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Zauberberggast
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München

Bewertungen

Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 10.01.2021
Im Kindergarten: Allererstes Schneiden
Jebautzke, Kirstin

Im Kindergarten: Allererstes Schneiden


gut

Schneiden ist eine Fähigkeit, die einen wichtigen motorischen Entwicklungsschritt im Leben eines Kindes markiert. Die Handhabung der Schere zu lernen ist essentiell und für viele Kinder gar nicht so einfach zu meistern. Auch meine vierjährige Tochter hatte bis vor kurzem kein Interesse am Schneiden und es nach kurzer Zeit aufgegeben. Neulich allerdings hat sie von sich aus angefangen, einfache Schnitte ins Papier zu machen. Dinge ausschneiden um sie aufzukleben aber musste ich für sie. Da kam mir der neue Block "Allererstes Schneiden" von Ravensburger aus der Reihe “Im Kindergarten” (wir haben bereits “Farben und Formen” sowie “Schau genau” zu Hause) wie gerufen. Mit diesem interaktiven Lernblock können laut Klappentext bereits Kinder ab 3 Jahren Formen ausschneiden und sie zusammenkleben oder an anderer Stelle im Block einkleben.

Wie sah die Realität aus? Nun, leider hat sich meine Tochter nicht wie erhofft sofort auf das Heft gestürzt, sie fand Cover und Beschreibung laut eigener Aussage zwar "toll", aber hat es dann erstmal links liegen lassen. Also habe ich mir den Block zunächst alleine angesehen. Die Blätter bzw. Aufgaben sind ganz ohne Erklärungen oder anderen Text versehen. Die Kinder sollen sich hier “selbsterklärend” alles erschließen können, heißt es im Werbeslogan für die Reihe. Es gibt nette begleitende Tier-Bildchen, die einen optischen Hinweis darauf geben, was gemacht werden muss. Hinten auf dem Blatt ist entweder jeweils eine Schere oder ein Klebestift oder beides abgebildet. Manchmal gehören zwei aufeinanderfolgende Seiten zusammen. Auf der ersten Seite ist dann etwas zum Ausschneiden, das man auf der nächsten Seite aufkleben muss. Das sieht man anhand der Form des auszuschneidenden Objekts bzw. an einem kleinen “Umblätter”-Symbol rechts unten. Diesen Zusammenhang muss ein Kind erstmal herstellen können. Auch dass gestrichelte Linien dazu gedacht sind, um an ihnen entlang zu schneiden, ist nicht selbstverständlich und muss erklärt werden. Oder dass man den unteren Teil eines Bildes umknicken und auf ein anderes Blatt kleben kann, so dass man quasi ein stehendes ausgeschnittenes Objekt hat. Manche Schneide-Aufgaben finde ich außerdem für ein dreijähriges Kind viel zu anspruchsvoll - ich finde sie als grobmotorische Erwachsene schon knifflig - und würde daher die Altersangabe für diesen Block für mein Empfinden etwas anheben.

In der Reihe "Im Kindergarten" ist auch ein Block namens "Schneiden und Kleben" verfügbar, für Kinder ab 4 Jahren. Diesen Block werde ich zum Ausbau der in "Allererstes Schneiden" erworbenen Fähigkeiten - wenn sie ihn denn mal benutzt hat - ebenfalls für meine Tochter besorgen. Außerdem interessiert mich, wie anspruchsvoll die Aufgaben dort sind und ob sie auf in “Allererstes Schneiden” gestellten Aufgaben aufbauen.

Fazit: Ein guter Lernblock, bei dem meines Erachtens nicht alles so intuitiv gemacht werden kann wie angepriesen und der außerdem eher für ältere Kleinkinder (ab 4-5) funktioniert.

Bewertung vom 07.01.2021
Die Romanfabrik von Paris
Husemann, Dirk

Die Romanfabrik von Paris


sehr gut

Spannende Unterhaltung mit - statt von - Alexandre Dumas
Die Romane "Der Graf von Monte Christo", "Die drei Musketiere" oder "Der Mann in der eisernen Maske" sind weltberühmt und haben als Abenteuerromane und Populärliteratur des 19. Jahrhunderts ihren angestammten Platz in der Literaturgeschichte. Ihr Autor, Alexandre Dumas der Ältere (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn A. D. d. Jüngere, der "Die Kameliendame" schrieb), war mir zwar durch sein Werk, nicht aber so sehr durch sein Leben bekannt. Ich wusste wenig bis nichts über seine Biografie. Nach der Lektüre der "Romanfabrik von Paris" und des lohnenden Nachworts ist mir die Lebensgeschichte von Alexandre Dumas aber nun schon sehr vertraut - von 0 auf 100 sozusagen. Wir kommen durch “Die Romanfabrik von Paris” ganz nah an die Persönlichkeit Dumas heran - selbstverständlich im Rahmen einer fiktiven Geschichte, die sich nur an die Realität anlehnt.
Worum geht's? Wir schreiben das Jahr 1851 und Alexandre Dumas lebt als Schriftsteller in seinem Schlösschen, dem “Chateau Monte Christo” außerhalb von Paris. Dort entstehen im Rahmen der "Romanfabrik" seine beliebten Romane, die er von Lohnschreibern aufschreiben lässt, die Ideen und Geschichten aber kommen von ihm. Die fertigen Werke publiziert er als Fortsetzungsgeschichten in der Zeitung. Er hat es neben großer Popularität auch zu vielen Neidern und einigen Feinden gebracht. Die LeserInnen aber lieben seine Geschichten, in denen es um Rache und Liebe, Intrigen, Mord und Totschlag geht. Auch der Humor und der Genuss haben in den Abenteuerromanen ihren angestammten Platz und versüßen so manchem Franzosen den harten Alltag. Der Bonvivant Dumas gibt das Geld, das er durch seine Schriftstellerei verdient, gerne mit vollen Händen aus - für Reisen, Essen, Luxus, etc. Der gutherzige Lebemann Dumas ist ein erfolgreicher Glücksritter und liebt das Leben, wobei er auch gerne neue Ideen für seine Abenteuerromane sammelt.
Die deutsche Gräfin Anna von Dorn ist die weibliche Protagonistin des Romans. Nach dem Tod ihres adeligen Mannes kommt sie als Privatlehrerin nach Paris. Sie sitzt im Rollstuhl - warum, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Als sie bei einer Familie, in der sie unterrichtet, die Fortsetzungsromane von Dumas kennenlernt, ist sie empört. Die lose Moral und mangelnde Gottesfürchtigkeit sind für die belesene Lehrerin ein Graus. Sie stellt Dumas zur Rede und muss dabei feststellen, dass die beiden ungleichen Personen ein gemeinsamer Gegenspieler verbindet: der Magnetiseur Lemaitre.
Mit einer actiongeladenen Handlung, allerlei Intrigen, plötzlichen Wendungen und ganz vielen Zufällen ist dieser historische Roman ein amüsanter Parforceritt durch das Europa des mittleren 19. Jahrhunderts. Neben Paris spielt die Handlung auch in Brüssel, London und Moskau. Wie es sich für einen richtigen Abenteuerroman gehört, jagt ein Handlungselement das nächste. Der Leser hat kaum Zeit zum innehalten, aber dafür ist dieser Roman auch wirklich nicht gedacht. Gelegentlich schon sehr abgedreht, ist die Handlung aber stets unterhaltsam und lebendig. Ich habe durch dieses Buch selbst Lust bekommen, die Romane von Dumas, die ich nur als Verfilmungen kenne, einmal zu lesen. Fazit: Ein sehr lesenswerter historischer Abenteuerroman für lange Wintertage (der zufällig auch im Winter spielt)!

Bewertung vom 04.01.2021
Herrmann
Gärtner, Bettina

Herrmann


ausgezeichnet

Das Drama des modernen (Herr-)Mann(e)s

Das Drama einer Existenz in der österreichischen Provinz hat keiner so gut beschrieben wie Thomas Bernhard. Da er aber ja nun mal leider tot ist, müssen andere diese "Lächerlichkeit", wie er gesagt hätte, fortschreiben. Bettina Gärtner ist kein Thomas Bernhard, aber sie hat es mit "Herrmann" geschafft, ganz tief in das menschliche Drama der österreichischen Provinzialität einzutauchen. Es ist eine moderne Tragikomödie in Romanform, die Gärtner hier abliefert. Herrmann ist Pendler, zerrissen zwischen langweiligem Bürojob in der Finanzbranche in der Bundeshauptstadt und kümmerlichem Privatleben als Single in seinem dörflichen Heimatort. Letzteres besteht im Wesentlichen aus der vom - kurz vor Beginn der Handlung verstorbenen - Vater geerbten Jagdhundezucht, seinem Jagdrevier, der freiwilligen Feuerwehr und dem Rest seiner Herkunftsfamilie, bestehend aus der bald vierzigjährigen Schwester Lindi, die nach Trennung von ihrem Freund Anselm "vorübergehend" wieder zu Hause eingezogen ist, und der Mutter, einer pensionierten Lehrerin. Als Herrmanns Jugendfreund Orban aus England zurückkehrt, ist es mit der Lethargie in Herrmanns Leben vorbei. Die Vergangenheit holt den Mittvierziger ein und wir erleben eine Woche in Herrmanns Leben, die selbiges auf den Kopf stellen wird.
Gärtner hält der entmenschlichten Business-Gesellschaft unserer Gegenwart einen Spiegel vor. Sie beschreibt nuanciert und mit stets ironischem Unterton die Banalitäten eines Büroarbeitstages, die intriganten Strukturen der heutigen Berufswelt und die ermüdende Pendelei hin und zurück zum Arbeitsplatz (erst mit dem Auto zum Park-and-Ride am Bahnhof der Bezirkshauptstadt, dann mit der Schnellbahn in die Bundeshauptstadt bzw. vice versa).
In "Herrmann" geht es aber auch um das Private und damit vor allem um die Vergangenheitsbewältigung des namensgebenden Protagonisten. Er sinniert darüber nach, warum die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin Rieke in die Brüche ging, wie die enge Freundschaft zu Orban scheiterte und über andere vergangene Ereignisse, die ihn geprägt haben. "Die meisten Vorboten erkennt man erst im Nachhinein" (S. 157) heißt eine Sentenz im Buch. Überhaupt wird viel mit Worten, mit Redewendungen gespielt - was ist die eigentliche Bedeutung einer dahingeworfenen Aussage, einer gern verwendeten Floskel. Sowas gefällt mir sehr, wenn ein Text sich stets selbst reflektiert und sich seiner Wortwahl mehr als bewusst ist. Die pseudo-lexikalischen Zwischenkapitel, in denen in der Handlung erwähnte wichtige Begriffe erklärt werden, sind ein Teil dieser metafiktionalen Komponente des Romans.
Herrmann ist ein klassischer Antiheld, ein unscheinbarer Jedermann, der sich nur in Bezug auf andere definiert - seine Mutter, Schwester, den verstorbenen Vater, seine Arbeitskollegen, seine Lehrer, seinen ehemaligen Freund Orban, etc. - und dabei gar nicht so genau weiß, wer er selbst eigentlich ist ("Er hätte gern gewusst, was er wollte…", S. 275). Dazu kommt noch sein Status als Single und Mann in der Midlife-Crisis, der endlich mal etwas für seine Gesundheit und gegen die späte Familienlosigkeit tun sollte. Der soziale Druck aber führt bei Hermann erst recht zu Angstzuständen, Depressionen und Tagträumen, die er aber so gut es geht unterdrückt. Der Vorname Herrmann setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, die beide Mann bezeichnen - semiotisch clever, denn die Ironie des Ganzen ist, dass der männliche Hermann gnadenlos an den Anforderungen scheitert, die die Gesellschfat an den modernen Mann von heute stellt.
Bettina Gärtner ist mit "Herrmann" eine absolut grandios geschriebene Chronik eines scheiternden Mittvierzigers gelungen. Ein wunderbar feinsinniger und gescheiter Roman des Jahres 2020, der viel mehr Beachtung und LeserInnen verdient hätte.

Bewertung vom 19.12.2020
Inspector Swanson und die Bibliothek des Todes
Marley, Robert C.

Inspector Swanson und die Bibliothek des Todes


sehr gut

Die Bodleian Library als Tatort
Abgesehen von der Tatsache, dass historische Krimis mit Setting England bzw. Großbritannien genau mein Ding sind, hat mich das Buch mit zwei Versprechen geködert: 1. Es sollte um Oscar Wilde gehen. 2. Der Mord sollte in einer Bibliothek stattfinden. Beide Versprechen wurden eingelöst, wobei es wirklich nur am Rande um Oscar Wilde geht. Der Prozess, den der populäre Dandy, Schriftsteller und Wortakrobat angesichts der Beleidigungen des Marquess of Queensberry führte und der schließlich darin resultierte, dass Wilde ins Gefängnis musste, bildet die Rahmenhandlung dieses Krimis. Der fiktive Ermittler, Chief Inspector Swanson, ist nämlich privat mit Wilde befreundet. Dies ist bereits der siebte Band der Reihe, aber der erste, den ich lese, aber es wird angedeutet, dass Oscar Wilde bereits in den Fällen davor als literarische Figur vorkommt. Ein Grund mehr, die Vorgänger-Bände auf meine Lektüreliste zu setzen. In der Rahmenhandlung kommen Wilde und sein geliebter Alfred Douglas, genannt Bosie, der Sohn des Marquess of Queensberry, kurz als handelnde Personen vor. Diese Passagen haben mir sehr gut gefallen, denn von Oscar Wildes Persönlichkeit, seinem Witz und seinen Werken kann ich - in welcher Form auch immer - niemals genug bekommen.
Die Kriminalhandlung an sich und damit der Mordfall, um den es hauptsächlich geht, haben aber rein gar nichts mit Wilde zu tun, außer dass sie sich zur selben Zeit wie der Prozess abspielen: Im Frühjahr 1895. Auch spielt dieser siebte Band der Reihe hauptsächlich in der berühmten Universitätsstadt Oxford und nur am Rande in London, wo Inspector Swanson und sein Freund, der Bloomsbury-Privatier Frederick Greenland, eigentlich ermitteln. Greenland macht in diesem Band einen Ausflug nach Oxford, zusammen mit seiner Verlobten Louisa Balshaw und Greenlands Ziehsohn “Badger”, einem ehemaligen Londoner Straßenjungen. Für die Vorgeschichte dieser Familienkonstellation muss man wohl ebenfalls die Vorgänger gelesen haben, denn diese wird nur kurz angedeutet. Natürlich ist für den belesenen Lebemann Greenland bei einem Aufenthalt in Oxford ein Besuch der altehrwürdigen Bodleian Library selbstverständlich. Dort machen er, seine Verlobte und Badger eine grausige Entdeckung: Ein Professor der Universität wurde mit einer Bronzestatuette erschlagen. Schnell wird klar: Greenland wird neben einigen anderen Professoren sowie dem Bibliothekspersonal selbst verdächtigt, den Mord verübt zu haben. Greenland verständigt so schnell wie möglich Inspector Swanson und dieser eilt natürlich sofort seinem Freund zur Hilfe. Sein erster Einsatz in Oxford stellt ihn vor ein kniffliges Rätsel, das er aber natürlich am Ende auflösen wird.
Die Schreibweise von Robert C. Marley hat mir wirklich gut gefallen. Er hat ein klassisches Locked-Room-Mystery in historischem Setting geschrieben, das mit einem überschaubaren Kreis von Verdächtigen auskommt. Der Fall an sich ist jetzt nicht mega spannend, aber die Auflösung war doch sehr überraschend. Ich hatte einen anderen Täter im Visier. Der Ermittler Swanson hat mir gut gefallen, auch wenn ich in diesem Band jetzt noch nicht so viel über ihn in Erfahrung bringen konnte. Seine Verbindung zu Oscar Wilde ist in jedem Fall schon mal klasse und verleitet mich dazu, auch die anderen Bände dieser Reihe in die Hand zu nehmen. Alles in allem ein schöner historischer Cosy Krimi mit ernsten, aber auch humorvollen Elementen.

Bewertung vom 07.12.2020
Wisting und der Atem der Angst / William Wisting - Cold Cases Bd.3
Horst, Jørn Lier

Wisting und der Atem der Angst / William Wisting - Cold Cases Bd.3


ausgezeichnet

Unprätentiöse Hochspannung, Teil 3
Nachdem ich bereits die ersten beiden Teile der Cold-Cases-Reihe um William Wisting begeistert gelesen habe, musste ich natürlich sofort bei Erscheinen den dritten Teil dieser Reihe lesen. Auch diesmal bekommen es Kriminalkommissar Wisting und Stillers Osloer Einheit ungelöster Kriminalfälle mit einem “Cold Case” zu tun, der sich allerdings sehr schnell als “hot” entpuppt. Der zweifache Frauenmörder und Sadist Tom Kerr will einen dritten Mord gestehen und die Ermittlungseinheit zum Grab des Opfers führen. Allerdings kann er bei der Begehung entkommen. Nun stellt sich den Ermittlern die Frage, ob er bei seinen Morden einen Komplizen hatte und ob ihm dieser “Andere” zu seiner Flucht verhelfen konnte.
Auch Wistings Tochter Line ist als Journalistin wieder mit von der Partie. Sie will eine Dokumentation über den Fall Tom Kerr drehen. Dass Line ihren Vater so eng bei seiner Arbeit begleitet, führt immer wieder zu Gewissenskonflikten, schließlich darf Wisting die laufenden Ermittlungen nur gefiltert an die Medien weitergeben. Doch auch Line verfolgt ihren eigenen Plan und nimmt dabei so manches Risiko in Kauf. Es geht in diesem Band damit auch sehr viel um das Verhältnis zwischen Polizei und Medien, eine Zusammenarbeit, die nicht immer für beide Seiten eine Win-Win-Situation darstellt.
Die Handlung ist dieses Mal auch wieder sehr spannend, vor allem durch die unmittelbare Bedrohung durch den flüchtigen Täter und seinen unbekannten Komplizen. Es gibt viele überraschende Wendungen und kurz vor Ende wird es so nervenaufreibend, dass ich teilweise versucht war an meinen Fingernägeln zu kauen.
Ich mag mehrere Aspekte an den Krimis von Jørn Lier Horst. Zum einen die unaufgeregte Erzählweise, mit der ganz subtil Spannung erzeugt wird. Lier Horst ist kein effekthaschender Erzähler, obwohl es natürlich um krasse Verbrechen und Täter geht. Der Autor erzählt das Wesentliche, ohne es unnötig auszuschmücken. Auch das mag ich. Außerdem weiß er tatsächlich als ehemaliger Kriminalkommissar über die Abläufe einer Ermittlung genauestens Bescheid. Im Nachwort geht er - ungewöhnlich für ihn - nochmal auf “das Böse” ein und die Menschen, die es verkörpern. Dabei verweist er auch auf seine eigene berufliche Vergangenheit als Ermittler.
Lier Horsts Figuren sind absolut lebensecht, das Private bildet einen Rahmen für die Geschehnisse, steht aber niemals im Vordergrund. Ich bin so gespannt, wie sich die Figuren noch entwickeln werden, Wisting hat jedenfalls noch einige Jahr bis zur Pensionierung. Dennoch sieht vor allem seine Tochter die Zeichen des Alterns an ihrem Vater. Zum Glück ist bereits jetzt klar, dass ein vierter Band der Reihe im Frühjahr 2021 auf Deutsch erscheinen wird. Ich kann es kaum erwarten!

Bewertung vom 02.12.2020
Ungezähmt
Doyle, Glennon

Ungezähmt


gut

Dass die US-amerikanische Autorin, christliche Bloggerin und Mutter von drei Kindern mit 40 Jahren ihren untreuen Ehemann verlassen hat und seitdem mit der Frau ihres Lebens glücklich und zufrieden lebt, ist schön und auch gut so. Aber muss man daraus ein Manifest weiblicher Selbstfindung erschaffen? Klar, auch Männer sollten rosa Duschgelflaschen benutzen dürfen und sich deswegen nicht weniger männlich vorkommen. Und auch Frauen dürfen wild und gefährlich sein und nach Nordpolexpedition riechen. Aber ist das nicht Makulatur? Braucht es dafür ein Buch?

Es geht in dem Buch eigentlich hauptsächlich um Glennon Doyles Selbstfindung. Sie war süchtig - nach Anerkennung, Alkohol und Abhängigkeit. Sie war bulimisch seit ihrer frühen Jugend. Aber dann wurde sie schwanger und trocken und hat nur noch für ihre Familie gelebt. Und erst nach ihrer Scheidung hat sie quasi auf ihr inneres Selbst gehört und zu selbigem gefunden. Es geht also darum, auf die innere Stimme und damit in erster Linie auf das eigene Ich zu hören. Eine Diktatur des Selbst könnte man sagen. Man soll außerdem lernen den Schmerz des Lebens zu ertragen, um dem wahren Dasein zu begegnen. Sie spricht vom "Großen Schmerz", den es auszuhalten gilt und in dem sich alle treffen. Alles ein wenig pathetisch und vor allem nicht so wirklich neu. Sagte nicht bereits Lord Byron im frühen 19. Jahrhundert: "Der wesentliche Sinn des Lebens ist Gefühl. Zu fühlen, daß wir sind, und sei es durch den Schmerz. Es ist die ›sehnsuchtsvolle Leere‹, die uns dazu treibt, zu spielen – zu kämpfen – zu reisen – zum leidenschaftlichen Tun." Auch die Weisheit, sich selbst treu zu bleiben und nicht dem Druck von außen nachzugeben, finden wir bereits bei Shakespeare: "This above all: To thine own self be true." (Hamlet)

Das Buch ist sehr amerikanisch, nicht nur weil Selbsthilferatgeber einen ziemlich amerikanische "Erfindung" sind. Es geht oft um Therapien, Religiosität und Fremdwahrnehmung. Doppelmoral und reaktionäre Rollenzuschreibungen gibt es auch in unserem vermeintlich liberalen Europa. Dennoch: AmerikanerInnen werden anders sozialisiert. Wenn bereits in der Highschool ein "Homecoming-Court" aus den zehn beliebtesten SchülerInnen gewählt wird, dann wird natürlich einem Klassenbewusstsein Tür und Tor geöffnet, in dessen Denkmustern man nach dem eigenen Beliebtheitsgrad, der sich aus dem Grad der Angepasstheit speist, beurteilt wird - passt man ins Schema der Gesellschaft oder eben nicht. Doyle kritisiert immerhin die amerikanische Mentalität, immer der Beste sein zu wollen, an mehreren Stellen.

Dennoch: Auch nach der Lektüre verstehe ich den Hype um dieses Buch 0,0. Es wird einfach nichts Neues geboten. Doyle verstrickt sich außerdem oft in Widersprüche: Einerseits sagt sie, sie ist ein Mensch, der keine Freunde hat, nur um im nächsten Abschnitt zu sagen dass sie mit dieser und jener Freundin über dies und jenes gesprochen hat. Außerdem meine ich eine gewisse Beliebigkeit in ihren Aussagen zu erkennen. Irgendwie ist alles ein großes Mischmasch: Feminismus, Selbstfindung, Süchte, Co-Parenting, Social Media, Lebensbeichte, Coming-Out, Geschlechterrollen, Erziehungsfragen, Black Lives Matter, Küchenpsychologie, Religiosität, Selbstdarstellung, Selbstliebe, Amerikanismen, Politik, Wohltätigkeit… Mir fehlte einfach der rote Faden, eine gewisse Stringenz, an der man sich entlanghangeln kann.

Dieses Buch mag ja ein Befreiungsschlag für die Autorin gewesen sein, aber was Adele & Co. hier Bereicherndes herauslesen, erschließt sich mir leider nicht.

Bewertung vom 20.11.2020
Teatime mit Lilibet
Holden, Wendy

Teatime mit Lilibet


sehr gut

Dass Elizabeth die Zweite, Königin von England, ein sechsjähriges Mädchen war, ist fast 90 Jahre her. Damals, 1932, war sie Prinzessin und die Tochter des Herzogs und der Herzogin von York und wurde von allen nur "Lilibet" gerufen. Dass sie einmal Königin von England werden würde, sogar die mit der längsten Amtszeit aller Zeiten, wusste sie damals noch nicht. Wie auch, ihr Onkel David, der spätere Edward VIII., war als Prinz von Wales Thronfolger und ihr Vater Albert "nur" die zweite Wahl. Dass er als George VI. später König und sie Thronfolgerin werden würde, galt als unwahrscheinlich. Dennoch ist es mit der Abdankung ihres Onkels im Zuge seiner Beziehung mit der Amerikanerin Wallis Simpson im Dezember 1936 so gekommen. Fiktionale Bearbeitungen vom Leben der Queen gibt es einige. Wendy Holdens Roman "Teatime mit Lilibet" befasst sich nun mit der Zeit, in der Elizabeth zwar eine privilegierte Prinzessin, aber von der Bürde des Throns noch nicht gezeichnet war - zunächst zumindest.

Die Protagonistin des Romans, Marion Crawford, war tatsächlich für 16 Jahre die Gouvernante der späteren Queen und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Prinzessin Margaret. Crawford hat sogar ein Buch über die Kindheit der Queen und ihrer Schwester geschrieben ("The little Princesses"), das Wendy Holden als Quelle und Inspiration für ihren Roman gedient hat. Dieses Buch hat auch zum Bruch der Royals mit Crawford geführt, d.h. über die langjährige Gouvernante wurde nicht mehr gesprochen, sie wurde in der Öffentlichkeit totgeschwiegen. Um also nachprüfen zu können, wie viel in diesem Roman Fiktion ist und welche Fakten den Lebenserinnerungen Crawfords entstammen, müsste man beide Bücher gelesen haben.

In "Teatime mit Lilibet" wird die glamouröse Welt der Royals nicht verklärt - im Gegenteil. Die Protagonistin, die eigentlich die Armen und Bedürftigen in ihrer schottischen Heimat unterrichten wollte, ist gleichzeitig fasziniert und abgestoßen vom dekadenten Leben der königlichen Familie. Sie gerieren sich für Außenstehende wie Schauspieler, bei denen sich die öffentliche von der privaten Rolle eklatant unterscheidet. Dennoch sind sie auch Menschen mit Begierden, Krankheiten und Träumen. Als skurril wird das Verhalten fast aller Royals beschrieben. Wenn sie zum Beispiel einerseits "bodenständigen" Aktivitäten wie Gartenarbeit nachgehen und gleichzeitig wie selbstverständlich von Dienern, Gold, Diamanten und Überfluss umgeben sind. Crawford versucht die junge Elizabeth mit wirklich bürgerlichen Aktivitäten ("Operation Normal") wie U-Bahn-Fahren und Einkaufen sowie kindgerechter Kleidung ohne Tüll und Spitze vertraut zu machen. Das ist das eigentliche Verdienst der linksorientierten Gouvernante aus Schottland, die auch die Kehrseite der Medaille und das prekäre Leben der Armen kennt, das sie der verwöhnten Prinzessin nahe bringen möchte. Immer wieder aber scheitert sie in ihrer Mission an den elitären Regeln der "Firma".

Wenn man sich so wie ich für die englische Königsfamilie interessiert, ist dieser Roman eine wunderbare Gelegenheit einmal durchs royale Schlüsselloch zu linsen. Wie gesagt sollte man wissen, dass nicht ganz klar ist welche erzählten Ereignisse (abseits der historischen Fakten) und Gespräche der Erinnerung der realen Marion Crawford, Wendy Holdens Einbildungskraft oder einer anderen Quelle entstammen. Wer einen Abgleich des Erzählten machen möchte, sollte also neben dem Roman zumindest noch Crawfords Autobiografie lesen. Auf meiner Wunschliste steht sie bereits.

Bewertung vom 15.11.2020
Die Sünden der Gerechten / Ein Fall für Schwester Fidelma Bd.31
Tremayne, Peter

Die Sünden der Gerechten / Ein Fall für Schwester Fidelma Bd.31


gut

Mord und Totschlag im Irland des 7. Jahrhunderts
"Die Sünden der Gerechten" ist mittlerweile der sage und schreibe einunddreißigste Band in der Reihe um Schwester Fidelma von Cashel. Das Besondere an dieser Krimireihe ist, dass sie sich im Irland des 7. Jahrhunderts nach Christus abspielt. Irland befindet sich zu dieser Zeit in einem noch immer frühen Stadium der Christianisierung, wobei der alte keltische bzw. heidnische Glaube noch von vielen praktiziert wird. Langsam kommt auch die neue Lehre aus Rom dazu, der Katholizismus, der dem Urchristentum viele Änderungen und Gesetze überstülpt. Um religiösen Fanatismus und die widerstreitenden Glaubensrichtungen geht es auch in diesem Roman. Vor allem aber um Allzumenschliches, nämlich Rache und Habgier.
Diesmal spielt sich die Handlung in dem kleinen irischen Dorf Cloichin ab. Fidelma und Eadulf kommen zufällig dazu, als ein vermeintlicher Vierfachmörder von einem aufgebrachten Mob auf Anordnung des Predigers Bruder Gadra gehenkt werden soll. Bei dem Mann handelt es sich um einen Wanderarbeiter, der mit seiner Familie nur eine Nacht auf dem Bauernhof des Mordopfers Adnán verbrachte. Am Morgen wurden der Bauer, seine Frau und seine beiden Söhne ermordet aufgefunden. Schwester Fidelma und Eadulf können den Tod des Wanderarbeiters verhindern und beginnen im Dorf zu ermitteln, wobei die dunklen Geheimnisse und menschlichen Abgründe der Dorfbewohner langsam zu Tage treten.
Die Hauptfigur der Reihe, die keltische Nonne Fidelma, ist eine toughe Frau, die ihren Weg geht und vor allem an eins glaubt: Gerechtigkeit. Schließlich ist sie auch eine Dàlaigh, eine Art Anwältin des Königs, der ihr Bruder ist. Fidelma ist eine analytisch agierende Ermittlerin, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Ich bin ihr leider erst in diesem dreißigsten Band begegnet, deshalb kann ich zu ihrer Charakterentwicklung innerhalb der Reihe nichts sagen. Eadulf, ihr Partner und Gefährte, ist mehr der Typ Dr. Watson. Er wartet erst ab, welche Ermittlungsrichtung Fidelma einschlägt und gibt dann seine Meinung kund. Die anderen Figuren des Romans kommen etwas stereotyper daher, aber das ist bei einem solchen Krimi meiner Meinung nach auch in Ordnung.
Ich finde der Autor beschreibt die Dynamik in diesem frühmittelalterlichen Dorf, in dem jeder ein Geheimnis zu haben scheint, sehr gut. Die Fronten sind ziemlich verhärtet und fast alle Bewohner haben ihre eingefahrenen Meinungen bzw. unverbrüchlichen Vorurteile über Andersdenkene, Andersgläubige, Fremde und sonstige Außenseiter der Gesellschaft. Aber auch die etablierten Dörfler bekommen ihr Fett weg. Es herrschen Neid und Missgunst. Umso erfrischender sind die vorurteilslosen Ermittlungen Fidelmas, die die Menschen nur nach ihren Taten und ein Verbrechen anhand der Beweise beurteilt.
Dass der Autor Historiker ist merkt man an einigen Stellen überdeutlich. Er lässt zahlreiche historische Ereignisse und Fakten der Rechts- sowie der Religionsgeschichte in die Gespräche der Figuren mit einfließen. Außerdem geht es oft um das irische Rechtssystem des 7. Jahrhunderts nach Christus. Für den unkundigen Leser (wie ich einer bin) muten diese Rechtsbegriffe und juristischen Konzepte eher exotisch an. Ich habe mich damit schwer getan und fand die Stellen sehr langatmig. Für einen Krimi ist das Buch mit fast 500 Seiten relativ lang und die Handlung nimmt auch erst im letzten Drittel so richtig an Fahrt auf. Ich hatte immer wieder Probleme die vielen keltischen Namen auseinanderzuhalten, von den Rechtsbegriffen wie schon gesagt ganz zu schweigen. Am Anfang findet sich zwar ein Personenverzeichnis, das ich als Leserin des Ebooks aber nicht so richtig nutzen konnte.
Nichtsdestotrotz gefällt mir diese historische Krimireihe, die meiner Meinung nach auch für Neueinsteiger geeignet ist, ganz gut und vor allem die starke Hauptfigur Schwester Fidelma. Ob ich noch weitere Bände der Reihe lesen werde, weiß ich noch nicht.

Bewertung vom 06.11.2020
Eine Räuberballade / Westerwald-Chronik Bd.3
Held, Annegret

Eine Räuberballade / Westerwald-Chronik Bd.3


gut

Historischer Heimatroman - Achtung: Dialekt!

Der Westerwald im 18. Jahrhundert ist sicher kein geo-historisches Setting, mit dem ich mich zuvor schon einmal beschäftigt hätte. Aber man soll sich ja immer mal wieder aus der eigenen Lese-Komfortzone hinausbewegen und das habe ich mit "Eine Räuberballade" wahrlich gemacht. Es ist der dritte und abschließende Teil von Annegret Helds "Westerwald-Chronik". Die Autorin geht dabei chronologisch in der Zeit zurück. Während der erste Teil "Apollonia" (erschienen 2012) das 20. Jahrhundert beleuchtet, geht es in "Armut ist ein brennend Hemd" (2015) um die prekären Verhältnisse der dörflichen Bevölkerung im 19. Jahrhundert. Nun also besuchen wir das Jahr 1796. Während Goethe und Schiller in Weimar ihre Verse schreiben und mit Kant die Philosophie der Aufklärung entsteht, ist es um die Bildung der Dorfbevölkerung im tiefsten Westerwald weniger gut bestellt. Es sind die "einfachen Leute", die in diesem Buch zu Wort kommen - und das in ihrer eigenen Mundart, dem "Westerwälder Platt". Gottesfürchtig führen die Scholmerbacher und die anderen Westerwälder ein glanzloses und bescheidenes dörfliches Leben. Nur die junge Generation begehrt auf: Hannes, der Sohn des frommen Wilhelm, sucht nach den Züchtigungsbestrebungen seines Vaters das Weite und schließt sich - eher unfreiwillig - einer Räuberbande an. Auch die junge Gertraud möchte nicht in Scholmerbach versauern und geht als als Magd eines Müllers ins Nachbardorf. Der Leser folgt ihren Coming-of-Age-Geschichten und darf sich außerdem fragen, ob Hannes’ Vater Wilhelm es schafft, Scholmerbach mit einer eigenen Kirche auszustatten und seiner dementen Frau Lina treu zu bleiben. Überhaupt sind es die Freuden der körperlichen Vereinigung, die im Buch viel Raum einnehmen und die die Figuren umtreiben.

Der Roman hat einen ganz eigenen spröden Charme. Man spürt die Liebe der Autorin für ihre Charaktere, die sich mit Bauernschläue und Gottvertrauen ihr Stück vom Glück abtrotzen wollen, mit jedem Wort. Die Charaktere bleiben bei aller scheinbaren Lebendigkeit aber dennoch sehr schematisch. Sie wirken nicht wie echte Menschen sondern wie figurative Sinnbilder, die für etwas stehen sollen. Ein modernes Einfühlen in die Figuren ist meiner Meinung nach nicht möglich.

Zu Sprache und Erzählweise: Die Verwendung des Dialekts (z.B. "Eysch" = Ich; "Dou" = Du, "meysch" = mich) in den Dialogpartien stellt eine ziemliche Herausforderung für den Leser dar, der mit dieser sehr speziellen Mundart nicht vertraut ist. Natürlich trägt es zur Authentizität der Geschichte bei, allerdings geht diese auf Kosten der Lesbarkeit. Ich muss ehrlich sagen, dass mich persönlich das Lesen dieses Dialekts unheimlich angestrengt und zeitweise auch genervt hat, so dass ich zwischendurch immer wieder kurz vorm Abbruch des Buches stand. Ansonsten ist die Sprache teilweise - auch in den Erzählpassagen - künstlich “einfach” gehalten und derb, mit Kraftausdrücken wird nicht gespart. Der Roman wird außerdem nicht durch Kapitel unterteilt. Lediglich Absätze markieren eine Änderung des Settings. Es gibt Zeitsprünge, z.B. vom Jahr 1796 ins Jahr 1798, aber auch diese werden nur durch "normale" Absätze gekennzeichnet.

Fazit: Eine interessante historische Milieustudie, die für mich aufgrund des Dialekts dennoch ein hartes Stück Lesearbeit war. Kann ich nur für Liebhaber mundartlich gefärbter Heimatromane oder der Region empfehlen.

Bewertung vom 02.11.2020
Stille Nacht in der Provence
Rademacher, Cay

Stille Nacht in der Provence


sehr gut

Creepy Christmas in der Provence
Weihnachtskrimis lese ich in der Vorweihnachtszeit immer ganz gerne, vor allem weil in ihnen - im Gegensatz zur Realität - meistens Schnee liegt. So auch in "Stille Nacht in der Provence" von Cay Rademacher (mein erstes Buch von ihm).
Zur Handlung: Die Hamburger Andreas Kantor, Gymnasiallehrer für Französisch und Englisch und seine Frau Nicole, Journalistin, beide um die Fünfzig, wollen Weihnachten in der Provence verbringen. Ein Kollege von Andreas stellt Ihnen dafür sein Ferienhaus in Miramas-le-Vieux in der Nähe von Marseilles zur Verfügung.
Miramas-le-Vieux ist ein kleines mittelalterliches Dörfchen, das nur wenige Einwohner hat. Die meisten wohnen im angrenzenden neuen Ort Miramas. Dennoch gibt es ein paar "Einheimische" wie die Santonniere Milène Tanguy, die Santons fertigt, kleine provenzalische Tonfiguren, sowie deren Mann René. Auch ein Hotel-Restaurant gibt es hier, Inhaberin ist die Witwe Valéria. Ihr Neffe Dennis, ein Heimatforscher, hilft ihr gelegentlich aus. Dann wäre da noch der zwielichtige Polizist Zulesi, der einzige Ordnungshüter von Miramas-le-Vieux. Das war's auch schon im Wesentlichen, das Personal dieses Romans ist so überschaubar wie der Handlungsort im Winter - von daher passt es. Im Sommer ist Miramas-le-Vieux nämlich ein gut besuchter Touristenort, im Winter hingegen wie ausgestorben. Perfekte Voraussetzungen also für die Krimihandlung, die sich nun entfaltet: Andreas findet in einem vom Schnee eingedrückten Gewölbekeller neben seinem Ferienhaus einen Sarg mit Leiche, die kurz darauf verschwindet. Die deutschen Touristen werden von den Einheimischen zunächst kritisch beäugt, aber als dann bekannt wird, was Andreas Kantor vermeintlich gefunden hat, beginnt die Situation zunehmend prekär zu werden: Wer ist der Tote im Gewölbe und wer hat ihn dorthin geschafft?
Wenn man von einigen wenigen abgenutzten Metaphern (Schnee wie Puderzucker, Füße schwer wie Blei, etc.) einmal absieht, konnte mich der Krimi - auch sprachlich - durchaus überzeugen. Dem Autor gelingt es formidabel, eine Atmosphäre zu erzeugen, die ganz schön beklemmend und bedrohlich daherkommt. Eine richtige Thriller-Atmo also. Andreas, der Protagonist des Romans, gerät ja in viele bedrohliche Situationen und man weiß nie, ob sie mit einem Kaffeeklatsch oder mit dem Mord an ihm enden werden.
In der französischen Region Provence-Alpes-Côte d'Azur ist Schnee - noch dazu solche Mengen, wie sie im Buch beschrieben werden und dann auch noch um die Weihnachtszeit - eine absolute Ausnahme. Daß der Autor um Kunstgriff "eingeschneit, ergo sind die Personen am Schauplatz des Geschehens gefangen und von der Außenwelt isoliert" gegriffen hat, finde ich aber schon in Ordnung. Überhaupt hat mir das Setting, dieser mittelalterliche provenzalische Ort, sehr gut gefallen. Vom Spannungsaufbau und auch was die Auflösung betrifft ein sehr solider “Cosy” Krimi, den ich weiterempfehlen kann.