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sleepwalker

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Insgesamt 534 Bewertungen
Bewertung vom 03.10.2025
Blazon, Nina

Hans Christian Andersen


ausgezeichnet

Meine erste Begegnung mit Hans Christian Andersen verursachte bei mir ein tiefsitzendes Trauma, denn seine „Eisprinzessin“ verfolgte mich sehr lang in meinen Alpträumen. „Hans Christian Andersen. Mit dem Märchendichter im Südwesten“ von Nina Blazon hat mich mit dem dänischen Schriftsteller versöhnt. Und das so sehr, dass ich beim nächsten Besuch in Dänemark unbedingt Odense besuchen muss.
Aber von vorn.
Hans Christian Andersen wurde 1805 in Odense auf der dänischen Insel Fünen geboren. 1819 machte er sich auf den Weg nach Kopenhagen, das war nur eine seiner vielen Reisen. Die erste unternahm er, um in der Hauptstadt Schauspieler zu werden. Das klappte nur mäßig und er hatte das Glück, nach seinem Rausschmiss aus der Elevenschule 1822 einen Gönner zu haben, der ihm höhere Bildung ermöglichte. Der Finanzbeamte Jonas Collin sorgte dafür, dass der magere, hochgewachsene Junge aus der Provinz die Lateinschule in Slagelse besuchen konnte. Anschließend besuchte er die Lateinschule in Helsingør und später die Universität in Kopenhagen. Seine Passionen Schreiben und Reisen begleiteten ihn ein Leben lang. Aus Dankbarkeit nimmt er erst Söhne seines Gönners Collin mit in die Ferne, später auch einen Enkel. Selbst nie verheiratet, war Andersen wohl des Öfteren verliebt – in Frauen und Männer gleichermaßen. Nina Blazon wandelt auf den Spuren des Dichters im Südwesten der Bundesrepublik, zusammen mit den beiden besucht die Leserschaft unter anderem Heidelberg, Stuttgart und Wildbad, man reist gemeinsam in Kutsche und Diligence (Express-Kutsche) und in der Eisenbahn. Geschichten treffen bei den Reisen auf Geschichte. Der Bau des Ulmer Münsters, die Neu-Ordnung Europas durch Napoleon, das Aufkommen der Eisenbahn – das alles hat HC Andersen miterlebt, die Anekdoten hat er in seinem Tagebuch notiert oder in seinen Werken verarbeitet. Seine Reisen waren durch Treffen mit großen Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik geprägt.
Man spürt die Begeisterung Andersens für das Reisen an sich, für die Sehenswürdigkeiten und für einige der Menschen, denen er begegnete. Und man spürt die Begeisterung Nina Blazons für Andersen. Und diese Begeisterung ist ansteckend. Sie beschreibt den Dichter sensibel und fast wie einen alten Freund. Sie geht nicht mit ihm ins Gericht, wenn seine Hypochondrie ihm Durchfall, Kopf- und Zahnschmerzen beschert, seine Angewohnheit, seine Wertsachen in den Schuhen zu verstecken, weiß sie ebenfalls zu erklären. Sie beruft sich dabei auf sein Tagebuch, das eigentlich gar nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht war. Darin schreibt er nämlich ungeschliffen und ganz sicher nicht druckreif. Aber er schreibt ehrlich und authentisch, ungeschönt und menschlich.
Sprachlich war das Buch für mich ein Hochgenuss und es brachte mir den Dichter so nahe, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Ich hätte noch ewig weiterlesen können. Ich empfehle das Buch Freunden von Biografien, dänischer Literatur, Märchen – eigentlich kann ich es jedem empfehlen, es ist ein wirkliches Highlight.

Bewertung vom 03.10.2025
Kling, Marc-Uwe;Henn, Astrid

Der Tag, an dem Max dreimal ins Auto gekotzt hat


ausgezeichnet

Als wären Familienfeiern an sich nicht schon stressig genug – man muss ja auch noch anreisen. Wie so eine Anreise aussehen kann, hat Marc-Uwe Kling in „Der Tag, an dem Max dreimal ins Auto gekotzt hat“ sehr treffend beschrieben. Das Buch ist der fünfte Teil seiner „Trubel bei Tiffany“-Reihe. Ich habe das Hörbuch abends vor dem Einschlafen gehört und bin beinahe vor Lachen aus dem Bett gefallen. Für mich hätte es gerne noch viel länger sein dürfen.
Aber von vorn.
Tante Ilse will heiraten. Zum vierten Mal. Und dann auch noch in Wuppertal. Tiffany und Familie planen, mit dem Auto anzureisen, obwohl Opa Gerhard so viel lieber mit dem Zug gefahren wäre. Die Reise steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Mama ist genervt vom Packen. Papa hat einen Kratzer ins Auto gefahren, das er sich von seinem Chef geliehen hat und das hat auch noch der Nachbar gesehen. Oma sucht ihr Handy, Luisa hat Hormone und Tiffanys großer Bruder Max ist nach einer durchzechten Nacht etwas grün um die Nase. Tiffany hat als einzige gute Laune, muss aber immer mal wieder aufs Klo. Und dann wird Max auch noch schlecht. Mehrmals.
Vorab: das Buch und vor allem das Studio-Hörbuch sind für Emetophobiker absolut nicht geeignet. Die „schrägen Geräusche und Musik von Boris Löbsack“ triggern stark, die Live-Lesung ist da gemäßigter. Ich fand die Live-Lesung insgesamt besser, zwar werden beide vom Autor selbst gelesen, aber live spielt er mehr mit den Stimmen und das hat mich mehr abgeholt.
Ich kannte aus der Reihe bislang nur „Der Tag, an dem Tiffany das Wasser aus der Wanne geschaukelt hat“, aber natürlich kann man „Der Tag, an dem Max dreimal ins Auto gekotzt hat“ auch ohne Vorkenntnisse lesen/hören. Alle wichtigen Informationen werden in die neue Geschichte eingebaut, außerdem ein paar Querverweise auf andere Werke des Autors wie „Das Klugscheißerchen“ oder „Die Känguru-Chroniken“. Das Buch hat durchaus auch eine gewisse unerwartete Spannung. Wann wird Max kotzen? Wird Papa noch mehr Kratzer ins Auto fahren? Findet Oma ihr Handy? Lässt er Opa am Bahnhof aussteigen, damit der mit dem Zug fahren kann? Wann und wie oft muss Tiffany aufs Klo? Und wird jemand „Wann sind wir endlich da?“ fragen?
Autofahrten wie diese hat sicher jeder schon einmal erlebt, entweder aus Kinder- oder aus Erwachsenen-Perspektive. Bei vielen Stellen konnte ich daher nicken, vor allem, da mir beim Autofahren auch immer schlecht wir. Die Charaktere in der Geschichte sind detailliert und bildhaft ausgearbeitet und beschrieben. Sie sind alle so wunderbar stereotyp, dass es schon fast Kult ist. Das Hörbuch hat mich absolut begeistert, aber ich denke, Marc-Uwe Kling könnte auch das Wuppertaler Telefonbuch vorlesen, ich würde es mir anhören. Ich bin mir sicher, auch dort würde er noch Wortwitz und einen Hauch Gesellschaftskritik unterbringen. Von mir die volle Punktzahl.

Bewertung vom 03.10.2025
Johannsen, Anna

Das erkaufte Glück


gut

Mit „Das erkaufte Glück“ startet Anna Johannsen in eine neue Krimi-Serie. Ich kenne die Autorin bereits von den Büchern über die Inselkommissarin Lena Lorenzen, das Ermittlerduo Hanna Will und Jan de Bruyn und natürlich von ihren Enna Andersen-Krimis, daher war ich gespannt, was für eine Ermittlerin sie uns in der neuen Reihe serviert. Ich muss sagen, ich bin mit Lea Nielsen nicht wirklich warm geworden.
Aber von vorn.
Lea Nielsen hatte beim LKA in Hannover eine vielversprechende Karriere vor sich, gab ihre Stelle aber zugunsten eines Jobs in der Provinz, genauer gesagt, in Wittmund, Ostfriesland, auf. Warum sie diesen Schritt gegangen ist, weiß niemand außer ihr selbst. Ihr Vater Karl ist an Demenz erkrankt und, obwohl dieser die Familie im Stich gelassen hatte, als sie noch sehr jung war, möchte sie sich um ihn kümmern. Als dann Maya van Berg vermisst wird, steht Lea vor ihrer ersten Bewährungsprobe im neuen Job. Der Vermisstenfall wird erst als „weggelaufene 19Jährige“ behandelt. Aber kurze Zeit später wird ihr Auto in einem Wald gefunden, ganz in der Nähe liegt der Autoschlüssel. Und damit nicht genug: wenige Tage später bekommen ihre Eltern ein Erpresserschreiben. Die Entführer fordern eine Million Euro in kleinen Scheinen. Dazu verlangen sie von Mayas Mutter, die als Life Coach erfolgreich ist, eine schriftliche Erklärung an alle Kunden „was für eine durchtriebene und geldgeile Person“ sie sei. Tatsächlich ist Sonja van Berg absolut unkooperativ und verweigert die Zusammenarbeit mit der Polizei. Noch dazu erfüllt sie die Forderung der Entführer nicht zufriedenstellend und diese erhöhen das Lösegeld auf zwei Millionen, die Forderung wird durch ein Video der Entführten unterstrichen. Den Ermittlern läuft die Zeit davon.
Mit „Das erkaufte Glück“ hat Anna Johannsen das Rad nicht neu erfunden, aber ist ein bodenständiger Krimi, der mich gut unterhalten hat. Es war nett, mitzuraten, zumal der Krimi einige unerwartete Wendungen nimmt. Lokalkolorit spielt, wie in allen Büchern von Anna Johannsen, eine große Rolle. Mit ihrer neuen Ermittlerin hat die Autorin einen Charakter mit Ecken und Kanten geschaffen, der zu Alleingängen neigt und immer wieder fällt der Satz „es ist kompliziert“. Und genau das ist es: kompliziert. Für mich war das Buch eine Achterbahnfahrt aus Spannung, zu vielen ähnlichen Charakteren und jeder Menge Privatleben der Protagonistin. Diese Privatleben macht einen erheblichen Teil des Buchs aus, wobei Lea eben dieses vor den Kollegen geheim hält. Das Verhältnis zu den Kollegen ist ebenfalls kompliziert, sie fügt sich schlecht in das Team in Wittmund ein. Die Kollegen machen es ihr auch nicht leicht, sie trifft auf Mansplaining, Misogynie und Ablehnung.
Die Protagonistin ist gut beschrieben, leider fand ich sie nicht besonders sympathisch. Vermutlich brauche ich noch ein oder zwei Bücher mit ihr, um mich an sie zu gewöhnen. Vor allem der Spagat zwischen beruflicher Herausforderung und der Belastung durch ihren demenzkranken Vater ist sehr gut dargestellt und gibt ihr eine menschliche Komponente. Ihre Überforderung ist einer der wenigen Punkte, der sie für mich nahbar machen. Sonst weiß ich noch nicht, was ich von der Polizeibeamtin, die die Polizeischule nach dem ersten juristischen Staatsexamen besucht hat, halten soll. Die meisten anderen Charaktere sind eher blass, abgesehen von Leas Freund Jan, ihrem Vater Karl und Sonja, der Mutter der vermissten Maya. Diese Personen werden sehr detailreich beschrieben. Sehr viele Details widmet Anna Johannsen auch Sonja van Berg, der verschwurbelt angehauchten Mutter, die als Life Coach reich geworden ist.
Obwohl das Buch ein solider Krimi, sprachlich gut geschrieben und leicht zu lesen ist, fehlte mir über weite Strecken die Spannung, selbst eine Verfolgungsjagd konnte mich nicht wirklich packen. Für mich schaffte „Das erkaufte Glück“ die Balance zwischen Roman und Krimi nicht ganz, da das Privatleben der Ermittlerin und das Kompetenzgerangel in der Dienststelle viel Platz einnehmen. Da verkommen die komplizierten und komplexen Ermittlungen manchmal fast zur Nebensache, was ich sehr schade finde.
Aber natürlich werde ich auch diese Serie weiterverfolgen. Von mir gibt es für den Auftakt drei Sterne.

Bewertung vom 22.09.2025
Sawatzki, Andrea

Biarritz


ausgezeichnet

„Biarritz“ ist das neue Buch von Andrea Sawatzki. Nach „Brunnenstraße“ ist es das zweite Werk der bekannten Schauspielerin über die Beziehung zu ihrer Mutter. Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut, da ich vom Hörbuch zu „Brunnenstraße“ begeistert war. Und auch „Biarritz“ enttäuschte mich nicht.
Aber von vorn.
Hannas Mutter Emmi lebt in einem Pflegeheim und ihre Demenz schenkt ihr kaum noch klare Momente. Das Mutter-Tochter-Verhältnis war schon immer kompliziert. Die Mutter war bei Hannas Geburt ledig, die erste Zeit verbrachte das Baby auf der Kinderstation des Krankenhauses, in dem Emmi arbeitete, später dann bei einer Pflegemutter und noch später konnten die beiden zusammenleben. Erst als Hanna acht Jahre alt war, konnten die Eltern nach dem Selbstmord der Ehefrau des Vaters zusammenziehen. Statt des erträumten harmonischem Familienleben wurde aber alles noch schwieriger. Der Vater, den das Mädchen sich so sehr gewünscht hatte, erkrankte früh an Demenz und Hanna musste sich um ihn kümmern, während die Mutter den Familienunterhalt verdiente und die hohen Schulden des Vaters abstotterte. Jetzt ist die Mutter ebenfalls dement, Hanna kann sich allerdings leisten, sie in einem Heim unterzubringen. Dort lernt sie auch Marianne kennen, eine ehemalige Kollegin und Freundin der Mutter. Marianne verschafft Hanna einen tieferen Einblick ins Leben ihrer Mutter, erlaubt ihr andere Sichtweisen und Hanna lernt ihre Mutter auf eine neue Art kennen.
Angehörige zu begleiten, die dement sind/werden, ist schwierig genug. Wenn man aber schon vorher ein schwieriges Verhältnis zu ihnen hatte, ist es noch viel schwieriger. Wie soll man einen Zugang zu dem Menschen bekommen, ihn besser kennenlernen, lange vermisste Nähe zu schaffen, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, sich zu erklären. Emmi ist inzwischen praktisch nonverbal, sitzt im Rollstuhl und Hanna besucht sie mehr aus Pflichtgefühl jeden Sonntag, denn „Sonntage waren immer schon dazu da gewesen, mit Verwandtschaftsbesuchen gefüllt zu werden“. Hanna hat Glück. Sie trifft auf Marianne Kirschbaum, eine alte Freundin der Mutter, jemand, der sie anders kennengelernt hat, jemand, der sie kannte, bevor sie Geliebte, später Mutter und, noch später, frustrierte Ehefrau wurde. Erst durch sie erfährt sie von Biarritz, dem Sehnsuchtsort der Mutter. An dem Badeort im äußersten Südwesten Frankreichs durfte Emmi vor einigen Jahrzehnten eine glückliche Zeit verbringen. Aber er ist auch der Inbegriff von Freiheit und Unbeschwertheit, ein Symbol für ein anderes Leben.
In gewisser Weise ist „Biarritz“ eine Fortsetzung zu „Brunnenstraße“. Es empfiehlt sich auch, beide zu lesen, wobei es viele Überschneidungen gibt. In „Biarritz“ ist Emmi die zentrale Figur, wie an den Sonntagen im Pflegeheim ist Hanna auch in der Handlung eher eine Besucherin oder eine außenstehende Beobachterin. Das Buch ist gut aufgebaut, sprachlich angenehm zu lesen und Andrea Sawatzki schafft es, düstere und schwere Kost manchmal sprachlich fast leichtfüßig zu servieren. Ich spürte beim Lesen eine tiefe Verbundenheit mit der autofiktionalen Hanna und eine große Hochachtung für sie. Sie musste in jungen Jahren die Pflege des dementen Vaters, den sie noch nicht einmal wirklich gut kannte, meistern, wurde mit ihren Gefühlen alleingelassen.
Das Buch hat mich sehr berührt. Es regt zum Nachdenken an. Die Autorin thematisiert den Umgang mit alten Menschen im Allgemeinen und mit Demenzbetroffenen im Besonderen. Auch die unglückliche Ehe der Eltern, der Umgang der Gesellschaft mit unverheirateten Müttern und die Tatsache, dass Hanna sich um ihren Vater kümmern musste, wird in diesem Buch, wie auch in „Brunnenstraße“ beschrieben. Diese Parentifizierung war eine krasse Überforderung und die Konsequenz waren nicht nur schlechte Schulnoten wegen fehlenden Nachtschlafs, selbst die Mutter merkte, dass „ihr lebendiges, abenteuerlustiges Kind zunehmend stiller, verzagter“ wurde. Das Buch handelt von Hass, Liebe, dem Streben nach Zuneigung und dem Wunsch, andere, vor allem die eigenen Eltern, stolz zu machen. Wer bei der Lektüre von „Brunnenstraße“ Emmis Perspektive vermisst hat, bekommt sie jetzt. Andrea Sawatzki schließt Lücken, die bei „Brunnenstraße“ geblieben sind und fördert das Verständnis für das Verhalten von Emmi, denn man versteht jetzt auch besser, was in ihr vorging, wenn sie ihre Tochter jeden Abend mit dem unkontrollierbaren kranken Vater alleinlassen musste. Von mir gibt es dafür 4,5 Sterne, aufgerundet auf 5.

Bewertung vom 22.09.2025
Flitner, Bettina

Meine Mutter


gut

Fast genau zwei Jahre nach ihrem Roman „Meine Schwester“ legt Bettina Flitner mit „Meine Mutter“ ein zweites Buch zu ihrer Familiengeschichte nach. Ich kannte die Autorin vorher nicht, allerdings sprach mich der Klappentext an, Erwartungen oder gar Ansprüche hatte ich an das Buch nicht. Ich habe das Buch innerhalb kürzester Zeit gelesen und dennoch hat es mich nicht hundertprozentig begeistert, denn die Distanz, mit der die Autorin über alles schreibt, hat sich auf mich übertragen.
Aber von vorn.
Bettina Flitner kommt für eine Lesung aus ihrem Buch „Meine Schwester“ zurück nach Celle. Dort hat sie vor 40 Jahren ihre Mutter Gila beerdigt. Erinnerungen prasseln auf die Autorin ein und ihr wird klar, dass sie große Wissenslücken bezüglich ihrer Familie hat. Suizide spielen eine große Rolle in der Familie, soviel weiß sie. Ihre Mutter und ihre Schwester haben im Abstand von 30 Jahren Suizid begangen. Aber sie waren nicht die ersten. Bettina Flitner reist in die Vergangenheit ihrer Familie und sucht ihre Wurzeln im polnischen Międzygórze (ehemals Wölfelsgrund), wo ihr Ururgroßvater Heinrich seinerzeit ein Sanatorium gründete. Bettina Flitner versucht, sich ihrer Mutter anzunähern, trifft auf fiktionaler Ebene ihre Vorfahren und das Mädchen und die „Frau, die einmal meine Mutter werden wird“.
Die Autorin wurde schon früh mit Suiziden konfrontiert. Sie erinnert sich, dass sie bei Familienfesten mit ihren Cousins und Cousinen die Verwandten zählte, die diesen Weg gingen: „Richard und Elfriede. Mit ihnen fingen wir an. Ich hob eine Hand in die Luft und zählte mit den Fingern mit. Richard und Elfriede, Daumen und Zeigefinger. Tante Erika, Onkel Christoph, Mittelfinger, Ringfinger. Tante Gudrun, Onkel Holger, kleiner Finger, Daumen der nächsten Hand. Wie viele waren es? Die Finger von zwei Händen reichten nicht aus.“ Was macht es mit einer Jugendlichen, die am Morgen ihrer Abiturprüfung das Leben ihrer Mutter nach einer Überdosis Schlaftabletten retten muss? Wie lebt man mit steten Gefühlsschwankungen und der Angst, die Mutter irgendwann tot aufzufinden? Und wie arbeitet man diese Erlebnisse auf, wenn die beiden wichtigsten an ihnen Beteiligten nicht mehr da sind? Sie können kein Licht mehr ins Dunkel bringen, keine Erklärungen zum „Warum?“ abgeben. Für mich schildert die Autorin das zu beiläufig und zu distanziert, aber für sie selbst ist das vermutlich genau richtig.
Das Buch ist sprachlich ansprechend und gut zu lesen. Es übte auf mich beim Lesen einen unerklärlichen Sog aus, vermutlich, weil ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass ich zu den Charakteren eine (Ver)Bindung aufbauen würde. Das ist aber nicht passiert, vielleicht auch, weil es einfach viel zu viele Namen sind, die auf mich bei der Lektüre einprasselten. Manchmal scheint die Geschichte der Mutter auch etwas zum Nebenthema zu werden, die Gesellschaftskritik und die Rolle der Frauen ist manchmal zu dominant. Die Frauen in Bettina Flitners Familie sollten eine gute Partie machen, die Männer gehen allesamt irgendwann fremd. Opa Api hat zusammen mit seiner Tochter Gudrun nach dem Ende des Krieges bei vergew****en Frauen und Mädchen Abtreibungen vorgenommen. Dabei drückt er in seinem Tagebuch die Verachtung gegenüber den Opfern klar aus: „An den Ver*****gungen sind die Frauen großenteils selbst schuld“. Auch an seiner Tochter Gila lässt er sogar bei ihrer Beerdigung kein gutes Haar: „Sie hat nie etwas getaugt“.
Ich tat mich mit dem Aufbau des Buchs etwas schwer, man musste sich schon sehr konzentrieren, um zu wissen, in welcher Zeit man sich gerade befand. Auch die stetige Erwähnung einer Patientin im Sanatorium als „Ida Grünfeld, verheiratete Benjamin“ machte mich traurig, denn Frau Benjamin war ein eigenständiger Mensch und nicht nur „Frau von“. Da zeigt die Autorin einerseits den Zeitgeist der 1940er Jahre, aber auch etwas, was mir widserstrebt.
Der Roman beruht auf Gesprächen mit Familie und Zeitzeugen, Tagebüchern, Briefen und Dokumenten und natürlich besteht er auch aus einer großen Portion Fiktion. Was tatsächlich passiert ist und was fiktional ist, kann man nicht erkennen, das weiß nur die Autorin selbst, und nicht einmal sie kennt die wirkliche Geschichte komplett. So überraschte sie, dass jemand auf einem Foto die NSDAP-Parteiabzeichen auf der Jacke ihres Opas mit Bleistift übermalt hat. Für mich war das Buch auf jeden Fall zu viel Familie und zu wenig Mutter, daher vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 17.09.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


ausgezeichnet

Eine verschwundene ältere Dame. Ein Ehemann, dem das gänzlich egal zu sein scheint. Eine Familiengeschichte mit Geheimnissen. Das sind grob die Themen, die Katja Keweritsch in ihrem Roman „Das Flüstern der Marsch“ behandelt. Ich mag Marschland, ich stamme selbst aus einer komplizierten Familie und der Klappentext sprach mich an. Dass mich das Buch aber auf eine so wilde Fahrt mit gänzlich unerwarteten Wendungen mitnehmen würde, das hatte ich dann doch nicht erwartet.
Aber von vorn.
Opa Karls 80. Geburtstag steht vor der Tür und ausgerechnet jetzt ist seine Frau Annemie verschwunden. Wäre Enkelin Mona nicht wegen der Familienfeier in die Marsch gekommen, wäre es vielleicht gar nicht aufgefallen, dass Oma abgängig ist, denn Opa scheint sie nicht zu vermissen. Auch die anderen Familienmitglieder nehmen Omas Verschwinden hin, es gibt eine halbherzige Vermisstenanzeige bei der Polizei und eher unmotiviertes Nachfragen im Freundes- und Bekanntenkreis. Also sucht Mona auf eigene Faust nach ihr, forscht im Ort und im persönlichen Umfeld nach und taucht gegen den Willen ihres Opas tief in die Familiengeschichte ein. Sie findet in Omas zurückgelassener Geldbörse ein Babyfoto, das weder einen ihrer beiden Onkel Stefan und Sven noch ihre Mutter Sabine zeigt. Je tiefer sie dann in den Familiengeheimnissen gräbt, desto Unfassbareres fordert sie zu Tage.
Im Mittelpunkt von Katja Keweritschs Roman stehen Frauen aus unterschiedlichen Generationen, deren Geschichten in unterschiedlichen Strängen erzählt werden. Jede der Frauen ist an einem Punkt im Leben mehr oder weniger gewollt schwanger und die Autorin zeigt auf, dass sich im Lauf der Zeit für die Frauen außer ihrer rechtlichen Situation nicht viel verändert hat.
Annemie war in den 1960ern als unverheiratete Minderjährige schwanger (damals lag das Alter für die Volljährigkeit noch bei 21) und hatte keinerlei Rechte. Die Vormundschaft für ihr Kind konnte nur der Vater des Kindes oder ihr eigener Vater übernehmen, alleinstehenden Frauen wurde nicht zugetraut, für ein Kind sorgen zu können und ihm ein „stabiles Umfeld, ein moralisch einwandfreies Zuhause“ bieten zu können.
Janne wurde zu Anfang ihrer Beziehung mit Stefan schwanger und die beiden haben deswegen geheiratet. Die Ehe ist nicht glücklich, Stefan leidet unter einer Zwangsstörung und lässt seine Frau mit der kompletten „Care-Arbeit“ und dem mental load mit den inzwischen drei Kindern allein, flüchtet sich in Sport und die freiwillige Feuerwehr.
Mona, die jüngste der Frauen in der Familie, ist ebenfalls ungeplant schwanger. Sie ist die erste, die von niemandem unter Druck gesetzt wird, heiraten zu müssen, sie hat auch die Wahl, das Kind eventuell gar nicht erst zu bekommen. Als frischgebackene Restauratorin stößt sie in ihrem ersten Job nach Ausbildung und Studium allerdings auf geballte männliche Toxizität und muss sich mit Frauenfeindlichkeit und Altherrenwitzen herumschlagen.
Das Verschwinden von Oma Annemie und die halbherzige Suche nach ihr ist Nebensache im Buch und kann symbolisch für die Suche nach Identität und des weiblichen Selbstverständnisses gesehen werden. Auch die dysfunktionale Familie ist nicht das Hauptthema, auch wenn diese exemplarisch die Quelle von allem ist. Es geht um Unterjochung und Befreiung, schwarze Pädagogik nach Haarer und die Tatsache, dass sich zwar einiges getan hat, aber immer noch nicht genug.
Sprachlich fand ich das Buch enorm ansprechend, eigentlich wollte ich es nur „anlesen“ und kaum hatte ich mich versehen, war ich durch die Seiten geflogen und am Ende angelangt. Die Beschreibungen der Gefühle, der innere Monolog und die Gedankenwelt – das alles hat mich wirklich gefesselt. Dazu kommt die Marschlandschaft, die eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Auf die verschiedenen Erzählstränge muss man sich einlassen, zumal man anfangs nicht genau weiß, wer die Personen im Mittelpunkt sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Aber je tiefer man in die Geschichte eintaucht, desto einfacher wird es meiner Meinung nach.
So vieles, was Katja Keweritsch beschreibt, kenne ich aus meiner eigenen Familie, auch meine Oma hat nach den Lehren von Johanna Haarers Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ erzogen und auch bei ihr ging es ungut aus. Mich hat das Buch tief berührt. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 17.09.2025
Baldacci, David

Gefährliches Komplott


gut

„Gefährliches Komplott“ war seit vielen Jahren das erste Buch von David Baldacci, das ich gelesen habe. Und ich muss sagen, dass ich mich mit dem Werk etwas schwergetan habe. Ich habe sehr lange gebraucht, um damit warmzuwerden. Da das Buch aber sehr lang ist und sich die erste Hälfte der fast 500 Seiten für mich zog wie Kaugummi, hatte ich eine Menge Zeit, mich in die Handlung einzufinden. In der zweiten Hälfte flog ich dann durch die Seiten, gepackt von Spannung und dem Wunsch, endlich zu wissen, wer hinter allem steckt. Ich bin gegenüber „Gefährliches Komplott“ also sehr zwiegespalten.
Aber von vorn.
Die ehemalige Polizistin Mickey Gibson ist alleinerziehende Mutter und arbeitet bei einer Firma, die online Steuer- und Kreditbetrüger sucht. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Ermittlung ruft eine Fremde sie an und gibt sich als Assistentin ihres Vorgesetzten aus. Ihr neuer Auftrag: sie soll für eine Zwangsversteigerung eine Inventur der Inneneinrichtung eines Landsitzes machen. Dort angekommen findet sie in einem geheimen Raum eine männliche Leiche, mutmaßlich die des Eigentümers Rutger Novak. Der ehemaliger Waffenhändler Novak ist für die Ermittlungsbehörden kein Unbekannter. Schnell stellt sich aber zweierlei heraus: erstens ist Rutger Novak nicht der Besitzer des Hauses und zweitens handelt es sich bei der Leiche um Daniel Pottinger, den Mann, dem das Haus tatsächlich gehörte. Ehe Mickey es sich versieht, ist sie die Hauptverdächtige in einem Mordfall. Um aus der ganzen Sache wieder herauszukommen, muss sie den wahren Mörder finden und dessen Motive ergründen. Wenig hilfreich ist dabei, dass ihre Auftraggeberin Mickey von einer gefährlichen Situation in die nächste schickt. Kann Mickey sie enttarnen und den Fall lösen, bevor ihr alles um die Ohren fliegt?
Die Geschichte wird in zwei Erzählsträngen erzählt. Mickey Gibson steht im Zentrum des einen, die anonyme Aufraggeberin, die sich mal Arlene Robinson, mal Clarisse nennt, des anderen Stranges. Auf beiden Seiten sind zielstrebige Frauen, die genau wissen, was sie wollen. Die Frage ist bei den beiden nur, ob sie dasselbe wollen. Mickey hat neben ihren Ermittlungen auch die Betreuung und Erziehung ihrer beiden Kinder zu meistern. Arlene ist enorm gut organisiert, ihr Leben scheint zu großen Teilen aus Notizbüchern, verschiedenen Identitäten und den dazu passenden Verkleidungen zu bestehen. Neben den beiden starken Protagonistinnen fallen alle anderen Charaktere ab, obwohl David Baldacci alle gründlich ausarbeitet und gut beschreibt. Alles in allem fand ich das Buch personenmäßig überladen und dadurch etwas unübersichtlich.
Der Spannungsbogen war für mich ein stetes Auf und Ab, mal ist das Buch so spannend, dass ich es nicht aus der Hand legen konnte, mal lud es zum Querlesen ein. Lange Zeit bestand für mich die Spannung hauptsächlich darin, zu ergründen, wohin das Buch überhaupt führen würde. Wer Jäger und wer Gejagter ist, stellt sich erst nach einiger Zeit heraus. Sprachlich lässt das Buch sich flüssig lesen, allerdings finde ich es etwas lang, was für mich zu Lasten der Spannung ging. Die Geschichte ist extrem gut konstruiert, nach unzähligen (auch völlig unerwarteten) Wendungen es gibt keine losen Enden zum Schluss und trotzdem hat mich das Buch nicht hundertprozentig überzeugt. Das ständige Hin und Her zwischen verschiedenen Tatorten, Mickeys unzählige Arbeitstheorien zu Motiven, Tätern und dazu, wer sich hinter der mysteriösen Arlene Robinson verbirgt – das alles wiederholt sich für mich zu oft und manchmal dachte ich einfach nur, der Autor solle endlich zum Punkt kommen. Als er dann allerdings zum Punkt kommt und es auf den Schluss zugeht, passieren sehr viele Dinge gleichzeitig und das Ende wirkt etwas überhastet und fast lieblos, als seien ihm die Ideen ausgegangen.
Vielleicht habe ich auch einfach zu hohe Erwartungen, schließlich handelt es sich um einen Thriller und nicht um hohe Literatur. Daher kann ich dieses Buch allen Fans von David Baldacci empfehlen und allen, die clever konstruierte und verworrene Thriller mit starken Ermittlerinnen mögen. Von mir gibt es dennoch nur drei Sterne, da ich vom Autor eigentlich Besseres gewohnt bin.

Bewertung vom 03.09.2025
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlassen / Mörderisches Island Bd.4


ausgezeichnet

Da ich die anderen drei Island-Krimis von Eva Björg Ægisdóttir gelesen hatte, habe ich mich auf „Verlassen“ sehr gefreut. Tatsächlich hat mich das Buch nach wenigen Seiten so in seinen Bann gezogen, dass ich es in einem Rutsch durchgelesen habe. Für mich war es ein überaus spannender und clever aufgebauter Krimi. Wer allerdings eine Fortsetzung der Reihe mit Kriminalkommissarin Elma erwartet, wird enttäuscht sein – „Verlassen“ ist streng genommen ein „Prequel“ zur Serie, keine Fortsetzung.
Aber von vorn.
Die Familie Snæberg ist reich und mächtig und sie ist in ganz Island bekannt. Ihr Firmenimperium macht jedes Jahr einen Milliardenumsatz und einige der Familienmitglieder sind in den sozialen Medien sehr aktiv. Anlässlich des 100. Geburtstags des allerdings schon verstorbenen Patriarchen und Firmengründers Ingólfur Snæberg, trifft sich die Familie in einem exklusiven „Smart-Hotel“ auf der Halbinsel Snæfellsnes, mitten in den westisländischen Lavafeldern. Es wird ein typisches Familientreffen mit Streitereien, Drogen, Eifersüchteleien und viel zu viel Alkohol. Außerdem bestimmen dunkle Geheimnisse schnell die Stimmung zwischen den Familienmitgliedern und schon kurz nach der Ankunft zeigt sich, dass die Familie nicht wirklich harmonisch ist und überhaupt nichts so ist, wie es scheint. Als eine junge Frau verschwindet, bricht Chaos aus. Dann wird auch noch eine 14-Jährige vermisst. Gibt es einen Zusammenhang? Plötzlich herrscht zwischen allen Anwesenden ein spürbares Misstrauen und die Ermittler Sævar und Hörður von der Polizei in Akranes haben alle Hände voll zu tun, Licht ins Dunkel der Ermittlungen zu bringen.
Ich hatte bei diesem Buch den Fehler gemacht, die zahlreichen Rezensionen vorher zu lesen. Daher bin ich mit einem für mich völlig untypischen Misstrauen an die Lektüre herangegangen. Allerdings hat „Verlassen“ mich nach wenigen Seiten wirklich gefesselt. Es gibt mehrere Handlungsstränge, die Autorin erzählt sowohl aus unterschiedlichen Perspektiven als auch in verschiedenen Zeit-Ebenen. Die Erzählstränge von Petra und Lea Snæberg (die beiden sind Mutter und Tochter), Tryggvi (er ist der Lebensgefährte einer der Familienmitglieder und als einziger kein Teil des Imperiums, da er als Schreiner arbeitet) und der Hotelangestellten Irma sind jeweils in der Ich-Perspektive erzählt, während der Strang rund um Sævar, den Kriminalpolizisten aus Akranes einen externen Erzähler hat.
Das Buch umfasst einen kurzen Zeitraum von drei Tagen, es spielt sich zwischen dem 3. und dem 5. November 2017 ab. Es ist unblutig erzählt und kommt gänzlich ohne derbe Sprache aus, daher fand ich es sehr angenehm zu lesen. Die Kapitel sind überwiegend kurz und so gut wie jedes endet mit einem Cliffhanger. Die Leserschaft weiß zwar nach einer Weile, dass Sævar und Hörður in einem Tötungsdelikt ermitteln, man hat aber keine Ahnung, wer überhaupt das Opfer ist. Wie von der Autorin gewohnt, gibt es auch in „Verlassen“ eine große Anzahl an Charakteren, die sie ausführlich beschreibt. Der Stammbaum am Anfang des Buchs war dabei eine große Hilfe.
Der Spannungsbogen ist schwer zu beschreiben. Ich hatte von der ersten Seite an ein ungutes Gefühl im Magen, so wirklich spannend fand ich das Buch allerdings nicht, die Spannung kam mehr unterschwellig zum Tragen. Die vielen Geheimnisse aller Beteiligter, die so viele Fragen aufwerfen – mir hat das wirklich gefallen und die psychologische Komponente konnte mich begeistern. Die verkorkste Familie, die nur aus Egoisten und Egozentrikern zu bestehen scheint, ich fühlte mich wie am 80. Geburtstag meiner Oma. Am Beispiel der 14jährigen Lea zeigt die Autorin die Gefahren auf, die die Nutzung speziell von social Media-Plattformen mit sich bringen kann. Auch wenn Lea sich auf der sicheren Seite wähnt, ist das Erkennen von fake Profilen nicht leicht und hinter manchen vermeintlich trostspendenden Accounts steckt jemand ganz anderes.
Etwas ganz Anderes verbarg sich für mich auch hinter dem Buch, etwas, das ich ganz und gar nicht erwartet hatte. Der Titel „Verlassen“ reiht sich so schön in die Reihe aus „Verschwiegen“, „Verloren“ und „Verborgen“ ein und doch ist das Buch ganz anders. Dennoch war es für mich ein Volltreffer, ich freue mich jetzt schon auf „Verschworen“ und ich vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 03.09.2025
Suchanek, Andreas

Magic Island - Ruf der Seelentiere (Magic Island, Bd. 1) (eBook, ePUB)


sehr gut

Als großer Fan der „Flüsterwald“-Serie von Andreas Suchanek bin ich natürlich auch immer gespannt auf seine anderen Werke. „Magic Island - Ruf der Seelentiere“ ist der Auftakt zu einer neuen Serie. Obwohl mir das Buch gut gefallen hat, habe ich das Gefühl, dass es mit ihr ist wie mit einem Paar neuer Laufschuhe. Sowohl der Autor als auch ich müssen die neue Reihe ein bisschen „einlaufen“, um es uns in ihr so richtig bequem machen zu können. Fazit für mich daher: es ist noch Luft nach oben.
Aber von vorn.
Julian ist 15 Jahre alt und momentan gibt es in seinem Leben nichts Wichtigeres als Hunde. Er hat ein Aggressionsproblem, seine Wut kann er, vor allem, wenn es um Tiere geht, nicht immer kontrollieren. Daher hilft er in seiner Freizeit bei der Tierrettung aus, wobei er „Freizeit“ dabei sehr großzügig definiert. Schule und Hausaufgaben werden von ihm auf jeden Fall gern vernachlässigt. An einem Morgen, an dem er ohnehin schon zu spät für die erste Unterrichtsstunde in Richtung Schule unterwegs ist, wird er von einer Litfaßsäule in Berlin angesaugt und auf der unbewohnten Insel Elenum wieder ausgespuckt. Und nicht nur das. Durch ein Amulett, das auf magische Weise am Vorabend in seinem Zimmer aufgetaucht war, kann er sein Seelenschattentier wecken, welches natürlich ein Hund ist. Zusammen mit dem Husky Askan trifft er auf weitere Jugendliche aus der Menschenwelt, die ebenfalls auf die Insel „gesaugt“ wurden. Aiko aus Japan mit ihrem Drachen Timur, Kiano aus Ghana mit seinem Falken Azul und Cally aus New York machen sich mit Julian auf die Mission, die die Insel retten soll. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn das Böse ist den Helden immer einen kleinen Schritt voraus. Und es weiß über ihre Taten bestens Bescheid.
Ich mag die Bücher von Andreas Suchanek sehr, sowohl seine Bücher für Kinder und Teenager als auch seine Krimis. „Ruf der Seelentiere“ ist das erste seiner Werke, das mich nicht vom Fleck weg begeistert, eventuell bin ich inzwischen für Bücher dieser Art schlicht zu alt. Die Geschichte ist spannend erzählt, in sich stimmig und es fehlt auch nicht an Magie. Auch der starke Focus auf Freundschaft, Vertrauen und Zusammenarbeit ist schön zu lesen, das bin ich vom Autor aus seinen anderen Büchern so gewohnt. Der Spannungsbogen ist stellenweise sehr hoch und wird zunehmend höher, je mehr die Helden wissen, worum es geht und was überhaupt ihre Mission ist.
Was ich aber wirklich gewöhnungsbedürftig finde (und was mir das Gefühl gibt, echt zu alt für dieses Buch zu sein) ist die Sprache, derer sich Andreas Suchanek bedient. Zwar stellen alle Protagonisten schnell fest, dass sie und die Seelenschattentiere die Sprache der jeweils anderen problemlos sprechen und verstehen und trotzdem schreibt er in einer Form von „Denglisch“, die zwar modern sein mag, aber für mich unangenehm zu lesen ist. „»Ist Milo dein Boyfriend?«, fragte Cally.“, ist ein Beispiel neben der Verwendung von Worten wie „nice“ oder „cute“ und an einer Stelle ist ein kompletter Absatz auf Englisch. Natürlich weiß ich, was es heißt, und ich weiß auch, dass „die Jugend“ heute so spricht. Aber trotzdem frage ich mich: Muss das sein?
Für mich hat das Buch dadurch leider sehr viel an seinem Reiz verloren. Schade drum, denn es gab sehr viel Potential, das der Autor auch noch nicht voll ausgeschöpft hat. Die vier Jugendlichen, die als gemeinsamen Nenner ihre Probleme mit den Eltern haben, denen immer wieder ihre Schwächen klargemacht werden und sie lange brauchen, um zu erkennen, dass in ihren Schwächen auch Stärke liegen kann – das ist doch vermutlich etwas, womit sich jeder identifizieren kann. Das Drumherum mit einer geheimnisvollen Insel, einer Unbekannten, die vor 20 Jahren die Artefakte auf die Reise geschickt hat, die nun die Jugendlichen auf die Insel bringt, Magie, Verfolgungsjagden und der immerwährende Kampf Gut gegen Böse ist natürlich etwas, das man schon Hunderte Male so oder ein bisschen anders gelesen hat. Manche Dinge erinnern sogar extrem an andere Bücher, welche, kann ich hier aus Spoiler-Gründen nicht schreiben.
Ich fand das Buch spannend, trotz der sprachlichen Abzüge flüssig zu lesen und fantasievoll und liebevoll ausgestaltet. Von mir gibt es, wegen der für mich allzu „freshen“ Sprache und weil nicht alles hundertprozentig ausgegoren ist, vier Sterne.

Bewertung vom 25.08.2025
Follett, Ken

Eisfieber


ausgezeichnet

Es ist schon eine Weile her, dass ich Ken Folletts „Eisfieber“ gelesen habe. Als ich aber festgestellt habe, dass es schon über 20 Jahre sind, musste ich erst einmal tief durchatmen. Jetzt habe ich das Buch in der Neuauflage noch einmal gelesen. Ein spannendes und durch die Covid-Pandemie gruselig aktuelles Krimi-Element trifft auf Familientragik und eine Liebesgeschichte. Für mich hat das Buch in den 20 Jahren nichts an der Spannung verloren.
Aber von vorn.
Stanley Oxenford, Chef der schottischen Pharmafirma Oxenford Medical, plant für die Weihnachtsfeiertage ein Familientreffen in seinem Anwesen Steepfall. Die beiden Töchter des verwitweten Patriarchen samt Partner und Kindern haben zugesagt, und überraschend hat auch Sohn Kit sein Kommen angekündigt. Kit verfolgt allerdings ein ganz eigenes Ziel mit seiner Anwesenheit. Er ist das schwarze Schaf der Familie, der studierte Informatiker war vom eigenen Vater wegen Diebstahls aus der Firma geworfen worden. Jetzt hat der Junior Spielschulden in schwindelerregender Höhe, die er dringend begleichen muss. Parallel dazu bricht im Firmensitz von Oxenford Medical Panik aus. Die Firma hat sich auf die Herstellung von Impfstoffen spezialisiert und bei einer Bestandskontrolle wird das Fehlen von zwei Proben eines experimentellen antiviralen Medikaments festgestellt. Ein Laborant, der außer den beiden Proben auch eines der Versuchstiere aus dem BSL4-Labor (Labor mit der höchsten Sicherheitsstufe) entwendet hat, wird mit schweren Blutungen in seinem Gartenschuppen aufgefunden, kurz danach stirbt er. Offensichtlich hatte er sich bei dem Versuchstier mit Medoba-2 angesteckt, einem Virus aus der Ebola-Familie. Die Infektion mit diesem Virus verläuft zu 100 Prozent tödlich. Für Antonia „Toni“ Gallo, ehemalige Polizistin und jetzt Sicherheitschefin der Firma, rücken ruhige Weihnachten mit ihrer Mutter in weite Ferne. Die Firma hat sich vom Aufruhr wegen des toten Laboranten noch nicht erholt, als vier Kriminelle eindringen und das tödliche Virus stehlen. Tonis Jagd auf die Diebe wird durch einen Schneesturm enorm erschwert, deren Flucht verläuft aber ebenfalls anders als geplant und so treffen sich alle Beteiligten in Steepfall.
„Eisfieber“ ist ein dicht gepackter spannender Krimi. Die Handlung erstreckt sich über knapp drei Tage, wodurch nur wenig Leerlauf entsteht. Erzählt wird die Geschichte in drei Handlungssträngen: aus Sicht von Toni Gallo, aus Sicht der Oxenford-Familie und aus Sicht der Gangster. Nach einer Weile werden die Erzählstränge zusammengefügt. Sprachlich ließ das Buch sich, wie ich von Ken Follett gewohnt bin, gut und flott lesen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, vor allem die „Bösen“ finde ich sehr bildhaft dargestellt. Sowohl die Krimi-Aspekte als auch die Familienstreitigkeiten finde ich sehr realistisch erzählt. Allerdings bedient Ken Follett vielleicht ein bisschen zu viele Klischees. Junge, hübsche Frau mit Durchblick muss sich gegenüber weißen, cis-heteronormativen Machos beweisen und an mehreren Fronten kämpfen (sie muss sich überraschend über die Feiertage um ihre Mutter kümmern, es gibt Ärger mit dem ex-Freund und sie wird von einem Journalisten verfolgt), dazu kommt ein älterer reicher Witwer mit erwachsenen Kindern, die hauptsächlich Angst um ihr Erbe haben. Auf der anderen Seite sind skrupellose und brutale Kriminelle und das Mastermind, das hinter ihnen steht und das alles spielt sich in einer durch den Schneesturm ziemlich klaustrophobischen Atmosphäre ab.
Der Spannungsbogen wird von der ersten Seite an kontinuierlich aufgebaut, er ist überwiegend sehr hoch, nur bei den Ausflügen ins Privatleben der Protagonisten flacht er etwas ab, was ich aber manchmal als willkommene Verschnaufpause gesehen habe. Der Schluss kam hingegen für mich ein bisschen sehr abrupt. Trotz aller Spannung und einigen blutigen Szenen schafft Ken Follett es aber sogar, ab und an etwas Humor einzubauen. Ich fand das Buch auf jeden Fall auch beim zweiten Lesen spannend und ich habe die Lektüre genossen, von mir gibt es fünf Sterne.