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Benutzername: 
mapefue
Wohnort: 
Kirchbichl

Bewertungen

Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 07.03.2023
Was damals geschah
Jewell, Lisa

Was damals geschah


sehr gut

In „Was damals geschah“ – keine unpassende Übersetzung des Originaltitels „The Family Upstairs“ versucht der Leser das Rätsel Libby, einer jungen Frau, die gerade an ihrem 25sten Geburtstag ein ganz besonderes Haus geerbt hat, zu lösen. Nein, es entwickelt sich nicht eine Aschenputtel-Geschichte, denn Libby ist selbstbewusst und besitzt eine hohe Kompetenz im Luxusküchenverkauf. Nur von ihrer wahren Familie hat sie keine Ahnung.

Das Haus im angesagtem Stadtteil Chelsea ist Millionen wert: 16, Cheyne Walk, SW 3. Alles in Libbys Leben wird sich ändern. Aber was sie unmöglich wissen kann, ist, dass auch andere auf diesen Tag gewartet haben. Bei der ersten Besichtigung des Hauses überfällt Libby eine Vermutung, dass das Haus nicht unbewohnt ist. Vor fast 25 Jahren hat die Polizei in diesem Haus drei Leichen und eine Notiz entdeckt, keine anderen Lebewesen, nur eben ein quietschvergnügtes Baby. Niemand Lebender war hier – wer hat sich um das Baby gekümmert?

Mehrere aktuelle Zeitebenen mit Libby und Lucy und einem Rückblick der 1980er Jahre im Haus in Chelsea. Bis zuletzt ist nicht bekannt, wer die Person in diesem Rückblick ist. Spannung ergibt sich daraus, dass der Leser wissen möchte wer denn aller sich in Chelsea trifft, ob alle auch diejenigen sind für die sie sich ausgeben und wer denn nicht da ist und wo er denn sein könnte. Lose Fäden warten auf das Einfädeln.

Auch wenn Lisa Jewell Schreibstiel fein säuberlich und glatt, eine „romantic cornwall love story“ oder die Geschichte einer lieben Familie sein könnte, der Plot ist ein wahrer Hardcore-Thriller, mit Vergewaltigung, körperlicher, emotional und geistig Missbrauch von Erwachsenen und Kindern, Sekten, Fehlgeburten, Pädophilie und Mord.

Der Cliffhanger am Ende deutet auf den dritten Band, aber die deutsche Fassung muss erst geschrieben werden.

Bewertung vom 28.02.2023
Das Böse im Guten
Schöpf, Alois

Das Böse im Guten


ausgezeichnet

Als wöchentlich geforderter Glossist leistet sich der Blog-Herausgeber Alois Schöpf den Luxus, das Genre „Essay“ zwischendurch auf die ungestüme Gegenwart herunterzubrechen und Nerven zu bewahren, indem Pro und Contra, Links und Rechts, Ignoranz und Wahnsinn innerhalb eines Textes einander gegenübergestellt werden in der Hoffnung, es möge etwas Gutes dabei herauskommen.

Das vorliegende Werk ,,Das Böse im Guten“ ist die Dokumentation dieser Bemühungen, vor allem die Lügen des Zeitgeists, die moralistische Selbsterhöhung der zeitgeistigen Spießer und die mediale Korruption mit den Mitteln der satirischen Analyse bloßzustellen.

Menschliche Heuchelei in allen Formen ist ihm zuwider. Wie fast alle Charity-Veranstaltungen in der Vorweihnachtszeit, ziehen sie für Schöpf eine „Schleimspur des Helfens und Spendens“ nach sich. Ein Kampf um das geilste Preisgeld, das in der gefälligen Selbsterhöhung seinen Höhepunkt findet. Das Edle und Gute am Helfen geht für ihn hier verloren.

Eine Sammlung seiner Texte aus den Jahren 2020–2022 gibt es nun in Buchform.

Bewertung vom 09.02.2023
Stille blutet
Poznanski, Ursula

Stille blutet


ausgezeichnet

Mit „Stille blutet“ wird eine neue Thriller-Serie um die junge Ermittlerin Serafina „Fina“ Plank mit ihrem fünfköpfigen Team der Wiener „Mordgruppe“ eröffnet.

Die Wiener Nachrichtensprecherin Nadine Just kündigt vor laufender Kamera ihre eigene Ermordung im TV an. Sie hat diese Meldung vom Teleprompter perplex, aber freiwillig abgelesen.
„Ein trauriges Ereignis droht demnächst die Medienlandschaft zu erschüttern. Eines der hoffnungsvollsten Talente der heimischen TV-Szene wird in Kürze tot aufgefunden werden. Ein Verbrechen wird man nicht ausschließen können. Bei dem Opfer handelt es sich um die siebenundzwanzigjährige Nadine Just.“
Diese junge, aufstrebenden Journalistin war ein karrieregeiles, menschenverachtendes, rachsüchtiges, zerstörendes Biest. „Sie hatte ausschließlich Feinde.“

Zwei Stunden später ist sie tot.

Eine wahrlich ungewöhnliche Situation, wenn eine Nachrichtensprecherin ihre eigene Ermordung ankündigt! Erst, nachdem viel zu spät die Live-Sendung abgebrochen wird, realisieren alle die tödliche Dramatik. Im Bad ihrer Garderobe wird die Leiche der Moderatorin gefunden. Fina und ihr Team tappen zunächst im Dunkeln. Der ersten Leiche folgt die zweite sogleich. In den sozialen Netzwerken kündigen unzählige Nutzer im Hashtag #inkürzetot ihren eigenen Tod an. Unter anderem wie der Blogger Gunther Marzik.

Wie sollen die Ermittler um Fina der Wiener „Mordgruppe“ zwischen einer echten Spur, einem schlechten Scherz oder schlichtem Fake unterscheiden?

Von Anfang an gerät Nadines Ex-Freund Tibor Glaser ins Zentrum der Ermittlungen, Inhaber einer Werbeagentur und Weiberheld. Alle Indizien sprechen gegen ihn und er wird verhaftet. Verzweifelt beteuert er seine Unschuld. Zu seiner Tollpatschigkeit kommt noch dazu, dass er immer am falschen Ort befindet, zur falschen Zeit.

Ursula Poznanski sorgt mit dem Auftakt ihrer neuen Thriller-Reihe für immense Spannung. Eine Mordserie und eine geheimnisvolle Stimme aus dem Off halten Wien in Atem. In einigen Kapiteln wendet sich diese unbekannte, mysteriöse Erzählerfigur, die selbst Teil der Handlung zu sein scheint, ohne dabei konkret aufzutreten, an uns.

Es ist eine Chronik eines angekündigten Todes. „Bisher hatte sie (Fina) Menschen nur auf gewaltfreie Weise verloren“ (S. 29) Oh, wie ist das schön.

„Immer auf die kleinen Dicken“: Fina hat es schwer in dieser männerdominierten Polizeitruppe, besondere mit dem Ungustl (umgangssprachlich, bayr-/österreichisch für unsympathischer, missgünstiger Mensch) Oliver, ein Frauenverächter.

Die zweite Erzählebene mit der unbekannten Stimme aus dem Off, gibt dem Thriller etwas Mystisches und mach ihn insgesamt zum Besten was Polanski je geschrieben hat. Die spannungsgeladene Erwartung, wann denn bricht der Verdächtige Tibor endlich zusammen und gesteht, ist ungeheuer, wüsste ich nicht, dass noch eine Klimax zu erwarten sei.

Noch dieses Jahr erscheint der zweite Band der Wiener „Mordgruppe“ mit dem Titel „Böses Licht“ - Mord im Burgtheater.

Bewertung vom 03.02.2023
Never Say Anything
Lüders, Michael

Never Say Anything


sehr gut

Die junge Journalistin Sophie Schelling wird von ihrer Redaktion für einen Reisebericht nach Marokko geschickt. Über das Magazin „Outland“ des Marokkaners Hassan Maliki hat sie von einem kleinen Dorf in Marokko gehört, in dem ein Mann eine „Himmelstreppe“ baut, eine freistehende Treppe, die in den Himmel führen soll. Dort, in Gourrama, einem entlegenen Bergdorf angekommen erlebt sie einen Drohnenangriff, entgeht wenig später nur knapp einem tödlichen Helikopterangriff, bei dem der Großteil der Dorfbewohner getötet wird. Trotz einer Schussverletzung retten ihr unbekannt Helfer das Leben und sorgen dafür, dass sie zurück nach Berlin kommt. Sie beginnt mit ihren Recherchen, wer hinter dem Anschlag steckt; dass es Al-Qaida nach allgemeiner Meinung sei bezweifelt sie und vermutet amerikanischen Drohnen und Spezialeinsatzkräfte. Obwohl Schelling stichhaltige Beweise, als Augenzeugin, ihre eigenen Fotos und ein Video der Helikopterpiloten des Angriffs hat, scheut sich ihre Redaktion die Amerikaner öffentlich anzuprangern. Man könnte auch sagen, ihr Chef hat nicht die Eier, Mut zu zeigen. Von ihren Mitarbeitern in der Zeitung gemieden, gerät sie zunehmend in das Visier der Geheimdienste und des Militärs. Wie weit kann die Journalistin gehen um die Wahrheit ans Licht zu bringen ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Immer tiefer verstrickt sich Sophie in das Netz eines übermächtigen Gegners, bis aus ihrer Suche ein blutiger Kampf ums Überleben wird. Sophie muss die bittere und enttäuschende Erfahrung machen, obwohl ihre Gegner keine sachlichen Argumente gegen ihre offenlegende Recherche haben, nun versuchen sie als Person zu vernichten. „Langsam spürte sie eine Schlinge um den Hals.“

Bewertung vom 30.01.2023
Brennweiter / David Bronski Bd.3
Aichner, Bernhard

Brennweiter / David Bronski Bd.3


gut

Bernhard Aichners dritter Bronski-Krimi „Brennweite in gut eineinhalb Jahren.“
Mit Presse- und Leichenfotografen Bronski und dessen Mitermittlerin und On-Off-Partnerin Svenja Spielmann.

Autor Aichner schreibt hurtig. Er erzählt noch rasanter. Mit seinen kurzen Sätzen, zackigen Dialogen, zügigen Szenenwechseln, von Tirol nach Berlin und retour, auf nur 344 Seiten in 56 Kapiteln, sein besonderes Stilmerkmal.

Die Nachrichten kommen als „breaking news“ daher, der Wahnwitz hat Methode, doch der Leser hat keine Zeit zum Durchschnaufen.

Der Beginn im beschaulichen Bergland Tirol ist harmlos, im Kloster, nicht umsonst heißt es das „Heilige Land Tirol“. Alle Heiligkeit endet, ein Pater fällt vom Turm, ein blinder Pater wird fast von einer Marienstatue erschlagen, nein er wird von ihr berührt und fortan ist er sehend im wahrsten Sinn des Wortes. Ist ein Wunder geschehen, oder sind Svenja und Bronski einem perfiden Schwindler auf den Leim gegangen. Nichtsdestotrotz die sensationsgeile Boulevardpresse verdammt Bronski zum Fotografiren und Svenja zum Schreiben und nicht zuletzt Judith, Bronskis wiedergefunden Tochter zum Videofilmen.

Und das Unheil nahm seinen Lauf und das Schlimmste traf ein. Später. Wiesehr, ahnte Svenja zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Aichner macht sich um den Realitätswert keine großen Gedanken, sollte sich der Leser auch nicht machen. Spannung kommt im letzten Drittel allemal auf, das Ende, naja…

Der vierte Bronski-Band, heißt es, soll bereits in Arbeit sein.

Bewertung vom 30.01.2023
Todesrache / Sabine Nemez und Maarten Sneijder Bd.7
Gruber, Andreas

Todesrache / Sabine Nemez und Maarten Sneijder Bd.7


ausgezeichnet

Vorwort. Cliffhanger sind bei Autoren/Verlagen eine beliebte Vorgehensweise, um die Leserschaft bei der Stange zu halten. Andreas Gruber hat das nicht notwendig. Jeder einzelne Band ist ein absolutes literar-/kriminalistisches Highlight. Dass Sabine Nemez in Todesschmerz (Band 2) nicht stirbt, war von vornherein klar. Was sollte Maarten S. Sneijder im dritten Band ohne sein "Eichkätzchen" anstellen?

Marten S. Sneijder ist am Ende, mit einem Pistolenlauf im Mund. Gerade wollte er sein Hirn im Badezimmer verspritzen, holt ihn ein 15-Sekunden-Telefonat in die Wirklichkeit zurück. Sabine Nemez meldet sich nicht gerade zurück zum Dienst, sie weiß nur nicht wo sie festgehalten wird. Die Pistole hat er bereits aus dem Mund genommen, die Kündigung zerrissen, Adrenalin strömt durch seinen Körper, er ist wieder der Alte, organisiert die Suche nach Nemez mit einem neuen Team.

Gäbe es den verdomme Marten S. Sneijder nicht, müsste er erfunden werden, denn ohne ihn kein Sneijder-Thriller, logisch.
Marten S. Sneijder, für die meisten seiner 5000 Kollegen im BKA DER Kotzbrocken, ein absoluter Einzelgänger, schwul mit soziopathischen Zügen, der erfolgreichste Profiler, löst die Fälle in 48 Stunden. Mit jemandem zusammen zu arbeiten überfordert ihn emotional völlig. Er arbeitet nach dem Prinzip, niemals das tun, was ein anderer für ihn erledigen konnte. Seinem Gesprächsgegenüber gestattet er nur drei Fragen, hasst Smalltalk. Er war immer noch kein Team-Player, würde auch nie einer werden, aber die letzten Jahre hatten gezeigt, dass es sich lohnte, Kompromisse zu machen. Nur mit Sabine Nemez hatte er eine kongeniale Partnerin gefunden, beruflich, denn Sneijder hat es nicht so mit Frauen, von ihm selbst ausgebildet – und jetzt sucht er sie, verbissen wie noch nie.

Miyu, Asiatin aus Sneijders Akademie, Teammitglied #1, Autistin, die weder Schmerz noch Scherz kennt, dafür mit fotographischem Gedächtnis und unbestechlicher Logik.
Marc, Teammitglied #2, der IT-Nerd, ehemals Hacker, knackt jede Datenbank.
Als Leihgabe aus der Pulaski-Serie, der Ermittler der Leipziger Kripo. Warum Gruber diesen abgehalfterten, nunmehr im KDD, in den Thriller geholt hatte erschließt sich mir nicht. Mir wäre er nicht abgegangen. Ein permanenter Reibebaum für Sneijder.

Die erste Thrillerschine: Nachdem sich Nemez vom Schmugglerkahn vor Kaliningrad gerettet hatte, gerät sie in die Fänge einer Hackergruppe, die von ihr Interna des BKA erpressen will.
Die zweite Thrillerschine: Von drei Entführungsopfern fehlt jede Spur. Erst als Sneijder und sein Team diese Hackergruppe hatten auffliegen lassen und sich nun verstärkt mit Nemez auf die Suche nach den Dreien machen, stoßen sie auf eine heiße Spur: Die Mörder GmbH mit Wurzeln in der DDR.

Gruber wird vielfach der Vorwurf gemacht, er schweift sehr weit ab, zB. die Beschreibung der Autofahrten mit all ihren Straßennamen in den jeweiligen Stadtbezirken, das Auswahlverfahren für sein neues Team. Immerhin hat er fast 600 Seiten zu füllen. Doch – gekürzt hätte er Leser überhaupt keine Zeit zum Durchatmen. Auf den letzten 300 Seiten steigt die Spannung stetig an, dass ein Lesestopp fast unmöglich erscheint.

Mit „Todesrache“, dem dritten und letzten Teil schließt die Sneijder-Trilogie. Mit Friedrich Drohmeier als neuen BKA-Präsidenten wird eine neue Ära aufgeschlagen. Wir warten geduldig ab, was auf Sneijder, Nemez, Drohmeier & Co noch alles zukommt…

Bewertung vom 17.01.2023
In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10
Neuhaus, Nele

In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10


sehr gut

Nele Neuhaus, die ungekrönte Königin des deutschen Kriminalromans zum Zehnten.

Neles Traum vom glücklichen Familienleben gepaart mit „schrecklich entstellten“ Mordopfern. Bei gemütlichen Spaziergängen mit Hund kommt man nicht vorbei an psychopatischen Serienkillern. Weimaraner gegen Malinois, Eddi und Billy gegen Beck’s.

Aber natürlich gibt es eine Kriminalhandlung, und was für eine. Zwei aktuelle Leichen und allerlei Kriminelles in der Vergangenheit, cold cases so zu sagen. Auf diesen 521 Seiten schwelgt Neuhaus nicht nur in verbrecherischen Kreisen, sondern breitet sich genüsslich in der Verlagsszene aus, in einem Metier, das sie aus eigener Erfahrung bestens kennt. Ihr zweites Lieblingsthema sind die privaten Erleb- und Ereignisse der beiden Kriminalbeamten Pia Sander und Oliver von Bodenstein, wobei dieses von Oliver von besonderer Spannung ist.

Einige Textpassagen eigen sich ungekürzt vorzüglich als „Audio descriptions“ bei Videowiedergabe.

„… war ganz froh, keine Kinder zu haben, um die sie sich Gedanken machen musste.“ (Könnte sich mit Neles privaten Erfahrungen decken).

Neles Krimi ist gut, nein er ist fantastisch. Ich bin wirklich begeistert, mal abgesehen vom Inhalt ist der Text sprachlich absolut überzeugend. Der Spannungsbogenwird kontinuierlich aufgebaut, beim Lesen bin ich sofort dicht an den Figuren dran und kann mich mit ihnen identifizieren. Die Dialoge sind lebendig und authentisch, der Text entwickelt einen unglaublich starken Sog und ich wollte unbedingt wissen wie es weitergeht und endet. Nele überzeugt mit besonderer Routine. Sie ist eine Meisterin der Cliffhanger und die manchmal aufgeblähte Handlung ist zu verschmerzen, wie manche Nebensächlichkeit. Der Krimi ist brillant.

Sehr nützlich das Personenregister, denn bei der Fülle an Informationen wollte ich mir nie und nimmer alles merken können.

Nur mit einer Person konnte ich nicht warm werden. Mit Julia, der Lektorin des Verlags, nicht schön, doch apart! Mit ihrem zuckersüßen romantischen Geturtel mit ihrem Chef Carl.

Bewertung vom 31.12.2022
Was ans Licht kommt
Carlsson, Christoffer

Was ans Licht kommt


ausgezeichnet

Ein unscheinbares Cover mit einem kleinen Hüttchen, typisch schwedische rote Latten, eine grübelnde Person und ein Titel, der wahrlich nicht als Kaufargument gut ist. Einzig der Aufzug der schwarzen Wolken verheißt … was? Doch auf den 492 Seiten mit 117 kleinteiligen Kapiteln offenbart sich ein wahres Meisterwerk im Genre der literarischen Kriminalromane.

Dort wo Christoffer Carlsson aufgewachsen ist spielt der Krimi: In Marbäck, an der schwedischen Südwestküste im Bezirk Halland, die reale Geographie des Krimis.
Real, aber vermutlich autobiographisch kehrt zu Beginn des Romans ein namenloser Autor geschieden und mit Schreibblockade nach Halland, nach 30 Jahren zurück, wo er einst aufgewachsen ist: 2019 - eine von mehreren Zeitebenen – der Autor genannt „Wurm“ nach Bücherwurm. Zwei Serienmorde und Vergewaltigungen, die 1986 in der Nähe des Gutshofs Tiarp begangen wurden lassen ihn zum Nebenermittler werden. Zeitgleich wurde der schwedische Ministerpräsident Olof Palme in Stockholm erschossen. Das Land verfällt in Schockstarre und versetzt die Polizei wird in Alarmbereitschaft. Der erfahrene Polizist Sven Jörgensson nimmt mit Kolleginnen und Kollegen die Ermittlungen auf, die ihn rastlos und düster verfolgen. Seine extreme Starrköpfigkeit lässt ihn die falschen Schlüsse ziehen, mit tödlichen Konsequenzen. Das Korrektiv dazu kommt erst durch die Nachforschungen des Bücherwurms zu Tage. Dessen Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit leben mit den Begegnungen von Svens Kollegin Evy und Svens Sohn Vidar wieder auf. „Von moralischen Schmerz kann man sich langsam aufzehren lassen oder mit drastischen Maßnahmen einen Befreiungsversuch zu unternehmen“ („Wurm“ S. 16).

Wie die Vergangenheit mit der aktuellen Gegenwart verbunden wird, sorgt für Spannung. Bei aller intensiven Polizeiarbeit stehen die beteiligten Akteure mit ihrer Vergangenheit, ihrer Rolle im Mittelpunkt, mit tiefgründiger Beschreibung ihrer Charaktere und Lebensgeschichte. Es geht vielmehr um die Menschen mit ihren Verfehlungen und Schuld.

„Das Böse kann im geringsten Geschöpf auf Erden seine Wurzeln schlagen“ (Sven S 489).

Die Erzählung erfordert Durchhaltevermögen und ist nichts für ungeduldige Krimileser. Mir hat der dieser anspruchsvolle und komplexe Kriminalroman sehr gut gefallen, nicht immer in den gewohnten Bahnen zu lesen, sondern sich auf etwas Neues einzulassen. Tritt die reine Politeiarbeit in den Hintergrund, schiebt sich Besessenheit, Selbstbetrug und Lügen, Schuld und Sühne sowie die Folgen einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den Vordergrund.

Bewertung vom 19.12.2022
Ein Giro in Triest
Klinger, Christian

Ein Giro in Triest


ausgezeichnet

Triest. Die neun Tage Ende Juni/Anfang Juli 1914.

Gaetano Lamprecht, junger austroitalienischer Ispettor der k. u. k. Monarchie, wird zu einem Tatort gerufen. Er radelt mit seinem neuen Bianchi-Rennrad - träumt von der Teilnahme am "Kleinen Giro" - hinauf nach Opicina, von wo man den herrlichsten Blick auf Triest und den Golf hat. Doch Gaetano hat jetzt keinen Sinn für das Schöne, denn ein junger Feldjäger seiner Majestät k. u. k. Armee hängt an einem Baum, mit einem Strick um den Hals. Sein kriminalistisches Gespür lässt ihn an der Selbstmordtheorie zweifeln. Seine Recherchen beim Militär werden blockiert, wie von seinem Vorgesetzten Spetich, der an die Selbstmordtheorie glaubt. Gaetanos Freund und Kollege Polizeiinspektor Pietro Pirona erzählt ihm von den Spielschulden des Soldaten, was scheinbar den Verdacht des Selbstmordes bestätigen sollte. Gaetano hat im Triestiner Bürgermeister Valerio einen mächtigen Förderer, zumal er dessen Gattin aus Todesnot gerettet hatte, und einen weithin bekannten Ruf genießt, dass „…er ungefragt Eigeninitiative zeigt und die eine oder andere Weisung von oben ‚überhört‘.“

Wenige Tage später fällt das Österreichische Thronfolgerpaar in Sarajevo einem Attentat zum Opfer, eine Gruppe von Aufständischen droht, die Leichen auf dem Weg von Sarajevo nach Wien zu entführen. Der italienischen Bürgermeister, der österreichische Statthalter, die Polizei und das Militär beraten wie man die Lage unter Kontrolle bringen könnte. Für die Klärung des Todes von dem jungen Soldaten bleibt Lamprecht vorerst keine Zeit mehr. Er muss sich um die Rettung der Monarchie kümmern. „In solchen Augenblicken war er unberechenbar und auch für seine Vorgesetzten schwer zu steuern, da er nur mehr seinem Instinkt und seiner inneren Stimme folgte. Sobald er kriminalistisch Blut geleckt hatte, nahm er auf nichts und niemanden Rücksicht, schon gar nicht auf so etwas wie Nationalität oder Herkunft. …Und da gab es auch kein Besinnen auf dienstrechtliche Vorschriften oder ein Zaudern, um sich die geplante Aktion absegnen zu lassen.“

Lamprecht soll das verhindern. Schon bald steckt er mitten in einer Intrige, die auch für ihn selbst lebensgefährlich wird. Und das ersehnte Radrennen kann er sich abschminken - dafür radelt er auf Istrien irgendwann mitten in der Nacht um sein Leben.

Zunehmend entwickelt sich ein Kriminalroman mit spannenden Szenen eines furchtlosen Geheimagenten seiner Majestät, quasi einem 007 der Donaumonarchie, auf den Gefahr an Land, in der Luft und im und auf dem Wasser lauert und sich gleichzeitig wie ein historischer Reiseführer liest.

Christian Klinger beschreibt sehr gut die unruhigen Zeiten der multikulturellen Gesellschaft kurz vor Ende der Habsburgermonarchie, knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und verpackt das in seinem fiktiven Roman, der vor einem wahren Hintergrund spielt. Das ergibt einen spannenden, lesenswerten und gut gelungenen Krimi mit einer kleinen Lehrstunde in österreichisch-italienischer Zeitgeschichte.

„Mit einem guten Buch ist man nie allein“, so Christian Klinger. Vielleicht ist damit der Startschuss für eine neue Reihe historischer Krimis gefallen.

Bewertung vom 08.12.2022
Der Aufstieg - In eisiger Höhe wartet der Tod
McCulloch, Amy

Der Aufstieg - In eisiger Höhe wartet der Tod


ausgezeichnet

Cecily Wong ist eine britische Reisejournalistin, die gerade ihr letztes Geld für die Reise nach Nepal ausgegeben hat, die ihre Karriere verändern könnte. Der erfolgreiche Bergsteiger Charles McVeigh hat ihr ein exklusives Interview versprochen, aber nur, wenn sie ihm auf den tödlichsten aller Achttausender, dem Manaslu bis zum Gipfel folgt. Also lässt sie alles stehen und liegen und schließt sich trotz ihrer Ängste, ihrer Selbstzweifel und vergangenen Versagen der Expedition unter Dougs Leitung von Manners Mountaineering an. Ihr berühmt-berüchtigter Blog „Dem Aufstieg nicht gewachsen“ steht für ihre Misserfolge am Berg. Trotzdem genießt sie bei ihren Lesern hohes Ansehen. Am Fuß des Berges, noch vor dem Erreichen des Basislagers, stellt sie jedoch fest, dass nicht alles so ist, wie es scheint und hinter jeder Ecke lauert das Böse. Wenn andere Bergsteiger tot „auftauchen“, muss Cecily entscheiden, ob sich die Geschichte wirklich lohnt, oder ob sie ihr Leben für ihre Karriere riskiert.

Neben Doug und Cecily vervollständigen noch Zak, Mingma, Elise und Grant, speziell ausgesuchte, charakterlich unterschiedliche Typen die Expedition. Auf den ersten zweihundert Seiten war McCulloch mit ihrer Bergsteigerexpertise, ihrem Lieblingsthema in Hochform. Die einzelnen Zwischenfälle machten mich auf das noch Kommende aufmerksam und der Roman entwickelte sich stetig mit steigender Spannung zu einem echten Thriller. Ganz große Klasse.

Amy McCulloch, eine erfahrene Bergsteigerin, die selbst den Manaslu bestiegen hat ist über jede fachunkundige Kritik erhaben. Ihre Erklärungen und Beschreibungen zum Bergsteigen am Manaslu sind authentisch und in hohem Maß nachvollziehbar. Bereits die erste Seite liest sich atemlos, wie auch der Titel der englischen Originalausgabe lautet: „Breathless“.
Keine reißerische Übersetzung, die überhaupt nicht notwendig wäre, es genügt die nackte und nüchterne Wahrheit, die reißerisch genug ist.

Das einzige, was mir nicht gefallen hat, waren Cecilys Blog-Posts. Abgesehen davon, dass die eingeschobenen Expeditionsberichte „Manaslu: Der letzte Berg“ einer professionellen Schreiberin unwürdig, letztklassig, nicht druckbar, umgangssprachlich und voll von Plattitüden sind, gehen sie nur als Schülerinnen-Erlebnisbericht durch. Mir schienen sie sehr überflüssig und sinnlos für die Geschichte.

Trotzdem, der Schreibstil und die Beschreibungen waren ausgezeichnet, selbst die Handlung war für mich etwas Besonderes und deshalb habe ich das Lesen sehr genossen.