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dorli
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Berlin
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Bewertungen

Insgesamt 875 Bewertungen
Bewertung vom 07.09.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


gut

Frida Skybäck beginnt den ersten Band ihrer in der südschwedischen Provinz Skåne län spielenden Krimiserie mit einem spannenden Prolog: Die 84-jährige Gun Storm muss an einen kalten Januarmorgen hilflos mitansehen, wie Nomi Pedersen wie von Sinnen auf das viel zu dünne Eis des Vombsjön rennt, einbricht und ertrinkt. Ein tragisches Unglück? Womöglich Suizid? Oder steckt mehr dahinter? Um die Sachlage zu klären, wird die Mordkommission Lund alarmiert. Mit dem Fall betraut werden die Ermittlerin Fredrika Storm, die gerade aus Stockholm in ihre alte Heimat zurückgekehrt ist und ihr Kollege Henry Calment, ein vermögender, etwas exzentrisch wirkender Mittvierziger, der sich trotz mehrerer Studienabschlüsse entschlossen hat, als einfacher Polizist zu arbeiten.

Die Ermittlungen werden für Fredrika mehr und mehr zu einer persönlichen Odyssee, denn mit jedem neuen Hinweis zum Tod von Nomi wird deutlicher, dass nicht nur ihre Familie in den Fall verstrickt ist, sondern dass auch das spurlose Verschwinden ihrer Mutter vor über zwanzig Jahren mit dem aktuellen Geschehen verwoben zu sein scheint.

Frida Skybäck hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen problemlos folgen.

Ganz besonders punkten kann die Autorin mit der Schilderung von Land und Leuten. Das beschauliche Harlösa, idyllisch gelegen zwischen Wald und dem See, in dem Nomi auf so grausame Weise zu Tode kommt, wird sehr anschaulich beschrieben. Auch die dörfliche Atmosphäre ist absolut stimmig: jeder kennt jeden, doch eigentlich weiß niemand so richtig, was seinen Nachbarn bewegt und beschäftigt. Wird ein Schuldiger gesucht, zeigt man gerne auf denjenigen, der als Sonderling gilt. Unzulänglichkeiten werden unter den Teppich gekehrt, damit man nicht zur Zielscheibe von Klatsch und Tratsch wird.

Falsche Fährten, zahlreiche Verdächtige und immer wieder neue Hinweise halten die Handlung lebendig, dennoch wollte bei mir keine wirkliche Spannung aufkommen. Das lag vor allen Dingen daran, dass Fredrikas Familiengeschichte zwar interessant ist, aber dennoch viel zu viel Raum bekommt. Zudem habe ich Fredrikas Verhalten als sehr unglaubwürdig empfunden. Dass eine Polizistin ständig ohne Absprache mit dem Team handelt, dabei immer wieder sich selbst und ihre Mitmenschen in Gefahr bringt, ihre Familie vor den Kopf stößt und sogar eine Einstellung der Ermittlungen riskiert, weil sie laufend wider besseres Wissen ihrem Bauchgefühl folgt, halte ich für wenig realistisch.

Auch das Ende lässt mich ein wenig unzufrieden zurück. Dabei ist die Auflösung des Falls für mich durchaus nachvollziehbar, auch wenn Fredrika den ausschlaggebenden Hinweis eher zufällig entdeckt. Es sind die Ereignisse danach, die mir nicht gefallen haben. Über 20 Jahre Geheimniskrämerei und hartnäckiges Schweigen lösen sich mit einem Ruck in Wohlgefallen auf. Jegliche Missstimmung ist wie weggewischt. Dass überall plötzlich Harmonie und Eintracht herrscht, war mir zuviel des Guten.

„Schwarzvogel“ hat mir über weite Strecken gut gefallen - ein etwas holperiger Auftakt einer neuen Krimireihe.

Bewertung vom 23.08.2023
Dead Romantics
Poston, Ashley

Dead Romantics


weniger gut

Die 28-jährige Florence Day lebt in New York und arbeitet als Ghostwriterin der berühmten Romance-Autorin Ann Nichols. Der Abgabetermin für einen neuen Roman rückt näher, doch Florence ist nicht in der Lage, das geforderte Happy End zu schreiben, da ihr der Glaube an die Liebe abhanden gekommen ist, seit ihre letzte Beziehung mit einer herben Enttäuschung in die Brüche ging. Florence bittet den neuen Lektor um einen Aufschub, doch Benji Andor ist unerbittlich und beharrt auf dem vereinbarten Termin. So weit, so normal. Nicht ganz so normal ist eine Eigenschaft, die Florence von ihrem Vater geerbt hat: sie kann Geister sehen. Verstorbene, die auf Erden noch eine Mission zu erfüllen haben, erscheinen ihr als durchsichtig schimmernde Gestalten. Während Florence verzweifelt versucht, ihre Schreibblockade zu überwinden, erhält sie die Nachricht, dass ihr Vater gestorben ist. Florence eilt zu ihrer Familie nach South Carolina. Kaum angekommen, klingelt es an der Tür. Florence öffnet und vor ihr steht Benji Andor, von Kopf bis Fuß durchsichtig schimmernd…

„Dead Romantics“ kommt mit einem fröhlich-frischen Cover daher, doch leider versteckt sich dahinter nicht das von mir erwartete unterhaltsame Lesevergnügen. Das Buch lässt sich zwar angenehm flott lesen und hat mir ab und an ein Schmunzeln entlockt, es fehlt jedoch das gewisse Etwas. Für einen „Liebesroman mit hohem Wohlfühlfaktor und genau der richtigen Prise Magie“ wie der Klappentext verspricht, war die Geschichte in meinen Augen zu wenig romantisch und zu wenig magisch.

Außerdem wird die Geschichte durch viele Belanglosigkeiten gestreckt. Dadurch fehlt es der Handlung durchweg an Schwung. Außerdem machen zu viele Klischees die Story irgendwann vorhersehbar und damit leider auch langweilig.

Auch mit den Charakteren hatte ich so meine Schwierigkeiten. Besonders die Hauptfiguren bleiben im Verlauf der Geschichte blass und oberflächlich und gewinnen auch durch ihre Erlebnisse nicht wirklich an Tiefe, so dass mir ein echtes Mitfiebern und Miterleben nicht gelingen wollte.

„Dead Romantics“ hat mich nicht so gepackt, wie ich es mir erhofft hatte. Obwohl viel Potential verschenkt wurde, fand ich die Idee hinter der Geschichte aber recht spannend. Daher zwei Sterne und das Fazit: „Kann man lesen, muss man aber nicht“.

Bewertung vom 17.08.2023
Bei euch ist es immer so unheimlich still
Schröder, Alena

Bei euch ist es immer so unheimlich still


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ widmet sich Alena Schröder zwei weiteren Zeitabschnitten aus der Familiengeschichte rund um Evelyn Borowski. Während wir in „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ zum einen mit Evelyn als junges Mädchen in den 1920er und 30er Jahren und zum anderen mit Evelyn als hochbetagte Frau, die in einer Seniorenresidenz lebt und den Besuchen ihrer 27-jährigen Enkelin Hannah entgegenfiebert, bekannt gemacht werden, sind es in diesem Roman die Nachkriegszeit - Evelyn ist Ärztin, Ehefrau und Mutter - sowie die Zeit rund um Mauerfall und Wende - Evelyn befindet sich im Ruhestand und hat sich aus Frust in ihren Haus eingeigelt, als plötzlich ihre Tochter Silvia vor der Tür steht, im Arm Evelyns vor wenigen Wochen geborene Enkelin Hannah.

Obwohl dieses Buch auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes bestens verständlich ist, habe ich das Wissen um die bisherigen Ereignisse als Bereicherung empfunden. Auch in diesem Roman konzentriert sich Alena Schröder nicht ausschließlich auf Evelyn, sondern erzählt auch ausführlich von den Frauen in deren familiärem Umfeld. In dem in den 1950er Jahren spielenden Part lernen wir ihre Freundin und Schwägerin Betti, die als „Übriggebliebene“ ihr Leben so gestaltet, wie sie es für richtig hält, besser kennen. Und in dem 1989er Erzählstrang ist es die rebellische Silvia, die in den Fokus der Handlung rückt.

Alena Schröder hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen mühelos folgen. Auch der stetige Wechsel zwischen den Zeitebenen ist unproblematisch.

Die Autorin wartet mit einer großen Portion Gesellschaftskritik auf. Jede Zeit hat ihre Eigenarten und prägt den Menschen durch eine Vielzahl von Herausforderungen und Ansprüchen. Das gilt natürlich auch für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Darstellung dieser gesellschaftlichen Zwänge und der damit einhergehenden hohen Erwartungen an jeden Einzelnen und eben besonders an die Frauen in der Gesellschaft habe ich als sehr gelungen empfunden.

In dieser mehrere Generationen umspannenden Familiengeschichte geht es um die vielfältigen Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht darum, wie diese Frauen mit den an sie gestellten Erwartungen umgingen. Wie sie den Spagat zwischen gesellschaftlichen Konventionen und der Verwirklichung ihrer eigenen Träume schafften oder eben auch nicht schafften. Es geht darum, was die Unzufriedenheit mit ihnen gemacht hat, wenn die eigenen Wünsche auf der Strecke blieben. Es geht um ihren Umgang mit großen und kleinen Dramen und alltäglichen Konflikten. Und es geht darum, dass Probleme gelöst wurden, indem man sie einfach totschwieg.

Ausnehmend gut gefallen hat mir das glaubwürdige und lebensnahe Zeitkolorit. Insbesondere die biedere Kleinstadtatmosphäre im fiktiven Ildingen wird sehr authentisch dargestellt. Vieles hat mich an meine eigene Kindheit und Jugend erinnert, vor allem das ewige „was sollen die Leut’ denn sagen“ ist mir auch heute noch im Ohr und lässt mich nach wie vor den Kopf schütteln.

„Bei euch ist es immer so unheimlich still“ hat mir sehr gut gefallen - eine tiefgründige Familiengeschichte, die kurzweilig erzählt wird.

Bewertung vom 12.07.2023
Refugium / Stormland Bd.1
Lindqvist, John Ajvide

Refugium / Stormland Bd.1


ausgezeichnet

Schweden 2019. Eine Insel inmitten der Stockholmer Schären. Ein extravagantes Mittsommerfest. Ein festlich gedeckter Tisch auf einem Bootssteg, an dem neben der gastgebenden Familie Helander vier Gäste Platz genommen haben. Ein grausiges Massaker, das nur die 14-jährige Astrid schwer traumatisiert überlebt - das ist die Zusammenfassung des spannenden Prologs, mit dem John Ajvide Lindqvist seinen Thriller „Refugium“ beginnt.

Im Folgenden lernt man die Hauptfiguren kennen. Da ist die ehemalige Polizistin Julia Malmros, die sich mittlerweile als Krimiautorin einen Namen gemacht hat und gerade dazu auserkoren wurde, einen Entwurf für den nächsten Millennium-Roman einzureichen. Weil Julia wenig Ahnung von Hacking und Internet-Spionage hat, wird ihr der junge Hacker Kim Ribbing zur Seite gestellt. Kim ist der Spross eines alten Adelsgeschlechts und dank eines riesigen Familienvermögens finanziell unabhängig. Der 28-Jährige hatte jedoch eine grausige Kindheit und Jugend. Er wurde auf unsägliche Weise von seinem gewalttätigen Großvater und später auch von seinem Therapeuten, der mit Elektroschocks experimentiert hat, gequält und missbraucht.

Julia und Kim befinden sich gerade in Julias Sommerhaus auf Tärnö, als auf der nahen Insel der Helanders das Attentat verübt wird. Die beiden eilen per Boot an den Tatort und werden schließlich in die Ermittlungen rund um die Suche nach den Tätern und den Hintergründen zu diesem kaltblütigen Anschlag hineingezogen.

Lindqvist hat mich mit seinem mitreißenden Erzählstil schnell in seinen Bann gezogen. Schon nach wenigen Seiten lief mein Kopfkino auf Hochtouren - den Leser erwartet hier ein vielschichtig angelegter Krimi. Kurze Kapitel, ständig wechselnde Perspektiven, internationale Schauplätze, globale Verwicklungen und dazu mehrere Rückblenden in Kims Vergangenheit sorgen für eine lebhafte und abwechslungsreiche Handlung.

In „Refugium“ befinden sich einige Parallelen zur Millennium-Reihe. Das kommt nicht von ungefähr, denn Lindqvist ist gefragt worden, ob er weitere Fortsetzungen der Reihe schreiben möchte, sein Entwurf wurde dann allerdings vom Lektorat abgelehnt. Damit die monatelange Recherche und Schreibarbeit nicht vergeblich war, hat Lindqvist sein Manuskript umgeschrieben und als Auftaktband einer eigenen Reihe veröffentlich. Die Idee, seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen während des Werdegangs des Romans auch seine Protagonistin Julia Malmros durchmachen zu lassen, habe ich als sehr gelungen empfunden.

„Refugium“ hat mir sehr gut gefallen - ein Thriller, der mit einem abwechslungsreichen Geschehen punkten kann und mir ein paar spannende Lesestunden beschert hat.

Bewertung vom 11.06.2023
Und morgen ein neuer Tag
Alexander, Claire

Und morgen ein neuer Tag


ausgezeichnet

Glasgow, 14. November 2018. Für die meisten Menschen ein ganz normaler Tag, für die fast 40-jährige Meredith Maggs der 1214. Tag, den sie in selbstgewählter Isolation verbringt. Die freiberufliche Texterin ist nicht in der Lage, ihre Wohnung zu verlassen, sie bekommt außerhalb ihrer eigenen vier Wände Angstzustände und Panikattacken. Meredith hat ihren Alltag entsprechend angepasst. Sie arbeitet von zuhause aus, kommuniziert via Internet mit ihrer Therapeutin Diane, chattet mit Bekannten aus einer Selbsthilfegruppe und nimmt Lieferdienste in Anspruch. Ab und an bekommt sie Besuch von ihrer Freundin Sadie und deren Kindern. Meredith scheint sich in ihrem abgeschotteten Universum wohlzufühlen, dennoch ist ihr klar, dass sie ein alles andere als normales Leben führt. An Tag 1215 steht Tom McDermott vom Verein „Helfende Hände“ vor ihrer Tür. Er möchte sie dabei unterstützen, ihre Angst vor der Außenwelt zu überwinden, doch Meredith reagiert trotzig. Erst nach und nach erkennt sie, dass sie in ihrer kleinen Welt doch nicht so glücklich ist, wie sie gedacht hat…

Claire Alexander lässt Meredith ihre Geschichte selbst erzählen. Man bekommt dadurch einen guten Einblick in ihren Alltag und erlebt alles, was sie bewegt, antreibt und ausbremst intensiv mit. Während die laufende Handlung kaum ausgeprägte Höhen und Tiefen hat - was ich als sehr ansprechend empfunden habe, weil man sich so voll und ganz auf Merediths Gedanken und Gefühle konzentrieren kann - sind es die eingeflochtenen Rückblenden in Merediths Kindheit, Jugend und auch nähere Vergangenheit, in denen sich schreckliche Abgründe auftun. Schnell ist klar, dass sie ein Trauma mit sich herumschleppt, welches sie nicht zu verarbeiten in der Lage ist. Hinzu kommt eine überaus lieblose Mutter, die ganz besonders Meredith aber auch ihre Schwester Fiona über viele Jahre hinweg mit emotionalen Grausamkeiten überschüttet hat.

Besonders gut gefallen hat mir, wie feinfühlig die Autorin die aktuelle Situation ihrer Protagonistin schildert. Die sichere Welt, die Meredith sich selbst geschaffen hat und in der sie sich geborgen und glücklich fühlt. Ihre zahlreichen Versuche, den verlorenen Lebensraum außerhalb ihrer Wohnung zurückzuerobern. Die Rückschläge, weil sie trotz aller Anstrengung lange Zeit nicht in der Lage ist, auch nur einen Fuß vor die Haustür zu setzen.

Claire Alexander jongliert mit sehr gewichtigen Themen. Es geht um psychische und körperliche Gewalt, um tief verwurzelte Traumata, Angststörungen und Depressionen. Keine leichte Kost. Aber die Autorin zeigt auch auf, was echte Freundschaft bewirken kann. Dass es immer einen Funken Hoffnung gibt und sich auch die dunkelsten Ecken wieder mit Licht füllen lassen.

Bewertung vom 14.05.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


ausgezeichnet

Sadie Green und Sam Masur lernen sich als Elfjährige im Spielzimmer eines Krankenhauses kennen und sind sofort auf einer Wellenlänge - sie teilen die Begeisterung für Videospiele und zocken unzählige Stunden Super Mario Bros. Eine Freundschaft entsteht, die allerdings abrupt endet, als Sam erfährt, dass Sadie sich die gemeinsamen Stunden als gemeinnützige Arbeit für ihre Bat Mizwa gutschreiben lässt. Auch wenn sie sich nie gänzlich aus den Augen verlieren, dauert es ungefähr zehn Jahre, bis sie sich am Harvard Square in Cambridge (Massachusetts) zufällig begegnen - Sadie studiert am MIT, Sam an der Harvard University - und ihre Freundschaft wieder aufleben lassen. Sie beschließen, gemeinsam mit Sams Mitbewohner Marx eigene Computerspiele zu entwickeln und landen gleich mit ihrem ersten Versuch einen Volltreffer…

In ihrem Roman „Morgen, morgen und wieder morgen“ nimmt Gabrielle Zevin den Leser mit auf eine spannende Zeitreise, die in den 1980er Jahren beginnt und mehrere Jahrzehnte umspannt. Die Autorin schildert den Lebensweg ihrer Protagonisten dabei nicht chronologisch, sondern hüpft munter zwischen den Zeiten und Perspektiven hin und her, so dass man nach und nach immer mehr Hintergründe erfährt und neue Seiten der Akteure entdeckt. Dieser stetige, gut durchdachte Wechsel zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat mir besonders gut gefallen, weil die Handlung dadurch durchweg lebhaft und interessant bleibt.

Als Fundament für ihren Roman hat Gabrielle Zevin die Welt der Computerspiele gewählt, doch man muss kein Kenner der Szene sein, um dieses Buch in vollen Zügen genießen zu können, denn die Geschichte von Sadie und Sam ist viel mehr als ein Blick in die Gaming-Branche - hier geht es um das Wachsen und Werden zweier Menschen, um Freundschaft, Liebe und Rivalität, um Erfolg, Konflikte und Scheitern, um Umwege, Verlust und Neubeginn. Sam zeichnet gerne Labyrinthe und sagt im Verlauf der Handlung einmal, dass ein Labyrinth ein Videospiel in seiner reinsten Form sei. Genauso habe ich diesen Roman empfunden - als Labyrinth. Sadies und Sams Leben gleicht einem Irrgarten aus verschlungenen Wegen mit Abzweigungen, Kreuzungen, Gabelungen, Hindernissen, Sackgassen und Schleifen. Ein Wirrwarr, in dem man sich verlaufen kann, manchmal wieder am Anfang steht, aber irgendwann dann doch ans Ziel kommt.

Obwohl ich nicht in der Gaming-Welt zu Hause bin, war ich schnell mittendrin im Geschehen und konnte den Abläufen trotz der Komplexität der Geschichte problemlos folgen. Gabrielle Zevin hat das Leben und Wirken von Sadie und Sam eng mit der Realität verwoben, viele gesellschaftlich relevante Themen bereichern die Handlung und zwingen die Akteure, immer wieder neue Herausforderungen zu meistern. Es gibt schöne Zeiten, amüsante Momente, spannende Wendungen, tragische Augenblicke und dramatische Passagen, die alle sehr mitreißend geschildert werden. Besonders greifbar ist dabei immer wieder die große Leidenschaft der Akteure für Spiele und Spieleentwicklung.

„Morgen, morgen und wieder morgen“ hat mir sehr gut gefallen - ein unterhaltsam erzählter Roman, der mir ein paar kurzweilige Lesestunden beschert hat.

Bewertung vom 16.04.2023
Zornige Flut / Liv Lammers Bd.7
Weiß, Sabine

Zornige Flut / Liv Lammers Bd.7


ausgezeichnet

Sabine Weiß beginnt den siebten Band ihrer Sylt-Krimi-Reihe mit einem mitreißenden Prolog: Liv Lammers und ihre Tochter Sanna entgehen nur ganz knapp einer Katastrophe - Flammen wüten mitten in der Nacht im Erdgeschoss ihres Flensburger Kapitänshauses. Eindeutig Brandstiftung. Es soll nicht der einzige Anschlag auf das Leben der sympathischen Kommissarin bleiben…

Liv hat nur wenig Zeit, den Schrecken zu verarbeiten. Ein neuer Fall auf Sylt verlangt ihre ganze Aufmerksamkeit - ein Kollege aus der Kriminaltechnik hat während seines Kuraufenthalts in einer Fastenklinik einen menschlichen Schädel entdeckt. Hinweise auf Gewalteinwirkung lassen keinen Zweifel daran, dass der unbekannte Tote einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Da aber der Täter jegliches Gewebe sowie alle Zähne entfernt hat, kann der Schädel zunächst keinem aktuellen Vermisstenfall zugeordnet werden. Dann erfahren die Ermittler, dass eine prominente Sylter Galeristin seit einem halben Jahr wie vom Erdboden verschluckt ist…

„Zornige Flut“ hat mich schon nach wenigen Seiten fest im Griff gehabt. Sowohl die Ermittlungsarbeit in dem undurchsichtigen Mordfall wie auch die aufreibenden privaten Angelegenheiten der Ermittler und ganz besonders Livs lebensbedrohliche Situation werden spannend geschildert, so dass man durchweg mit den Akteuren mitfiebern und bis zum Schluss prima über Motive, Hintergründe und die Identität der Täter miträtseln und mitgrübeln kann.

Besonders gut gefällt mir an dieser Krimireihe, dass jede Figur einen ganz eigenen Charakter und eine individuelle Geschichte hat. Das „Stammpersonal“ macht seit dem ersten Band eine stetige Entwicklung durch, die ich als authentisch und nachvollziehbar empfinde. Es macht Spaß, die Wege der einzelnen Akteure zu verfolgen und ihr lebhaftes und abwechslungsreiches Zusammenspiel zu beobachten.

Neben interessanten Themen wie die forensische Gesichtsweichteilrekonstruktion oder die Herstellung von Waffen mittels 3D-Drucker sind auch die Beschreibungen der Handlungsorte auf Sylt und in Flensburg in diesem Band wieder äußerst gut gelungen - die technischen Erläuterungen sind leicht verständlich und die einzelnen Schauplätze kann man sich alle prima vorstellen.

„Zornige Flut“ hat mir sehr gut gefallen - ein kurzweiliger Krimi, der mich mit spannenden Ermittlungen und einer gut durchdachten Handlung bis zur letzten Seite gefesselt hat.

Bewertung vom 10.04.2023
Melody
Suter, Martin

Melody


ausgezeichnet

Der 30-jährige Tom Elmer hat einen Doppelabschluss in Jura und ist nach dem Tod seines Vaters gezwungen, sich mangels erhofftem Erbe einen Job zu suchen. Wochenlang vergeblich. Dann stößt er auf eine altmodische Chiffre-Anzeige in der Zeitung, bewirbt sich eher halbherzig und bekommt wider Erwarten eine Zusage. Tom soll den Nachlass des 84-jährigen superreichen und sterbenskranken Alt-Nationalrats Dr. Peter Stotz ordnen und dabei bitteschön das ein oder andere, das am Image des alten Herrn kratzen könnte, verschwinden lassen. Da die Bezahlung neben Kost und Logis äußerst großzügig ist, tritt Tom die Stelle an und beginnt sich durch unzählige Kartons und Ordner voller Dokumente, Fotos und Handschriften zu wühlen.

Auffällig in der Villa am Zürichberg: überall Bücher, viele Stickereien an den Wänden und immer wieder das Porträt einer jungen Frau. Eine Erklärung lässt nicht lange auf sich warten: bei der jungen Frau handelt es sich um Melody, einst die Verlobte des ehemaligen Nationalrats. Sie verschwand vor über vierzig Jahren spurlos. Bei täglichen Gesprächen vor dem Kamin erzählt Stotz ausgiebig von Melody - wie er die aus Marokko stammende Buchhändlerin damals kennengelernt hat, von der geplanten Hochzeit, ihrem plötzlichen Verschwinden und ganz besonders von der intensiven Suche nach ihr, die jedoch bis heute erfolglos blieb.

Je mehr Tom über die Vergangenheit seines Arbeitgebers erfährt, desto neugieriger macht ihn die Geschichte - besonders der Verbleib von Melody interessiert ihn. Er beschließt, mehr über die geheimnisvolle Frau herauszufinden und fragt sich schon bald, wie viel Wahrheit eigentlich in dem steckt, was Stotz ihm nach und nach über die Liebe seines Lebens erzählt.

Martin Suter hat einen wunderbaren Schreibstil. Ich war schon nach wenigen Seiten von der Handlung gefesselt. Die feine Charakterisierung der Figuren, die bildhaften Beschreibungen der Handlungsorte, die stimmige Atmosphäre in der herrschaftlichen Villa und die Schilderungen des abwechslungsreichen Geschehens auf beiden Zeitebenen haben mich durchweg bestens unterhalten.

Was für Tom und auch für mich als Leserin zunächst wenig spektakulär beginnt, wandelt sich dank Suters geschickter Erzählweise schnell zu einer raffiniert gestrickten Geschichte. Obwohl alles, was der Alt-Nationalrat über Melody und ihr Verschwinden erzählt, Hand und Fuß zu haben scheint, schleichen sich langsam Zweifel ein. Suter streut hier und dort eine Ungereimtheit oder einen kleinen Widerspruch in die Handlung ein und lässt die Spannung so Seite um Seite langsam ansteigen. Das Geschehen wird wendungsreich, gleicht mehr und mehr einem Krimi und entwickelt dabei einen Sog, dem man sich als Leser nicht entziehen kann.

„Melody“ hat mir sehr gut gefallen - ein anschaulich und lebendig erzählter Roman, der mir ein paar kurzweilige Lesestunden beschert hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.04.2023
Die Radfahrerin
Leonard, Susanna

Die Radfahrerin


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Die Radfahrerin“ erzählt Susanna Leonard aus dem Leben der Anzeigenverkäuferin Anna Cohen Kopchovsky, die Mitte der 1890er Jahre als Annie Londonderry zu Ruhm gekommen ist, weil sie als erste Frau die Welt mit dem Fahrrad umrundet hat. Trotz dieser erstaunlichen Leistung ist Annie heute fast in Vergessenheit geraten.

Die 23-jährige Anna lebt mit ihrem Mann Max und ihren drei kleinen Kindern im jüdischen Ghetto von Boston. Da Max mehr Zeit in der Synagoge verbringt, als für den Familienunterhalt zu sorgen, muss Anna neben ihren Aufgaben als Hausfrau und Mutter auch die karge Haushaltskasse auffüllen. Jeden Abend klappert sie die Läden in Bostons Straßen ab und versucht Ladenbesitzer davon zu überzeugen, Werbeanzeigen in den Tageszeitungen zu schalten. Eines Tages bittet ein Fahrradhändler darum, neben der üblichen Werbung noch eine Suchanzeige in den Zeitungen zu platzieren - gesucht wird eine junge Frau, die für ein Preisgeld von 10.000 Dollar bereit ist, mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Anna sieht die Chance für sich und ihre Familie, dem tristen Leben und der Armut zu entkommen und bewirbt sich. Was Anna erst jetzt erfährt: das Ganze basiert auf einer Wette zwischen zwei reichen Bostoner Geschäftsmänner, von denen einer behauptet, dass eine Frau niemals zu den gleichen Leistungen fähig ist, wie ein Mann. Eine Aussage, die Anna erst recht anspornt - sie hat nicht mehr nur ihr eigenes Wohlergehen im Blick, sie sieht sich auch als Botschafterin für die Stärkung der Frauenrechte und für mehr Gleichberechtigung und will beweisen, dass auch Frauen derart kräftezehrende Herausforderungen meistern können. Trotz irrwitziger Wettbedingungen und entgegen dem Willen ihres persönlichen Umfeldes schwingt Anna sich Ende Juni 1894 als Annie Londonderry auf ihr Fahrrad…

Susanna Leonard hat mich in dieser Romanbiografie mit einer faszinierenden Persönlichkeit bekannt gemacht - Anna Kopchovsky, eine temperamentvolle, willensstarke Frau, die sich nicht mit dem zufrieden gegeben wollte, was das Schicksal für sie bereitgestellt hatte. Sie wollte mehr vom Leben und hat zugegriffen, als sich die Gelegenheit dafür bot.

Da es kaum historische Belege über diese Weltumrundung gibt, bestand für Susanna Leonard die Aufgabe darin, die riesigen Lücken mit stimmiger Fiktion zu füllen - und das ist der Autorin ausgesprochen gut gelungen. Annies Reise ist von vielen Höhen und Tiefen geprägt. Anfangs macht ihr ihre Ausstattung Probleme, später sind es neben Wetter, Hunger und Schmerzen auch Banditen, sture Zollbeamte und sogar menschenfressende Raubkatzen, die sie fast verzweifeln und manchmal auch an Aufgabe denken lassen. Doch sie schiebt beharrlich alle Steine, die ihr in den Weg rollen, beiseite und genießt die zahlreichen aufmunternden Begegnungen mit anderen Fahrradbegeisterten.

Annie Londonderry wird nachgesagt, dass sie es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau genommen hat. Da sie aber Geld für ihre Reisekasse brauchte und auch die Wettbedingung, am Ende der Reise 5000 Dollar verdient zu haben, erfüllen musste, kann ich es ihr nicht krummnehmen, dass sie ihre Erlebnisse werbewirksam aufgerüscht hat, um ihre vielen Vorträge und Interviews interessanter zu gestalten und so neue Werbeverträge - ihre einzige Einnahmequelle - an Land zu ziehen. Auch, dass sie einen Großteil ihrer Tour mit Schiff und Zug zurückgelegt hat und bei einigen Erlebnissen wohl viel Fantasie im Spiel war, kann ich ihr verzeihen, da sie die Menschen rund um den Globus mit ihren lebhaften Reiseberichten damals prima unterhalten hat und dank dieses kurzweiligen Romans auch mich über hundert Jahre nach ihrer Weltumrundung mit ihren Geschichten begeistern konnte.

Bewertung vom 21.03.2023
Inspiration Federer
Graf, Simon;Cambers, Simon

Inspiration Federer


ausgezeichnet

Roger Federer hat mich viele Jahre mit seinem Tennis begeistert. Wann immer es mir möglich war, habe ich seine Spiele im TV verfolgt. Auch ohne Roger Federer je persönlich begegnet zu sein, habe ich den Eindruck gewonnen, dass er ein lockerer Typ ist. Bodenständig und nahbar. Respektvoll und wertschätzend. Seine Persönlichkeit, seine Präsenz auf und neben dem Tennisplatz und die fesselnde Aura, die ihn umgibt, haben mich immer fasziniert.

In ihrem gemeinsamen Buch „Inspiration Federer: Vorbild, Rivale, Freund, Gamechanger“ versuchen die Sportjournalisten Simon Graf und Simon Cambers dem Grund für diese besondere Wirkung, die Roger Federer auf seine Mitmenschen hat, auf die Spur zu kommen. Dafür haben die beiden Journalisten über vierzig Menschen interviewt, die alle auf die eine oder andere Weise eine Verbindung zu Federer haben bzw. hatten. Neben Wegbereitern, Weggefährten und Freunden kommen auch Fans und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur zu Wort - sowohl die abwechslungsreiche Auswahl der Teilnehmer wie auch die Zusammenstellung der einzelnen Artikel in unterschiedliche Rubriken habe ich als sehr gelungen empfunden. Es ist eine unterhaltsame Lektüre entstanden, die nicht nur den sportlichen Werdegang des Ausnahmeathleten beleuchtet, sondern vor allen Dingen tiefe Einblicke in seinen Charakter ermöglicht.

Den Leser erwarten in diesem Buch interessante, amüsante und auch bewegende Anekdoten. Jeder einzelne der Interviewpartner erzählt von seinen besonderen Momenten mit Roger Federer. Von vielen guten Dingen, fröhlichen Zeiten und spannenden Erlebnissen, aber auch von emotionalen Krisen, die es zu überstehen galt. So unterschiedlich diese einzelnen Geschichten auch sind, in einem Punkt ähneln sich alle - sie heben Federers aufgeschlossene, sympathische Art, seine inspirierende Kraft und seinen großartigen Sinn für Humor hervor und bestätigen damit das Bild, dass ich mir über die Jahre hinweg von ihm gemacht habe.

Neben den facettenreichen Texten enthält das Buch auch einen mehrseitigen Bildteil - Fotos, die die Geschichten ganz hervorragend abrunden.

Es hat mir großen Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Die vielfältigen Einblicke in Roger Federers Leben und Charakter lassen „Inspiration Federer“ sowohl für Tennisfans wie auch für Nicht-Tennisfans zu einem kurzweiligen Lesevergnügen werden.