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TK

Bewertungen

Insgesamt 103 Bewertungen
Bewertung vom 27.02.2023
Aus ihrer Sicht
Céspedes, Alba de

Aus ihrer Sicht


sehr gut

Zeitlos und kraftvoll

Für ein Buch, das zuerst 1949 in Italien veröffentlicht worden ist, bietet "Aus ihrer Sicht" eine absolut aktuelle, zeitlose und unmittelbar emotional nachvollziehbare Geschichte einer jungen Frau.
In einer Gesellschaft, in der ihr von allen Seiten vermittelt wird, dass man als Mensch, aber besonders als Frau, gar nicht darauf zu hoffen braucht, im Leben zufrieden und glücklich zu sein, möchte sich die Protagonistin Alessandra damit nicht abfinden. Auch die von einer patriarchalisch bestimmten Welt vorangenommene Rolle einer (Ehe-)Frau und die vorbestimmten Einschränkungen, die sie selbst in der Ehe mit ihrem eigentlich modern eingestellten Mann erfährt, kann und will sie nicht akzeptieren. Ihre starken Überzeugungen bringen sie schließlich dazu, aktiv im antifaschistischen Widerstand zu kämpfen.

Der Roman ist eine recht anspruchsvolle Lektüre, denn die Erzählung ist sehr detailreich und lang - "Sie ist tatsächlich sehr lang, denn auch das kurze Leben einer Frau ist, Tag für Tag und Stunde um Stunde, unendlich lang, und selten gibt es nur einen einzigen Grund, der sie zu einem plötzlichen Aufbegehren zwingt." - und nicht in Kapitel oder deutliche Abschnitte aufgeteilt, und der Spannungsbogen der Handlung und Ereignisse nimmt erst in der zweiten Hälfte des Buches zunehmend Geschwindigkeit auf, aber auf jeden Fall eine sehr bewegende und lohnende Lektüre:
Ein kraftvolles Portrait einer Frau und einer Zeit, mit sehr viel umfassenderen und universellen Botschaften.

Bewertung vom 25.02.2023
Young Mungo (eBook, ePUB)
Stuart, Douglas

Young Mungo (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schmerzhaft, unter die Haut, und hoffnungsvoll

"Young Mungo" erzählt eine Geschichte, für die so ziemlich jede Triggerwarnung notwendig ist, die man sich vorstellen kann. Doch so schmerzhaft Mungos Lebensgeschichte auch ist, so viel Herz und Willen und Humor beweist sie auch, so dass trotz allem ein Gefühl oder ein Wunsch der Hoffnung zurückbleibt.

Douglas Stuart ist mit Mungo ein unglaublich eingehender Protagonist gelungen, der in den prekären Verhältnissen eines Glasgower Arbeiterviertels der 90er Jahre, wo Härte und Gewalt zum Überleben notwendig scheinen, einfach zu weich, zu schön und zu gut ist.

In einer Lebenswelt und gesellschaftlichen Prägung, aus der es kaum jemand schafft zu entkommen, von unbeschadet entkommen ganz zu schweigen, kann Mungo schlicht nicht anders, als genau der zu sein und zu bleiben, der er ist.

Seine Stimme und seine Erfahrungen sind so packend und ehrlich, dass ich mich kaum von der Geschichte losreißen wollte - ein absolut empfehlenswerter, unter die Haut gehender Roman!






Zur deutschen Version:
Da ein großer Teil der Persönlichkeit des Romans auch über das sehr spezielle, aber auch sehr sympathische schottische Englisch erzeugt wird, bin ich sehr froh, "Young Mungo" in der originalsprachigen Hörbuchversion von Chris Reilly gehört zu haben, denn die deutsche Übersetzung des Dialektes sagt mir nicht so zu - allerdings ist passende Dialektübersetzung auch ein schwieriges Unterfangen und zwangsläufig weniger authentisch.

Das auf manchen Ausgaben verwendete Coverbild eines Jungengesichtes halb unter Wasser finde ich sowohl in Bezug auf die tatsächliche Handlung als auch symbolisch passender und auch ansprechender, weil es Mungos Erfahrung nicht allein auf seine Homosexualität reduziert.

Bewertung vom 17.02.2023
Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen
Blum, Isaac

Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen


ausgezeichnet

Sympathischer Protagonist in einer überraschend zugänglichen Welt

Mit Hoodie Rosen ist Isaac Blum ein unglaublich sympathischer Protagonist gelungen, dessen Stimme, Humor und Sicht auf die Welt mich wirklich angesprochen haben und mir eher bekannt als fremd vorkamen, obwohl sie aus einer ganz eigenen, parallelen Gesellschaft kommen.

Hoodies Geschichte hat mich an mehr als einer Stelle überrascht, vor allem wie amüsant und leichtfüßig sie auf einer Seite ist, und wie dramatisch und berührend auf der anderen Seite.
Ich war überrascht, wie locker Hoodie seine Jugend und sein Familienleben mit seinen herrlich schrägen Schwestern auch in einer orthodoxen jüdischen Gemeinde wahrnimmt und beschreibt, allerdings beruht die Überraschung hier wohl eher auf klischeebehaftetem Denken meinerseits, schließlich sind Teenager vor allem Teenager, auch wenn oder gerade weil sie in einer Gemeinschaft mit strengen Regeln aufwachsen. Außerdem ist Hoodie im Vergleich zu seinen Freunden wohl auch tatsächlich eine Ausnahme in seiner Gemeinschaft.

Sehr spannend fand ich, dass er nicht rebelliert oder sich gegen Familie und Glaubensgemeinschaft auflehnt, sondern vielmehr durch den ihnen entgegengebrachten Antisemitismus, eine zufällige Freundschaft und seinen Wunsch zu helfen in eine Situation gebracht wird, in der er trotz guter Absichten gegen die Regeln des Talmud verstößt.
Erwachsenwerden und einen eigenen Platz in der Familie, der Gesellschaft und der Welt zu finden ist für jeden jungen Menschen schwierig, aber die Vielzahl an Regeln, Auslegungen und Interpretationen zu navigieren macht es wirklich nicht einfacher.

Das Buch bietet einen klug geschriebenen, gut verständlichen und sehr zugänglichen Einblick in eine eher unbekannte Lebenswelt, die man durch die liebenswerten Charaktere sehr persönlich erlebt.

Bewertung vom 06.02.2023
Gleißendes Licht
Sinan, Marc

Gleißendes Licht


sehr gut

poetische, alptraumhafte Spirale in die Dunkelheit

Eine sehr spannende, häufig verstörende Auseinandersetzung mit der türkischen Geschichte und dem türkischen Wesen, dem Völkermord an den Armeniern, und der über Generationen weitergegebenen Schuld, dem Wunsch nach Rache, Vergeltung, Vergebung.

Der Wechsel zwischen den Szenen, den Generationen, Handlungsorten, erlebter und erzählter Vergangenheit sowie der Handlungswelt und der Gedankenwelt des Protagonisten ergibt ein faszinierendes, aber nicht einfach zu verarbeitendes Gesamtbild.
Der Protagonist Kaan ist eine problematische, häufig sehr unsympathische Figur, die sich immer mehr in wahnhaft-zwanghaftem Drang nach Rache und alptraumhaften Szenen, die nicht mehr in der Realität verankert sind, verliert.
Der in Deutschland aufgewachsene, musisch, unpatriachalisch und unmachistisch erzogene Kaan, dem man seine türkischen Wurzeln auch äußerlich nicht ansieht, erhielt doch in den Ferien bei seinen Großeltern in der Türkei immer wieder die gesamte Last der Familiengeschichte und ein männliches Bild von Stärke und Gewalt aufgeladen. In einer Kultur, in der alle mächtigen männlichen Rollenbilder von Kaan Dede, Großvater, genannt werden, vom tatsächlichen Großvater über mythologische Anführer bis hin zum Präsidenten, überrascht es nicht, dass die Überwindung der Vergangenheit zu einem persönlichen Erbe, einer persönlich empfundenen, alles übersteigenden Pflicht wird.

Den musikalischen Hintergrund des Autors merkt man der Komposition der Szenen, der Wiederholung, Spiegelung und Variation von Themen und Motiven, deutlich an, noch dazu mit dem Wissen, dass dieser Stoff tatsächlich zuerst in einem musikalischen Oratorium verarbeitet wurde. Ebenso ist es der autobiographische Hintergrund, der die Geschichte eine solch starke Wirkung entfalten lässt.

Keine leichte, erst recht keine schöne Geschichte, allerdings eine poetisch, literarisch sehr beeindruckende, in der auf der einen Seite das titelgebende gleißende Licht steht, auf der anderen Seite die "ewige Verbindung von Tätern und Opfern", die "Spirale [...], die uns seit Jahrhunderten in die Dunkelheit zieht".

Bewertung vom 03.02.2023
Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?
Weber, Sara

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?


sehr gut

Arbeiten am Rande des kollektiven Burnouts

Dieser Titel wird nach den Erfahrungen und Belastungen der letzten Jahre viele Menschen ansprechen, den er trifft genau den Zeitgeist einer Kultur von Erschöpfung und Burnout, die langsam in Frage gestellt wird.
Arbeit sollte nicht der alles bestimmende Teil des Lebens sein, wirtschaftlich ist dies weder nötig noch logisch, von den Auswirkungen auf Menschen, Gesellschaft, Gesundheit und Klima einmal ganz abgesehen.
Diese Auswirkungen sowie mögliche Schlussfolgerungen und Lösungsmöglichkeiten beschreibt Sara Weber in ihrem Buch sehr schlüssig argumentiert, gut recherchiert und mit vielen eindrücklichen, persönlichen Fallbeispielen.

Diese reportageartigen Portraits von Menschen, die für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedinungen kämpfen, haben insgesamt den größten Eindruck auf mich gemacht. Der Rest der Erläuterungen hatte einige Längen, vielleicht aber auch, weil mir die allgemeinen Informationen und Zusammenhänge der heutigen dysfunktionalen Arbeitswelt durch eigene Auseinandersetzungen sowie durch Blogs, Artikel etc. bereits bekannt sind.

Auf jeden Fall ist das Buch ein sehr zugänglicher und wichtiger Schritt zu der allgemeinen Erkenntnis, dass Arbeit in der Form wie wir sie kennen keine Naturgewalt, sondern menschengemacht ist, und dass wir nicht an unserer gestörten, dysfunktionalen Beziehung zu ihr festhalten müssen.

Bewertung vom 03.02.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


ausgezeichnet

Eine Geschichte, traurig und schön

Unglaublich schön, poetisch und berührend melancholisch ist diese Geschichte, die auch ein Märchen oder eine Sage sein könnte.

Gieselmanns Worte um Farben, Licht und Dunkel und die "hundert Arten der Stille" erschaffen eine faszinierende, traumgleiche Atmosphäre, in der Ort und Zeit zu verschwimmen scheinen. Besonders der Verlauf der Zeit eines Menschenlebens, und der Welt, die sich nicht für die Menschen auf ihr interessiert, ist wirklich beeindruckend erzählt.

"Der Inselmann" ist so besonders, dass es mir schwer fällt, meine Gedanken dazu in Worte zu fassen, weil die Lektüre so intensiv und beeindruckend ist - das ist wirklich, wofür Sprache existiert und wie sie zu Literatur wird. Ich bin begeistert und - im guten Sinne - erschüttert, weil diese doch kurze Geschichte so viel Kraft entwickelt und wirklich tief emotional nachwirkt.

Ein echtes Kunstwerk, mit so vielen wunderschönen Sätzen und perfekt treffenden Formulierungen, sich in konzentrischen Kreisen ausbreitend.

"Alles liegt jetzt wieder da in verschattetem Blau, dem müden Licht eines Traums, der einmal wahr gewesen ist."

Bewertung vom 28.01.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


ausgezeichnet

Für Familiengeschichten vor dem Hintergrund der Weltgeschichte bin ich immer gerne zu haben. Dieses Große im Kleinen, dieses Umfassende, die Erfahrungen der vergangenen Generationen, die bis in die Gegenwart nachwirken, bietet für mich meistens die Grundlage einer bewegenden Geschichte, wie sie hier von Sabrina Janesch in "Sibir" großartig erzählt wird.

Die Weite, Stille, unvorstellbare Kälte und sengende Hitze der Steppe Kasachstans und die Stärke der Menschen, die dort leben, weil es ihre Heimat ist, oder weil sie dorthin verbannt wurden, ist unmittelbar spürbar. Es lässt einen im Angesicht von Unwirtlichkeit und politischer Gefahr in der Sowjetunion der Nachkriegszeit schaudern, aber gleichzeitig auch die Nostalgie einer herumstromernden Jugend in Freiheit und Selbstbestimmtheit nachfühlen, wie Josef sie erlebt hat. Diese Jugendzeit, die man als Kind nur als Abenteuer verarbeiten kann, spiegelt sich erstaunlich in der Jugend seiner Tochter Leila, aufwachsend am Stadtrand eines niedersächsischen Ortes in den 1990er Jahren. Beide Zeiten sind auf ihre Art wirklich spannend und nachvollziehbar dargestellt.

Sehr bedrückend wird deutlich, dass die Russlanddeutschen und Spätaussiedler durch die deutsche und europäische Geschichte zu Heimatlosen und überall Fremden gemacht wurden, die, zu Deutsch in den Ländern der Sowjetunion, zu Russisch später in Deutschland, nirgendwo richtig dazu gehören und sich am Rande der bestehenden Gesellschaften auf ihre eigenen Gemeinschaftsstrukturen verlassen. Vielleicht gehören sie aber statt keiner gleich drei Kulturen an, wie durch Josefs Sammeln der Wörter auf Deutsch, Russisch und Kasachisch annehmen lässt.

Die Lektüre hat mich daran erinnert, dass auch wir in den 90er Jahren von einem Tag auf den anderen vier "russische" Kinder in unsere Schulklasse bekommen haben, was damals soweit ich weiß allerdings nicht wirklich thematisiert oder irgendwie erklärt wurde. Auch diese Kinder sind mehr oder weniger für sich geblieben, dabei weiß ich nicht einmal, ob sie sich vorher eigentlich kannten, oder in dieser Situation aneinander festgehalten haben. Ich habe das Gefühl, dass ich mir jetzt, rückblickend für mein jüngeres Ich, sehr viel mehr vorstellen kann, was diese Familien wohl erlebt und gefühlt haben.
Nomadisieren

Das Coverbild des Buches lässt mich ein bisschen rätseln, die Forelle (?) taucht im Text auf, aber ihre Bedeutung entzieht sich mir noch.

"Sibir" ist eine starke, berührend erzählte Geschichte mit sehr interessanten Figuren in allen Erzählebenen.
Auch die von Julia Nachtmann stimmig und angenehm eingelesene Hörbuchversion kann ich sehr empfehlen, auch weil der Klang der kasachischen Eigennamen mir sehr gut gefallen und die Atmosphäre sehr passend ergänzt hat.

Bewertung vom 25.01.2023
Die Chroniken von Lunis - Wächterin des Lichts (Die Chroniken von Lunis 1)
McCurdy, Janelle

Die Chroniken von Lunis - Wächterin des Lichts (Die Chroniken von Lunis 1)


sehr gut

Spannende Fantasy-Welt

Ich (12) habe das Buch gestern bekommen, wurde gleich durch das Cover angezogen und wurde dann mehrere Stunden nicht mehr von meiner Familie gesehen, weil ich es unbedingt direkt zu Ende lesen wollte, weil es superspannend ist und man gar nicht mehr aufhören kann.

Die Welt in Dunkelheit ist toll gestaltet und die Magie von Licht und Schatten gefällt mir sehr gut. Ich möchte auch einen Umbra haben, gerade die Illustrationen im Umschlag sehen toll aus! Ich mag die Figuren von Mias Umbra Lux und Nox am meisten, weil sie auf coole Weise knuffig sind, obwohl der weiße irgendwie aggro drauf ist. Insgesamt mag ich in Büchern generell Tiercharaktere mehr als Menschencharaktere, aber hier sind die Menschen auch ganz okay, am besten finde ich Jada.

Nicht gefallen hat mir, dass die Geschichte im Präsens geschrieben ist, das mag ich einfach nicht so.

Insgesamt eine aufregende Handlung in einer tollen Fantasy-Welt. Ich bin gespannt was in den nächsten Teilen passiert!

Bewertung vom 25.01.2023
Liebewesen
Schmitt, Caroline

Liebewesen


ausgezeichnet

"Wer sein Herz an ein Lebewesen hängt, kann nur verlieren"

Was für ein absolut perfekt passendes Cover für diesen Roman, der locker-lustig-rosarot daherkommt, um sich dann unvermittelt umzudrehen, und mit Schmitts unglaublich präzisen Worten zielstrebig genau überall dorthin zu treffen, wo es am meisten Schmerzen verursacht - "wie eine alte Bekannte, die jede Woche auf einen Kaffee oder halt eine Machete vorbeikam".

Auch der Titel, "Liebewesen", ist ebenso treffsicher, für das was Liebe, oder die Abwesenheit von Liebe, oder das was als Liebe verstanden wird, oder das welche Formen Liebe annehmen kann, aus Menschen macht - diese ganzen Figuren, die alle auf irgendeine Weise so wunderschön kaputt sind.

"Warum machst du alles so bunt?" - "Damit noch ein bisschen Farbe da ist, wenn die große Schwarzmalerei losgeht."
Für jemanden mit hinreichender Erfahrung mit Depressionen und Angststörungen ist das so ein prägnantes Bild, die widersprüchliche emotionale Verfassung eines Betroffenen zu beschreiben. Auch die Traumata der Protagonistin, und wie sie auf sie wirken, sind stark und berührend charakterisiert.

Ein wirklich beeindruckendes Romandebut einer sehr vielversprechenden Autorin - ich erwarte gespannt, was da noch kommt!

Bewertung vom 25.01.2023
Saubere Zeiten
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


sehr gut

"den Erinnerungen Wurzeln zu verschaffen"

Andreas Wunns Debüt "Saubere Zeiten" ist, wie das stimmige und stimmungsvolle Umschlagbild treffend zeigt, unter anderem ein Roman über Väter und Söhne, denen es schwerfällt, sich einander zuzuwenden, anzusehen und eine Beziehung aufzubauen, auch weil jeder an seiner eigenen Schuld und seinem eigenen Schmerz so schwer zu tragen hat.

Wunns Sprache und Erzählstil ziehen direkt emotional in die Handlung herein. Auch wie die verschiedenen Ebenen zeitlich und thematisch miteinander verwoben sind und die Auseinandersetzung mit der Familien- und Firmengeschichte im Laufe der Geschichte Deutschlands spiegeln, ist sehr gelungen. Vermutlich wird jede*r Lesende etwas ganz anderes finden, das persönlich aus diesem Buch heraussticht.
Für mich ist es die Melancholie all des Ungesagten, der Sprachlosigkeit in Familien, zwischen Generationen, zwischen Freunden und Liebenden, der verpassten Chancen und unwiederbringlich vergangenen Momente.

Der Umgang mit Erinnerung, die nicht nur in Worte und Gedanken gefasst im Kopf existiert, sondern vom ganzen Menschen verarbeitet werden muss, ist ein sehr faszinierender Gedanke: "Alles, was wir tun, und alles, was wir sehen, und alles, was wir hören, ist in unserem Körper. Das Leid und die Freude. Die Liebe und das Glück. Und auch das Grauen. Es ist alles in uns drin. Es bleibt alles in uns drin. Und wir müssen lernen, damit umzugehen. Und auch mal was rauszulassen."

Mit dem Buchtitel bin ich noch nicht ganz warm geworden. Er ergibt auf verschiedenen Ebenen sehr viel Sinn, aber bleibt trotzdem schwer greifbar, und ich bin mir nicht sicher ob er mir gefällt. Insgesamt ist allerdings auch die Handlung des Romans schwer auf das eine übergreifende Thema festzulegen. Das Buch bleibt in der Nachwirkung etwas diffus, doch mit vielen berührenden Anstößen.