Benutzer
Benutzername: 
Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 1148 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2025
Kreslehner, Gabi

Wer wir geworden sind (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die oberösterreichische Autorin Gabi Kreslehner entführt uns mit diesem Roman in eine 100-jährige Familiengeschichte, die von zwei Weltkriegen, Entbehrung, Glück und Verlusten, Weggehen und Nachhausekommen, geprägt ist. Und es sind die Frauen, die kleine, bäuerliche Welt am Laufen halten.

Wir begegnen zunächst Juli, die mit ihrem Mann August, Anfang des 20. Jahrhunderts den Unterhof bewirtschaftet. Während am nahe gelegenen Oberhof, Susanna und ihr Mann Johann sich über eine Kinderschar freuen dürfen, bleibt dies Juli und August verwehrt. Nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Johann nicht und August versehrt nach Hause kommen, bringt Juli mit Anna ihr einziges Kind zur Welt. Dann muss Juli den Tod ihres Mannes verkraften, der im Wald von einem Baum erschlagen wird.

Knapp 20 Jahre später, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs heiratet Anna den Erben des Oberhofs Karl, wenige Tage bevor er an die Front muss. Während rundherum der Krieg tobt, bewirtschaften - wieder einmal - die zurückgebliebenen Frauen die Höfe. Von Karl fehlt jede Spur. Als er dann Jahre, als niemand mehr mit ihm gerechnet hat, völlig verändert aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, ist nichts mehr wie vorher.

Der nächste Zeitsprung führt uns nach Amerika zu Jahrtausendwende. Joanna findet ein vergilbtes Foto eines Kindes in den Sachen ihrer Mutter und stellt Fragen. Die Antworten lassen sich nach Österreich reisen.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman beschreibt, hat mir sehr gut gefallen. Mit eindrucksvollen Worten, ohne kitschig zu sein, erzählt die Autorin die 100-jährige Geschichte einer Familie, in der starke Frauen die Hauptrolle spielen. Fast in jeder Generation wiederholen sich Schwangerschaften ohne zunächst oder überhaupt verheiratet zu sein.

Geschickt flicht Gabi Kresleher die historischen Ereignisse wie den Ersten und den Zweiten Weltkrieg sowie die Jahrtausendwende einfließen.

Die Charaktere, vor allem die weiblichen, sind sehr gut herausgearbeitet. Die jeweiligen Männer spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Fazit:

Jede dieser Frauen ist die Summe ihrer Erfahrungen. Gerne gebe ich diesem Roman 5 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2025
Pérez-Reverte, Arturo

Der Italiener


ausgezeichnet

Wow, was für eine spannende Geschichte über die gefährlichen Einsätze von Kampftauchern im Zweiten Weltkrieg!

Ich habe ja schon viele Sachbücher und historische Romane zum Zweiten Weltkrieg gelesen und dabei unterschiedliche (politische) Perspektiven und verschiedene Waffengattungen kennengelernt. Doch der, auf Tatsachen beruhende historische Roman rund um secondo capo Teseo Lombardo, einem Kampftaucher der italienischen Marine Regia Marina, der gemeinsam mit sottocapo Gennaro Squarcialupo auf dem, maiale (=Schwein) genannten, bemannten Torpedo SLC geritten ist, um im Hafen von Gibraltar feindliche (also unter britischer Flagge fahrende) Schiffe zu versenken, ist wohl eine besondere Geschichte.

Die Geschichte spielt auf zwei Ebenen, jene in den Jahren 1942/43 auf der Halbinsel Gibraltar, die ja nach wie vor eine britische Enklave in Spanien ist, und Jahrzehnte später, als der Ich-Erzähler, ein Journalist auf diese Geschichte stößt und Gennaro Squarcialupo in seiner Heimat Neapel ausfindig macht und interviewt.

Gennà, wie er von Teseo genannt worden ist, erzählt, wie die beiden im Hafen von Gibraltar Sprengladungen an den Schiffen anbringen und wie der verletzte Teseo am sapnischen Strand von Algeciras von der jungen spanischen Witwe Elena Arbuès, die eine Buchhandlung führt, gefunden und gerettet worden ist. Statt ihn den Behörden auszuliefern, lässt sie ihn, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit, von den eigenen Kameraden abholen. Eine gefährlich Aktion, denn in Gibraltar wimmelt es nur so von Spionen und Doppelagenten.

Das muss Elena wenig später am eigenen Leib erfahren, als sie für Teseo, mit dem sich, zwischen seinen gefährlichen Einsätzen, eine zarte beinahe unmögliche Liebesbeziehung entspinnt, britische Schiffe im Hafen von Gibraltar lokalisiert, denn sie darf als Spanierin die Grenze überschreiten. Denn nicht nur die britische Marine verhaftet Spione, Doppelagenten und Saboteure, sondern auch die spanische Polizei, die mit Saboteuren allerdings gleich kurzen Prozess macht.

Meine Meinung:

Dieses höchst spannende Buch wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. So erfahren wir Elenas Geschichte, deren Familie vor Franco aus Spannien geflüchtet ist und deren Ehemann von den Briten getötet worden, sowie einiges über die italienischen Kampftaucher, die 1942/43 noch an der Seite Hitler-Deutschlands gegen die Alliierten kämpften, was dann später zu einer Spaltung der ohnehin sehr kleinen Truppe geführt hat. Die einen wie Teseo schließen sich den Alliierten an, andere wie Gennaro nehmen lieber Repressalien in Kauf. „Prinzipientreue gegen unehrenhaftes Verhalten.“ (S. 206). Doch auch die Briten wie zum Beispiel Kommissar Harry Compello kommen zu Wort.

Gleichzeitig bindet der Autor seine Recherchen zu diesem Stoff in die Geschichte ein. Wie er die kleine Buchhandlung Olterra in Venedig und damit Elena, Teseo und ihre Geschichte entdeckt hat. Und warum er aus dem Stoff lieber einen historischen Roman als einen Tatsachenbericht gemacht hat. So hat er Fakten, die er in Archiven recherchiert hat und einige Interviews mit Augenzeugen mit fiktiven Dialogen zu einem fesselnden historischen Roman verknüpft. Dennoch hätte ich diesen Teil des Romans lieber als Epilog gelesen, sowie mit der Erklärung was Fakt und was Fiktion ist, versehen.

Wie es für mich üblich ist, wenn mich ein Thema interessiert, beginne ich selbst zu recherchieren. Dabei bin ich auf den historischen Teseo, der mit Nachnamen Tesei hieß, gestoßen. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Weiterentwicklung des SLC, das wegen seiner schweren Lenkbarkeit „maiale“, also Schwein genannt wurde. Tesei kam am 26. Juli 1941 bei einem Einsatz vor La Valetta/Malta ums Leben. Er wurde 22 Jahre alt. Zu seinem Gedenken heißt eine Spezialeinheit der italienischen Marine auch heute noch COMSUBIN Comando Raggruppamento Subacquei e Incursori Teseo Tesei. Diese Truppe besteht aus Tauchern, Kampfschwimmern und Kommandotruppen. Ihre Basis ist der Marinehafen von La Spezia.

Im Museo storico navale in Venedig sowie im Museo nazionale della scienza e della tecnologia Leonardo da Vinciin Mailand sind maiali zu sehen. Beim nächsten Aufenthalt in Venedig und/oder Mailand stehen beide Museen auf dem Programm, versprochen.

Die Charaktere überzeugen durchwegs. Die Kampftaucher sind Spezialisten, nicht ganz ohne Angst oder Zweifel.

Gut gefällt mir, dass Bücher und Buchhandlungen in dieser Geschichte eine sehr große Rolle spielen.

Fazit:

Dieser historische Roman, der auf wahren Ereignissen beruht, hat mit sehr gut gefallen. Ich konnte ihn nicht aus der Hand legen. Wer etwas über ungewöhnliche Einsätze abseits von Panzerschlachten des Zweiten Weltkriegs lesen möchte, ist hier genau richtig. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 05.09.2025
Oetker, Alexander

Wolfstal / Luc Verlain Bd.9 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In diesem 9. Fall lässt Alexander Oetker seinen Commissaire Luc Verlain zusammen mit seinem Kollegen und Freund Gilen Etxberria aus Biarritz, der ihn um Unterstützung gerufen hat, wieder in den Pyrenäen ermitteln. Was ist passiert? Jacques, ein Schäfer, der den Bewohnern des malerischen Dorfes Espelette aus dem Weg geht, liegt brutal ermordet auf der Schafsweide.

Zu beider Überraschung ist Rose Schillinger, Verlains neue Mitarbeiterin, bereits vor Ort. Die Ermittler stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Über das Motiv kann nur gerätselt werden. Der Tote hat als Einzelgänger und Störenfried gegolten. Seine feindliche Haltung den Pilgern auf dem Jakobsweg gegenüber, inklusive Schüsse aus seiner Flinte, hat die Hoteliers erzürnt. Zudem glauben die Dorfbewohner zu wissen, dass Jacques die Wiederansiedlung von Wölfen fördert. Zwar hat bislang niemand das Raubtier gesehen, aber die Eigentümer der gerissenen Schafe und Ziegen
fordern von der Bürgermeisterin Maßnahmen gegen Wolf und Jacques.

Ungewöhnlich lange tappen Verlain und Etxberria im Dunkeln, zumal Rose Schillinger ein höchst seltsames Betragen an den Tag legt. Sie ist unhöflich, gleichzeitig wichtigtuerisch und verschwindet für Stunden, ohne sich abzumelden. Teamarbeit sieht anders aus. Insgeheim sind Verlain und Etxberria nicht unglücklich, die eigenbrötlerische Kollegin, die ihre eigene Suppe zu kochen scheint, nicht ständig um sich zu wissen.

Als dann die Einvernahme eines Zeugen eskaliert und Luc Verlain einen Blick in ihre Personalakte wirft, eröffnet sich ein neue Spur.

Meine Meinung:

Diesmal dauert es für meinen Geschmack ein wenig länger bis der Kriminalfall so richtig in Gang kommt. Zunächst werden einmal Land und Leute vorgestellt. Zugegeben, die Pyrenäen sind ein spannender Schauplatz. Immerhin haben sie in der Vergangenheit immer wieder eine große Rolle gespielt und die rauen wie kargen Berge haben einen ebensolchen Menschentyp geformt, die sich gerne gegen die Obrigkeit, egal ob Frankreich oder Spanien, auflehnt.

Geschickt drapiert Alexander Oetker seinen Krimi rund um das Thema Wolf, das jede Menge Konflikte birgt, weshalb man einige Zeit auf der buchstäblich falschen Fährte ist.

Das ungewöhnlich ruppige Auftreten von Rose Schillinger, einer Elsässerin, die wie ein Wanderpokal durch Polizeidienststellen in mehreren Départements weiter gereicht worden ist, hat recht schnell eine Hypothese bei mir aufkommen lassen.

Gut gefallen hat mir der für mich viel zu kurze Exkurs in die Vergangenheit des Baskenlandes. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Infos erhofft, zumal mit Gilen Etxberria ein Betroffener im Spiel ist. Nun, immerhin hat Alexander Oetker im Nachwort einiges erklärt.

Wie immer ist auch dieser 9. Fall eine gelungene Mischung zwischen Krimi, kulinarischer Reise und Tourismusführer. Der Autor stellt die kommerziell ausgereizte Pilgerreise des Jakobswegs ein wenig an den Pranger. Haben im Jahr 1970 ganze 68 Pilger die Reise zu Fuß zurückgelegt, so sind es im Jahr 2024 knapp 500.000 Personen, die weniger zu Fuß gehen, sondern sich der üblichen Verkehrsmittel bedienen. Statt einfacher Herbergen und Speisen müssen es nun Wellnesstempel und Gourmetrestaurants sein. Zwar klingeln die Kassen der Gemeinden entlang des Pilgerwegs, der ursprüngliche Zweck, innere Einkehr zu halten, ist im Laufe der Jahre verloren gegangen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem komplexen Krimi, der die Vergangenheit des Baskenlandes aufgreift, 5 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schwarze Schatten der Vergangenheit

Dieser Roman über eine höchst seltsame Familie ist fesselnd bis zur letzten Seite!

Wenige Tage vor der Feier zum 80. Geburtstag ihres Großvaters Karl trifft Mona in der Marsch ein und muss feststellen, dass Großmutter Annemie verschwunden ist. Karl scheint das Verschwinden seiner Frau nicht wesentlich zu tangieren.

Wortkarg wie eh und je, maßregelt er Mona, die sich sowohl um ihn als auch um Annemie sorgt. Nur mit Widerwillen lässt er Mona in sein Haus, in dem sie ihre Sommerferien verbracht hat, einziehen. Auch der Rest der Familie, also Monas Mutter Sabine, die nur sehr selten in Deutschland ist, oder Sabines Zwillingsbrüder Sven und Stefan, wollen dem Verschwinden ihre Mutter nachgehen. Ja, man schaltet halbherzig die Polizei ein, ruft Krankenhäuser und die eine oder andere Bekannte, denn wirkliche Freundinnen von Annemie sind nicht bekannt, an. Irgendwie ist allen das Schicksal Annemies egal.

Nur Mona stochert weiter in Omas Leben. Ein vergilbtes Säuglingsfoto in Omas Geldbörse, das weder Sabine oder einen der Zwillige zeigt, gibt einen ersten Hinweis auf ein unbekanntes Familiengeheimnis, zumal es plötzlich wieder verschwunden ist.

Erst als Mona gemeinsam mit Jon, dem Freund aus Kindheitstagen aufmacht, Annemie zu suchen, kommt Bewegung in die Sache. Dabei hat Mona eigentlich mit sich selbst genug zu tun.

Bei der Geburtstagsfeier, die trotz des Fehlens von Annemie stattfindet, kommt es dann zum Eklat.

Meine Meinung:

Autorin Katja Keweritsch zeichnet hier ein Bild einer dysfunktionalen Familie, die man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen würde, aber immer wieder doch vorkommt. Alles dreht sich um die Doppelmoral und um die Angst vor Gerede im kleinen Dorf in der Marsch, wo man sich ganz genau beobachtet und zu kennen glaubt. Doch kennt man seine Nachbarn wirklich? Oder sieht man nur das, was man sehen will? Das, was in das eigene Weltbild passt?

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. So kommen neben Mona und ihre Tante Janne, auch Großmutter Annemie zu Wort. Einen weiteren Handlungsstrang mit Freya und Ayko, kann man zunächst nicht ganz einordnen.

Von Kapitel zu Kapitel steigert sich mein Zorn auf Karl und Stefan, die beide ihre Frauen misshandeln, der ein physisch und der andere psychisch. Während Janne, Stefans Frau, sich mit drei Kindern und dem Haushalt (beides will sie perfekt hinkriegen) abstrudelt, geht Stefan zur Herrenrunde, ins Fitness-Studio oder zu Feuerwehrübungen. Es ist ja sein gutes Recht - er bringt das Geld nach Hause, oder?. Kindergeschrei gehört in die Hemisphäre der Frau, weshalb er mit Ohrstöpseln schläft, um von der zahnenden Jüngsten nicht geweckt zu werden. Nicht einmal als Janne völlig zusammenbricht und in die Klinik muss, kümmert er sich um den Nachwuchs. Da springen Jannes Eltern ein.

Die Auflösung ist so tragisch wie komplex. Erst als Sabine ihr Schweigen bricht, scheint es die Möglichkeit zu geben, diese Familientraumata, die von Tochter zu Tochter weitergegeben worden sind, zu durchbrechen.

Unheimlich sind die Zitate aus Johanna Haares Buch der Kindererziehung aus der NS-Zeit. Dass dieses Buch bis 1987 (!) im Buchhandel erhältlich war, erschüttert noch einmal extra.

Fazit:

Schon lange keinen Roman über so eine dysfunktionale Familie gelesen, der mich so berührt und gleichzeitig wütend gemacht hat. Gerne bewerte ich dieses Buch mit 5 Sternen.

Bewertung vom 03.09.2025
Berbo, Vernesa

Der Sohn und das Schneeflöckchen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Als am 4. Mai 1980 Josip Broz Tito, der Staatspräsident Jugoslawiens, stirbt, weiß noch niemand, dass zehn Jahre später, der Staat, den die Person Tito mit eiserner Klammer zusammengehalten hat, auseinanderbrechen wird. Leider wird die Trennung nicht so friedlich wie bei der Tschechoslowakei, die sich in Tschechien und die Slowakei trennt, erfolgen. Auf Grund der verschiedenen Ethnien, Sprachen und Schriften, Religionen und vor allem gemischten Dörfern und Städten wie Sarajevo, in den man meist friedlich nebeneinander lebt, zetteln Anführer unterschiedlicher Parteien eine Reihe von (Bürger)Kriegen an, die uns als Jugoslawien- oder Balkankriege der Jahre 1991 bis 2001 bekannt sind. Sie scheuen dabei weder ethnische Säuberungen, noch andere Kriegsverbrechen.

Vernesa Berbo, 1968 in Proboj, im heutigen Serbien geboren, lebte während der Belagerung Sarajevos einige Zeit in der Stadt und ist selbst als Kriegsflüchtling 1992 nach Deutschland gekommen. In ihrem Debütroman schildert sie an Hand von Dijana (Sohn) und Dada (Schneeflöckchen) die Belagerung Sarajevos (5. April 1992 bis 29. Februar 1996), die rund 11.000 Menschen das Leben kostete.

Wir erfahren von diesen Jahren der Belagerung aus der Sicht von Dada, die von ihrer Familie Schneeflöckchen genannt worden ist, seit ihrer Flucht aus Sarajevo nun in Berlin wohnt und als Dolmetscherin in den Kriegsverbrecherprozessen übersetzt. Es sind Dadas Erinnerungen an ihre Familie, speziell an ihre Schwester Dijana, die allgemein nur Sohn gerufen wird, an das unbeschwertes Leben bevor der Krieg alle Pläne zunichte gemacht hat und an Mirza, ihre große Liebe.

Es sind aber auch die Erinnerungen Dijanas an die große Scham, die sie empfindet, die wir lesen. Die eine, weil sie ihre Familie nicht wissen lässt, dass sie ein anderes Leben führt und die andere, weil sie sich die Schuld gibt, die kleine Schwester im Stich gelassen zu haben.

Die Erinnerungen versetzen uns in den März 1992 als sich die Lage in Sarajevo zuspitzt und die Belagerung beginnt. Wir erleben die Ereignisse aus den Perspektiven von Dada und Dijana hautnah mit. Ein genialer Schachzug ist, Dada in der dritten Person erzählen zu lassen und Dijana als Ich-Erzählerin.

Zunächst scheinen die Berichte wie aus großer Distanz. Erst als Vater und Sohn (also Dijana) an die Front müssen und Mirza, Dadas große Liebe, nicht mehr zurückkehrt, ändert sich die Stimmung in der Familie. Es sind nicht die direkten Gefechte, die Eindruck hinterlassen, sondern die Verwandlung der Menschen. Die Rückschau auf verpasste Gelegenheiten und die Trauer, die sich stellenweise in Trotz und Wut verändern.

Viele Ereignisse sind ob der Brutalität und der Gräuel nur angedeutet.

„Sie [Dada] landete alleine direkt in einem Krankenhaus. Ab da erinnerte sie sich mehr an vieles. Bruchstückhaft weiß sie noch, dass sie sich wunderte, dass nur schwangere Frauen um sie herum waren. Dass in diesem Monat in dem sie da war, viel zur Entbindung gebracht wurden, aber alle mit leeren Händen und geschwollenen Brüsten zurückkamen, ohne ihre Kinder. Keine sprach jemals über die Entbindung oder ihr Baby. Man gab ihnen Schmerzmittel und Medikamente gegen die Brustentzüdnung, dann verschwanden sie aus dem Zimmer. Wie am Fließband kam neue Frauen mit prallen Bäuchen, neue leere Hände, neue entzündete Brüste, neue Verzweifelte, die sich wie Tauben aus dem Krankenhausfenster in die Tiefe stürzten.“ (S. 305)

Meine Meinung:

Die Autorin lässt in ihren Debütroman zahlreiche persönliche Erfahrungen einfließen, wodurch das Buch eine beklemmende Sogwirkung entfaltet. Es überzeugt durch die weibliche Sicht der Belagerung Sarajevos und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Gerne gebe ich diesem Debüt, das sich sowohl als Aufarbeitung eines Traumas, als auch als Plädoyer gegen den Krieg versteht, 5 Sterne. Allerdings ist es nichts für Zartbesaitete.

Bewertung vom 02.09.2025
Flitner, Bettina

Meine Mutter (eBook, ePUB)


sehr gut

„Als Bettina Flitner für eine Lesung aus ihrem Buch »Meine Schwester« nach Celle zurückkehrt – dorthin, wo vor 40 Jahren ihre Mutter beerdigt wurde –, springen sie mit unerwarteter Heftigkeit Fragen an, die sie lange von sich fern gehalten hatte: Fragen nach dem großen Unglück im Leben ihrer Mutter und nach einer Familienkatastrophe in einer fernen Zeit und in einem fernen Land.“

Mit diesen Worten umreißt der Klappentext den Inhalt dieses aufwühlenden Buches.

Wenig später reist Bettina Flitner auf den Spuren ihrer Mutter Gisela, die vor 40 Jahren Selbstmord begangen hat, rückwärts in die Vergangenheit in den Luftkurort Wölfelsgrund im ehemaligen Niederschlesien, heute Polen, wo die Familie einst ein Sanatorium besessen hat. Mit im Gepäck hat Flitner Tagebücher sowie Notizen und Hunderte von Fragen. Denn die Selbstmorde von Mutter (1984) und Schwester (2017) reihen sich mehr oder weniger nahtlos in eine Reihe von Selbsttötungen ein.

„Sie hat nie etwas getaugt!“ Mit diesen verachtenden Worten beginnt Bettina Flitners Buch über ihre Mutter. Gesprochen hat diesen Satz der Vater der Toten.

Das Buch über ihre Mutter ist der Versuch einer Aufarbeitung der dramatischen Familiengeschichte, denn Großmutter Elisabeth war jüdischer Abstammung und Großvater Wilhelm Flitner, (Reform)Pädagoge und Gegner der Nationalsozialisten.

Meine Meinung:

Das im Klappentext erwähnte Buch „Meine Schwester“ habe ich noch schnell vorab gelesen. Bettina Flitner selbst ist mir nur im Zusammenhang mit Alice Schwarzer ein vager Begriff.

Flitners Schreibstil ist klar und schnörkellos, fesselt aber genau dadurch.

Fazit:

Für diese Aufarbeitung einer komplizierten Familiengeschichte, in der einige Mitglieder an Depressionen litten und Selbstmord verübt haben, gebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 01.09.2025
Feyerabend, Charlotte von

Liebesrausch


gut

Als die mit Hugh „Hugo“ Parker Guiler verheiratete Anaïs Nin (1903-1977) 1931 in Paris auf den amerikanischen Schriftsteller Henry Miller (1891-1980) trifft, entspinnt sich eine amour fou, die alle Konventionen sprengt.

„Etwas sagt mir, dass ich dich an ihn verlieren werde. Aber das werde ich nicht zulassen. Anaïs, du gehörst zu mir! Auch wenn ich weiß, dass du seinen Verstand anziehend findest.“ (S. 41)

Denn nicht nur, weil Anaïs Nin ihrem Eheman Hugo, der sie finanziell großzügig unterstützt, in einer konventionellen Ehe verbunden bleibt, sondern weil Henrys Ehefrau June zu dieser menage à trois als vierte dazukommt, auch wenn diese Konstellation nicht allzu lange bestehen bleibt.

Ob es an Anaïs‘ toxischer Beziehung zu ihrem Vater liegt, dass sie sich auf Henry Miller, der nimmt, was kommt (und ihm nützlich ist) einlässt?

Eine Antwort bietet dieser Roman nicht, zumal er im Jahr 1936 endet. Die Beziehung zu Henry Miller wird noch einige Jahre andauern.

Meine Meinung:

Autorin Charlotte von Feyerabend erzählt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Sowohl aus der Sicht von Anaïs als auch jener Henrys. So richtig kann ich mich mit den handelnden Personen nicht anfreunden. Vor allem Hugo bleibt für mich persönlich sehr blass. Warum lässt er sich das alles gefallen? IHenry und Anaïs leben in einer Blase von Sex, Drugs und Lügen, die der gute Hugo finanziert.

Der Tanz auf dem Vulkan, den vor allem Henry und Anaïs jahrelang zelebrieren, mag der Herkunft beider geschuldet sein.

Außerdem fehlt mit ein bisschen das historische Umfeld mit der politischen Entwicklung in Deutschland in der Erzählung. Okay, Hugo erwähnt, dass er ein Jobangebot in London hat und er dunkle Wolken heraufziehen zieht. Aber sonst?

Vor vielen Jahren habe ich Anaïs Nins Buch Das Delta der Venus gelesen. Vielleicht sollte ich dieses bzw. eines ihrer anderen Bücher lesen.

Fazit:

Leider hat mich dieser Roman der Person Anaïs Nin nicht wirklich näher gebracht, daher gibt es nur 3 Sterne.

Bewertung vom 01.09.2025
Paar, Tanja

Am Semmering


ausgezeichnet

Tanja Paar entführt ihre Leser in die Sommerfrische-Idylle am Zauberberg der Wiener, den Semmering. Man schreibt das Jahr 1928. Die Donaumonarchie und der Adel sind längst Geschichte. Das neue jüdische Bürgertum hat den Hausberg als Sommerfrische auserkoren. Bekannte Architekten bauen Villen für sie, damit sie, wenn sie mit Sack und Pack über den Sommer einziehen, die selbe Bequemlichkeiten haben, wie in der großen Stadt, nur mit sauberer Luft.

Doch es ist nicht die Herrschaft, die hier beschrieben wird, sondern die einfachen Leute wie das Postfräulein Negrelli, die Bauern, deren Kinder statt in die Schule zu gehen auf dem Hof schuften müssen, das Dienstpersonal der großen Hotels, die Holzknechte oder die Köchin Rahel, die für die jüdischen Gäste koscher kocht sowie der Pianist Szabo. Es ist auch eine Geschichte der Einheimischen und der Zugezogenen, wie dem Eisenbahner Bertl und seiner Frau Klara, die im Bahnwärterhaus an der Südbahn wohnen. Bertl bekleidet nun den Posten eines Fahrdienstleiters. Das Paar ist dankbar für sein kleines Glück, dem nur noch ein Kind fehlt, das sich partout nicht einstellen will.

Nach der Weltwirtschaftskrise 1929, die auch vor der Sommerfrischenidylle am Semmering nicht Halt macht, beginnen die politischen Spannungen spürbar zu werden. Bertl, als Eisenbahner ein Sozialist, kann mit den frömmelnden Einheimischen wenig anfangen, und umgekehrt. Und doch ist der Semmering eine winzige Insel der Seligen, in der Klara sogar Tennis spielen lernt und ihrerseits versucht, Szabo das Eislaufen beizubringen.

Als die Heimwehr sich immer stärker in Szene setzt, legt auch der republikanische Schutzbund nach, bis die Situation im Februar 1934 im Bürgerkrieg eskaliert. Niemand kann so recht glauben, dass illegale Nazis und Sozialisten gemeinsam im Anhaltelager Wöllersdorf in Haft sind.

Dann kommt das Jahr 1938 und die heile Welt am Semmering gerät vollends aus den Fugen. Zuerst verschwindet das Fräulein Negrelli und dann Rahel ...

Meine Meinung:

Dieser historische Roman, der auf den Erinnerungen ihre Großeltern Klara und Bertl, sowie dem mysteriösen Erbe einer Porzellanpuppe, in deren Reifrock ein Schaijtel, also jene Perücke, die orthodoxe Jüdinnen nach ihrer Heirat, tragen (müssen), basiert, zeichnet die Jahre zwischen 1928 und 1945 sehr feinfühlig nach.

Zwischen den einzelnen Episoden sind Gedanken des schlechten Gewissen sowohl von Klara als auch von Szabo zu lesen, der sich Vorwürfe macht, Rahel nicht besser unterstützt zu haben. Er steht stellvertretend für alle, die lange, zu lange gezögert haben, jüdischen Bekannten und Freunden zu helfen. Offen bleibt der Verbleib des Fräulein Negrelli, während das Schicksal von Rahel klar ist.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Roman 5 Sterne.

Bewertung vom 30.08.2025
Wunnicke, Christine

Wachs


ausgezeichnet

Christine Wunnike entführt ihre Leserschaft in das vorrevolutionäre Paris des 18. Jahrhunderts. Noch herrscht Ludwig XV. (1710-1774) und seine Entourage, die dann von Ludwig XVI. (1754-1793) sowie von der Revolution 1789 und der Schreckensherrschaft abgelöst werden. Doch es ist nicht das Königshaus, das hier im Mittelpunkt steht, sondern zwei Frauen, die sich lange vor der politischen Revolution revolutionär verhalten: Marie Bihéron (1719-1795) und Madeleine Basseporte (1701-1780).

Die beiden Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, begegnen einander bei einem Malkurs, den Bassporte für Mädchen gibt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Während die meisten Schülerinnen sich mit zarten Blumenornamenten und Bordüren plagen, zeichnet jugendliche Marie Bihéron innere Organe, die sie zuvor gekauften Leichen entnommen hat. Marie will Anatom werden und zwar der beste.

Schnell erkennen beide, dass in den anatomischen Zeichnungen Maries wahre Begabung liegt. Dann verlegt sich Marie auf die Herstellung von anatomischen Wachsmodellen, sogenannte Moulagen. Das Mekka der Erzeugung dieser Modelle liegt in England, wohin Marie auch mehrmals reist. Während Marie ihre originalgetreue anatomische Moulagen an Wissenschaftler und an die Königin verkaufen kann, wird Madeleine Gartengestalterin bei den Bourbonen. Sie korrespondiert mit dem schwedischen Forscher und Botaniker Carl von Linné (1707-1778), der ihre detailgetreuen Abbildungen schätzt.

Aus der Lehrerin/Schülerin-Beziehung ist schon längst ein gleichgeschlechtlich liebendes Paar geworden, das mehr oder weniger unbehelligt zusammenlebt. Männer kommen in diesem historischen Roman selten vor. Und wenn, dann in Nebenrollen. So begegnen wir dem jugendlichen Dichter Denis Diderot (1713-1784) oder den Mitgliedern der Académie des sciences, die Frauen weder fördern noch in ihrer Mitte haben wollen.

Die Geschichte der beiden Frauen wird in zwei Ebenen erzählt. Neben der Zeit, die sie miteinander verbringen, erfahren wir auch einiges über das Leben der alternden Marie Bihéron in den Jahren nach Madeleine Basseportes Tod 1780, die durch die Revolution von 1789 die bisherige Ordnung über den Haufen wirft.

Hier wundert es mich doch ein wenig, dass Marie Bihéron die Jahre der Terrorherrschaft der Jakobiner, die erst mit der Hinrichtung von Maximilien Robespierre 1794 ihr Ende findet, überlebt hat.

Wer Moulagen in natura sehen will, so kann man die in zahlreichen Museen sehen. Darunter in der Berliner Charité oder rund 200 Stück im Josephinum im Wien, das von Kaiser Joseph II. als Ausbildungsstätte für Militärärzte gegründet worden ist.

Fazit:

Dieser historische Roman, der die wahrlich revolutionären Lebensgeschichten zweier Frauen im vorrevolutionären Frankreich beschreibt, hat mir sehr gut gefallen. Von mir aus hätte er gerne ausführlicher sein können, trotzdem erhält das Buch 5 Sterne.

Bewertung vom 29.08.2025
Grünig, Michaela

Zeitensturm / Blankenese - Zwei Familien Bd.3 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mit diesem dritten Teil der Blankeneser Familien-Saga, der in den 1970er-Jahren spielt, beendet Michaela Grünig ihre Trilogie.

Wie immer gelingt es Michaela Grünig mit ihren Charakteren wie Sabine, Ulrike, Sonja, Kurt und Fanni die Gegensätze der verzweigten Familie lebendig und authentisch zu zeichnen. Für die Darstellung der historischen Hintergründe hat sie penibel recherchiert. Einige von uns haben noch eine vage Erinnerung an ihre Kindheit und Jugend, die in dieses Jahrzehnt fallen. Am Beispiel Sabine zeigt die Autorin, wie leicht junge, unsichere Menschen in die Hände von Fanatikern fallen können.
Es ist die Zeit der Proteste, die 1968 begonnen haben, als Studenten unter anderem nach der Rolle ihrer Väter und Großväter im NS-Regime gefragt haben und teils falsche oder enttäuschende Antworten erhalten haben. Es ist aber auch die Zeit des Aufbruchs und des Wandels im Allgemeinen - langhaarige Männer, die Pille und Minirock.

Doch es sind auch die Jahre des Terroranschlags in München 1972, einiger Flugzeugentführungen sowie der RAF (also nicht der Royal Air Force, sondern der Roten Armee Fraktion) in Deutschland und der Brigate Rosse in Italien, die durch Entführungen eine blutige Spur durch Europa ziehen. Ich kann mich an diese Zeit recht gut erinnern, denn auch die Entführung des Wiener Industriellen Walter Michael Palmers im Jahr 1977 gehört zu diesen Verbrechen. Da einer der Entführer im Haus meiner Oma gewohnt hat, ist mir diese Entführung, die zur Geldbeschaffung gedient hat, besonders in Erinnerung.

Es gibt aber auch andere, wie Beate und Serge Klarsfeld, die mit ihrer Jagd auf NS-Verbrecher für Schlagzeilen gesorgt haben. Das wird hier im Buch von Michaela Grünig sehr gut in die Handlung eingebaut, genauso wie die Rücksichtslosigkeit mancher Öl-Konzerne, die, wie hier am Beispiel der Jacobson-Reederei, die um Gewinne zu maximieren auf Sicherheitsvorkehrungen bei Tankschiffen, bewusst verzichtet haben. Diese Unfälle mit Tankschiffen sind die Geburtsstunde des Umweltschutzes.

Gut gefällt mir, dass Michaela Grünig ihre Figuren weiterentwickelt, nicht immer zum deren Vorteil. In einem, für sie typischen Statement, enthüllt die harte Geschäftsfrau Sonja Casparius ihr höchst persönliches Geheimnis.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem fesselnden und an manchen Stellen durchaus brutalen Abschluss der Saga rund um die beiden Familien Jacobson und Casparius 5 Sterne und eine Leseempfehlung.