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mapefue
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Kirchbichl

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 29.03.2022
Fürchte die Schatten / Cyrus Haven Bd.2
Robotham, Michael

Fürchte die Schatten / Cyrus Haven Bd.2


ausgezeichnet

Ein literarisches Kabinettstück, ein Psychothriller der Extraklasse.

Zentrale Figuren sind Cyrus Haven und Evie Cormac, beide teilen sich den Thriller als Ich-Erzähler/in. Michael Robotham erstellt von beiden beeindruckenden Personen ein detailliertes Psychogramm, betreffend alle Zeitebenen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (was die dritte Zeitebene betrifft: Lying Beside You erscheint ca. Juni 2022).

Vor sechs Jahren, wurde Evie Cormac (17 Jahre alt?) von Sacha Hopewell gefunden, versteckt in einer Geheimkammer, in der sie die Folter und den Mord an ihrem „Beschützer“ Terry Boland mitverfolgen musste. Aber nie hat jemand ihren wahren Namen und ihre Herkunft herausgefunden. Jedoch endete für jeden der es herausfinden wollte mit dem Tod.

Cyrus Haven, 31, forensischer Psychologe und Berater der Polizei, ist der Einzige, dem Evie traut. Doch auch Cyrus, wird von seiner eigenen Vergangenheit verfolgt. Je näher er an die Lösung und Antworten zu Evies Vergangenheit kommt, desto mehr wird sie der tödlichen Gefahr ausgesetzt, aus der es kein Entkommen gibt.
Der pensionierte Detective Whitmore hat mit dem alten Fall eines pädophilen Vergewaltigers beschäftigt und ist dabei auf Ungereimtheiten gestoßen. Diese Nachforschungen kosten ihn das Leben, seine Unterlagen werden gestohlen, Cyrus Haven entdeckt eine Verbindung zu Evie. Die Jagd beginnt…
Die Ermittlungen der Polizei in der Person von Chief Inspector Lenny Parvel und den Erkenntnissen von Cyrus Haven, nicht immer kongruent mit seiner Chefin, sind auf der Spur eines Pädophilenrings, der bis in hohe politische und gesellschaftliche Kreise führt.

Robotham gelingt mit FÜRCHTE DIE SCHATTEN ein mitreißender, packender Roman. Ein spektakulärer Plot, eine überzeugende Figurenzeichung und jede Menge Action. Der Schreibstil ist exzellent und nimmt den Leser bis zum Schluss in Beschlag.

Bewertung vom 24.03.2022
Eine Zelle für Clete
Burke, James Lee

Eine Zelle für Clete


ausgezeichnet

BURKE steht für hochklassigen Krimi-Noir, für Louisiana, für Cajun und für Dave Robicheaux und Clete Purcel. Warum #18 der Dave Robicheaux-Reihe den trivialen und geistlosen Titel „Eine Zelle für Clete“ erschließt sich mir nicht.
„Vieles war nur Illusion, nur Fassade. Das wohltätige St. Jude-Projekt, Robert Weingart als geläuterter Ex-Sträfling, Kermit Abelard als Dichter und Menschenfreund. Timothy Abelard als vom Schicksal geplagter Oligarch, Layton Blanchet als Aussteiger aus ärmlichen Verhältnissen, der es zu Reichtum und Ansehen gebracht hatte, indem er kleinen Sparern half, ihr Geld gewinnbringend zu investieren. Ein historisches Cottage, unter dem sich ein Sklavengefängnis verbarg. Die mit Buntglas eingefasste Veranda der Abelards mit all den fantasievollen Motiven und Fabelwesen - Einhörnern, betenden Mönchen und Rittern in schimmernder Rüstung. Ein farbenprächtiger mittelalterlicher Wandteppich, ein gläserner Regenbogen…“ Den Plot als einen „gläsernen Regenbogen“ (im Amerikanischen Originaltitel „The Glass Rainbow“) glanzvoll und treffend beschrieben.

Detective Dave Robicheaux vom Iberia Parish Sheriff's Department ist in mehrere Dilemmas verwickelt; die Morde an sieben jungen Frauen, der dubiose Ex-Kanki Robert Weingard, der Schriftsteller Kermit Abelard und der berüchtigte Zuhälter Herman Stanga. Bedrückend für Robicheaux, seine junge Tochter Alafair ist die Freundin von Kermit. „Er ist zu alt für dich, er ist 33,“ konstatiert ihr Vater. Diesem Umfeld traut er ganz und gar nicht, und er sollte recht haben.

Clete, ehemaliger Polizist, nun Privatdetektiv in New Iberia, das Alter Ego von Dave. Er hat Dave das Leben gerettet und umgekehrt. Beide sind miteinander auf “Gedeih und Verderb“ verbunden. Clete ist so was wie eine menschliche Abrissbirne, nur mit dem Problem, dass er sich am meisten beschädigt, ohne dass es ihm aufgefallen wäre. Clete, der beste Freund den Dave je hatte.
Dave kommt zur Erkenntnis, dass es wirklich tragisch ist, wenn er vergisst, wer er ist und es schweigend hinnimmt, wenn er sich von seinen Wurzeln entfremdet.
Helen Soiliau, Daves Chefin, hält Dave für einen harten Kerl, einen „Bwana“ (swaheli für „Meister“).
Dave sinniert, dass es Momente gäbe, in den jeder eine Erleuchtung hätte, kurze Einblicke in die Wahrheit, die plötzlich sonnenklar sei.

„Dreckiger Reis“ („Dirty Rice“) ist ein traditionelles Gericht der Cajun-Küche. Es besteht aus Reis, der zusammen mit Geflügelklein, vor allem Hühnerleber und -mägen, gekocht wird, die ihm sein charakteristisches dunkles („dreckiges“) Aussehen geben.

Burke weiß wie er seine Leser süchtig macht und gemacht hat und diese warten auf mehr.

Bewertung vom 16.03.2022
KEINE WAHL (Holly Lin 2)
Swartwood, Robert

KEINE WAHL (Holly Lin 2)


weniger gut

Holly Lin im Vorläufer Holly Lin Ohne Ausweg auf dem Cover noch von der Rückseite, zeigt uns Holly Lin und nun ihr Gesicht von der Seite. Ist doch klar, genauso habe ich sie mir vorgestellt.

Holly Lin, der weibliche John Wick.

Die Ich-Erzählerin Holly Lin: „Ich bin eine Killerin, nein, eine weibliche Kampfmaschine, das bringt das Töten mit sich. Aber wie ich das Wort Maschine hasse, denn ich bin ein sensibles Mädchen.“

In Anlehnung an „Die sieben Samurai“ und dessen Remake „Die glorreichen Sieben“ nimmt es diesmal Holly Lin mit den mexikanischen Drogenkartells auf. Sie ganz allein, nicht ganz denn Nova ist an ihrer Seite und hält ihr den Rücken frei. Ein wehrloses Dorf, das ein Drogenbaron terrorisiert, wird von Holly Lin für einen Abwehrkampf aufgerüstet.

Währen El Dablo, der Teufel, Mütter und deren Kinder der Kartellfamilien in einem persönlichen Rachefeldzug tötet, schreckt das Sensibelchen Holly Lin davor zurück.

Spannung - ja, literarisch anspruchsvoll – nein.

Es droht der dritte Band: KEIN VERGESSEN (Holly Lin 3): Thriller Broschiert – 29. April 2022

Bewertung vom 13.03.2022
Eisige Schatten
Horst, Jørn Lier

Eisige Schatten


ausgezeichnet

Die Kollegen von Kommissar William Wisting sind sehr mit der weihnachtlichen Dekoration ihrer Polizeistation beschäftigt, als zwei Tote sie zu umfangreichen Ermittlungen zwingen werden.

Der eine, Viggo Hansen sitzt seit mehreren Monaten tot in seinem Sessel, der andere, Bob Crabb liegt unter einem Baum in einer Weihnachtsbaumplantage. Bei diesem findet die Polizei ein Prospekt in einer Plastikhülle. Dort befinden sich Fingerandrücke eines in den USA gesuchten Frauenmörder. Wanted by the FBI. Seit zwanzig Jahren lebt er in Norwegen als Caveman.

Und weil Jørn Lier Horst ein Fable für eine bestimmte Frau hat, darf Line, Wistings Tochter nicht fehlen. Line ist eine furchtlose Journalistin, schwimmt oft gegen den Strom, schreibt über schwierige Fälle und geht in ihrer Arbeitsweise eigene, meist gefährliche Wege. Line, die Kriminaljournalistin, vermutet aus Gewohnheit, dass hinter sauberen glatten Oberflächen etwas Kriminelles verborgen sein könnte. Nach dem Motto: „Das Böse ist immer und überall.“ Sie vergräbt sich in den ‚Fall‘ Viggo Hansen und recherchiert seine Lebensumstände. Eigentlich eine völlig ungefährliche Nachforschung, möchte man meinen.

Wisting und die hinzugekommenen Kollegen Minnesota suchen nach Mr. Robert Godwin, der über zwanzig junge Frauen in Norwegen, Schweden und Dänemark ermordet haben soll.

Eisige Schatten liest sich über weite Strecken wie eine nüchterne Dokumentation einer kriminalistischen Ermittlung, kein Wunder war Horst lange Jahre bei der norwegischen Kriminalpolizei. Das gibt dem Krimi eine besondere Authentizität, kein Geplänkel unter den Kollegen, keine aufgesetzte Effekthascherei; Wisting wirkt echt und glaubwürdig. Horst ist jedoch Krimiautor und versteht es vorzüglich die Spannung bis zu Letzt aufrecht zu halten.

Den zweiten Part übernimmt Line, zunächst smart und unverbindlich. Es wäre aber nicht Horst, wenn sich diese beiden Stränge kreuzen sollten.

Bewertung vom 08.03.2022
Die Anomalie
Le Tellier, Hervé

Die Anomalie


ausgezeichnet

Im März 2021 gerät eine Boeing 787 des Air-France-Flugs 006 Paris-New York während des Durchquerens einer Cumulonimbus-Wand in einen Sturzflug. Der Pilot Markle kann jedoch wie geplant sicher landen. Drei Monate später im Juni landet dieselbe Maschine mit denselben Passagieren ein zweites Mal. Plötzlich gibt es Menschen zweimal, zweihundert Mal.

Die Anomalie ist im wahrsten Sinn ein phantastischer Roman. Zum einen die sprachliche überragende Qualität, und zum anderen die exquisite Entwicklung der Charaktere und dem Plot, ein raffiniertes Mischwerk aus Spekulation, wissenschaftlich gestützter Antizipation, Zeitsatire, Thriller, literarischem Spaß und mathematisch-philosophischem Experiment. Mit einem Patzen Ironie, was vom Franzosen Tellier, der über die Agitation der Amerikaner in New York schreibt, nicht verwunderlich ist.

Blake, ein Auftragskiller in Paris, einer der Besten, der guten Kaffee schätzt, aber nur der „mit dem engen Zusammenspiel einer exzellenten Bohne, frisch gerösteter, fein gemahlener Nicaragua, einem gefilterten und weichen Wasser und einem Perkolator, einem täglich gereinigten Cimbali .“ Klar Cimbali, aber es muss eine White Eagle Edelstahl mit X3-Technologie sein.
Joanna, eine schwarze amerikanische Staranwältin, die während jenen Atlantikflugs – wenn sie ihn überlebt - beschließt, ihren Geliebten Abraham zu heiraten. „Vor ihrer Hochzeit sollten ihre Keimzellen einander Bekanntschaft gemacht haben und stante pede beschlossen, zu fusionieren.“
Slimboy, ein nigerianische Starsänger. Zu Hélène, „sie tragen ein wunderbares tapaphy … pataphysisches Gewand.“ Glauben die Nigerianer an die ‚Pferdeäpfel-Theorie‘? „Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird auch etwas auf der Straße landen, um die Spatzen zu füttern.“ (‚Trickle-down-Theorie‘ oder ‚Horse and Sparrow-Economics‘).

Zwangslandung auf der Militärbasis McGuire, Anwendung von Protokoll 42, es könnte sich doch um Anflug von Außerirdischen handeln (um Reptilien in Menschengestalt). Tellier macht sich ironischerweise die Analogie zu Area 51 zunutze, halten die Amerikaner dort Außerirdische gefangen.
Nun werden die kasernierten Doppelgänger unter Starfandrohung ‚interviewt‘, mit allem was das amerikanische Krisenmanagement zu bieten hat: NSA, CIA, FBI, Norad, das Verteidigungs- und Außenministerium, die U.S. AirForce und das PsyOP (Psychological Operation) zuständig für …Kriegsführung … fremder Zivilbevölkerungen…. Vielleicht stecken in den Doppelgängern doch Reptilienmenschen. Nicht zu vergessen den Präsidenten, „er verharrte mit offenem Mund, weist starke Ähnlichkeit mit einem fetten Barsch unter blonder Perücke auf.“
Eingeladen sind sämtliche geistlichen ‚Würdenträger‘ aller bekannten und unbekannten Religionen und Weltanschauungen. Wo findet man den Hinweis, ‚dass eines Tages aus dem Azur des Himmels ein Flugzeug auftauchen würde, das in jedem Punkt identisch ist mit einem anderen, das drei Monate zuvor gelandet ist?‘
Die menschlichen? Duplikate‚ ‚…haben beide dieselbe Persönlichkeit und dieselben Erinnerungen, sodass der eine wie der andere davon überzeugt ist, das Original zu sein. Ihre beiden Hirne sind auf dieselbe Weise kodiert, sowohl in chemischer und elektrischer Hinsicht als auch hinsichtlich der Atome.‘

Ein besonders vielschichtiges und emotionales Kapitel in dem reich an komplexen Themen ist die Auseinandersetzung der Doppelgänger von Angesicht zu Angesicht. Wiederholt brilliert der außerordentliche Literat Tellier.

Hervé Le Tellier ist Mathematiker und Linguist. Tellier ist aber auch Oulipoet (Ouvroir de littérature potentielle), und damit dem Vergnügen und dem Surrealen verpflichtet. Es bereitete ihm sicher höchstes Vergnügen, diesen Science-Fiction-Roman zu schreiben und dasselbe hofft er von seinen Lesern.

Hervé Le Tellier hat mit diesem brillant geschriebenen Roman, den Goncourt-Preis 2020 erhalten und mit rund einer Million verkauften Exemplaren einer der größten Erfolge seit Jahren in Frankreich erreicht.

Bewertung vom 01.03.2022
Miracle Creek
Kim, Angie

Miracle Creek


ausgezeichnet

Miracle Creek, ein ‚mystery‘ voller Geheimnisse und Rätsel
In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia gerät eine Scheune in Brand, durch die eine spezielle Druckkammer, die „Miracle Submarine“ notwendig für die hyperbare Sauerstofftherapie, HBO, HBO-Therapie explodiert. Sie soll Wunder (miracles) vollbringen - bei Autismus, Behinderungen oder auch Unfruchtbarkeit; doch bei der Explosion sterben zwei Menschen: Kitt, die eine Familie mit fünf Kindern zurücklässt, und Henry, ein achtjähriger Junge. Ein Jahr danach im Prozess sitzt wegen Brandstiftung und Mord Henrys Mutter Elizabeth auf der Anklagebank. Die Beweise sind erdrückend, der Staatsanwalt Abe hat sich auf Elizabeth „eingeschossen“. Wäre da nicht Shannon, Elizabeths Verteidigerin, die von Elizabeths Unschuld überzeugt ist. Und es beginnt in den Hirnen der Einwohner von Miracle Creek zu rumoren. Kommt doch noch die Wahrheit ans Tageslicht? Oder soll weiter gelogen und verheimlicht werden?

Was wie ein hoch spannender Gerichtsthriller beginnt, entwickelt sich schon nach wenigen Seiten, während der Einvernahmen der ersten Zeugen, zu einem viel tiefgründigeren Roman, in dem es neben der Frage um Schuld und Unschuld noch um viele andere große Themen geht: um die Bedeutung von Familie, um die Überforderung mit der Betreuung autistischer und behinderter Kinder, um die Lebensrealität asiatischer Migranten in den USA, deren unerfüllte Hoffnungen im neuen Land und die rassistische Ablehnung der „Schlitzies“.

Basierend auf Kims eigenen Erfahrungen als ehemalige Prozessanwältin, Koreanisch-amerikanische Einwanderin und Mutter eines echten „submarine“-Patienten, fügen sich in Miracle Creek die angespannte Atmosphäre eines Gerichtssaaldramas und die die Komplexität des Familienlebens - um es einmal vorsichtig auszudrücken - zu einem kraftvollen Romandebüt einer großartigen Erzählerin zusammen.
Miracle Creek ist ein Gerichtssaaldrama mit perfekter Dramaturgie, einer originellen Handlung und einem herausragenden Schreibstil – dank überragender Übersetzung. Ein Roman mit bemerkenswerter Empathie, einer Aneinanderreihung von kleinen unbedeutenden Ereignissen, die zu weitreichenden Folgen führen und die dringende Notwendigkeit das vermeintlich Richtige zu tun.
Authentizität und Empathie machen „Miracle Creek“ zu einem außerordentlichen literarischen Werk, das die breite Anerkennung sehr wohl verdient hat.

Nachsatz: Angie Kim sagt von sich, dass sie sich bereits in jungen Jahren zu „Mysteries“ hingezogen fühlte. Als sie 11 war fielen ihr die „Classics Mysteries“ von Edgar Allan Poe, Dashielle Hammett, Arthur Conan Doyle und Agatha Christie in die Hände.
Dennis Lehanes „Mystic River“ war ihr großes literarisches Vorbild für „Miracle Creek“.
Doch sie wollte mehr als eine “who-/how-why-dunit“-novel schreiben.
Fasziniert vom Erzählstil Lehanes kreierte sie ihre „POV-Characters“. Diese „Point Of View“- Erzählperspektive sei das von ihr bewusst gewählt prägende Stilelement in „Miracle Creek“.

Im Jahr des Erscheinens der englischen Originalausgabe 2019 wurde Angie Kims ‚novel‘ „Miracle Creek“ in der Presse hochgelobt und mit Preisen/Nominierungen/Auszeichnungen überhäuft.

Kims nächster Roman HAPPINESS QUOTIENT – hoffentlich bald in deutscher Übersetzung.

Bewertung vom 20.02.2022
NATRIUM CHLORID / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.9
Adler-Olsen, Jussi

NATRIUM CHLORID / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.9


sehr gut

Der neunte Fall für Carl Mørck und das Sonderdezernat Q.
Alle zwei Jahre ein „gerechter“ Mord.
Carl Mørck läuft die Zeit davon: Er weiß, wann der Täter töten wird, nicht aber wen.

Es ist Anfang Dezember 2020, Corona hat die Welt im Griff, dominiert das Leben im Allgemeinen und die Arbeit der Polizei im Besonderen. Jussi Adler- Olsen, der Meister des genauen Blicks auf gesellschaftliche Verwerfungen, lässt seinen Carl Mørck den wohl härtesten Fall bislang unter diesen erschwerten Bedingungen angehen.
Der Selbstmord einer Frau führt Carl und seine Truppe dreißig Jahre zurück, als er noch frischer Polizist war. Er findet ein Fädchen, das die Verbindung zur aktuellen Toten darstellt, zieht ein wenig daran – und es breitet sich nach und nach eine Mordserie über drei Jahrzehnte aus. Das Besondere daran: Neben jedem Opfer wird ein wenig Salz gefunden, Natriumchlorid, das dem Krimi den Titel gab. Erst entdecken die Ermittler den Rhythmus des Tötens, alle zwei Jahre wohl, pünktlich zum Geburtstag eines besonderen Fieslings und eben ein Häufchen Salz, kein Streusalz, sondern Kochsalz - NaCl. Aber sonst gibt es keinen Anhaltspunkt. Kein Motiv, keinen gemeinsamen Nenner der Opfer. Wahllos getötet? Zugleich jedoch sind sich die Leute vom Sonderdezernat Q zunehmend sicher, dass der nächste Mord bevorsteht, am zweiten Weihnachtsfeiertag, wenn sie richtig liegen. Aber wer tötet dann wen wann?

„Alles deutete darauf hin, dass ein Mörder seit bald fünfunddreißig Jahren aktiv war. Er war von Anfang an systematisch und nach einem bestimmten Muster vorgegangen. Vor allem hatte er vermutlich entschieden, nur jedes zweite Jahr zu morden. Das war klug, denn je seltener ein Serienmörder zuschlug, umso größer war die Chance, dass die einzelnen Verbrechen mit fortgeschrittener Zeit in den Hintergrund traten. Die Morde hatte er immer später im Jahresverlauf verübt. Wenn das alles zutraf, und daran zweifelte er (Mørck) inzwischen nicht mehr, dann war die Bilanz entsetzlich. Soweit sie das Muster dekodiert hatten, deutete alles darauf hin, dass die Morde jeweils verknüpft waren mit den Geburtsdaten von weltbekannten Diktatoren und anderen Despoten, die sich übelster Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatten.“ (S.290)
Ein Racheengel? Der Sanktionsmaßnahmen entwickelt für Menschen, denen es an Empathie, Rücksichtnahme, Respekt und Nächstenliebe fehlte. Selbstjustiz?

Wären diese Imponderabilien nicht stressig genug, Carl wird mit kriminellen Umtrieben seiner ehemaligen Mitarbeiter mehrerer Verbrechen beschuldigt und per Haftbefehl gesucht.

In nur wenigen Zeilen beschreibt Adler-Olsen die sado-masochistischen Exzesse eines Politikers und es läuft einem kalt den Rücken hinunter.

Das Warten auf den zehnten (und wohl letzten) Fall für Carl Mørck wird schwer.

Bewertung vom 12.02.2022
Aufregend war es immer
Portisch, Hugo

Aufregend war es immer


ausgezeichnet

Hugo Portisch - sein Name steht wie kein anderer in Österreich für unabhängigen Journalismus. Seine gesamte journalistische Laufbahn hindurch hat er für diese ihm so wichtige Unabhängigkeit gekämpft. Ein Höhepunkt war das von ihm initiierte Rundfunkvolksbegehren im Jahr 1964. Mehr als 830.000 Österreicher unterstützten mit ihrer Unterschrift die Forderung nach einer Entpolitisierung des Österreichischen Rundfunks – ein sensationelles Ergebnis, das zu einer grundlegenden Reform des ORF führte.
Der erste Teil der biografischen Dokumentation widmet sich den Anfängen der außergewöhnlichen Laufbahn Hugo Portischs. Im Gespräch mit Heinz Nußbaumer erzählt er über seinen familiären Hintergrund und seine persönlichen Erfahrungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Besonders prägend war für den Journalisten seine Ausbildungsreise 1950 in die USA. Sie schuf die Basis für seine beruflichen Grundsätze und löste bei ihm eine Faszination für das Land aus, die ihn lange nicht mehr loslassen sollte. Als Mitarbeiter des Informationsdienstes der Österreichischen Botschaft in New York begleitete er 1954 den österreichischen Bundeskanzler Julius Raab auf seinem USA-Besuch. Dabei erlebte Portisch unvergessliche und spannende Episoden, die Einblicke hinter die Kulissen gewähren und Auskunft über die politischen Hintergründe jener Zeit geben.
Noch während seiner Reise mit Raab bekam Portisch das Angebot beim „Neuen Kurier“ zu arbeiten, wo er ab 1958 als Chefredakteur große Erfolge feierte. Mit hoher journalistischer Qualität und dem richtigen Gespür für gute Geschichten. Wie diese: Als der langersehnte Staatsvertrag im Jahr 1955 Realität werden sollte, war es Hugo Portisch, der gemeinsam mit Hans Dichand als erster eine Sonderausgabe mit der Schlagzeile „Österreich wird frei“ druckte und sie eigenhändig am Wiener Westbahnhof verteilte. Bloß, zu diesem Zeitpunkt wollte noch keiner daran glauben…

In seiner Autobiografie verknüpft er die Zeitgeschichte mit dem eigenen Leben, was zeigt, dass er immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Er nimmt den Leser mit zu den Weltschauplätzen des vergangenen Jahrhunderts – von Wien über Prag, Vietnam, Peking, Afrika und Kuba bis nach Sibirien oder Brasilien. In zwei neuen Kapiteln beschreibt er nun auch seine Erlebnisse im Vatikan mit Kardinal König und wie er den Weg Englands in die EU bis zum Brexit erlebt hat.

Prag, Paris, London, Belgrad, New York. Ende der 1960er-Jahre schien Hugo Portisch als ORF-Chefkommentator an allen Schauplätzen der Weltpolitik gleichzeitig zu sein. Legendär sind seine Live-Berichte und Analysen zu den brennenden politischen Themen der Zeit. Unvergessen ist etwa jene Live-Schaltung ins revoltierende Paris des Jahres 1969, als Portisch es schaffte – trotz Konfetti-Regen, flankiert von Demonstranten – seinen Live-Bericht fertigzustellen. Im Sommer des Umbruchjahres 1968 bewies er sein großes politisches und journalistisches Gespür, als ihn sein Bauchgefühl frühzeitig seinen Italienurlaub abbrechen ließ und er auf der Rückreise erfahren musste, dass soeben sowjetische Panzer in Prag aufgefahren waren. Noch in der Nacht fuhr Portisch zurück nach Wien. Seine Berichte rund um den niedergeschlagenen Prager Frühling gehören zu jenen journalistischen Höhepunkten, die ihn bei der österreichischen Bevölkerung so populär machten. Abseits der aktuellen Berichterstattung reiste Portisch um die Welt um ausführliche Dokumentationen etwa über China, Kuba oder mehrere Länder Afrikas zu drehen. Sein Interview mit dem chinesischen Marschall Chen Yi über die Rolle Chinas im Vietnam-Krieg machte internationale Furore und wurde auch in der New York Times abgedruckt. Zurück in Österreich holte sich das amerikanische State Department bei ihm Informationen und Jahre später erfuhr Portisch, dass sein Bericht die gesamte Chinapolitik der USA beeinflusst hatte.

Die Autobiographie von Portisch erklärt vieles in der österreichischen Geschichte und Weltpolitik. Er schreibt wertungsfrei, er verurteil

Bewertung vom 12.02.2022
Eifersucht
Nesbø, Jo

Eifersucht


weniger gut

Nesbøs neuestes Elaborat, ein Schnellschuss mit einem Sammelsurium an handelnden Personen, uneinheitlichen Charakteren, noch dazu mit einem von Ullstein verpassten Titel „Eifersucht“, der ganz gewiss nicht das Grundthema der sieben Kurzgeschichten ist. Das übersetzte norwegische Original heißt „Eifersucht und andere Geschichten“ und trifft die unterschiedlich langen Geschichten viele treffender. Wer sich also abgründige Geschichten zum Thema Eifersucht erwartet hat wird sehr enttäuscht sein.

Aber als Fan von Nesbø sehe ich darüber hinweg, vor allem nach „Messer“, das ich für den besten Nesbø „ever“ halte. Wahrlich eine Zwischenmahlzeit, die Geschichten konsumieren, verdauen, ohne dass sie nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Einzig ODD, eine der längsten Geschichte mit etwas mehr als 40 Seiten hat mich gefesselt und sehr berührt. Ein Schriftsteller, der sich für den leuchtesten Stern am Autorenhimmel wähnt und doch erkennen muss, dass auch er der Schwerkraft der Erde unterliegt, sprich auf den Boden der harten Realität zurückgeholt wird. Nesbø hat sicher genug Ahnung von der Scheinwelt hinter den Kulissen der schreibenden Zunft und deren Verlage.

Alle Geschichten, kurz oder lang, haben ihre Pointe. Für mich sind aber immer noch die Geschichten von Roald Dahl „Küsschen, Küsschen“ das „non plus ultra“ in diesem Genre unerreicht.

Bleibt nur zu hoffen, dass Nesbø wieder zurück zu HARRY HOLE findet, zur #13, wenn er nicht gerade unter einer Schreibblockade leiden sollte.

Bewertung vom 07.02.2022
Geschlossene Gesellschaft
Stauffer, Verena

Geschlossene Gesellschaft


ausgezeichnet

Ganz offensichtlich ist für Verena Stauffer die "Geschlossene Gesellschaft" die Pandemie in Österreich Ende 2020/Anfang 2021 gemeint. Gleichzeitig ist es aber ihr Wunsch Zutritt zu einer Geschlossene Gesellschaft zu gelangen. Worin liegt nun das Paradoxon einer „Geschlossenen Gesellschaft“? Sieht man im Surrealen die Pandemie besser?

Keine Matratze? Dann helfen Kaffee und Hühnerkrallen. Die bestellte Matratze kommt nicht, Lieferschwierigkeiten wegen Corona. Verena Stauffer tritt in „Geschlossene Gesellschaft“ als Ich-Erzählerin auf. Sie würde so gern in der neuen Wohnung schlafen. Sie kauft deshalb Unmengen von Kaffeebohnen. Denn sie will – die Jutesäcke. Und die füllt sie – mit Schlachtabfällen aus einem Mistcontainer. Schweinefüße, Hühnerkrallen. Die Säcke überzieht sie mit Leintüchern. Ihr Lager stinkt. Blut rinnt aus. Gute Nacht. Wenn dann ein weißer Esel die Matratze liefert, schwappt die Schilderung von tatsächlichen Erlebten ins Imaginäre.

Eigentlich ist Stauffers Erzählung ihr Tagebuch zwischen November 2020 und Februar 2021 während des Lockdowns in Wien. Noch lebt sie in einer Übergangswohnung. Mit dem zuvorkommenden Vermieter F, der nach Kolumbien ausgewandert ist, entwickelt sich eine E-Mail-Freundschaft. Diese Unterhaltungen sind für sie das Fenster in die nicht geschlossene Welt. In Wien streift sie mit ihrem Freund H bei Nacht durch die leere Stadt. Doch auch er flieht auf eine Insel, um dem Lockdown zu entkommen und schiebt seine Rückkehr ständig hinaus. Wird er überhaupt zurückkehren?

Mit fortschreitender Zeit werden die Zustände beklemmender und die existenziellen Ängste immer dramatischer.

Sie schaukelt in ihrer Barke auf der Donau dem Horizont entgegen, der kein Horizont ist, sondern ein Raum aus Licht (S. 156).

Das Cover ist der skelettierte Stadtplan des Zentrums der Stadt Wien.

Verena Stauffer geboren 1978 in Kirchdorf an der Krems/Oberösterreich, Studium der Philosophie an der Universität Wien, Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur und der Lyrikkritikakademie Berlin.
Veröffentlichte 2018 ihren Debütroman Orchis, der für den Literaturpreis Alpha, die Hotlist der Independents und den Blogger-Debütpreis nominiert war. Zuletzt erschien ihr Gedichtband Ousia bei Kookbooks, der für den Österreichischen Buchpreis nominiert wurde.
Verena Stauffer lebt in Wien und Moskau.