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sleepwalker

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Insgesamt 530 Bewertungen
Bewertung vom 22.09.2025
Sawatzki, Andrea

Biarritz


ausgezeichnet

„Biarritz“ ist das neue Buch von Andrea Sawatzki. Nach „Brunnenstraße“ ist es das zweite Werk der bekannten Schauspielerin über die Beziehung zu ihrer Mutter. Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut, da ich vom Hörbuch zu „Brunnenstraße“ begeistert war. Und auch „Biarritz“ enttäuschte mich nicht.
Aber von vorn.
Hannas Mutter Emmi lebt in einem Pflegeheim und ihre Demenz schenkt ihr kaum noch klare Momente. Das Mutter-Tochter-Verhältnis war schon immer kompliziert. Die Mutter war bei Hannas Geburt ledig, die erste Zeit verbrachte das Baby auf der Kinderstation des Krankenhauses, in dem Emmi arbeitete, später dann bei einer Pflegemutter und noch später konnten die beiden zusammenleben. Erst als Hanna acht Jahre alt war, konnten die Eltern nach dem Selbstmord der Ehefrau des Vaters zusammenziehen. Statt des erträumten harmonischem Familienleben wurde aber alles noch schwieriger. Der Vater, den das Mädchen sich so sehr gewünscht hatte, erkrankte früh an Demenz und Hanna musste sich um ihn kümmern, während die Mutter den Familienunterhalt verdiente und die hohen Schulden des Vaters abstotterte. Jetzt ist die Mutter ebenfalls dement, Hanna kann sich allerdings leisten, sie in einem Heim unterzubringen. Dort lernt sie auch Marianne kennen, eine ehemalige Kollegin und Freundin der Mutter. Marianne verschafft Hanna einen tieferen Einblick ins Leben ihrer Mutter, erlaubt ihr andere Sichtweisen und Hanna lernt ihre Mutter auf eine neue Art kennen.
Angehörige zu begleiten, die dement sind/werden, ist schwierig genug. Wenn man aber schon vorher ein schwieriges Verhältnis zu ihnen hatte, ist es noch viel schwieriger. Wie soll man einen Zugang zu dem Menschen bekommen, ihn besser kennenlernen, lange vermisste Nähe zu schaffen, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, sich zu erklären. Emmi ist inzwischen praktisch nonverbal, sitzt im Rollstuhl und Hanna besucht sie mehr aus Pflichtgefühl jeden Sonntag, denn „Sonntage waren immer schon dazu da gewesen, mit Verwandtschaftsbesuchen gefüllt zu werden“. Hanna hat Glück. Sie trifft auf Marianne Kirschbaum, eine alte Freundin der Mutter, jemand, der sie anders kennengelernt hat, jemand, der sie kannte, bevor sie Geliebte, später Mutter und, noch später, frustrierte Ehefrau wurde. Erst durch sie erfährt sie von Biarritz, dem Sehnsuchtsort der Mutter. An dem Badeort im äußersten Südwesten Frankreichs durfte Emmi vor einigen Jahrzehnten eine glückliche Zeit verbringen. Aber er ist auch der Inbegriff von Freiheit und Unbeschwertheit, ein Symbol für ein anderes Leben.
In gewisser Weise ist „Biarritz“ eine Fortsetzung zu „Brunnenstraße“. Es empfiehlt sich auch, beide zu lesen, wobei es viele Überschneidungen gibt. In „Biarritz“ ist Emmi die zentrale Figur, wie an den Sonntagen im Pflegeheim ist Hanna auch in der Handlung eher eine Besucherin oder eine außenstehende Beobachterin. Das Buch ist gut aufgebaut, sprachlich angenehm zu lesen und Andrea Sawatzki schafft es, düstere und schwere Kost manchmal sprachlich fast leichtfüßig zu servieren. Ich spürte beim Lesen eine tiefe Verbundenheit mit der autofiktionalen Hanna und eine große Hochachtung für sie. Sie musste in jungen Jahren die Pflege des dementen Vaters, den sie noch nicht einmal wirklich gut kannte, meistern, wurde mit ihren Gefühlen alleingelassen.
Das Buch hat mich sehr berührt. Es regt zum Nachdenken an. Die Autorin thematisiert den Umgang mit alten Menschen im Allgemeinen und mit Demenzbetroffenen im Besonderen. Auch die unglückliche Ehe der Eltern, der Umgang der Gesellschaft mit unverheirateten Müttern und die Tatsache, dass Hanna sich um ihren Vater kümmern musste, wird in diesem Buch, wie auch in „Brunnenstraße“ beschrieben. Diese Parentifizierung war eine krasse Überforderung und die Konsequenz waren nicht nur schlechte Schulnoten wegen fehlenden Nachtschlafs, selbst die Mutter merkte, dass „ihr lebendiges, abenteuerlustiges Kind zunehmend stiller, verzagter“ wurde. Das Buch handelt von Hass, Liebe, dem Streben nach Zuneigung und dem Wunsch, andere, vor allem die eigenen Eltern, stolz zu machen. Wer bei der Lektüre von „Brunnenstraße“ Emmis Perspektive vermisst hat, bekommt sie jetzt. Andrea Sawatzki schließt Lücken, die bei „Brunnenstraße“ geblieben sind und fördert das Verständnis für das Verhalten von Emmi, denn man versteht jetzt auch besser, was in ihr vorging, wenn sie ihre Tochter jeden Abend mit dem unkontrollierbaren kranken Vater alleinlassen musste. Von mir gibt es dafür 4,5 Sterne, aufgerundet auf 5.

Bewertung vom 17.09.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


ausgezeichnet

Eine verschwundene ältere Dame. Ein Ehemann, dem das gänzlich egal zu sein scheint. Eine Familiengeschichte mit Geheimnissen. Das sind grob die Themen, die Katja Keweritsch in ihrem Roman „Das Flüstern der Marsch“ behandelt. Ich mag Marschland, ich stamme selbst aus einer komplizierten Familie und der Klappentext sprach mich an. Dass mich das Buch aber auf eine so wilde Fahrt mit gänzlich unerwarteten Wendungen mitnehmen würde, das hatte ich dann doch nicht erwartet.
Aber von vorn.
Opa Karls 80. Geburtstag steht vor der Tür und ausgerechnet jetzt ist seine Frau Annemie verschwunden. Wäre Enkelin Mona nicht wegen der Familienfeier in die Marsch gekommen, wäre es vielleicht gar nicht aufgefallen, dass Oma abgängig ist, denn Opa scheint sie nicht zu vermissen. Auch die anderen Familienmitglieder nehmen Omas Verschwinden hin, es gibt eine halbherzige Vermisstenanzeige bei der Polizei und eher unmotiviertes Nachfragen im Freundes- und Bekanntenkreis. Also sucht Mona auf eigene Faust nach ihr, forscht im Ort und im persönlichen Umfeld nach und taucht gegen den Willen ihres Opas tief in die Familiengeschichte ein. Sie findet in Omas zurückgelassener Geldbörse ein Babyfoto, das weder einen ihrer beiden Onkel Stefan und Sven noch ihre Mutter Sabine zeigt. Je tiefer sie dann in den Familiengeheimnissen gräbt, desto Unfassbareres fordert sie zu Tage.
Im Mittelpunkt von Katja Keweritschs Roman stehen Frauen aus unterschiedlichen Generationen, deren Geschichten in unterschiedlichen Strängen erzählt werden. Jede der Frauen ist an einem Punkt im Leben mehr oder weniger gewollt schwanger und die Autorin zeigt auf, dass sich im Lauf der Zeit für die Frauen außer ihrer rechtlichen Situation nicht viel verändert hat.
Annemie war in den 1960ern als unverheiratete Minderjährige schwanger (damals lag das Alter für die Volljährigkeit noch bei 21) und hatte keinerlei Rechte. Die Vormundschaft für ihr Kind konnte nur der Vater des Kindes oder ihr eigener Vater übernehmen, alleinstehenden Frauen wurde nicht zugetraut, für ein Kind sorgen zu können und ihm ein „stabiles Umfeld, ein moralisch einwandfreies Zuhause“ bieten zu können.
Janne wurde zu Anfang ihrer Beziehung mit Stefan schwanger und die beiden haben deswegen geheiratet. Die Ehe ist nicht glücklich, Stefan leidet unter einer Zwangsstörung und lässt seine Frau mit der kompletten „Care-Arbeit“ und dem mental load mit den inzwischen drei Kindern allein, flüchtet sich in Sport und die freiwillige Feuerwehr.
Mona, die jüngste der Frauen in der Familie, ist ebenfalls ungeplant schwanger. Sie ist die erste, die von niemandem unter Druck gesetzt wird, heiraten zu müssen, sie hat auch die Wahl, das Kind eventuell gar nicht erst zu bekommen. Als frischgebackene Restauratorin stößt sie in ihrem ersten Job nach Ausbildung und Studium allerdings auf geballte männliche Toxizität und muss sich mit Frauenfeindlichkeit und Altherrenwitzen herumschlagen.
Das Verschwinden von Oma Annemie und die halbherzige Suche nach ihr ist Nebensache im Buch und kann symbolisch für die Suche nach Identität und des weiblichen Selbstverständnisses gesehen werden. Auch die dysfunktionale Familie ist nicht das Hauptthema, auch wenn diese exemplarisch die Quelle von allem ist. Es geht um Unterjochung und Befreiung, schwarze Pädagogik nach Haarer und die Tatsache, dass sich zwar einiges getan hat, aber immer noch nicht genug.
Sprachlich fand ich das Buch enorm ansprechend, eigentlich wollte ich es nur „anlesen“ und kaum hatte ich mich versehen, war ich durch die Seiten geflogen und am Ende angelangt. Die Beschreibungen der Gefühle, der innere Monolog und die Gedankenwelt – das alles hat mich wirklich gefesselt. Dazu kommt die Marschlandschaft, die eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Auf die verschiedenen Erzählstränge muss man sich einlassen, zumal man anfangs nicht genau weiß, wer die Personen im Mittelpunkt sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Aber je tiefer man in die Geschichte eintaucht, desto einfacher wird es meiner Meinung nach.
So vieles, was Katja Keweritsch beschreibt, kenne ich aus meiner eigenen Familie, auch meine Oma hat nach den Lehren von Johanna Haarers Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ erzogen und auch bei ihr ging es ungut aus. Mich hat das Buch tief berührt. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 17.09.2025
Baldacci, David

Gefährliches Komplott


gut

„Gefährliches Komplott“ war seit vielen Jahren das erste Buch von David Baldacci, das ich gelesen habe. Und ich muss sagen, dass ich mich mit dem Werk etwas schwergetan habe. Ich habe sehr lange gebraucht, um damit warmzuwerden. Da das Buch aber sehr lang ist und sich die erste Hälfte der fast 500 Seiten für mich zog wie Kaugummi, hatte ich eine Menge Zeit, mich in die Handlung einzufinden. In der zweiten Hälfte flog ich dann durch die Seiten, gepackt von Spannung und dem Wunsch, endlich zu wissen, wer hinter allem steckt. Ich bin gegenüber „Gefährliches Komplott“ also sehr zwiegespalten.
Aber von vorn.
Die ehemalige Polizistin Mickey Gibson ist alleinerziehende Mutter und arbeitet bei einer Firma, die online Steuer- und Kreditbetrüger sucht. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Ermittlung ruft eine Fremde sie an und gibt sich als Assistentin ihres Vorgesetzten aus. Ihr neuer Auftrag: sie soll für eine Zwangsversteigerung eine Inventur der Inneneinrichtung eines Landsitzes machen. Dort angekommen findet sie in einem geheimen Raum eine männliche Leiche, mutmaßlich die des Eigentümers Rutger Novak. Der ehemaliger Waffenhändler Novak ist für die Ermittlungsbehörden kein Unbekannter. Schnell stellt sich aber zweierlei heraus: erstens ist Rutger Novak nicht der Besitzer des Hauses und zweitens handelt es sich bei der Leiche um Daniel Pottinger, den Mann, dem das Haus tatsächlich gehörte. Ehe Mickey es sich versieht, ist sie die Hauptverdächtige in einem Mordfall. Um aus der ganzen Sache wieder herauszukommen, muss sie den wahren Mörder finden und dessen Motive ergründen. Wenig hilfreich ist dabei, dass ihre Auftraggeberin Mickey von einer gefährlichen Situation in die nächste schickt. Kann Mickey sie enttarnen und den Fall lösen, bevor ihr alles um die Ohren fliegt?
Die Geschichte wird in zwei Erzählsträngen erzählt. Mickey Gibson steht im Zentrum des einen, die anonyme Aufraggeberin, die sich mal Arlene Robinson, mal Clarisse nennt, des anderen Stranges. Auf beiden Seiten sind zielstrebige Frauen, die genau wissen, was sie wollen. Die Frage ist bei den beiden nur, ob sie dasselbe wollen. Mickey hat neben ihren Ermittlungen auch die Betreuung und Erziehung ihrer beiden Kinder zu meistern. Arlene ist enorm gut organisiert, ihr Leben scheint zu großen Teilen aus Notizbüchern, verschiedenen Identitäten und den dazu passenden Verkleidungen zu bestehen. Neben den beiden starken Protagonistinnen fallen alle anderen Charaktere ab, obwohl David Baldacci alle gründlich ausarbeitet und gut beschreibt. Alles in allem fand ich das Buch personenmäßig überladen und dadurch etwas unübersichtlich.
Der Spannungsbogen war für mich ein stetes Auf und Ab, mal ist das Buch so spannend, dass ich es nicht aus der Hand legen konnte, mal lud es zum Querlesen ein. Lange Zeit bestand für mich die Spannung hauptsächlich darin, zu ergründen, wohin das Buch überhaupt führen würde. Wer Jäger und wer Gejagter ist, stellt sich erst nach einiger Zeit heraus. Sprachlich lässt das Buch sich flüssig lesen, allerdings finde ich es etwas lang, was für mich zu Lasten der Spannung ging. Die Geschichte ist extrem gut konstruiert, nach unzähligen (auch völlig unerwarteten) Wendungen es gibt keine losen Enden zum Schluss und trotzdem hat mich das Buch nicht hundertprozentig überzeugt. Das ständige Hin und Her zwischen verschiedenen Tatorten, Mickeys unzählige Arbeitstheorien zu Motiven, Tätern und dazu, wer sich hinter der mysteriösen Arlene Robinson verbirgt – das alles wiederholt sich für mich zu oft und manchmal dachte ich einfach nur, der Autor solle endlich zum Punkt kommen. Als er dann allerdings zum Punkt kommt und es auf den Schluss zugeht, passieren sehr viele Dinge gleichzeitig und das Ende wirkt etwas überhastet und fast lieblos, als seien ihm die Ideen ausgegangen.
Vielleicht habe ich auch einfach zu hohe Erwartungen, schließlich handelt es sich um einen Thriller und nicht um hohe Literatur. Daher kann ich dieses Buch allen Fans von David Baldacci empfehlen und allen, die clever konstruierte und verworrene Thriller mit starken Ermittlerinnen mögen. Von mir gibt es dennoch nur drei Sterne, da ich vom Autor eigentlich Besseres gewohnt bin.

Bewertung vom 03.09.2025
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlassen / Mörderisches Island Bd.4


ausgezeichnet

Da ich die anderen drei Island-Krimis von Eva Björg Ægisdóttir gelesen hatte, habe ich mich auf „Verlassen“ sehr gefreut. Tatsächlich hat mich das Buch nach wenigen Seiten so in seinen Bann gezogen, dass ich es in einem Rutsch durchgelesen habe. Für mich war es ein überaus spannender und clever aufgebauter Krimi. Wer allerdings eine Fortsetzung der Reihe mit Kriminalkommissarin Elma erwartet, wird enttäuscht sein – „Verlassen“ ist streng genommen ein „Prequel“ zur Serie, keine Fortsetzung.
Aber von vorn.
Die Familie Snæberg ist reich und mächtig und sie ist in ganz Island bekannt. Ihr Firmenimperium macht jedes Jahr einen Milliardenumsatz und einige der Familienmitglieder sind in den sozialen Medien sehr aktiv. Anlässlich des 100. Geburtstags des allerdings schon verstorbenen Patriarchen und Firmengründers Ingólfur Snæberg, trifft sich die Familie in einem exklusiven „Smart-Hotel“ auf der Halbinsel Snæfellsnes, mitten in den westisländischen Lavafeldern. Es wird ein typisches Familientreffen mit Streitereien, Drogen, Eifersüchteleien und viel zu viel Alkohol. Außerdem bestimmen dunkle Geheimnisse schnell die Stimmung zwischen den Familienmitgliedern und schon kurz nach der Ankunft zeigt sich, dass die Familie nicht wirklich harmonisch ist und überhaupt nichts so ist, wie es scheint. Als eine junge Frau verschwindet, bricht Chaos aus. Dann wird auch noch eine 14-Jährige vermisst. Gibt es einen Zusammenhang? Plötzlich herrscht zwischen allen Anwesenden ein spürbares Misstrauen und die Ermittler Sævar und Hörður von der Polizei in Akranes haben alle Hände voll zu tun, Licht ins Dunkel der Ermittlungen zu bringen.
Ich hatte bei diesem Buch den Fehler gemacht, die zahlreichen Rezensionen vorher zu lesen. Daher bin ich mit einem für mich völlig untypischen Misstrauen an die Lektüre herangegangen. Allerdings hat „Verlassen“ mich nach wenigen Seiten wirklich gefesselt. Es gibt mehrere Handlungsstränge, die Autorin erzählt sowohl aus unterschiedlichen Perspektiven als auch in verschiedenen Zeit-Ebenen. Die Erzählstränge von Petra und Lea Snæberg (die beiden sind Mutter und Tochter), Tryggvi (er ist der Lebensgefährte einer der Familienmitglieder und als einziger kein Teil des Imperiums, da er als Schreiner arbeitet) und der Hotelangestellten Irma sind jeweils in der Ich-Perspektive erzählt, während der Strang rund um Sævar, den Kriminalpolizisten aus Akranes einen externen Erzähler hat.
Das Buch umfasst einen kurzen Zeitraum von drei Tagen, es spielt sich zwischen dem 3. und dem 5. November 2017 ab. Es ist unblutig erzählt und kommt gänzlich ohne derbe Sprache aus, daher fand ich es sehr angenehm zu lesen. Die Kapitel sind überwiegend kurz und so gut wie jedes endet mit einem Cliffhanger. Die Leserschaft weiß zwar nach einer Weile, dass Sævar und Hörður in einem Tötungsdelikt ermitteln, man hat aber keine Ahnung, wer überhaupt das Opfer ist. Wie von der Autorin gewohnt, gibt es auch in „Verlassen“ eine große Anzahl an Charakteren, die sie ausführlich beschreibt. Der Stammbaum am Anfang des Buchs war dabei eine große Hilfe.
Der Spannungsbogen ist schwer zu beschreiben. Ich hatte von der ersten Seite an ein ungutes Gefühl im Magen, so wirklich spannend fand ich das Buch allerdings nicht, die Spannung kam mehr unterschwellig zum Tragen. Die vielen Geheimnisse aller Beteiligter, die so viele Fragen aufwerfen – mir hat das wirklich gefallen und die psychologische Komponente konnte mich begeistern. Die verkorkste Familie, die nur aus Egoisten und Egozentrikern zu bestehen scheint, ich fühlte mich wie am 80. Geburtstag meiner Oma. Am Beispiel der 14jährigen Lea zeigt die Autorin die Gefahren auf, die die Nutzung speziell von social Media-Plattformen mit sich bringen kann. Auch wenn Lea sich auf der sicheren Seite wähnt, ist das Erkennen von fake Profilen nicht leicht und hinter manchen vermeintlich trostspendenden Accounts steckt jemand ganz anderes.
Etwas ganz Anderes verbarg sich für mich auch hinter dem Buch, etwas, das ich ganz und gar nicht erwartet hatte. Der Titel „Verlassen“ reiht sich so schön in die Reihe aus „Verschwiegen“, „Verloren“ und „Verborgen“ ein und doch ist das Buch ganz anders. Dennoch war es für mich ein Volltreffer, ich freue mich jetzt schon auf „Verschworen“ und ich vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 03.09.2025
Suchanek, Andreas

Magic Island - Ruf der Seelentiere (Magic Island, Bd. 1) (eBook, ePUB)


sehr gut

Als großer Fan der „Flüsterwald“-Serie von Andreas Suchanek bin ich natürlich auch immer gespannt auf seine anderen Werke. „Magic Island - Ruf der Seelentiere“ ist der Auftakt zu einer neuen Serie. Obwohl mir das Buch gut gefallen hat, habe ich das Gefühl, dass es mit ihr ist wie mit einem Paar neuer Laufschuhe. Sowohl der Autor als auch ich müssen die neue Reihe ein bisschen „einlaufen“, um es uns in ihr so richtig bequem machen zu können. Fazit für mich daher: es ist noch Luft nach oben.
Aber von vorn.
Julian ist 15 Jahre alt und momentan gibt es in seinem Leben nichts Wichtigeres als Hunde. Er hat ein Aggressionsproblem, seine Wut kann er, vor allem, wenn es um Tiere geht, nicht immer kontrollieren. Daher hilft er in seiner Freizeit bei der Tierrettung aus, wobei er „Freizeit“ dabei sehr großzügig definiert. Schule und Hausaufgaben werden von ihm auf jeden Fall gern vernachlässigt. An einem Morgen, an dem er ohnehin schon zu spät für die erste Unterrichtsstunde in Richtung Schule unterwegs ist, wird er von einer Litfaßsäule in Berlin angesaugt und auf der unbewohnten Insel Elenum wieder ausgespuckt. Und nicht nur das. Durch ein Amulett, das auf magische Weise am Vorabend in seinem Zimmer aufgetaucht war, kann er sein Seelenschattentier wecken, welches natürlich ein Hund ist. Zusammen mit dem Husky Askan trifft er auf weitere Jugendliche aus der Menschenwelt, die ebenfalls auf die Insel „gesaugt“ wurden. Aiko aus Japan mit ihrem Drachen Timur, Kiano aus Ghana mit seinem Falken Azul und Cally aus New York machen sich mit Julian auf die Mission, die die Insel retten soll. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn das Böse ist den Helden immer einen kleinen Schritt voraus. Und es weiß über ihre Taten bestens Bescheid.
Ich mag die Bücher von Andreas Suchanek sehr, sowohl seine Bücher für Kinder und Teenager als auch seine Krimis. „Ruf der Seelentiere“ ist das erste seiner Werke, das mich nicht vom Fleck weg begeistert, eventuell bin ich inzwischen für Bücher dieser Art schlicht zu alt. Die Geschichte ist spannend erzählt, in sich stimmig und es fehlt auch nicht an Magie. Auch der starke Focus auf Freundschaft, Vertrauen und Zusammenarbeit ist schön zu lesen, das bin ich vom Autor aus seinen anderen Büchern so gewohnt. Der Spannungsbogen ist stellenweise sehr hoch und wird zunehmend höher, je mehr die Helden wissen, worum es geht und was überhaupt ihre Mission ist.
Was ich aber wirklich gewöhnungsbedürftig finde (und was mir das Gefühl gibt, echt zu alt für dieses Buch zu sein) ist die Sprache, derer sich Andreas Suchanek bedient. Zwar stellen alle Protagonisten schnell fest, dass sie und die Seelenschattentiere die Sprache der jeweils anderen problemlos sprechen und verstehen und trotzdem schreibt er in einer Form von „Denglisch“, die zwar modern sein mag, aber für mich unangenehm zu lesen ist. „»Ist Milo dein Boyfriend?«, fragte Cally.“, ist ein Beispiel neben der Verwendung von Worten wie „nice“ oder „cute“ und an einer Stelle ist ein kompletter Absatz auf Englisch. Natürlich weiß ich, was es heißt, und ich weiß auch, dass „die Jugend“ heute so spricht. Aber trotzdem frage ich mich: Muss das sein?
Für mich hat das Buch dadurch leider sehr viel an seinem Reiz verloren. Schade drum, denn es gab sehr viel Potential, das der Autor auch noch nicht voll ausgeschöpft hat. Die vier Jugendlichen, die als gemeinsamen Nenner ihre Probleme mit den Eltern haben, denen immer wieder ihre Schwächen klargemacht werden und sie lange brauchen, um zu erkennen, dass in ihren Schwächen auch Stärke liegen kann – das ist doch vermutlich etwas, womit sich jeder identifizieren kann. Das Drumherum mit einer geheimnisvollen Insel, einer Unbekannten, die vor 20 Jahren die Artefakte auf die Reise geschickt hat, die nun die Jugendlichen auf die Insel bringt, Magie, Verfolgungsjagden und der immerwährende Kampf Gut gegen Böse ist natürlich etwas, das man schon Hunderte Male so oder ein bisschen anders gelesen hat. Manche Dinge erinnern sogar extrem an andere Bücher, welche, kann ich hier aus Spoiler-Gründen nicht schreiben.
Ich fand das Buch spannend, trotz der sprachlichen Abzüge flüssig zu lesen und fantasievoll und liebevoll ausgestaltet. Von mir gibt es, wegen der für mich allzu „freshen“ Sprache und weil nicht alles hundertprozentig ausgegoren ist, vier Sterne.

Bewertung vom 25.08.2025
Follett, Ken

Eisfieber


ausgezeichnet

Es ist schon eine Weile her, dass ich Ken Folletts „Eisfieber“ gelesen habe. Als ich aber festgestellt habe, dass es schon über 20 Jahre sind, musste ich erst einmal tief durchatmen. Jetzt habe ich das Buch in der Neuauflage noch einmal gelesen. Ein spannendes und durch die Covid-Pandemie gruselig aktuelles Krimi-Element trifft auf Familientragik und eine Liebesgeschichte. Für mich hat das Buch in den 20 Jahren nichts an der Spannung verloren.
Aber von vorn.
Stanley Oxenford, Chef der schottischen Pharmafirma Oxenford Medical, plant für die Weihnachtsfeiertage ein Familientreffen in seinem Anwesen Steepfall. Die beiden Töchter des verwitweten Patriarchen samt Partner und Kindern haben zugesagt, und überraschend hat auch Sohn Kit sein Kommen angekündigt. Kit verfolgt allerdings ein ganz eigenes Ziel mit seiner Anwesenheit. Er ist das schwarze Schaf der Familie, der studierte Informatiker war vom eigenen Vater wegen Diebstahls aus der Firma geworfen worden. Jetzt hat der Junior Spielschulden in schwindelerregender Höhe, die er dringend begleichen muss. Parallel dazu bricht im Firmensitz von Oxenford Medical Panik aus. Die Firma hat sich auf die Herstellung von Impfstoffen spezialisiert und bei einer Bestandskontrolle wird das Fehlen von zwei Proben eines experimentellen antiviralen Medikaments festgestellt. Ein Laborant, der außer den beiden Proben auch eines der Versuchstiere aus dem BSL4-Labor (Labor mit der höchsten Sicherheitsstufe) entwendet hat, wird mit schweren Blutungen in seinem Gartenschuppen aufgefunden, kurz danach stirbt er. Offensichtlich hatte er sich bei dem Versuchstier mit Medoba-2 angesteckt, einem Virus aus der Ebola-Familie. Die Infektion mit diesem Virus verläuft zu 100 Prozent tödlich. Für Antonia „Toni“ Gallo, ehemalige Polizistin und jetzt Sicherheitschefin der Firma, rücken ruhige Weihnachten mit ihrer Mutter in weite Ferne. Die Firma hat sich vom Aufruhr wegen des toten Laboranten noch nicht erholt, als vier Kriminelle eindringen und das tödliche Virus stehlen. Tonis Jagd auf die Diebe wird durch einen Schneesturm enorm erschwert, deren Flucht verläuft aber ebenfalls anders als geplant und so treffen sich alle Beteiligten in Steepfall.
„Eisfieber“ ist ein dicht gepackter spannender Krimi. Die Handlung erstreckt sich über knapp drei Tage, wodurch nur wenig Leerlauf entsteht. Erzählt wird die Geschichte in drei Handlungssträngen: aus Sicht von Toni Gallo, aus Sicht der Oxenford-Familie und aus Sicht der Gangster. Nach einer Weile werden die Erzählstränge zusammengefügt. Sprachlich ließ das Buch sich, wie ich von Ken Follett gewohnt bin, gut und flott lesen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, vor allem die „Bösen“ finde ich sehr bildhaft dargestellt. Sowohl die Krimi-Aspekte als auch die Familienstreitigkeiten finde ich sehr realistisch erzählt. Allerdings bedient Ken Follett vielleicht ein bisschen zu viele Klischees. Junge, hübsche Frau mit Durchblick muss sich gegenüber weißen, cis-heteronormativen Machos beweisen und an mehreren Fronten kämpfen (sie muss sich überraschend über die Feiertage um ihre Mutter kümmern, es gibt Ärger mit dem ex-Freund und sie wird von einem Journalisten verfolgt), dazu kommt ein älterer reicher Witwer mit erwachsenen Kindern, die hauptsächlich Angst um ihr Erbe haben. Auf der anderen Seite sind skrupellose und brutale Kriminelle und das Mastermind, das hinter ihnen steht und das alles spielt sich in einer durch den Schneesturm ziemlich klaustrophobischen Atmosphäre ab.
Der Spannungsbogen wird von der ersten Seite an kontinuierlich aufgebaut, er ist überwiegend sehr hoch, nur bei den Ausflügen ins Privatleben der Protagonisten flacht er etwas ab, was ich aber manchmal als willkommene Verschnaufpause gesehen habe. Der Schluss kam hingegen für mich ein bisschen sehr abrupt. Trotz aller Spannung und einigen blutigen Szenen schafft Ken Follett es aber sogar, ab und an etwas Humor einzubauen. Ich fand das Buch auf jeden Fall auch beim zweiten Lesen spannend und ich habe die Lektüre genossen, von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 25.08.2025
Johannsen, Anna

Nach dem Leben


sehr gut

„Nach dem Leben“ ist der neue Krimi von Anna Johannsen aus der „Hanna Will & Jan de Bruyn“-Reihe. Ich verfolge die Serie seit dem ersten Teil und habe die Charaktere nach einigen Anfangsschwierigkeiten inzwischen ins Herz geschlossen. Dennoch bin ich mit dem vierten Buch etwas uneins. Zwar ist es ein solider Krimi aber die zwischenmenschliche Komponente nimmt für mich ein bisschen zu viel Raum ein.
Aber von vorn.
Der 75-jährige Helmut Gepken wird vom Postboten tot in seinem Haus in Damme gefunden. Er ist seit 15 Jahren geschieden und lebte allein auf dem platten Land. Zuerst sah es aus, als wäre er eines natürlichen Todes gestorben, die Obduktion ergibt aber, dass er an einer Hypoglykämie gestorben ist, ausgelöst durch eine Überdosis Insulin. Schon allein die Tatsache, dass ihm das Insulin in beide Brustwarzenhöfe injiziert wurde, macht klar, dass es sich um Mord handeln muss. Der Tote hinterlässt eine ex-Frau und einen Sohn, mit dem er nur sehr wenig Kontakt hatte. Schnell kommt ans Licht, dass er seit einiger Zeit größere Summen Geld von seinem Konto abgehoben hat. Von den insgesamt über hundertsechzigtausend Euro fehlt jede Spur. Wurde der Senior Opfer eines „Enkeltricks“ oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Helmut Gepken war nach seiner Scheidung zurück in das Haus gezogen, in dem er aufgewachsen ist. Viele in dem Dorf kannten ihn von früher, so erfahren die beiden LKA-Ermittler Hanna Will und Jan de Bruyn viel Interessantes. Liegt der Grund für den Mord in der Vergangenheit des Toten?
Mit dem Ermittlerteam Hanna Will und Jan de Bruyn hat Anna Johannsen ein sehr spezielles Paar erdacht. Momentan leben sie zusammen in einem Wohnmobil, unterbrochen von Hotel-Übernachtungen. Die beiden nähern sich seit dem ersten Teil der Reihe aneinander an, dann gehen sie wieder leicht auf Abstand, aber nicht so weit, dass es eine on-off-Beziehung wäre. Einigen wir uns einfach darauf: es ist kompliziert. Leidlich kompliziert ist auch der aktuelle Fall.
Es geht um sehr reale Themen, unter anderem Einsamkeit im Alter und Gauner, die gezielt älteren Menschen Geld abnehmen, dazu kommen Erpressung, Gerüchteküche in Dörfern und die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen. Alles in allem bietet der Krimi also einen vielfältigen Mix. Sprachlich ist er, wie ich von der Autorin gewohnt bin, gut geschrieben und flott zu lesen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, bei den Protagonisten Hanna und Jan ist die Entwicklung seit dem ersten Teil der Reihe erkennbar und auch die anderen Beteiligten kann man sich gut vorstellen. Schön fand ich auch, dass im Gegensatz zu vielen anderen Krimis die externen Ermittler von den örtlichen Kollegen willkommen geheißen werden und ihre Arbeit wertgeschätzt wird, auf Konkurrenzgehabe verzichtet Anna Johannsen dieses Mal komplett.
Was fehlt also an dem Buch, um es zu einer runden Sache zu machen? An manchen Stellen wirkt das Buch auf mich ein bisschen inkonsistent. Die Gedankenblitze von Jan kommen mir manchmal zu plötzlich und die Tatsache, dass er mit seiner Intuition so oft richtig liegt, mag zwar sehr kompetent aussehen, ist für mich aber oft nicht ganz plausibel. Manche Ansätze sind ebenso wenig ausgegoren und dennoch führen sie meistens zum richtigen Ergebnis, mir fehlten manchmal entscheidende Zwischenschritte und dadurch kam für mich auch der Schluss ein bisschen zu plötzlich.
Clever gewählt finde ich den Titel, denn er kann auf mehrere Arten gelesen werden: „Nach dem Leben“ im Sinne von „am Ende des Lebens“ oder „jemand trachtete dem Opfer nach dem Leben“. Aber noch ein Wort zur Todesursache: „Hypoglykämie oder einfach ausgedrückt Überzuckerung.“ – und das aus dem Mund der Rechtsmedizinerin! „Einfach ausgedrückt“ und dann auch noch falsch. Überzuckerung wäre Hyperglykämie.
Aber sei’s drum. Mich hat das Buch sehr gut unterhalten und es ist flott nebenher zu lesen. Von mir gibt es vier Sterne und ich freue mich auf den nächsten Teil.

Bewertung vom 25.08.2025
Zabel, Rick

On the Road


gut

„On the Road. Von der Freiheit auf dem Rennrad“ ist der Titel von Rick Zabels Buch (geschrieben in Zusammenarbeit mit Harald Braun). Ich mag Biografien und ich mag Sport. Zwar bin ich nicht unbedingt ein Radfahr-Fan, aber ich erfahre gerne mehr über die Menschen hinter den bekannten Namen. Wenn man mit 32 Jahren seine Autobiografie vorlegt, sollte man eine Menge zu erzählen haben. Und man sollte es in ansprechender Form zu Papier bringen.
Aber von vorn.
Rick Zabel hat viel zu erzählen, über Höhen in seiner Karriere und noch viel mehr über die Tiefen. Nachdem er das Fußballspielen aufgegeben hatte, machte er einige Zeit keinen Sport mehr. Ein Kommentar seiner Mutter brachte ihn dazu, mit „richtigem Radsport“ zu beginnen, denn er „war ein richtiger Pummel geworden“. Obwohl er aus einer Familie kommt, in der Radsport eine große Rolle spielte und immer noch spielt (er ist der Sohn des Radrennfahrers Erik Zabel und ein Enkel des Radrennfahrers Detlef Zabel), war es bis zu seiner Anmeldung beim RSV Unna gar nicht klar, ob er in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters treten würde. Dann aber begann er, sich für den Sport zu begeistern. Mit 13 Jahren verließ er sein Elternhaus in Kessebüren und besuchte fortan das Sportinternat in Erfurt. Nach viereinhalb Jahren verließ er Erfurt und brach die Schule in der elften Klasse mitten in einer „Mir egal“-Phase ab. Aufgrund seiner sportlichen Erfolge konnte er sich in schulischer Hinsicht erlauben, faul zu sein und hat sich „nicht wie jemand verhalten, den ich selbst gern kennengelernt hätte.“ Er kehrte in den Schoß der Familie und sein ehemaliges Kinderzimmer zurück. In den folgenden Jahre fuhr er für das Rabobank Development Team, das BMC Racing Team, Team Katusha Alpecin, Israel Start-Up Nation und Israel-Premier Tech. Er wurde als Profi nur mäßig erfolgreich, seine Laufbahn war ein stetes Auf und Ab. Er fuhr viermal den Giro d'Italia und viermal die Tour de France, stürzte oft, verletzte sich häufig und beendete die Karriere 2024 mit 31 Jahren. Jetzt ist der Vater von zwei Söhnen Rad-Influencer, Podcaster und Kommentator.
Alles in allem fand ich das Buch leider sehr mittelmäßig. Sprachlich ist es ein bisschen auf Podcast-Niveau, wobei ich seinen Podcast nicht kenne. Das Buch ist locker-flockig aus der Hüfte geschrieben und leicht zu lesen. Aber ich habe auch keine große Literatur erwartet. Was ich aber erwartet hatte, war eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Zwar schreibt Zabel ehrlich über seine eher mäßig verlaufene Karriere (in 13 Jahren als Profi ist er nie ganz vorne mitgefahren und feierte lieber, als richtig hart zu arbeiten), verliert sich ein bisschen in der Aneinanderreihung von Rennen und Platzierungen und vernachlässigt dabei meiner Meinung nach die Informationen zum Menschen Rick Zabel. Interessant fand ich seine Erzählungen über sein Verhältnis zu seinem Vater und die Schwierigkeiten, die das Tragen eines bekannten Namens mit sich bringt. Da befand er sich fast in einer No-Win-Situation. Fuhr er gut, hieß es „kein Wunder, bei dem Vater“ und fuhr er schlecht, fiel die Kritik härter aus als bei anderen. Dazu kam, dass sein Vater ein enorm hohes Maß an Trainingsfleiß und Zielstrebigkeit auszeichnet, etwas, das dem Sohn zeitweise schlicht fehlte. Informativ fand ich das Kapitel über den Umgang mit der Doping-Vergangenheit von Vater Erik und Hintergrundinformationen über Doping an sich. Leidlich interessant und informativ fand ich seine „Begriffe aus der Welt des Radsports“, allerdings gibt es ein paar davon genauso in anderen Sportarten, zum Beispiel ist mir als Läufer der „Hungerast“ (leider) sehr gut bekannt.
Einerseits schreibt Rick Zabel sehr reflektiert über seine Zeit im Profi-Radsport, seine Ehrlichkeit finde ich lobenswert. Er geht hart mit sich selbst ins Gericht, schreibt über seinen mangelnden Fleiß und Reibereien mit seinem Vater und hohen Erwartungsdruck. Egal, ob man seine Karriere als gescheitert ansieht oder es „er hat seinen Weg abseits des Sports gefunden“ - für mich ist das Buch auf jeden Fall keine wirklich gelungene Autobiografie und auch kein Buch über den Radsport und die Liebe dazu. Auch wegen der überschaubaren Seitenzahl und der fehlenden Bilder war es allenfalls eine nette Lektüre für einen verregneten Nachmittag. 2,5 Sterne, aufgerundet auf drei.

Bewertung vom 31.07.2025
Slaughter, Karin

Dunkle Sühne / North Falls Bd.1


ausgezeichnet

Bei neuen Büchern von Karin Slaughter bin ich immer der Erste, der zugreift, so auch bei ihrem neuesten Werk „Dunkle Sühne“. Als großer Fan der „Will-Trent“-Reihe bin ich bei neuen Wegen wie auch bei Stand-Alones sehr skeptisch, aber bei diesem Buch war das völlig unbegründet. „Dunkle Sühne“ ist der Beginn einer neuen Serie, die in North Falls spielen wird und der erste Teil hat mich wirklich mitgerissen. Was für ein Auftakt!
Aber von vorn.
Am 4. Juli wird in den USA nicht nur der Unabhängigkeitstag gefeiert, auch Madison Dalrymple feiert mit Vater, Stiefmutter und Halbbruder ihren 15. Geburtstag. Allerdings ist ihr nicht nach Familienidylle im Park mit städtischem Feuerwerk zumute, sie plant mit ihrer Freundin Cheyenne in zwei Monaten nach Atlanta abzuhauen, „in einer Suite im Ritz-Carlton wohnen und VIP-Tickets fürs Music Midtown-Festival bekommen, ein paar ältere Typen treffen, die mit ihnen in die angesagten Clubs gingen, und wahrscheinlich als Football-Spielerfrauen enden und in prächtigen Villen wohnen“. So der Plan, den die beiden hochpubertären und rebellischen Teenager bei einem Joint an diesem Abend besprechen wollen. Ihr Plan geht nicht auf, nach dem Feuerwerk werden von den beiden nur ihre Fahrräder gefunden (eines ist kaputt), außerdem eine große Menge Blut. Von Madison und Cheyenne fehlt aber jede Spur. Emmy Clifton ist nicht nur die Tochter des örtlichen Sheriffs Gerald Clifton und dessen Deputy, sondern auch die beste Freundin von Madisons Mutter. Sie suchen verzweifelt nach den beiden Vermissten, aber da bei Kindesentführungen die Zeitfenster sehr klein sind, in denen erwartet wird, das Opfer noch lebend zu finden, läuft ihnen die Zeit davon.
Zwölf Jahre nach der Verhaftung des Hauptverdächtigen wird dieser aus der Haft entlassen. Kurz darauf wird in North Falls wieder ein Teenager vermisst. Schnell ist klar: die vierzehnjährige Paisley Walker wurde entführt. Die Verdächtigen und die Ermittler sind dieselben. Und auch dieses Mal ist es ein Wettlauf gegen die Zeit.
Für mich war „Dunkle Sühne“ eine fast komplett runde Sache. Kritikpunkte sind die für mich manchmal nicht stimmige Wortwahl in der Übersetzung und der Titel, der irgendwie nicht passt. Sonst habe ich kaum Kritikpunkte: Setting, Charaktere, Schreibstil, Plot – da stimmt einfach alles. Die Kleinstadt-Atmosphäre wird unter anderem dadurch geprägt, dass alle miteinander verwandt zu sein scheinen, auch wenn sie untereinander zum Teil mehr oder weniger verfeindet sind. Die Geschichte an sich ist ein zwei großen Abschnitten erzählt, vor 12 Jahren und heute. Sie braucht ein bisschen, um in Fahrt zu kommen, aber nach ein paar Dutzend Seiten nimmt die Geschwindigkeit immer mehr zu. Durch die zahlreichen auch völlig unerwarteten Wendungen werden Tempo und Spannung hoch.
Was mir wirklich gut gefallen hat ist, dass die Leserschaft immer wieder auf den aktuellen Stand der Ermittlungen gebracht wird. „Was wissen wir?“ ist die Frage, die sich die Ermittler immer wieder stellen und dann folgt eine Zusammenfassung, ebenso auf die Frage „Was glauben wir zu wissen?“ So etwas war mir vorher in keinem Krimi/Thriller begegnet.
Die Charaktere sind dreidimensional und bildhaft beschrieben, jedem hat Karin Slaughter ganz eigene Merkmale mitgegeben, bei der Vielzahl der auftretenden Personen eine echte Leistung. Emmy kämpft an allen möglichen Fronten. Ihr Mann Jonah macht ihr zu schaffen, der Fall natürlich auch und sie steht immer im Schatten ihres Vaters und Vorgesetzten Gerald. Dazu wird ihre Mutter Myrna zunehmend dement. Und dann taucht auch noch Jude Archer auf, eine Kriminalpsychologin des FBI, die eine ganz eigene Verbindung zu North Falls hat.
Inhaltlich ist es ein „typischer Slaughter“, blutig und brutal, dazu gibt es Einblicke in die Abgründe menschlichen Verhaltens. Thematisch handelt der Thriller etwas ab, das nie die Aktualität verlieren wird: Mord, M***brauch, Machtm***brauch und die Naivität von Teenagern, cleverer zu sein, als alle anderen. An manchen Stellen hätte die Autorin sich ein bisschen kürzer fassen können, aber ihre Aus- und Abschweifungen und Längen bin ich gewohnt. Ebenfalls gewohnt bin ich ihre völlig überraschenden Wendungen, aber dieses Mal hat sie mich an ein paar Stellen eiskalt erwischt, auf diese Twists wäre ich im Leben nicht gekommen. Im Original heißt das Buch „We are all guilty here“ („Wir sind hier alle schuldig“) und der Titel passt hervorragend, denn in diesem Ort hat jeder irgendwelche wie auch immer geartete Geheimnisse.
Für mich war das Buch eine tolle Lektüre, ich habe mitgefiebert und mit Begeisterung mitgerätselt. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 25.07.2025
Follett, Ken

Das zweite Gedächtnis (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schon seit meiner Jugend bin ich ein Fan von Ken Follett. Auch „Das zweite Gedächtnis“ habe ich schon vor 25 Jahren kurz nach der Veröffentlichung gelesen. Obwohl ich kein übermäßig großer Freund von politischen Thrillern bin, hat das Buch mich begeistert. Es ist ein packender Thriller rund um den Start des ersten amerikanischen Satelliten am 1. Februar 1958.
Aber von vorn.
Ein Mann kommt frühmorgens auf einer Bahnhofstoilette zu sich und stellt entsetzt fest, dass er keinerlei Erinnerungen mehr hat. Von einem Obdachlosen erfährt er, dass er wohl Luke heißt, aber ansonsten weiß er weder wer er ist, wo er sich befindet oder welches Jahr man schreibt. Nach einiger Zeit merkt er, dass er über Wissen bezüglich Physik und Mathematik verfügt – aber er hat keine Ahnung, woher dieses Wissen kommt. Minutiös versucht er, das Rätsel seiner Identität zu lösen und taucht tief in einen Spionage-Sumpf rund um den Start der Explorer, die an diesem Tag den ersten Amerikanischen Satelliten ins Weltall bringen sollte. Er nicht weiß, wem er überhaupt vertrauen kann, hat keine Ahnung, wer Freund und wer Feind ist, merkt aber schnell, dass er verfolgt wird und ihm irgendjemand nach dem Leben trachtet. Aber warum? Als er für sich Licht ins Dunkel bringen kann, läuft der Countdown, sowohl für die Trägerrakete als auch für sein eigenes Leben. Die Uhr tickt und die Zeit läuft ab.
Ken Follett erzählt „Das zweite Gedächtnis“ in mehreren Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Leserschaft weiß dadurch sehr schnell sehr viel mehr als der Protagonist, da die unterschiedlichen Ebenen viel über ihn preisgeben, was er selbst sich noch zusammenreimen muss. So hat man aber auch sehr schnell eine Idee, wohin die ganze Geschichte führen wird, was meiner Spannung aber keinen Abbruch tat. Die Gegenwart erstreckt sich über einen überschaubaren Zeitraum von knapp drei Tagen. Dazu gibt es Rückblicke in die Vergangenheit, eingeschoben werden Passagen aus 1941, 1943, 1945, 1954 und den Schluss des Buchs bildet ein Epilog aus dem Jahr 1969. Die Kapitel in der Gegenwart sind mit den jeweiligen Uhrzeiten überschrieben, was der Geschichte zusätzliche Spannung verleiht, denn die Handlung ist zeitlich sehr eng getaktet. Informativ fand ich, dass am Anfang der einzelnen Kapitel kurze Hintergrundinformationen zur Raketentechnik stehen.
Das Buch hatte am Anfang ein paar kleine Längen, aber nach ein paar Dutzend Seiten hatte mich die Geschichte gepackt. Der kalte Krieg, der „Sputnik-Schock“, der Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltall und die Rolle der Geheimdienste (auch beim Einsatz experimenteller medizinischer Verfahren und Drogen bezüglich des Gedächtnisses), das „über-Leichen-Gehen“, die Verwirrung darüber, wer Freund und wer Feind ist – das alles machte für mich das Buch dann zum Page-Turner, heute genauso wie vor 25 Jahren. Spannend war es für mich auch, das Buch vor dem Hintergrund der Fortschritte in der Raketentechnologie zu lesen, ein Buch über Zeiten, in denen bemannte Raumfahrt noch Zukunftsmusik war und von der ISS und „Vergnügungsflügen“ ins All allerhöchstens geträumt werden konnte. Für mich ein Anlass, darüber nachzudenken, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat (positiv und negativ).
Die Charaktere sind überwiegend hervorragend ausgearbeitet, vor allem von den Protagonisten bekommt man ein sehr gutes Bild. Sprachlich ist es „ein echter Follett“, ein bisschen lang, ein bisschen ausschweifend, aber mit viel Sachkenntnis geschrieben, sehr spannend und sehr gut zu lesen. Da Liebesgeschichten bei ihm nicht fehlen dürfen, weist natürlich auch „Das zweite Gedächtnis“ eine solche auf (eigentlich sogar mehrere), aber der Autor schafft es, sie so einzubauen, dass sie nicht allzu klischeehaft ist und sich gut in die eigentliche Handlung einschmiegt. Leider habe ich ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehler gefunden, was ich immer sehr ärgerlich finde.
Aber abgesehen davon war die Lektüre für mich eine Freude und eine willkommene Reise in die Vergangenheit – historisch und persönlich gesehen. Von mir gibt es fünf Sterne.