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Moralische Unordnung ist der Roman von Margaret Atwoods Leben. All ihren Scharfsinn, ihren erbarmungslosen Humor richtet sie wie Scheinwerfer auf das eigene Leben, und das Ergebnis zählt zum Besten, was wir von dieser großen Erzählerin kennen.
Nur die erste Geschichte bricht aus der Chronologie dieses Lebens aus. Sie zeigt ein älteres Paar, das aus dem Kanada der Gegenwart in der Phantasie der Frau plötzlich in die Spätzeit des Römischen Reiches versetzt wird: Die Barbaren kommen! Dann aber führt das Buch in die Kindheit der Erzählerin Nell, schildert die kluge, lebenstüchtige, aber ein…mehr

Produktbeschreibung
Moralische Unordnung ist der Roman von Margaret Atwoods Leben. All ihren Scharfsinn, ihren erbarmungslosen Humor richtet sie wie Scheinwerfer auf das eigene Leben, und das Ergebnis zählt zum Besten, was wir von dieser großen Erzählerin kennen.
Nur die erste Geschichte bricht aus der Chronologie dieses Lebens aus. Sie zeigt ein älteres Paar, das aus dem Kanada der Gegenwart in der Phantasie der Frau plötzlich in die Spätzeit des Römischen Reiches versetzt wird: Die Barbaren kommen! Dann aber führt das Buch in die Kindheit der Erzählerin Nell, schildert die kluge, lebenstüchtige, aber ein wenig kühle Mutter, den praktischen, robusten Vater, einen Insektenforscher, und die viel jüngere, psychisch labile Schwester. Als Nell das Elternhaus verlässt, verdient sie ihr Geld mit freier Lektoratsarbeit. Sie lernt den Mann ihres Lebens, Tig, kennen, der aber noch mit Oona verheiratet ist und zwei Söhne hat. Vor dieser Ehe läuft Tig nur sehr langsam davon, quälend lang dauert es, bis er sich wirklich trennt. Diese alte Geschichte" von der Ehefrau und der Geliebten, wie Lillie, eine liebenswerte Immobilienmaklerin, es nennt, ist der Kern des Buches - und Lillie selbst ist ein Kabinettstückchen von Atwoods Porträtkunst. Aber da sind
noch andere solcher Glanzstücke: Tig, der überaus gutwillige, aber gerade deshalb fast unerträgliche Mann, Oona, die Tig und Nell zusammenbringt, dann aber nicht aushält, was sie angerichtet hat, und schließlich die Tiere, Gladys, das trotzige Welsh Pony, und der neurotische Hund Howl. Dies ist ein großartiges Buch, in dem die ganze stilistische Virtuosität, die Leichtigkeit, der Witz und die Ironie Atwoods wie Scheinwerfer auf ihr eigenes Leben gerichtet werden. Ein atemberaubendes Experiment.
Autorenporträt
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, ist eine der wichtigsten Autorinnen Kanadas. Ihre Werke liegen in über 20 Sprachen übersetzt vor und wurden national und international vielfach aus gezeichnet. Neben Romanen verfasst sie auch Essays, Kurzgeschichten und Lyrik. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Booker Prize, dem kanadischen Giller Prize und mit dem Prinz-von- Asturien-Preis (2008),mit dem Nelly-Sachs-Preis (2009) und dem PEN Pinter Prize (2016).
Sie lebt mit ihrer Familie in Toronto.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2008

Ein Gehirn, das umherzieht
Margret Atwoods Roman „Moralische Unordnung”
Margret Atwood ist eine streitbare Frau. In ihrem umfangreichen Werk zeigt sie sich als sympathisch unverkrampfte Denkerin, weniger als erstklassige Stilistin. Ihre Gedanken schweben durch das politische und gesellschaftliche Universum, wo sie offen und engagiert auf das geistige oder triviale Leben reagieren. Die 1938 in Ottawa als Tochter eines Insektenforschers geborene Literaturdozentin und viel schreibende Autorin geht den diversen Gegenständen ihres Interesses auf den Grund, weil auch das tausendste Fliegenbein wert ist, gezählt und mikroskopisch untersucht zu werden. Horrorszenarien vom Weltende („Oryx und Crake”) finden sich in ihrem umfangreichen Werk neben Studien vom kleinen irdischen Glück und Wahn.
„Moralische Unordnung” ist eine schöne Überschrift mit einer noch schöneren Pointe. Margret Atwoods Mann, der Schriftsteller Graeme Gibson, verfasste vor zwölf Jahren einen Roman, beschloss während der Arbeit, nicht weiterzuschreiben und überhaupt nie mehr zu veröffentlichen, und schenkte seiner Frau den Titel. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn Margret Atwood nicht den Plan gehabt hätte, ihrem Mann den Titel, mit ihrer gemeinsamen Geschichte gefüllt, zurückzuschenken. War es eine perspektivische Wahrnehmungsverschiebung, eine Hemmung oder ein schwerer Fall von Diskretion? Tig, der Mann an der Seite Nells, der Erzählerin, ist die Figur, um die sich fast alles dreht. Doch dieser Tig bleibt nur eine Eminenz im Hintergrund, von der Autorin mit weniger Leben ausgestattet als ein Foto im Rahmen.
Man betritt das Buch durch das Nadelöhr des Alters, trifft Nell und Tig vor dem Frühstück, sie wälzt sich noch im Bett herum, er hat schon die schockierenden Schlagzeilen des Tages gelesen und will sie ihr mitteilen. Sie will sie noch nicht hören und flüchtet in Phantasien, die ihr aber auch nichts Besseres als einen Vogel mit einem Korb fauler Eier im Schnabel hinschieben. Aus den kurzen Reflexionen über das Alter, seine Ängste, Resignationen und Verweigerungen, entkommt die Erzählerin durch einen Trick. Sie erinnert sich an den Besuch eines römischen Ruinenorts, umkreist im großen Bogen Römer, Götter und Barbaren und landet beim Albtraum, morgens zu erwachen und den Mann nebenan nicht mehr atmen zu hören.
Das Leben, ein Kreislauf
Da das Leben ein Kreislauf ist, in dem sich vorahnende Ängste unter unterschiedlichen Vorzeichen wiederholen, springt die Handlung im zweiten Kapitel von der gealterten Nell zurück zur elfjährigen Nell, die, weil die Mutter schwanger ist, wie eine Besessene Babysachen strickt. Stricken ist die Ablenkung für Nells Panik, das dieses Baby das Leben ihrer Mutter bedroht. Die kleine Leonie wird geboren und für Nell der Klotz am Bein bleiben.
Nell ist ein patenter Mensch. Sie hilft allen. Der Schwester, durchs Leben zu kommen, den Eltern, die Nerven zu behalten, dem Jugendfreund, Lyrik zu interpretieren. Als Studentin und Dozentin zieht sie durch Städte, Universitäten, Pensionen, Appartements und Kellerzimmer, davon überzeugt, nichts als ein „umherziehendes Gehirn” zu sein. Der betonte Stolz Nells auf ihre Intellektualität bricht sich an den heruntergespielten Beschreibungen des Berufslebens. Nell stößt auf Frauen, die ihre Ehemänner bewachen, und auf trostlose Männer, die niemand bewacht. Eines Tages trifft sie auf Tig. Tig ist mit Nells Freundin Oona verheiratet. Oona will, dass Nell sich um Tig kümmert, und Nell sitzt, als Tig und sie ein Paar werden, in Oonas Falle. Zuerst setzt Oona ihre Söhne als Drohpotential ein, dann ihre eigene, anspruchsvoll hilflose Person. Oona ist Tigs schwer zu ertragende Mitgift. Auch das Leben auf einer einfachen Farm ist kein Honigschlecken, und als „seine” Söhne sich an den Zustand gewöhnt haben, eine Tochter geboren wird, zieht man wieder um, weil man älter und wohlhabender geworden ist. Und alles ist so, wie das doppelte Rollenspiel, das Nell und ihr Pferd vollführen. „Nell tat so, als wäre sie eine Person, die ein Pferd ritt, und Gladys tat so, als wäre sie ein Pferd, das geritten wurde.”
Und die Erzählerin schreibt ein Buch über eine verrückte Schwester und eine zickige, verlassene Ehefrau, obwohl sie ein Buch über Tig schreiben wollte. Am Ende räsoniert Nell über ein „verknäultes Leben”, das sie erzählen oder „begraben” kann. „Letztlich”, folgert die Autorin „werden wir alle zu Geschichten. Oder zu Wesenheiten. Vielleicht ist es dasselbe.”VERENA AUFFERMANN
MARGRET ATWOOD: Moralische Unordnung. Deutsch von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2008. 253 Seiten. 19.90 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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'Moralische Unordnung ist die ergreifend ehrliche Abbildung häuslicher Realität: die elf sehr persönlichen Kapitel fügen sich zu einem großen Familienporträt voller Nostalgie, Reue, Weisheit und Melancholie.' (THE NEW YORK REVIEW OF BOOKS)

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In ihrem autobiografischen Roman erweist sich Margret Atwood einmal mehr als "Meisterin im Verweisen", stellt eine insgesamt sehr eingenommene Bernadette Conrad fest. In elf in sich durchaus geschlossenen Episoden erzählt die kanadische Autorin aus ihrem Leben, die ihren Reiz aus der Verweigerung üblicher biografischer Muster beziehen, meint die Rezensentin. Insbesondere bewundert die Rezensentin das Geschick, mit dem Atwood ihre Geschichten aus dem Leben um "Leitmotive" herum gestaltet und darin das äußerst dichte und genaue Porträt einer Frau gestaltet. Bewunderungswürdig findet Conrad auch die sichere Eleganz, mit der die Autorin Zeiträume streckt oder dehnt, Sprünge und Auslassungen einsetzt, und wenn ihr die drei mittleren Kapitel, in denen das Eheleben mit Haustieren und Stiefsöhnen geschildert wird, auch ein wenig konturlos erscheint, so findet sie die Autorin in diesem Buch dennoch "at her best", wie sie betont.

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