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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2008
Cliffhanger / Al Greenwood Bd.1
Binding, Tim

Cliffhanger / Al Greenwood Bd.1


ausgezeichnet

Wer träumt nicht heimlich davon, eines Tages den Mut aufzubringen, seine bessere Hälfte zu beseitigen. Al Greenwood tut's. Sein Leben fühlt sich so bescheiden an, dass er als Taxifahrer im Betrieb seiner Frau einen Stoß von der Klippe als Befreiung empfindet. Wie unverhohlen er den Plan am Anfang zugibt, um so sympathischer finden wir den mutmaßlichen Mörder. Da ist mal einer, der sich was traut. Leider nicht an seiner Frau, denn die sitzt Zuhause auf dem Sofa, statt auf den Klippen zerschellt zu liegen. Dafür ist die ehemalige Geliebte verschwunden, womöglich von Al getötet worden. Ein Missverständnis, beide trugen dieselbe Regenjacke. Eine Laune des Schicksals. Tim Bindings Roman ist köstlicher, englischer Humor. Wir beginnen, unseren Mördern zu bedauern, nicht mal das kann er. Wie folgen ihm durch alle Verstrickungen und Lügen und hoffen nach einem zweiten Mordanschlag inständig, dass sich am Ende herausstellt, der erste sei nicht geschehen und bei dem zweiten handele es sich um einen Unfall. Doch auch hier werden wir überrascht. Warum soll nicht dieser Militär an allem Schuld sein, der in einer Tasche die Unterwäsche der Toten spazieren trägt, ein neues Leben mit ihr beginnen wollte, und dem Greenwood das Angebot unterbreitet, ihm die Tasche zurückzugeben, wenn der Mann ihm seine Frau überlässt. Der charmanteste Zug in dieser vergnüglichen Geschichte ist, dass Greenwood und seine Frau Audrey sich wieder einander annähern, gar ein, zwei glückliche Stunden verleben. Tim Binding hat ein Gefühl für skurrile Charaktere. Dass er sie mühelos in eine Geschichte einzuweben versteht, davor kann man nur den Hut ziehen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.11.2008
Ritualmord
Hayder, Mo

Ritualmord


weniger gut

Wer die ersten Kriminalromane Mo Hayders „Der Vogelmann“ und „Die Behandlung“ kennt, freut sich über die Wiederkehr von DI Jack Caffery und verknüpft mit ihm die Hoffnung, die Handlung möge nicht so schillernd wie zuletzt werden, vielmehr glaubwürdiger auftreten. Vor allem wenn der Leser von den nachfolgenden Romanen Tokio und Die Sekte eher enttäuscht war. Im dritten und vierten von Mo Hayders Werken steht der Schrecken derart im Mittelpunkt, dass er Mittel zum Zweck wird, die Protagonisten dahinter verschwinden. Die Frage nach der Darstellung von Gewalt in der Kriminalliteratur wird bei Hayder stets drastisch beantwortet. In ihrem neuen Roman bemüht sich die Autorin offenbar um einen Mittelweg. Leider verblasst der einst so imponierenden Charakter Cafferys dahinter. Der Muti-Kult soll den Plot tragen, abgetragene Häute, abgetrennte Hände sollen die Lust auf Gewaltdarstellung zum Spannungsbogen erheben. Nur leider opfert Mo Hayder bei ihren Ritualmorden ihr frühere Kunst der genau Personenbeschreibungen, die dichte Atmosphäre, aus der der Schrecken erwuchs. Die Angst vorm Dämon, vorm Tokoloshe kommt einem wie der Kolonialismus des Schreckens vor. Das dunkle Afrika, das Wasserloch, in dem Flea Marleys Eltern ertranken, müssen herhalten, um einen Fall in Gang zu setzen, der dem Aberglaube, den übersinnlichen Kräften breiten Raum einräumt. Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass Mo Hayder mit ihrem Caffery wieder zu ihren Wurzeln zurückkehrt. Dort wurde der Schrecken nicht ins Schaufenster gestellt. Er wohnte eher in der Nachbarschaft und kroch einem in die Seele, statt sich mit Pauken und Trompeten anzukündigen.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2008
Der Besuch der alten Dame
Dürrenmatt, Friedrich

Der Besuch der alten Dame


weniger gut

Es gibt Stücke, die verlieren mit den Jahren seit ihrer Ur-Aufführung an Brisanz, ohne dass man sicher sein darf, dass sie diese zu anderen Zeiten wiederfinden werden. Der Besuch der alten Dame mit der klaren Frage nach der Moral ist so klar in Schwarz Weiß geschieden, dem Rachdurst einer gekränkten Frau, dem Gewinnstreben einer zuvor schockierten Gemeinschaft ausgeliefert, dass man sich in unseren Zeiten, die sich in unzählige Bilder, Gründe, in eine Vielzahl an Informationen aufsplittert, zwar nach einer so simplen Wahrheit sehnt, sie jedoch im eigenen Alltag nicht wieder zu finden glaubt. Zwar ist es verwerflich, was die alte Dame unter liberalem Blickwinkel fordert, doch macht das den männlichen Frevel, eine Frau zu schwängern und sitzen zu lassen nicht ungeschehen. Das Dorf hat sich schon viel früher schuldig gemacht und beweist nur einmal mehr, dass Moral nur solange eine Rolle spielt, wie sie nicht eingefordert wird. Nicht erst seitdem sich die Bewohner zum Mord berufen fühlen. Gräbt man tief genug in Dürrenmatts Stück so findet man sicher Manches, was sich aufzuführen lohnt. Doch verstaubt, gefangen im Turm der modernen Klassik, den benotbaren Analysen von Deutschlehrern zum Abschuss freigegeben bleibt es schon.
Polar aus Aachen

2 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2008
Vox
Baker, Nicholson

Vox


sehr gut

In Zeiten der Chatrooms, der Mails mag ein Gespräch über eine Telefonleitung etwas antiquiert erscheinen. Die Grundlage für freimütige Geständnisse, die nur auf Grund von Anonymität Zustande kommen, ist weiter verfeinert worden, zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden. Bei Baker stellt ein erotischer Kontaktservice die Verbindung zwischen Jim und Abby her. In unseren Zeiten streunen im Netz Nicknames auf der Suche nach Gleichgesinnten umher. Ist die Verbindung erst hergestellt, wachsen die verklemmte wie offene Erotik, der folgenlose Flirt wie die Entblößung, das Geständnis wie die Lüge schnell heran. Niemand kann sich sicher sein, dass der andere die Wahrheit über sich preisgibt. Was einen Reiz ausmacht, herauszufinden, wie weit jemand geht, sich in Widersprüche verstrickt, Vertrauen aufzubauen beginnt. Was bei Baker als Konzert zweier Stimmen beginnt, verschmilzt im Verlauf zum Abbild einer Gesellschaft, die sich weiterhin versteckt, wenn sie sich aus dem Dickicht des Alltags hervortraut. Bakers Anfang der neunziger Jahre erschienener Roman behält auch unter veränderten Vorzeichen den Finger am Puls der Zeit. In ihm geht es um zutiefst menschliche Anliegen: Was darf ich mich trauen, was darf ich nicht, darf ich es vor allem aussprechen, mir selbst eingestehen, indem ich es jemand anderem anvertraue. Das Gefühl einsam zu sein, sich selbst als fremd zu empfinden, weht durch Bakers Geschichte trotz aller marktschreierischer Eingeständnisse. Dass der Autor dies allem mit Humor beizukommen versucht, gehört zu den Stärken seiner verlorenen Stimmen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 23.10.2008
Ein Rest von Schuld
Rankin, Ian

Ein Rest von Schuld


ausgezeichnet

Es riecht nach Abschied. Ian Rankin hat in einem Interview gesagt, dass er Briefe mit guten Ratschlägen erhalte, wie er John Rebus im Amt, wenn nicht als am Rande ermittelnden Privatier erhalten könne, bloß damit nicht eine der beliebtesten Gestalten der Kriminalliteratur verschwindet. Bevor es jedoch soweit ist, beweist Rankin einmal mehr, was die Faszination Detective John Rebus ausmacht. Es ist nicht nur seine teils mürrische Gestalt, das Lokalkolorit Edinburghs, vielmehr hat Rankin mit zunehmendem Maße ein Gespür dafür entwickelt, mit seinen Fällen auf das zu reagieren, was an Zeitgeschehen um ihn herum passiert. War es der G8-Gipfel im Vorgänger, steht im Mittelpunkt von Ein Rest von Schuld der Tod eines sowjetischen Dissidenten. Wer da nicht gleich an den Tod des Alexander Litwinenko erinnert wird, dem ist nicht zu helfen. Rankin verfällt jedoch nicht dem globalen Thriller a la LeCarré, sein Blick bleibt auf Edingburgh gerichtet, zeigt zwar Russen, die sich ein zweites Standbein in Schottland erkaufen wollen und Schotten, die damit Geschäfte zu machen versuchen, aber er dreht nicht das große Rad der Weltverschwörung, sondern bleibt erdverbunden seinem Schottland treu, das davon träumt eines Tages autonom zu sein. Bis dahin treibt man Geschäfte. Nicht zuletzt Rebus alter Ego Cafferty, der - und das macht Rankins Charme aus - auf seine Art den Rückzug aufs Altenteil antritt. Dass ausgerechnet Rebus in den Verdacht gerät, ihn ermorden zu wollen, und ihm gleichzeitig das Leben zu retten versucht, ist einer jener geschickten Winkelzüge, die der Autor immer wieder einbaut. Mit spielerischer Leichtigkeit jongliert Rankin mit dem Weltgeschehen, wie der kleinen Ganovenwelt, wie den ureigensten Krimithemen von dunklen Machenschaften, Eifersucht und Vorgesetzten, die einem nur Schlechtes wollen. Rankin und seine Figuren sind einem über die Jahre vertraut geworden. Ob es ein Danach nach Rebus letzter Woche gibt, weiß nur der Autor. Rankins Kunst, einen Kriminalfall in den Alltag Edinburghs einzuweben, ohne dass man mit jeder Seite, der Auflösung entgegenfiebert, wird nicht unbedingt von John Rebus abhängen. Dafür versteht der Autor sein Handwerk zu souverän. Man darf auf den nächsten Roman nach dieser gelungen Abschiedsvorstellung gespannt sein.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2008
Das Schwanenhaus
Walser, Martin

Das Schwanenhaus


ausgezeichnet

Dass ein Haus im Mittelpunkt von Streitereien steht, ist nicht neu. Entweder ringen Erben um den Verkauf oder Käufer um den Erwerb. Dann ist der Makler gefragt, muss auf beide Seiten eingehen, Brücken schlagen, die Parteien beim Notar zur Unterschrift bewegen. Dazu gehört viel psychologisches Fingerspitzengefühl, aber auch Härte. Im Schwanenhaus von Martin Walser hat eine Familie das Schwanenhaus verloren, seinen Wert nicht zu schätzen gewusst. Ist es nur eine gemauerte Festgeldanlage, die sich am Spieltisch einsetzen läßt, um abgerissen zu werden, oder ein Juwel, an dem man sich ergötzen sollte, um es auf alle Zeit hin zu bewahren? Dr. Gottlieb Zürn ist eine typischer Walser-Figur: Im Grunde fest im Leben verankert, ausreichend abgesichert, in sich jedoch zutiefst verunsichert, was er natürlich niemals zugeben würde. Im Verlauf der Handlung wird schnell klar, dass er den Kampf um das Schwanenhaus nur verlieren kann. Und so bricht die kleinbürgerliche Tragödie am Ende über ihn herein. Zürn der hoffnungslose Romantiker, der sich der Welt des Immobilienhandels verschrieben hat, deren Gesetze nie seine waren. Die Konjunktur steckt in der Flaute, ihm fehlte jede Eloquenz, die seine Konkurrenten auszeichnet. Zu empfindsam fürs Geschäft sieht er sich als Dichter des Schönen und Guten. Walsers Helden sind nicht dem Untergang verschrieben, sie werden auch anschließend weiter leben, nur vermögen sie es nicht, ihrem Leben einen Stand zu geben. Ihnen hat Walser im Fliehenden Pferd ein Denkmal gesetzt, Das Schwanhaus fällt dahinter zurück, weil Dr. Zürn eine allzu bemitleidenswerte Person ist, die am Ende getröstet werden muss. Der Kampf ums Schwanhaus ist verloren, ob es noch einen gibt, als Leser glaubt man es kaum.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2008
Tod eines Jägers
Hochhuth, Rolf

Tod eines Jägers


gut

Ernest Hemingway fasziniert Leser wie Autoren bis heute. Nicht nur dass er die moderne Short Story mit seinen Nick Adams Geschichten erfunden hat, sein Leben glich selber einem Roman. Wie konsequent mag es da erscheinen, dass auch sein Tod schillernd war. Hemingway entscheidet selbst über den Zeitpunkt. Für Verklärung ist in Hochhuths Stück jedoch kein Platz. Er zeigt einen gebrochenen Mann, der unter Verfolgungswahn leidet und nicht mehr schreiben kann. Die Kraft ist ihm auf seinem langen Weg ausgegangen. Natürlich ist dies nur eine Annäherung, ein Mutmaßung, da es sich nicht um eine fiktionale Figur handelt. Hemingway hat gelebt, spuckt in vielen Köpfen weiter und setzt sich der Verfremdung aus. Doch über den biografischen Horizont hinaus zeigt Hochhuth einen Menschen, der mit sich selbst ringt, dessen letzte Kraft darin besteht, seinem Teufelskreis dadurch zu entkommen, dass er zum Gewehr greift. In ihm findet Hochhuth ein Bild dafür, was es heißt, letztlich am Ende angekommen zu sein.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.