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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 21.10.2008
Mutmassungen über Jakob
Johnson, Uwe

Mutmassungen über Jakob


ausgezeichnet

Denkt man an Uwe Johnson fallen einem sofort die Jahrestage ein. Jenes monumentale Werk über das Leben in der DDR und das Überleben im Westen. Schon in dem 1959 erschienen Roman Mutmassungen über Jakob blitzt bereits das schriftstellerische Können Uwe Johnsons auf, das seine späten Jahre prägen wird. Seine Welt setzt sich aus Versatzstücken zusammen, ist als Ganzes nicht zu fassen, muss erforscht, erneut zusammengesetzt werden. Er nähert sich der Wirklichkeit durch die Erinnerungen anderer. In den Mutmassungen verschwindet ein junger Mann und zurück bleiben nur Fragen. Aus den Antworten setzt Johnson nicht nur sein Leben zusammen, er spiegelt auch die DDR wie den Westen, zeigt das Werben der Stasi um Mitarbeiter, erzählt vom Ungarn-Aufstand, zeichnet ein zerrissenes Deutschland nach, durch das sich ein bleierner Vorhang zieht, hinter dem man verschwindet und wieder auftaucht. Nach dem Fall der Mauer, mit dem Abstand der Jahre ist dieses Deutschland nicht wie zu Zeiten der Bundesrepublik aus Sicht zweier Länder zu betrachten, vielmehr als ein in Teilen zerfallenes Land, für das Uwe Johnson ein faszinierendes literarisches Bild gezimmert hat. Und so bleibt selbst Jakobs Tod mysteriös, gleicht einem Puzzle, bei dem vielleicht das ein oder Teil verloren gegangen ist. Der erste Satz: Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen, fasst ein Leben zusammen, ein Kapitel deutscher Geschichte. Niemand vermochte wie Johnson so brillant davon zu erzählen
Polar aus Aachen

Bewertung vom 21.10.2008
Professor Unrat
Mann, Heinrich

Professor Unrat


ausgezeichnet

Wer sieht nicht Marlene Dietrich vor sich, das Knie angezogen mit einem Zylinder auf dem Kopf, wenn er an den Professor Unrat denkt. Emil Jannings hat ihm ein Gesicht verliehen, dem keines andere gleichkommt. Damit diese beiden Schauspieler ein Stück Filmgeschichte schreiben konnten, musste Heinrich Mann ihren Rollen erst einmal Leben einhauchen. Mann hat sich umgesehen in seiner Zeit. Allzu leicht läßt sich darin das Bild eines Despoten entdecken, der seine Schüler unterdrückt, sich scheinbar nur der Klassik verschreibt und die Gesellschaft am liebsten von jeglichem Unrat reinigen würde. Eine zutiefst deutsche Angelegenheit. Die Beschreibung eines solchen Lebens hätte ausgereicht, dem Spießertum wie an anderer Stelle in Manns Werk die Maske abzureißen. Doch der Autor bringt die Verführung, die Faszination, die Eifersucht ins Spiel, all das, was Menschen ruinieren kann, so dass am Ende ein abstoßender Blick übrig bleibt. Der Spießer ist zu dem geworden, was er selber verachtet, hat sich seiner Würde beraubt, den Respekt anderer verspielt. Mit Wehmut begleitet man den Untergang eines Verblendeten, der etwas bekämpft hat, was in ihm steckte. Dass Heinrich Mann diese beiden Seiten zusammenbringt, bewahrt ihn vor der Schwarz-Weiß-Analyse und verengt den Spielraum für jenen Zeigefinger, der allzu gerne auf die andere Seite deutet: auf den Spießer. Jene bemitleidenswerte Kreatur, die an Äußerlichkeiten hängt und den Clown in sich trägt.
Polar aus Aachen

2 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2008
Profit
Morgan, Richard

Profit


ausgezeichnet

Wer Richard Morgan zuvor nicht kannte, wird durch Profit sicher dazu veranlasst werden, mehr von diesem Autor lesen zu wollen, dem das Etikett Science Fiction anheftet, dabei unsere gegenwärtige Welt nur konsequent weiter entwickelt. Wie Banken, Finanziers jegliche Bodenhaftung verlieren, ihre Wetten auf Aktien und Fonds ein Maß annehmen, dass die ganze Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird, wäre, wenn Morgan sie vor fünf Jahren beschrieben hätte, einem noch wie ein Zukunftsszenarium vorgekommen. Autoren wie er rücken das Vorstellbare jedoch nah an die Wirklichkeit heran. Und die heißt in seinem Fall Conflict Investment. Warum Gewinne aufs Spiel setzen, wenn man rechtzeitig weiß, wen man unterstützen soll, um sie abzusichern. Egal ob der Mann nun ein Diktator ist, an Massenexekutionen die Schuld trägt, sein Land wirtschaftlich ausblutet, Hautsache man verkauft ihm das Waffenpotential, das er benötigt, um sich an der Macht zu halten und seine Rohstoffe auszubeuten. Neigt sich seine Unterstützung zur Neige, springt man halt auf den Zug der Rebellen auf. Überall auf der Welt in Asien, in Lateinamerika, in Afrika. Und alle spielen mit Europäer, wie Amerikaner, wie Japaner.Es kommt auf den Profit an. Er verändert die Welt, sichert der Finanzwelt außerhalb der Zonen für Normalsterbliche in einer schwer bewachten Burg Luxus und Überleben, doch er frißt gleichzeitig durch eine RundumdieUhrMentalität jegliches Privat-, wie Familienleben. Schließlich geht es ums Geld. Natürlich bedient sich Morgan des bewährten Personals von Gut und Böse, der Versuchung, der Schuld, doch webt er das Bekannte so geschickt ein, dass man sich von einem spannenden Plot überzeugt lässt. Einer der Höhepunkte des Romans besteht darin, dass die Guten sich in einer Wohnung versammeln, um einen der Schlechten anzuwerben, und nicht imstande sind, einen schlagwütigen Nachbarn davon abzuhalten, seine Frau zu quälen. Sie fühlen sich für das große Ganze zuständig. Die Frage nach der Moral wird von Morgan nicht in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse aufgeteilt. Selbst die Manager müssen sich in Challenges beweisen, sie rasen über die Autobahn, um sich gegenseitig umzubringen. Und wer nicht dem Tod bezahlen will, muss schneller, kaltblütiger, brutaler sein. Kapitalismus der besonderen Art. Wer weiß, ob er nicht in naher Zukunft auf uns wartet.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2008
Erste Liebe
Turgenjew, Iwan S.

Erste Liebe


ausgezeichnet

Diese Geschichte ist oft kopiert worden. Nicht zuletzt von Charles Simmons in Salzwasser. Sie hat nichts von ihrer Kraft verloren. Sie verdankt ihre Unsterblichkeit einem Gefühl, das Leser nur allzu gut geht kennen. Erst tastet man sich in der Liebe vor, dann verfällt man ihr, dann ist man schutzlos ausgeliefert und wird zutiefst getroffen, oft genug am Ende verraten. Wer den jungen Helden um seine Liebe bringt, soll nicht verraten werden. Die Entdeckung ist so furchtbar, dass sie nicht nur sein Leben verändert. Turgenjews sprachliche Meisterschaft, besteht in der unaufdringlichen Weise etwas als unausweichlich zu schildern, es unter der Oberfläche aufeinander zurasen zu lassen. Mag die Geschichte auch tragisch enden, erzählt sie jedoch viel über den Bestand der Liebe, dem schwankenden Boden, auf den man sich begibt, wenn man sich einläßt. Der Roman zeichnet das wahre Empfinden, wie die Verblendung, das Spiel Angebeteten, wie das Gefängnis nach, in das sie sich begibt, indem sie es zulässt, dass ein Kreis sich um sie schließt, um ihre Eitelkeiten an ihr zu spiegeln. Das war damals so und fühlt sich heute nicht weniger wahr an.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2008
Die Dreigroschenoper
Brecht, Bertolt

Die Dreigroschenoper


ausgezeichnet

Was für ein Titel. Für drei Groschen eine ganze Oper. Augenzwinkernd erzählt Brecht von Not und Armut und davon, wie man selbst damit Geschäfte macht. Brecht hat bei Shakespeare gelernt: Willst du Missstände anprangern, übertreibe, mach sie komisch, lass deine Schauspieler ein leicht ins Ohr gehendes Lied singen, dann werden die Zuschauer die Botschaft nicht vergessen. Irgendwas bleibt haften. Und so sangen sie nach der Uraufführung das Lied von Mackie Messer. Die Verhältnisse sind wie bei Hofe in Brechts Stücken, sie spielen in den Niederungen. Auch wenn die soziale Schärfe, die Brecht mit der Dreigroschenoper in den 20er Jahren anprangerte, heute einer anderen sozialen Härte gewichen ist, so bleibt doch der tief sitzende menschliche Charakterzug der Korruption, der Gier, der Machterhaltung gepaart mit Schläue. Wer überleben will, muss sich etwas einfallen lassen. Wer die Dreigroschenoper als Bild mit Bettlern inszeniert, dringt nicht zu ihrem Kern vor. Es ist immer das Lachen, das einem im Halse stecken bleibt, damit sich etwas ändert. So ist die Dreigroschenoper modern, obwohl sie zeitweise ins Operettenfach abgeschoben wird. Peachum, Polly, Mackie Messer gehören zum deutschen Wesen wie Faust. Auch wenn sie englische Namen tragen.
Polar aus Aachen

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.10.2008
Maigret und der gelbe Hund
Simenon, Georges

Maigret und der gelbe Hund


weniger gut

Es sind schon viele Klischees, deren sich Georges Simenon in diesem Roman bedient. Da ist das satte Bürgertum, das sich nicht nur finanziell bedient, sich auch gerne mit Kellnerinnen vergnügt. Da ist der Bürgermeister, der Aufklärung entgegenwirkt. Da ist der weise, am Ende großmütige Maigret, der Gnade walten läßt. Und da ist Amerika, Kokain, die Prohibition, der Verrat. Schon früh merkt man, dass der Vagabund nicht der Schuldige sein kann. In bester Agatha Christi Manier löst Maigret das Rätsel, indem er alle um sich versammelt und durch eine ausgiebige Nacherzählung, die Ereignisse schildert. Trotz vergifteter Flaschen, fehlgeleiteter Schüsse, trotz einer tragischen Liebe und einem Mord, ein schwacher Maigret Roman.
Polar aus Aachen

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Bewertung vom 11.10.2008
Pique Dame
Puschkin, Alexander S.

Pique Dame


ausgezeichnet

Die besten Geschichten über Spieler stammen aus Russland. Ob bei Dostojewski oder wie hier bei Puschkin nimmt das Spiel am Ende jeden für sich ein. Es kommt weniger auf den Einsatz, den Gewinn an, als auf die Versuchung, die Sehnsucht, die Gefahr, sich zu ruinieren. Puschkin treibt langsam auf den Helden seiner Novelle zu. Er nimmt den Umweg über eine Gräfin und deren abzusehender Ruin, der auf mysteriöse Weise in letzter Sekunde gestoppt wird, woraufhin sie verspricht nie wieder eine Karte anzufassen, und wendet sich einem Mann zu, der scheinbar jeglicher Versuchung widersteht. Die Aussicht, den eigenen Lebensstandart durch die Kenntnis jener legendären drei Karten zu verdreifachen, die einem einen sicheren Gewinn versprechen, wenn sie an drei Tagen hintereinander gespielt werden, läßt auch ihn wanken. Bei dem Streben der Gräfin ihr Geheimnis zu entreißen, geht der zukünftige Spieler zu weit. Selbst als das Schicksal über ihn hereinbricht, vermag er nicht, von seinem Vorhaben abzulassen. Wie Puschkin davon erzählt, ist meisterlich. Die Novelle ist so sanft gestrickt, dass man allmählich in den Sog seiner Sprache versinkt, und das Geschehen, als sei es einem längst vertraut, bis ans bittere Ende folgt.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.10.2008
Der eingebildete Kranke
Molière

Der eingebildete Kranke


ausgezeichnet

Dieses Stück sollte man turnusgemäß auf dem deutschen Ärztekongress zur Aufführung bringen. Nicht dass sich dadurch die Beiträge senken ließen, aber was aus einem Mensch wird, der seinem Arzt mehr vertraut als seiner Familie, zeichnet Molière bissig nach. Das Stück verkommt leider allzu oft deutschen Bühnen im Klamauk. Dabei handelt es sich um eine scharfe Analyse menschlicher Abgründe und eines gesellschaftlichen Missstandes. Nur wußte Molière auch, dass man Kritik besser in ein Lachen verpackt. Wer macht sich nicht gerne über Hyperchonder lustig. Vor allem wenn sie wie bei Molière nicht sehen wollen, was um sie herum geschieht, bereit sind, gar die eigne Tochter zu opfern, um die Arztgebühren zu senken. Molière Stück hat die Jahrhunderte überlebt, vor allem, weil sich nicht viel zwischen Patient und Arzt geändert hat. Die medizinische Versorgung strebt ein Höchstmaß an, neue Behandlungsmethoden erlauben den Menschen ein längeres Leben. Das Leben hinter der Statistik, abseits der Atteste, zwischen auf Heilung bedachter Patienten und den Göttern in Weiß ist, wie bei Molière zu sehen, demselben Spott ausgesetzt.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.10.2008
Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann
Böll, Heinrich

Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann


sehr gut

Literatur vermag sich einzumischen. Es gibt Bücher, die verblassen, je weiter ihr Erscheinungsdatum zurückliegt. Wer sich an die Wirkung von Heinrich Bölls Roman bei der Veröffentlichung erinnert, an den Hass, der ihm entgegenschlug, sieht sich zurzeit vergeblich nach einer deutschen Literatur um, die eine ähnliche gesellschaftliche Aussprache findet. Die Geschichte der Katherina Blum, die ins Räderwerk bundesrepublikanischer Terroristenhatz, Bombenhysterie, Presse und Politik gerät, ist sicher aus der genauen Beobachtung des deutschen Herbstes, der Paranoia geschrieben worden. Die Striche darin sind grob gezeichnet. Böll nimmt Partei, klagt an, setzt sich gegen Vorverurteilung und den Verlust von Bürgerrechten ein. Die Erzählung erscheint aus heutiger Sicht, wie ein Rückblick, eine Erinnerung. Dies spricht nicht unbedingt gegen sie. Zumal wenn man die Wucht mit einbezieht, mit der darüber diskutiert wurde, was man darf und was man nicht darf. Böll hat sicher eindrucksvollere Erzählungen, sprachlich verfeinerte Momente geschrieben, doch er war ein Autor, der sich das Recht herausnahm, über das zu schreiben, was ihm auf der Seele lag. Das sollte man immer wieder mal hervorkramen und lesen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.