Produktdetails
  • Verlag: List
  • Neuaufl.
  • Seitenzahl: 396
  • Deutsch
  • Abmessung: 36mm x 130mm x 209mm
  • Gewicht: 534g
  • ISBN-13: 9783471794043
  • ISBN-10: 3471794042
  • Artikelnr.: 02910214
Autorenporträt
Knut Hamsun wurde am 4. August 1859 in Gudbrandsdalen als Knud Pedersen geboren und gilt neben Henrik Ibsen als bedeutendster Schriftsteller Norwegens. Seine Schulausbildung war dürftig, eine Universität besuchte er nie und schlug sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis ihm 1890 mit seinem Debütroman Hunger sogleich ein großer literarischer Erfolg gelang. 1920 erhielt er für sein Werk Segen der Erde den Literaturnobelpreis. Der wegen seiner Sympathien für den Nationalsozialismus politisch hoch umstrittene Hamsun starb 1952 in Nørholm.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Alles Gute kommt von unten
Wenn der Landmann abends die Kartoffel schält: Knut Hamsuns Roman "Segen der Erde" in neuer Übersetzung/ Von Ingo Schulze

Stalins Außenminister Molotow bekundete gegenüber dem ersten Generalsekretär der Vereinten Nationen, Trygve Lie, sein Unverständnis, dass man einen so großen Schriftsteller wie Knut Hamsun vor Gericht zerre. Der Norweger erwiderte: "You are too soft, Mr. Molotow."

Diese schillernde Anekdote, nachzulesen in Walter Baumgartners Hamsun-Biographie, lässt etwas von der Verstörung und dem Unbehagen spüren, das bei der Verurteilung Hamsuns nach dem Zweiten Weltkrieg geherrscht haben muss. Andererseits steht vor jedem Hamsun-Leser die alte Frage, ob denn einer, der Mördern Beifall klatschte, wirklich große Kunst schaffen konnte. Oder war da erst die Kunst und dann die fatale Begeisterung? Oder hier Werk, da Person? Bei Hamsun hilft das nicht weiter. Während des Lesens aber macht man eine simple und zugleich überraschende Erfahrung: Die Hellhörigkeit des Lesers entscheidet darüber, wie der Kampf zwischen Dichtung und Demagogie ausgeht.

"Segen der Erde" erschien im Jahre 1917. Drei Jahre später, 1920, erhielt Knut Hamsun für dieses Werk den Nobelpreis. Das Buch beginnt im Stil eines Schöpfungsmythos: "Den langen, langen Pfad durch die Moore und in die Wälder, wer hat ihn ausgetreten? Der Mann, der Mensch, der erste, der hier war. Vor ihm gab es keinen Pfad." Es ist "Isak mit dem Eisenbart und dem allzu knorrigen Körper" und "Wundmalen" an den Händen.

Er übernachtet im Farnkraut, auf Tannenästen unter einem Felsvorsprung, baut sich eine Torfhütte. Er rodet, mäht Gras, bringt Birkenrinde und Holztröge ins Dorf und kommt mit Lebensmitteln, Ziegen und Werkzeug in die Ödmark zurück. Im Frühling bestellt er "sein Stückchen Land und pflanzte Kartoffeln . . . jede Ziege hatte Zwillinge bekommen." "Eines Tages kam dann die Hilfe." Inger, "ein großes Mädchen . . . mit schweren guten Händen, . . . höflich gesagt an die dreißig" und einer Hasenscharte. Sie findet Isaks Behausung "nicht unschön". "Nachts war er gierig nach ihr und bekam sie."

Sie bleibt, holt eine Kuh von zu Hause, der erste Sohn (Eleseus) wird geboren, bald ein zweiter (Sivert). Inger entbindet allein. Jede Anschaffung - die Aufzählung mutet genealogisch an - verändert das Leben: ein Pflug, eine Egge, ein Bett, eine Lampe, sogar eine Uhr. Isak "stellte sie nach geschätzter Zeit ein". Trotz zweier Dürrejahre wächst das Anwesen. So einfach und genau die Beschreibungen sind, so notwendig ist jeder Satz und wird gebraucht, als wäre er ein Balken für das neue Haus. Passagenweise liest sich "Segen der Erde" wie ein moderner Hesiod. Die Erfolgsgeschichte des Isakschen Hofes hält bis zum Schluss des Buches an und bildet den Hintergrund, vor dem sich alle Figuren bewegen.

Da ist der Lensmann Geissler, der Vertreter des Staates. "Du hättest zu mir kommen und das Land kaufen müssen", sagt er zu dem erschrockenen Isak. Obwohl Geissler nach Gutdünken zu entscheiden scheint, hält er doch seine Hand schützend über Isaks Familie. Er ist es auch, der dem Hof einen Namen gibt: Sellanra. Als Inger ein Mädchen mit einer Hasenscharte zur Welt bringt (zuvor hatte sie von ihrer Verwandten Oline zweifelhafte Grüße erhalten: einen toten Hasen), tötet sie das Neugeborene. Durch Oline wird die Tat bekannt und Inger verurteilt. Nun hilft Oline auf dem Hof und kümmert sich um die Jungen.

Inger bringt kurz nach ihrer Inhaftierung ein Mädchen zur Welt. Durch die Fürsprache Geisslers kommt sie bereits nach sechs Jahren frei. Das Gefängnis ist Ingers Universität: Jetzt kann sie lesen und schreiben, ihre Hasenscharte ist operiert, sie besitzt sogar eine Nähmaschine und schneidert sich einen Tuchmantel - die Sensation beim Kirchgang. Das Erlebnis dieser anderen Welt lässt sie fortan vergleichen. Mehrmals schwankt sie zwischen Frömmelei und Unabhängigkeit (sie "kann die Männer nicht auseinanderhalten"). Aber sie und Isak gehören zusammen.

Keiner siedelt so weit draußen wie Isak, aber er bleibt nicht lang allein in der Ödmark. Brede Olsen, der ehemalige Gehilfe des Lensmannes, kauft sich Land und Haus. Aber Brede ist lieber unter Leuten oder auf Schatzsuche im Gebirge. Sein Hof verlottert, wird versteigert, seine Frau eröffnet im Dorf ein Kaffeehaus. Anders Aksel Strom, der Isak nacheifert, nur nicht mit demselben Glück. Lange bleibt er allein. Als Bredes Tochter Barbro als "Hilfe" zu ihm zieht, bringt sie ein Kind zur Welt - und tötet es. Dann verlässt sie ihn. Sie wird vor Gericht gestellt.

Durch Geissler, der Isak einen Kupferberg abkauft, kommt der Bergbau in die Ödmark. Der Probebetrieb macht das Dorf und den Kaufmann Aronsen reich. Als aber der Abbau durch Geissler gestoppt und später am Meer fortgesetzt wird, ist der Katzenjammer groß. Einzig Isak, der keinen Augenblick "seinen natürlichen Platz auf Erden" verlassen hatte, läßt das unbeeindruckt. "Er war unverrückbar", er ist der "Markgraf". Seine beiden Söhne gehen getrennte Wege. Eleseus, der so schöne Bilder malen kann, wird von einem Ingenieur als Schreiber mit in die Stadt genommen (die Analogie zu Hamsuns eigener Biografie ist deutlich). Immer ist er in Geldnöten, kommt nur ungern aufs Land zurück. "Sein Stadtaufenthalt hatte ihn gespalten und feiner gemacht . . ." Später versucht er sich als Kaufmann und verlässt schließlich mit dem letzten Geld, das Isak und Inger vom Verkauf des Kupferberges geblieben ist, die Ödmark in Richtung Amerika. Sivert, als Kind der unstete Rumtreiber, bleibt auf dem Hof, ihn lockt nichts fort. Er gleicht seinem Vater, nur hat er nicht dessen Schwere und Begrenztheit.

Was Hamsun in seinen frühen Werken als die "seelischen Bruchzahlen" eines Einzelnen beschrieb, ist hier auf ein ganzes Gesellschaftspanorama gewendet. Die Figuren sind facettenreich und voller Widersprüche. Jede neue Situation deckt neue Seiten auf. Auf engstem Raum gibt es mehrere Umschwünge. Nie wird eine Figur preisgegeben. Manches erklärt sich erst im Nachhinein oder wird relativiert, nebensächliche Details rücken plötzlich ins Zentrum. Eine Gestalt wie Oline erscheint als ein Ausbund an Neid und Bosheit - auf ihr Konto gehen die beiden Prozesse. Dann wieder ist sie einfach eine alte Frau, die sich durchbringen muss, die ohne Lohn angestellt und wieder fortgeschickt werden kann. Als sie Aksel das Leben rettet, spielt er ihre Tat herunter, um ihr keinen Dank schuldig zu sein. Von einer versprochenen Erbschaft bleibt für sie nichts.

Das Großartige an Hamsuns Figuren ist, dass ihre Ambivalenz und Widersprüchlichkeit der Welt angemessen sind, aus der sie kommen und in der sie agieren. Vor dem Leser breitet sich eine große Metapher unserer Zivilisation aus.

Irritierend dagegen sind Erzählerkommentare oder einzelne Abschnitte, die im Sinne des fabula docet auf Eindeutigkeit aus sind. Zum Beispiel die Schlusspassage: Um die von Eleseus angehäuften Waren verkaufen zu können, sind Sivert und zwei andere Männer schwer bepackt an die Küste gezogen - aber zu ihrer Überraschung ist der Bergbau dort eingestellt. Der Export nach Südamerika lohnt nicht mehr. Sivert trifft Geissler, der auf den Ruinen des Dorfes zu ihm spricht: "Das alles haben die Menschen aufgerichtet, direkt gegen sich selbst. Eigentlich bin ich an allem schuld . . . Ich bin einer von denen, die das Richtige wissen, es aber nicht tun . . . Hör auf mich, Sivert: Sei zufrieden! Ihr habt alles, was man zum Leben braucht, alles, wofür man leben kann, alles, woran man glauben kann, ihr werdet geboren und bringt was hervor, ihr seid die Notwendigen auf der Erde . . . ein Dasein in treuem und richtigem Verhältnis zu allem . . . Mein Sohn . . . glaubt aufrichtig . . . was ihn der Jude und der Yankee gelehrt haben . . . Stell dir vor, das Mittel zum Ziel machen und noch darauf stolz sein!" Geissler aber besitzt "nicht die Fähigkeit zum Handeln ohne Reue". Deshalb will er den Berg von den "schwedischen Herren" wieder zurückkaufen.

So überzeugend der Zweifel am eigenen Handeln ist, erweckt Geisslers Ansprache im zweiten Teil die Vorstellung, man bräuchte sich einfach nur für das "richtige Leben" zu entscheiden, als wäre in Sellanra das "richtige Verhältnis zu allem" garantiert. Doch trotz der Einöde lebt Isak mitten in der Welt des Warenhandels und des Geldes. Bald produziert sein Hof weit mehr, als seine Familie selbst benötigt. Sie werden Arbeitgeber und erhalten Geld für ihre Produkte. Ohne Bergbau gäbe es auch nicht diese wunderbaren Maschinen, die Isak anschafft. In den Dürrejahren ist es paradoxerweise die fremde, importierte Kartoffel, die das Überleben sichert, und nicht das geradezu rituell ausgesäte Getreide. Das quid pro quo ist letztlich dasselbe wie beim Bergbau. Die Ureinwohner, die nomadisierenden Lappen, die am ehesten für einen Gegenentwurf zur "entzauberten Welt" taugen könnten, werden verächtlich gemacht. Hamsun, der - nach seiner zweimaligen Emigration in die Vereinigten Staaten - der angelsächsischen Welt, den "Juden und Yankees" ablehnend gegenübersteht, präsentiert aber mit Isak, dem "Landnahmemann" einen Mythos, der wie kein anderer den "Yankees" vertraut sein dürfte.

Was Autor und Erzähler "uns sagen wollen", ist etwas anderes, als was wir zu lesen bekommen. Wenn Hamsun 1916 in einem Brief klagt: "Ich schreibe und schreibe, und es gelingt mir nicht, die Dienstmädchen davon abzuhalten, Säuglinge zu töten", und er ein Jahr zuvor sogar fordert: "Hängt beide Eltern, merzt sie aus! . . . - der Strick klemmt endgültig", so ist die Intention des Autors, der zur selben Zeit den Säuglingsmord zu einem Hauptmotiv seines Romans macht, nicht schwer zu erraten. Die Lektüre jedoch stellt eine andere Wirkung her: Der Mord Ingers an ihrer neugeborenen Tochter geschieht aus Mitleid - sie soll nicht das gleiche Schicksal erleiden wie sie selbst. Ingers Inhaftierung - sie gesteht alles - erscheint schon als überflüssige Bestrafung. Bei Babro, der Tochter Bredes, liegen die Dinge anders. Sie prahlt sogar damit, schon einmal ein Kind getötet zu haben. Auch diesmal - sie beharrt darauf, dass es ein Unfall gewesen ist - geschah es nicht aus unmittelbarer Not, sondern um unabhängig zu bleiben, wie Geissler erkennt. Trotzdem wird Babros mehrstimmige Verteidigung zu einer nachvollziehbaren Anklage gegen die Gesellschaft: "Wir Frauen . . . sind eine unglückliche und unterdrückte Hälfte der Menschheit. Die Männer machen die Gesetze . . ." Babro wird freigesprochen. Zum Schluss meldet sich der Erzähler mit einem einzigen Satz explizit zu Wort. "Die Menschen verließen den Saal. Die Komödie war zu Ende . . ." Für ihn ist die ausführlich geschilderte Verhandlung nur ein zweifelhaftes Schauspiel. Aber den Leser überzeugt er damit nicht.

Wer die Wahrheit übers unmittelbare Leben erfahren will", heißt es zu Beginn der "Minima Moralia", "muß dessen entfremdeter Gestalt nachforschen, den objektiven Mächten, die die individuelle Existenz bis ins Verborgenste bestimmen. Redet man unmittelbar vom Unmittelbaren, so verhält man kaum sich anders als jene Romanschreiber, die ihre Marionetten wie mit billigem Schmuck mit den Imitationen der Leidenschaft von ehedem behängen . . ." Vielleicht hat Hamsun versucht, unmittelbar vom Unmittelbaren zu schreiben. Aber er kannte die "einfachen Verhältnisse" zu gut und war zu sehr Künstler, als dass er seine Figuren aus der Schlüssigkeit, aus dem poetischen Gleichgewicht hätte fallen lassen. Der Roman ist nicht nur klüger als der Autor. Die Figuren sind auch stärker als der Erzähler. Sie treten über die vorgesehene Markierung, über den Bühnenrand hinaus dem Leser entgegen. Sie wischen den Erzählerkommentar beiseite. Es hängt von den Erfahrungen und Sichtweisen des Lesers ab, wie er die Figuren aufnimmt.

Heinrich Detering fragt in seinem genauen und sehr anregenden Begleittext nach dem Erzähler: "Wem gehört diese Stimme, die unter dem dünnen Schleier von Naivität eine so hochgradig manieristische Artistik entfaltet?" Die "Grenzen zwischen Erzählerkommentar, Erlebter Rede, Innerem Monolog" bleiben ungewiss. Es ist "dieselbe Figur", die aus dem "Ich" von "Hunger" spricht und der Beobachter des Johann Nagel in "Mysterien", "nur versetzt in die fremde Welt der bäuerlichen Kolonisatoren". Es ist dieselbe "Mischung aus Zartgefühl und Ironie, liebevoller Innenansicht und ethnologisch-mitleidlosem Blick".

Hier liegt wohl das größte Verdienst der neuen Übersetzung von Alken Bruns: Dass sie das Disparate der Ausdrucksweisen bestehen lässt. Unangemessenes bleibt unangemessen, Drastisches drastisch. Im Vergleich zu den beiden mir bekannten früheren Übersetzungen gibt es - was eine Reihe von Übereinstimmungen nicht ausschließt - oft knappere Formulierungen, die zugleich gestischer wirken. Beeindruckend ist der Sprachrhythmus.

Wenn Hamsun zu seiner Verteidigung sagte, dass die Zeit für ihn arbeite, so irrte er darin, dass sein Versagen bald vergessen wäre. Für den Leser ist es heute allerdings leichter - nicht zuletzt dank der Übersetzung - sich von vorschnellen Inanspruchnahmen frei zu machen und die poetische Kraft dieses Werkes zu genießen, die sich sowohl über die Position des Autors als auch über die des Erzählers hinwegsetzt.

Die Neuausgabe der Gesammelten Werke umfasst erst vier Bände. Noch kann man also relativ unaufwendig der Edition folgen, um Buch für Buch Hamsun (wieder oder erstmals) zu lesen.

Knut Hamsun: "Segen der Erde". Roman. Aus dem Norwegischen neu übersetzt von Alken Bruns. List Verlag, München 1999. 400 S., geb., 44,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Aldo Keel scheint es sehr zu begrüßen, dass dieser Roman, für den Hamsun 1920 den Nobelpreis erhielt, nun in einer neuen Übersetzung erschienen ist. Die Übertragung durch Alken Bruns lasse frühere Versionen `recht papieren` wirken, zumal es ihm gelungen sei, gerade die Lebendigkeit der Sätzen Hamsuns zu bewahren. Keel versucht in seiner Rezension, dieses Buch gegen den Vorwurf zu verteidigen, Hamsun habe hier ein `Blut-und-Boden-Epos` geschrieben. Dafür sei das Buch viel zu `ironisch, vieldeutig und desillusionistisch`. Den Protagonisten findet er in keiner Weise heldenhaft. Vielmehr fühlt sich Keel bei dem Protagonisten Isak an einen `Komiker eines Stummfilms` erinnert. Darüber hinaus weist Keel auf zahlreiche Gegensätze in diesem Buch hin. So gebe es zwar durchaus `Identifikationsangebote`, die aber sogleich wieder sabotiert werden. Auch der Zynismus Hamsuns ist ihm aufgefallen, andererseits gibt es komische oder auch verletzliche Passagen. Aus der Tatsache, dass Hamsun prinzipiell auch eine Nähe zu faschistischen Gedanken aufwies, macht der Rezensent in seiner Besprechung keinen Hehl.

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