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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2103 Bewertungen
Bewertung vom 23.08.2023
Schmidt, Joachim B.

Kalmann und der schlafende Berg (eBook, ePUB)


gut

Kalmann in den USA

Joachim B. Schmidt hat seinen Erfolgsroman Kalmann eine Fortsetzung gegeben. In Kalmann und der schweigende Berg reist Kalmann von Island in die USA zu seinem Vater. Das läuft aber nicht so gut und durch unglückliche Umstände wird Kalmann sogar vom FBI verhört.
Diesmal hat die Geschichte um Kalmann noch viel mehr einen Kriminal/Thrillerplot als im ersten Teil.

Die Notwendigkeit für diese Fortsetzung sehe ich nicht so ganz. Der erste Roman hatte mehr Relevanz. Aber wenn man darüber hinwegsieht, bleibt immer noch eine spannende Geschichte um einen sympathischen Protagonisten.

Bewertung vom 21.08.2023
Christ, Lion

Sauhund (eBook, ePUB)


gut

Floris Gier nach Leben

Sauhund, ein Debütroman, leicht provokant, vielleicht zu gewollt.
Es wird von einem eigenwilligen jungen Mann in München erzählt, der sein schwulsein auslebt. Flori ist vielschichtig, er giert nach Leben, dabei ist er manchmal auch egoistisch.

Obwohl der Autor Lion Christ noch jung ist, legt er die Handlung ins Jahr 1983.
Das ist der Clou am Buch und eine gelungene Idee, denn das war eine ganz besondere Zeit, aber auch eine Zeit als AIDS begann und die Gesellschaft beherrschte.
In den Dialogen gibt es jede Menge Dialekt. Damit kann man sich als norddeutscher Leser schwertun, obwohl der Dialekt auch Lebensart und manchmal Humor transportiert.
Der Roman ist gut geschrieben und ausdrucksstark. Man kommt dicht an die Figur des Flori ran und viele Passagen sind eindringlich.

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Bewertung vom 21.08.2023
Edvardson, Cordelia

Gebranntes Kind sucht das Feuer (eBook, ePUB)


sehr gut

Bericht einer Überlebenden

Es ist der Bericht einer Überlebenden, erstmals 1986 erschienen.

In einem klaren, kühlen Ton erzählt Cordelia Edvardson vom Aufwachsen als dreivierteljüdin in Deutschland, schließlich die Deportation als 14jährige, Auschwitz und die Zeit danach.
Im Vergleich zu Texten von Primo Levi oder Imre Kertesz gibt es anteilsmäßig relativ wenige Lagerbeschreibungen, obwohl die enthaltenen wirkungsvoll genug sind.

Es geht anfangs viel um das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Die Mutter war Elizabeth Langgässer, eine bekannte Schriftstellerin, Katholikin und Halbjüdin. Sie war schwach und konnte die Tochter nicht retten. Sie sahen sich nach Cordelias Befreiung nur noch ein einziges Mal wieder.

Der Text ist überraschend literarisch, so gibt es gerade am Anfang wiederholt Wechsel der Zeiten. Der Text bleibt kompromisslos.

Das Buch schließt mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann, das sehr lesenswert und interessant ist.

Bewertung vom 21.08.2023
Blaché, Sin; Macdonald, Helen

Prophet (eBook, ePUB)


gut

Das dynamische Duo

Prophet ist der Debütroman von einem Autorinnen-Duo. Sin Blaché und Helen MacDonald. Für beide ist es der erste Roman. Aber Helen MacDonald hat schon Sachbücher geschrieben, zum Beispiel H wie Habicht. Das war ein sprachlich überragendes Buch. Ich hatte gehofft, mehr von dieser Sprachkraft würde sich auch in Prophet finden, aber der ist eher thrillermäßig normal geschrieben. Wobei Tempo und eine gewisse sprachliche Musikalität kann man dem Text zugestehen.
Es geht in Richtung Agententhriller mit phantastischen Einschlägen. Das Buch lebt mehr von seinen gegensätzlichen Hauptfiguren als von der merkwürdigen Story. Die Dialoge zwischen den Protagonisten Adam Rubinstein und Sunil Rao funktionieren durch eine gewisse Lakonie.
Es gibt eine Anziehungskraft zwischen ihnen.
Sie sind sehr unterschiedliche Charaktere. Adam Rubinstein ist zurückhalten, das manifestierte Nichts. Jedenfalls macht er so den Eindruck.
Sunil Rao hingegen ist impulsiv. Er ist kein richtig ausgebildeter Agent, aber vielfach begabt. Daher ergänzen sich die beiden gut.

Prophet ist nicht der schlechteste Thriller und nicht der beste. Wohl aber einer der ungewöhnlichsten.
Ihn als mittelmäßig zu bezeichnen, würde einige gute textliche Qualitäten nicht berücksichtigen. Daher sage ich, es ist ein mehr als ein passables Buch.

Bewertung vom 19.08.2023
Habringer, Rudolf

Diese paar Minuten


gut

dicht erzählt, manchmal etwas trocken

Die Erzählungen dieses Bandes sind nicht so ganz einfach zu lesen. Das überrascht nicht, da der Otto Müller-Verlag für anspruchsvolle Literatur steht.
Die Geschichten sind überwiegend dicht und konzentriert gestaltet, teilweise etwas trocken.
Den Österreichischen Schriftsteller Rudolf Habringer kannte ich bisher noch nicht. Er hat den guten Einfall, diese Geschichten durch den Schauplatz zu verbinden. Die meisten Geschichten sind nach immer der selben Machart. Ich muss zugeben, dass ich mit einigen Geschichten meine Schwierigkeiten hatte, da unklar blieb, wohin sie mich führen sollen, was ich mit ihnen anfangen soll.
Für die Geschichten spricht, dass sie allesamt von normalen, glaubhaften Menschen besiedelt sind, die allerdings größtenteils ihre Probleme haben.
Von menschlichen Abgründen, von denen auf der Rückseite geschrieben wird, würde ich aber nicht sofort sprechen. Das scheint mir übertrieben.

Beim besprechen von Erzählungsbänden nenne ich gerne immer zwei, drei Geschichten, die mir am Besten gefallen haben. Das kann ich bei diesem Buch leider nicht.

Bewertung vom 17.08.2023
Garat, Anne-Marie

Erinnerung und Lüge (eBook, ePUB)


gut

Erinnerung und Lüge
ist ein Roman der kürzlich verstorbenen französischen Schriftstellerin Anne-Marie Garat, die in Deutschland nicht so bekannt ist.
Es ist ein Buch voll überbordender Erzählfreude, verkörpert durch die 1928 geborene Lottie, die die Protagonistin des Romans beherbergt und ihr die Geschichten des Dorfes erzählt. In der Gegenwart ist es 1980. Die Protagonistin ist auch eine interessante Figur.
Das Erzählen bestimmt das Buch. Es ist weniger detailliert als ausführlich. Für mich persönlich war es etwas viel.

Bewertung vom 17.08.2023
Rönne, Ronja von

TROTZ


sehr gut

Trotz als Chance

TROTZ ist ein Langessay von Ronja von Rönne, den sie auf ihre bekannt ironische Art verfasst hat.
Eigene Erfahrungen flossen ein, z.B. mit einer ersten Kolumne und ihren Auftritt beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb und insbesondere ihre Rolle im Literaturbetrieb, die keine einfache ist. Ein Klinikaufenthalt folgte.
Die Autorin zeigt, wann Trotz Nachteile mit sich bringt und wann es ggf. erforderlich ist und Form von Widerstand wird. Trotz als Chance!
Meiner Meinung nach ein gelungener Text.

Bewertung vom 17.08.2023
Giovene, Andrea

Fremde Mächte / Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero Bd.4


sehr gut

Der italienische Proust

Fremde Mächte

Die Autobiografie des Giuliano di Sanseveror umfasst 5 Bände. Dieses Buch mit dem Untertitel Fremde Mächte ist der vierte Teil, theoretisch auch eigenständig lesbar.

Der Erzähler beruft sich zwar auf Tagebücher, aber es ist erzählende Prosa, ein Erinnerungsbuch, offensichtlich durch eigene Erfahrungen des Autors geprägt. Latent denkt man an einen italienischen Proust. Giovene ist ähnlich stark bei den Beschreibungen.

Es sind Kriegszeiten. Er ist in Griechenland als Offizier eingesetzt. Es folgt deutsche Kriegsgefangenschaft und Flucht. Alles erträgt Giuliano gelassen und folgt dem Geschehen mit scharfen Beobachtungen. Überwiegend bleibt er passiv.

Auffällig, wie der Text in einem gleichmäßigen Fluss bleibt.

Bewertung vom 17.08.2023
Erpenbeck, Jenny

Jenny Erpenbeck über Christine Lavant / Bücher meines Lebens Bd.5


ausgezeichnet

Die Bücher meines Lebens, eine Reihe herausgegeben von Volker Weidermann, sind deswegen so stark, weil sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verfasser und dem betrachteten Schriftsteller herstellen.
Als Jenny Erpenbeck einige Jahre in Graz lebte und die österreichische Dichterin Christine Lavant mit 30 Jahren für sich entdeckt, war sie fasziniert und es gelingt ihr, in diesem Buch den Lesern diese Faszination zu vermitteln.
Christine Lavant war mir zwar ein Begriff, aber ich bin kein Kenner ihres Werks. Daher ist die Geschichte, die Erpenbeck über Leben und Werk Lavants erzählt, im höchsten Maße spannend für mich gewesen.
Christine Lavants Leben war unspektakulär. Sie lebte von 1915 bis 1973. Sie verließ ihre Heimat praktisch nie und ihr Leben war auch von Krankheit und Armut geprägt. Dennoch hatte sie ein umfangreiches Werk mit tausenden von Gedichten und Prosa geschaffen.
Erschütternd die Passagen, als Erpenbeck von Lavants psychischen Problemen erzählt, die sie 1935 in die psychiatrische Anstalt in Klagenfurt brachte und über die Lavant 10 Jahre später ihr Prosawerk Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus schrieb. Hier wurden in den Jahren 1941 bis 1945 viele psychisch Kranke und alte Menschen ermordet.
Nach diesem Essay bin ich fest entschlossen, dringend etwas von Christine Lavant zu lesen!