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EOS
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Siegen

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Insgesamt 227 Bewertungen
Bewertung vom 31.12.2023
Lind, Hera

Das einzige Kind


gut

Ergreifend, aber wieviel Leid ist realistisch?
Hier wird die Lebens- und Leidensgeschichte des kleinen Djoko beschrieben, der die ersten Lebensjahre in Bosnien verbringt, wo er mit seinen Eltern ein rüdes und gefühlsarmes Leben führt. Die Mutter wirkt sehr hartherzig, der Vater eher gutmütig, aber er ist tagelang unterwegs und nicht ansprechbar für Djoko.
Ich habe versucht, mir ein Bild von Djoko zu machen nach den Beschreibungen, die abgegeben werden. Schwarze lockige Haare usw.....Ein Blick auf das Cover zeigte aber einen ganz anderen Jungen. In meinen Augen passt es nicht zum Buch!
Im zweiten Weltkrieg verliert der Junge beide Eltern und schlägt sich durch, denn immer wieder findet er Menschen, die sich um ihn kümmern. Aber immer wieder verliert er auch diese fürsorglichen Menschen und das bringt ihn an den Rand der Verzweiflung. Trotzdem schlägt er sich durch trotz Hunger, einer schweren Verletzung und ständigen Gefahrensituationen. Er lernt alle gefährlichen und brutalen Seiten des Krieges kennen, erlebt die Kämpfe aus nächster Nähe und die Auswirkungen der Revolution, aber er versteht die Zusammenhänge zunächst nicht. Erst nach und nach sieht er die Verknüpfungen auf seine kindlich-naive Art und Weise. Er schlägt sich erfolgreich durch und landet schließlich in Österreich.
Der Schreibstil von Hera Lind zieht den Leser mit, Spannung durchzieht das ganze Buch, genau wie die verheerenden Grausamkeiten, aber ich muss sagen, dass ich mit der Zeit abgestumpft bin hinsichtlich der Brutalität. Denn es war ein bisschen viel. Kaum war eine Sache vorbei, passierte schon das nächste Unglück. Ich schätze, dass da viel Fiktion im Spiel war. Sonst hätte Djoko die Strapazen nicht überlebt.
Natürlich ist auch der Junge mit der Zeit immer teilnahmsloser geworden, er ließ die sadistischen Verbrechen nicht mehr an sich ran. Nur kann ich mir beileibe nicht vorstellen, dass ein Kind mit so schweren Verletzungen an den Beinen die beschriebenen Torturen überlebt. Die Wunden heilen zunächst nicht, sie entzünden sich, es gibt kein vernünftiges Verbandsmaterial, das Immunsystem des Kleinen ist sehr angegriffen wegen ständiger Mangelernährung bzw. sogar Hungerphasen. Und in diesem Zustand muss er viele Kilometer laufen, ohne Schuhe, mit nassen Strümpfen.....Das ist mir einfach 'too much'.
Auch fand ich die Art und Weise, wie in diesem Buch die Tiere und ihr Leid beschrieben werden, unerträglich schlimm. Diese Szenen hätten nicht so ausgeweitet werde müssen. Dabei hatte das noch nicht einmal mit dem Krieg zu tun. Ich denke nur daran, wie das Hausschwein geschlachtet wurde, ein regelrechtes Gemetzel! Nein, danke!
Ich möchte das Buch nicht weiterempfehlen, denn es enthält zu viele Gräueltaten.

Bewertung vom 21.12.2023
Kennedy, Becky

Good Inside - Das Gute sehen


sehr gut

Die Autorin verfügt über ein breitgefächertes und fundiertes Wissen in den Bereichen Pädagogik und Psychologie. Dieses Wissen fließt in diesen Erziehungsratgeber ein, und zwar in gut verständlicher und nachvollziehbarer Form.
Der Schreibstil ist einfach zu lesen und der Inhalt gut nachvollziehbar.
Meine Kinder sind schon erwachsen, aber ich erinnere mich an so manche Selbstzweifel, die nach Konflikten mit den Kindern zurückblieben und Überlegungen, wie ich es hätte besser machen können. Jetzt haben wir Enkelkinder, und auch hier kommt es zu Erziehungsfragen, wobei als zusätzliche Erschwernis noch Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern auftreten. Also war mir das Buch sehr willkommen und wird auch weiter gereicht.
Dr Kennedy beschreibt in den einzelnen Kapiteln zunächst problematische Alltagssituationen, die immer wieder auftreten und als normal bezeichnet werden können. Sie weist dabei auf, dass diese nicht problematisch sein müssen, wenn man richtig reagiert. Sie analysiert die jeweilige Situation und beschreibt, wieso sie sich entwickelt. Dabei stellt sie fest, dass die meisten schwierigen Momente, die uns so sehr fordern, normal sind, weil sie zur Stärkung des Selbstbewusstseins des Kindes beitragen.
Sie gibt viele Tipps, wie man effektiv mit dem jeweiligen Problem umgehen sollte, wobei immer wieder betont wird, dass das Kind im Grunde gut ist und man jede Form von Rücksicht und Respekt walten lassen sollte. Aber geht das wirklich immer?
Besonders gut haben mir die Kapitel zu Aggressionen und Lügen gefallen. Da habe ich einiges 'mitnehmen' können und werde versuchen, es zu trainieren. Wohingegen Geschwisterrivalität mir hier zu trivial behandelt scheint, so einfach kann ich mir die Lösung solcher Konflikte nicht vorstellen.
Alles in allem finde ich das Buch interessant und lesenswert und möchte eine Empfehlung aussprechen für alle Erziehenden. Dabei sollte man jedoch immer im Auge behalten, dass nicht alle Kinder gleich reagieren.

Bewertung vom 08.12.2023
Milani, Gianna

Commissario Tasso treibt den Winter aus / Commissario Tasso Bd.3


gut

Mord beim Faschingsumzug
Inhaltlich geht es zurück in die 60er Jahre. Beim traditionellen Winteraustrieb in Form des Egetmann Umzugs in Tramin geht es hoch her und mitten im Menschengewühl kommt es zu einem Mord. Zunächst sieht es wie ein Unglücksfall aus, aber die Ermittlungen beweisen, dass hier Planung im Spiel war.
Commissario Tasso, der sich den Umzug auch angeschaut hat ermittelt zusammen mit Mara Oberhöller, die bereits ein Praktikum bei ihm absolviert hat, und mit seinem ehemaligen Kollegen Johann Vierweger, der sich bereits im Ruhestand befindet.
Der Schreibstil ist flüssig und einfach gehalten, teilweise sogar humorvoll und ironisierend, was mir gut gefallen hat. Den Lesefluss unterbrochen haben nur manchmal die vielen verschiedenen, sich aber manchmal doch ähnelnden Namen. Hier war es hilfreich, dass direkt am Anfang ein Namensverzeichnis gegeben war, mit Zuordnung der jeweiligen Personen.
Das Buch fängt mit dem geheimnisvollen Prolog sehr spannend an, aber leider verliert sich die Spannung sehr bald. Es folgen zähe Ermittlungen, und man hat den Eindruck, dass diese nur langsam vorangetrieben werden. Einige Verhöre oder Situationsbeschreibungen waren langatmig und extrem ausgeweitet. Mehr Spannung kam erst wieder im letzten Drittel auf, als Mara Oberhöller die Ermittlungen auf eigene Faust betreibt.
Interessant fand ich das Hintergrundwissen, das dem Leser vermittelt wird, z.B. wie die Ansiedlung von Italienern in Südtirol gesehen wurde (Verfremdung und Italienisierung). Aber das ist ja nun schon einige Jahre her....Auch die Rückblicke auf die 60er und die Rolle der Frau zu dieser Zeit waren ansprechend.
Die Figur des Commissario Tasso blieb für mich sehr blass, da hatte ich mehr erwartet. Mara jedoch wurde mir immer sympathischer, sie ist clever, unternehmungslustig und mutig. Für mich dominiert sie das Ermittlerteam.
Alles in allem handelt es sich hier um einen Softkrimi, denn man konnte schon recht früh erahnen, wer der Täter war und aus welchen Beweggründen heraus. Trotzdem hatte ich angenehme Lesestunden und konnte einiges erfahren, was mir bislang nicht bekannt war.

Bewertung vom 11.11.2023
Nesbø, Jo

Das Nachthaus


gut

Enttäuschte Erwartungen
Wer die Bücher von Jo Nesbo kennt, weiß, dass er ein Garant für äußerst spannende Kriminalliteratur ist und dass er Bücher voller Überraschungen und Wendungen schreibt. Davon war ich auch hier ausgegangen, nachdem ich eine Leseprobe und den Umschlagtext gelesen hatte. Meine Gedanken erwarteten einen Kindermord und die verzweifelte Suche nach dem Mörder.
Aber schon bald wurde mir das Geschehen zu unrealistisch, ich musste es also hier mit Fantasy zu tun haben. Die Anzahl der übernatürlichen und magischen Elemente nahm zu. Inhaltlich geht es in diesem Teil um Richard, 14 Jahre alt, verwaist, der von seiner Tante aufgenommen wird, sich aber auf dem Lande nicht wohlfühlt. Er mobbt seine Mitschüler und hat deshalb kaum Freunde. Eines Tages ist er mit Tom unterwegs, der auch immer allein ist, und stiftet ihn zu einem Telefonstreich an. Und dann geht es los: der arme Tom wird tatsächlich von dem Telefonhörer verschluckt, in der Folge wird Richard verdächtigt, etwas mit Toms Verschwinden zu tun zu haben. Und meine Erwartungen an das Buch gingen den Bach runter....denn Fantasy ist nicht gerade mein Lieblingsgenre.
Der zweite Teil lieferte dann jedoch eine Erklärung für den ersten Teil, und ich war mit dem Buch wieder versöhnt, bis dann die Fantasy Elemente, angereichert mit Horror Elementen, sich wieder breit machten.
Um es kurz zu sagen: ich bin froh, dass ich das Buch beendet habe, denn eine Lektüre im Fitzek Stil gefällt mir nicht. Obwohl man zu Nesbos Verteidigung sagen sollte, dass dieser Roman viel ausgefeilter ausfällt als die Romane seines Schreibkollegen.
Der Schreibstil ist auch in diesem Buch angenehm und mitreißend zu lesen, da fliegen die Seiten nur so dahin. Die Spannung hielt bis zum Ende an, als dann die Auflösung des ganzen präsentiert wurde. Und diese war völlig logisch und gut durchdacht, alles wurde geklärt, mir blieben keine Fragen offen.
Alles in allem hatte ich zwar unterhaltsame Lesestunden, aber ich habe die krimitypischen Verwicklungen vermisst und hoffe, dass Nesbo zu seinem Stil zurückkehrt.

Bewertung vom 28.10.2023
Stehn, Malin

Nur eine Lüge - Zwei Familien, eine tödliche Verbindung


ausgezeichnet

Emily und William haben ihre prunkvolle Hochzeit geplant. Beide kennen sich seit ihrer Kindheit, und ihre Familien waren befreundet. William war der beste Freund von Emilys Bruder Erik. Aber mittlerweile stehen die Familien nicht mehr in einem guten Verhältnis, weil vor acht Jahren etwas passierte, was die guten Beziehungen zerstörte. Nur Emily und William stört das alles nicht, sie wollen nun eine Familie gründen.
Schon im Prolog wird die Spannung angeheizt, denn während der luxuriösen Hochzeitsfeier wird eine Leiche gefunden, und die Polizei fängt mit ihren Ermittlungen an. Natürlich stellen sich sofort viele Fragen: wer ist die tote Person? Hat es was mit den Geschehnissen damals zu tun? Und was ist damals überhaupt passiert? Peu à peu erfährt man mehr, und man fängt an, eigene Theorien zu entwickeln, die aber von der Autorin ganz geschickt gelenkt werden und oft in Einbahnstraßen münden.
Das Geschehen wird aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt, immer in der Ich-Form, so dass man auch viel über ihre Gedanken und Gefühle erfährt. Über jedem Kapitel kann man den entsprechenden Namen lesen. Gleichzeitig wechseln die Zeitebenen, so dass man auch viel über die Zeit vor 8 Jahren erfährt.
Anfangs waren die vielen Namen etwas verwirrend, aber dankenswerterweise hat die Autorin vorne eine Liste angelegt mit all den Personen, die die beiden Familien bilden, mit einer kurzen Beschreibung des jeweiligen Familienmitglieds.
Die Protagonisten werden gut beschrieben. Ich konnte ihren Gedanken folgen, Gefühle nachvollziehen und mich gut in sie hineinversetzen.
Ich fand den Roman bis zum Ende spannend, ich habe mitgerätselt und mir Gedanken gemacht, auch noch über das Lesen hinaus. Und trotzdem hat mich das Ende total überrascht, wobei es wirklich plausibel ist und nicht an den Haaren herbeigezogen. Total gut geschrieben!
Dies war mein erstes Buch der Autorin, aber ich werde sicher den Vorgänger 'Happy New Year' auch noch lesen.
Von mir gibt es klare 5 Sterne und eine Kaufempfehlung!

Bewertung vom 10.10.2023
Blackhurst, Jenny

Die dunkle Spur


ausgezeichnet

Lügen und Intrigen auf der malerischen Insel
Holly ist verschwunden! Die junge Engländerin hat einen Job auf der mondänen Insel Martha's Vineyard in Massachusetts angenommen, aber seit Tagen hat ihre Schwester Claire nichts mehr von ihr gehört. Zunächst glaubt niemand, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte, erst recht nicht die dortige Polizei. Als sich Claires Unruhe steigert, fliegt sie kurzerhand in den Ferienort, um ihre Schwester zu suchen. Sehr schnell gibt es viele Verdächtige, aber Lügen und Intrigen bestimmen das Umfeld, in dem sich Holly dort bewegt hat, so dass Claire zunächst wenig Unterstützung findet. Ganz allmählich nur lassen sich die Tage vor Hollys Verschwinden rekonstruieren.
Sehr schön ist, dass man schnell miträtseln kann, was wohl passiert sein könnte. Aber vieles erweist sich schnell als Sackgasse, so dass man umdenken muss. Das macht die Spannung dieses Buches aus. Man möchte immer weiterlesen, um mehr zu erfahren, besonders da die Autorin immer wieder Cliffhanger einbaut, die es unmöglich machen, die Lektüre zu unterbrechen. Diese Spannung bleibt bis zum Ende erhalten, obwohl es im Mittelteil vorübergehend einige Längen gibt.
Das Geschehen wird auf zwei Zeitebenen erzählt, da ist einerseits die aktuelle Entwicklung vor Ort, aber andererseits wird auch in Rückblicken über Hollys Leben auf der Insel erzählt, über ihren Job, ihre Bekanntschaften und Freunde, sowie ihren Lebensstil im allgemeinen. Das alles erweitert ganz allmählich das Bild, das man sich von der Verschwundenen und den anderen Charakteren macht. Bei mir hat sich das Bild und die Einschätzung einiger Protagonisten im Laufe der Lektüre stark gewandelt, denn Jenny Blackhurst beschreibt in so vielen Details, dass sich wie bei einem Puzzle immer deutlicher ein Gesamtbild ergibt. Das fand ich sehr gelungen!
Irritiert haben mich besonders gegen Ende des Buches einige Geschehnisse, die mir sehr unrealistisch erschienen, teilweise sogar unlogisch. Jedoch trüben diese nicht die Spannung.
Nebenbei erfährt man auch einiges über diese bekannte Insel, wo auch viele Prominente regelmäßig zu finden sind, und man kann sich die Anziehungskraft, die von diesem Ort ausgeht, vorstellen.
Alles in allem habe ich die Lektüre genossen und bin während des Lesens in eine andere Welt abgetaucht. So kann ich das Buch jedem empfehlen, der von einem Thriller nicht pure Action-Szenen erwartet, sondern eine eher geruhsame, aber trotzdem hochspannende Entwicklung.

Bewertung vom 05.10.2023
Hjorth, Vigdis

Die Wahrheiten meiner Mutter


sehr gut

Sehnsucht nach Familie
Johanna hat sich vor 30 Jahren von ihrer Familie abgewendet. Sie ist aus ihrer Ehe und damit aus den Familienbanden ausgebrochen, um endlich das Leben zu führen, das sie sich wünscht, und nicht mehr nach den Idealvorstellungen anderer zu leben. Sie geht mit ihrem neuen Partner nach Utah und verwirklicht ihren Traum, als Künstlerin zu arbeiten. Der Kontakt zu ihrer Familie in Norwegen ist nur noch in Fetzen vorhanden.
Anlässlich einer Ausstellung ihrer Kunstwerke in ihrem Heimatland beschließt sie, wieder dorthin zu ziehen, denn ihr Lebenspartner ist verstorben und ihr Sohn hält sich mittlerweile in Europa auf.
Aber da ist noch etwas anderes, das sie antreibt, ihrer Heimat wieder nahe zu kommen. Da ist eine gewisse Sehnsucht, sich mit ihrer Mutter auszusöhnen, sich ihr zumindest wieder anzunähern. Johannas Gedanken kreisen unentwegt um diese Frau, die sie geboren hat, zu der sie aber nie das erwünschte enge Verhältnis hatte.
Durch zahlreiche Rückblicke erfahren wir immer mehr über Johannas Kindheit und warum das Verhältnis zur Mutter so schwierig war. Ihre Kindheit wurde bestimmt durch Heimlichkeiten und Ängste, da ihr Vater sehr streng und überkorrekt war und ihre Mutter sich ihm unterordnete. Sogar Johannas Ex-Mann wurde von ihrem Vater dazu gebracht, seine Frau und ihre beruflichen Bestrebungen zu belächeln....wie befremdlich und wie demütigend! Und keiner hat zu ihr gestanden.
Und nun ist da dieser Wunsch Johannas, ihrer Mutter wieder mehr Raum in ihrem Leben zu geben. Ihre Vorgehensweisen, um dieses Ziel zu erreichen, sind teilweise sehr befremdlich....
Was macht das Buch mit dem Leser? Mich hat es zum Nachdenken über mein eigenes Mutter-Tochter-Verhältnis angeregt, sowohl zu meiner eigenen Mutter, als auch mein Verhältnis als Mutter zu meiner Tochter. Ich habe immer wieder versucht, Parallelen zu entdecken oder über fehlende Parallelen zu grübeln. Da meine Mutter schon vor Jahren verstorben ist, hat mich das Buch bisweilen auch emotional runtergezogen.
Der Schreibstil gibt Johannes Gefühle präzise wieder, man fühlt sich emotional mit ihr verbunden, sowohl in positiver wie in negativer Weise. Da ist Mitgefühl mit ihren Enttäuschungen, aber auch Unverständnis für ihre Methoden der Annäherung. Teilweise fand ich die beschriebenen Gedankengänge redundant, was zu einer gewissen Langatmigkeit einiger Kapitel führte.
Alles in allem ein Buch, das sich nicht als Urlaubslektüre eignet, sondern mit dem man sich innerlich stark auseinandersetzt.

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Bewertung vom 19.09.2023
Izquierdo, Andreas

Kein guter Mann


ausgezeichnet

Walter ist ein Postbote, der seinen Beruf akribisch genau nimmt und seine Pflichten erfüllt. Allerdings hat er die Angewohnheit, ehrlich zu sein und weder sich noch seiner Umwelt etwas vorzumachen. Deshalb eckt er öfters an, sei es in seinem privaten Umfeld oder auch im Beruf. Seine Vorgesetzte sähe ihn am liebsten im Vorruhestand, aber Walter lässt sich nicht aufs Abstellgleis schieben. So wird er versetzt in die Christkindl Abteilung der Post in Engelskirchen. Hier wird er mit Briefen von Kindern konfrontiert, die hochgradig materielle Wünsche äußern, was Walter überhaupt nicht gefällt. Doch ein Brief fällt aus der Reihe. Er kommt von Ben, der sich einen Freund wünscht, weil er zu Hause total überfordert ist und dort in eine Rolle gedrängt wird, die sein Kindsein einengt.
Walter möchte diesem Jungen helfen und setzt alles daran, den Kontakt aufrechtzuerhalten und Ben zu helfen. Dabei gerät er in so manche schwierige Situation, denn er muss erstmal mehr über das Kind erfahren, um ihm wirklich eine Stütze zu sein.
Zwischendurch gibt es immer wieder Rückblicke auf Walters Leben. Nach und nach wird immer mehr aufgedeckt, so dass der Leser allmählich versteht, wie Walter zu diesem einsamen Menschen geworden ist, der Gerechtigkeit und Ehrlichkeit liebt und dafür so manches in Kauf nimmt. Nach und nach ergibt sich ein Gesamtbild, das Walter in einem ganz anderen Licht dastehen lässt, vom anfänglichen Nörgler zu einem grundsätzlich guten und hilfsbereiten Menschen.
Das Buch berührt mich als Leser sehr und beschäftigte mich auch über die Lektüre hinaus, denn immer wieder wichen meine Gedanken zu Walter ab, wobei ich teilweise auch Parallelen zu meinem eigenen Leben entdeckt habe und darüber reflektieren konnte. Ich muss gestehen, dass ich bisweilen ein Tränchen wegwischen musste.
Der Schreibstil des Autors ist flüssig und humorvoll, einfach und angenehm zu lesen, da fliegen die Seiten im Buch nur so dahin und man fühlt sich in eine andere Welt abtauchen. Das kenne ich bereits aus seiner Wege-der-Zeit Reihe, ich habe die drei dicken Bände genossen.
Die beiden Hauptprotagonisten werden mit Tiefgang und sehr einfühlsam beschrieben, so dass man schon bald den Wunsch hat, sie persönlich zu kennen.
Irgendwie passt das Buch sehr gut in die nun bald anstehende Vorweihnachtszeit, in der heutzutage Konsum über allem steht und Gefühle oft zu kurz kommen. Es weist den Weg zu einer anderen Lebenseinstellung und bringt den ein oder anderen vielleicht dazu, sein Leben zu überdenken.
Ich habe die Stunden mit diesem Buch genossen und spreche eine eindeutige Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 23.08.2023
Lehane, Dennis

Sekunden der Gnade


ausgezeichnet

Ergreifend und mit historischem Bezug
Es ist die Zeit der bewegten 70er Jahre, in den USA wird der vorherrschende Rassismus bekämpft, zunächst aber nur mit schwachen Ergebnissen. Auch in Boston brodelt es, denn ab dem neuen Schuljahr soll die Rassentrennung in den Schulen aufgehoben werden. Mit dem Projekt des 'busing' sollen weiße und schwarze Schüler per Bus an andere Schulen transportiert und somit vermischt werden, um damit die fortwährende Segregation zu bekämpfen.
Mary Pat Fennessy lebt in einem irisch geprägten weißen Vorort Bostons und bereitet mit anderen zusammen Protestaktionen vor, denn auch ihre 17jährige Tochter Jules soll in Kürze per Bus in eine Schule der Innenstadt gebracht werden, was für eine gereizte Atmosphäre unter den Bewohnern sorgt. Für Mary Pat bedeutet ihre Tochter alles, denn ihr Sohn ist bereits durch Drogen gestorben, und ihr zweiter Ehemann hat sie verlassen. In einem Milieu, das von Armut und sozialen Missständen geprägt ist, möchte sie ihre Tochter vor allem Bösen beschützen.
Eines Nachts jedoch kehrt Jules nicht nach Hause zurück. Nach anfänglichen Erklärungsversuchen und verbreiteten Suchaktionen muss Mary Pat schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass ihre Tochter nie mehr zurückkommt.
Sie stößt auf ein korruptes und verständnisloses Umfeld, in dem die polizeilichen Ermittlungen kaum eine Chance haben. Denn auf der korrupten Seite häuft sich auch das Geld, und damit kann man bekanntlich viel bewegen und vertuschen.
Dennis Lehane schildert gewohnt eindrucksvoll die Atmosphäre der Armut und Perspektivlosigkeit in Southie, im Süden Bostons. Und ebenso atmosphärisch ist auch die Beschreibung der Angst und Beklemmung, die sich in Mary Pat immer mehr ausbreiten, als ihr klar wird, dass sie Jules niemals wiedersieht. Nach ein paar Tagen verzweifelter Trauer und Einsamkeit beschließt sie, Rache zu nehmen für den großen Verlust. Da sie nichts mehr zu verlieren hat, ist ihre Vergeltung brutal und jegliche Empathie ist aus Mary Pat verschwunden. So gibt es einige Szenen, die mich sehr ergriffen machten und schlucken ließen. Andererseits habe ich immer wieder versucht, mich in die trostlose Situation der verzweifelten Mutter hinein zu versetzen, um sie zu verstehen. Auf diese Weise hat mich das Buch auch über das Lesen hinaus beschäftigt, denn der Inhalt ist abgrundtief erschütternd.
Was mich sehr überrascht hat, ist meine Sympathie für die Hauptprotagonistin, die alles andere als rücksichtsvoll und vertrauenswürdig ist. Vielleicht liegt es an ihrer Entschlossenheit, mit der sie ihre Aktionen durchzieht und so ihrer geliebten Tochter einen letzten Dienst erweist.
Dies ist ein Buch, das ich sicher noch lange in Erinnerung haben werde, ein Meisterstück der atmosphärisch dichten Beschreibung und eine Darstellung, zu was der Mensch in ausweglosen Situationen fähig ist. Meine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 15.08.2023
Lindqvist, John Ajvide

Refugium / Stormland Bd.1


gut

Spannung leider Mangelware
Olof Helander hat zu einer Mittsommerparty in sein Luxusanwesen auf einer Schäreninsel eingeladen. Lustig und ausgelassen feiern seine Gäste mit ihm in Wassernähe, als sich plötzlich ein Boot nähert und zwei Killer alle Gäste brutal ermorden. Nur Helanders Tochter überlebt, schwer traumatisiert.
Dies alles passiert bereits im Prolog, so dass dieser unsagbar spannend war, ein gut herausgearbeiteter Kontrast zwischen der Ausgelassenheit der Feiernden und dem brutalen Attentat.
Dann passiert erstmal nichts, was mit dem Fall zu tun hat, aber es wird jedoch keineswegs langatmig, im Großen und Ganzen habe ich zunächst immer gern weiter gelesen. Das lag sicher auch an den kurzen Abschnitten, die stets zum Weiterlesen reizten, aber auch an den Hauptfiguren, die dort vorgestellt werden, wobei ich Kim Ribbing interessanter als Julia Malmros finde. Die eingestreuten Passagen über seine Kindheit und Jugend, geprägt vom sadistisch veranlagten Großvater, sind horrormäßig. Allerdings entwickelt sich Kim im Laufe des Buches immer mehr zum Superman, was dann sehr unrealistisch erscheint
Julia ist mir dagegen nicht sehr sympathisch. Sie ist selbstverliebt, erfolgsverwöhnt und kann Frustrationen nur mit viel Alkohol ertragen. Für eine 50-jährige intelligente Frau handelt sie sehr unbesonnen.
Mit der Zeit ließ die Spannung sehr nach, es gab viele langatmige Passagen, in denen wirtschaftliche oder politische Zusammenhänge geschildert wurden, die zwar den Hintergrund beleuchteten, aber die Krimihandlung nicht weiter brachten. Die Krimihandlung bzw. die Ermittlungen wurden weitgehend Kommissar Zufall überlassen, wirkten sehr konstruiert und sorgten nicht für die erwarteten Thrill-Momente.
Der Schreibstil des Autors gefällt mir, er ist locker und detailgetreu, allerdings verfällt die Geschichte bisweilen in uninteressante Nebensächlichkeiten, was dann recht zäh wirkt.
Dies erlebt man dann am Ende nochmal im besonders langatmigen und seitenlangen Epilog, der wohl neugierig machen soll auf die Folgebände, bei mir aber eher das Gegenteil auslöst. Schade, ich hatte mir mehr versprochen nach der Leseprobe und den großartigen Ankündigungen.