die Geschehnisse im Dorf wenige Tage vor Rogelios Ankunft und während seines Aufenthalts. Wir lernen einige Einwohner kennen. Seine damalige Verlobte ist längst mit Rogelios damals bestem Freund verheiratet. Andere gute Jugendfreunde des heute 61-Jährigen fanden sich im Bürgerkrieg unversehens in feindlichen Lagern gegenüber und misstrauen sich heute noch. Wir treffen auf den heutigen Bürgermeister, Sohn des damaligen, der nach vier Jahrzehnten noch immer der faschistischen Ideologie anhängt. In vielen Gesprächen mit den damals Beteiligten gelingt es Rogelio, Antworten auf seine Fragen zu bekommen: Wer hat seine Gruppe damals verraten? Und wieso traf ihn damals keine Kugel?
Überträgt man diese spanische Erzählung auf Deutschland, ist die im Roman geschilderte Situation und Stimmung ähnlich jener in der Bundesrepubklik der Sechziger Jahre, weshalb der Roman auch für uns interessant ist. Denn auch in der Bundesrepublik wurde viel verdrängt, sollte vergessen werden. Rückkehrende Exilanten wurden misstrauisch und furchtsam beobachtet. Als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im ersten Auschwitz-Prozess (1963-1965) das unter den Nazis Geschehene aufarbeiten wollte, sahen dies viele Deutsche als Rachefeldzug und sehnten sich stattdessen nach Ruhe – Verdrängen und Vergessen. Erst die Liebesgeschichte zweier von der Historie unbelasteter Jugendlicher, die Liebe zwischen Rogelios Tochter und Ezechiel, dem Sohn seiner damaligen Verlobten, zeigt uns und den Dorfbewohnern in Jordi Sierra i Fabras Roman „Das zweite Leben des Señor Castro“, dass nicht Rache, sondern Versöhnung möglich und vor allem nötig ist, um eine gemeinsame Zukunft gestalten zu können.