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Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 257 Bewertungen
Bewertung vom 17.03.2023
Liebewesen
Schmitt, Caroline

Liebewesen


gut

Schwierig, regt aber zum Nachdenken an
Eine intensive Warnung vorab: „Liebewesen" ist kein Wohlfühlbuch!
Hier erwartet den Leser/ die Leserin keine Liebesgeschichte mit Happy End. An vielen Stellen der Story von Max und Lio wurde es für mich sehr unbehaglich. Ich bin einiges gewohnt, da ich am liebsten Thriller und Krimis lese, die mich allerdings äußerst selten mit ihrer Thematik bis in den Schlaf verfolgen. Doch diese Geschichte wirkt immer noch in mir nach. Der Schreibstil von Caroline Schmitt ist krass anders als ich es gewohnt bin. Sie erzählt frei von der Leber weg, schnörkellos, geradlinig, teils sarkastisch, teils zynisch, humorvoll bis salopp.

Lio, eine junge Biologin, ist eine ambivalente Persönlichkeit, die ihre traumatischen Erlebnisse der Kindheit und frühen Jugend in die Liebesbeziehung mit Max einbringt. Doch auch der junge Mann hat eine anscheinend schwierige Vergangenheit. Zumindest litt er unter der Abwesenheit eines Vaters und hat des Öfteren depressive Phasen.
Die gesamte Geschichte ist aus der Sicht Lios geschrieben, so dass man lediglich ihre Auffassungen, Ansichten und Auslegungen erfährt. Erschreckend zu lesen, wie Lio sich selbst, ihren Körper empfindet und wahrnimmt. Sie liebt sich selbst nicht. Ekelt sie sich sogar vor sich selbst? Ihre Emotionslosigkeit ist einfach nur schlimm.
Hier ein Beispiel:
S. 124 „Außerdem musste die Natur doch ein Interesse daran haben, dass so jemand wie ich sich nicht fortpflanzte.“

Ihre Handlungen sind für mich oft überhaupt nicht zu verstehen. Sie sind schlichtweg übertrieben. An schweren Thematiken wird einiges in dem nur 224 Seiten umfassenden Buch eingebracht. Wer über Kindesmisshandlung, Alkoholsucht, Depression, unlustigen Sex, ungewollte Schwangerschaft und deren Abbruch lesen möchte, wäre hier richtig. Für mich war dieses Buch keine angenehme Unterhaltung, zumal der Ausgang der Story nichts Optimistisches in der Zukunft für die Protagonistin vermuten lässt. Den vielen überaus positiven Rezensionen kann ich leider nicht zustimmen.

Meine Interpretation der Geschichte verhält sich konträr zum Klappentext. Ich bin nicht der Meinung, dass wir hier die Geschichte einer großen Befreiung lesen. Was soll damit gemeint sein? So wie ich das verstanden habe, wird die Protagonistin ihre seelischen Verwundungen weiter in sich tragen. Daraus werden in ihrer Zukunft weitere entstehen, wenn sie sich keiner professionellen Hilfe unterzieht.
Die Bewerbung des Buches mit der Textauswahl auf dem Buchumschlag finde ich unglücklich ausgesucht. Problematisch auch die Aussage: Sie sind wie wir. Also ich bin und war nicht so (bin aber auch schon alt!). Vielleicht habe ich die Geschichte hinsichtlich der genannten Themen und über Partnerschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl und gegenseitiges Verständnis auch nicht begriffen.

Das Cover mit dem Bild des Künstlers Mark Tennant und den Titel finde ich auch nicht so übermäßig gelungen.

Ich bewerte das Debüt von Caroline Schmitt mit drei von fünf Sternen.

Bewertung vom 07.03.2023
Das Geheimnis der Schokomagie / Schokomagie Bd.1
Allnoch, Mareike

Das Geheimnis der Schokomagie / Schokomagie Bd.1


sehr gut

Magische Kakaoerlebnisse
Das Buch aus dem arsEdition-Verlag punktete bei mir schon mal durch sein schön gestaltetes Cover und auch das Innenleben wurde grafisch ansprechend ausgeschmückt.

Die Story beginnt mit dem Prolog im Stile eines Märchens (Es war einmal...), in dem die Großmutter der Hauptfigur Mila Kornblum eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Erst viel später erkennt das Mädchen, dass die Oma von sich selbst berichtete. Mila inzwischen 14 Jahre alt, erbte von ihr die Gabe des Duftsehens und kann beim Geruch von Schokolade in die Zukunft sehen. Die Visionen bereiten ihr Unbehagen und es ist gut, dass sie eine wirklich tolle Freundin mit Liz zur Seite hat. Sie beide fahren zum Schüleraustausch nach Paris. Ausgerechnet in eine Stadt, an der es an jeder Ecke nach irgendwelchen Dingen aus Kakaoprodukten riecht. Dazu stellt sich die Gastschwester Lou als Louis heraus, ist der Sohn des Präsidenten und sieht umwerfend aus. Da ist Chaos vorprogrammiert!

Über 256 Seiten und 30 Kapitel ist der junge Leser/Leserin nah am Geschehen und wird altersgemäß (Lesealter ab 10 Jahre) durch die teilweise aktionsreiche Handlung geführt. Mila erzählt aus der Ich-Perspektive. Das sind ihre Erlebnisse mit der wunderlichen Gabe, die sie in einem Duftdiarium (Tagebuch) festhält. Langsam, so peu à peu lösen sich die Geheimnisse um die Schokomagie und wie nebenbei wird ein Stückchen Paris vorgestellt.
Mila macht ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe. Das Buch liest sich gut. Für mich als Erwachsene war aber vieles vorhersehbar und klischeebehaftet. Doch für ein Kinderbuch ist das okay.
Besonders schön finde ich die magischen Rezepte mit Schokolade am Ende des Buches. Die Titel der Rezepte sind kreativ ausgedacht. Toll!

Ich vergebe vier von fünf Sternen.

Bewertung vom 06.03.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


ausgezeichnet

Das Leben ist kein Spiel
Gabrielle Levin versteht es in ihrem Roman ausgezeichnet die virtuelle Spielewelt mit dem tatsächlichen Leben in Einklang zu bringen. Das Buch ist vielschichtig und ziemlich komplex strukturiert, aber das Wichtigste ist die Entwicklung der Charaktere, denen man durch die kreative Schreibweise ganz dicht auf die Pelle rückt. Sie kamen mir mitunter sehr nahe.
Sam und Sadie sind die Protagonisten, die neben Marx die Hauptrollen einnehmen. Wir lernen die sehr privaten Seiten der jungen Menschen kennen. Dabei fiel es mir oft nicht leicht Sam und Sadie zu verstehen. Um es vorsichtig auszudrücken, beide sind keine einfachen Charaktere.
Mit den Zeitsprüngen auch innerhalb der Kapitel hatte ich anfangs Probleme, was mitunter bei mir zu Irritationen führte (in welcher Zeit befinde ich mich gerade?). Von den handelnden Personen erfährt man so immer ein wenig mehr. Die Erzählstruktur ist detailliert, aber dadurch auch sehr aufschlussreich. Hier und da ist es auch schon recht intellektuell. Dazu zähle ich die Verweise auf den japanischen Künstler Katsushika Hokusai („Die große Welle vor Kanagawa“ bildet den Hintergrund fürs Cover), auf William Morris und sein berühmtes Textildesign „Strawberry Thief“ oder auf Shakespeares Macbeth und dessen Monolog „Morgen, morgen und wieder morgen“ (der Titel des Buches!).
Zevin benutzt viele Metaphern und überträgt damit die Handlung auf verschiedene Ebenen. Da ist der Leser/die Leserin gefordert.

Fazit:
Meine Erwartungen an den Roman wurden übertroffen. Die wichtigste Erkenntnis für mich war, dass das Thema Videospiele, die technischen Raffinessen dazu, für mich überhaupt keine Rolle spielten.
Ich habe eigentlich an der Geschichte nichts wesentliches auszusetzen. Allerdings hätte es vor allem im Mittelteil, etwas kürzer gefasst sein können. So kam es inhaltlich schon hier und da zu Wiederholungen ein und desselben Sachverhaltes. Anfang und Ende der Story sind ganz stark erzählt.

Insgesamt ist es eine wunderbare zeitgenössische Erzählung, beginnend in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bis fast in die Jetztzeit. Den durchweg positiven Stimmen vom Buchumschlag und Klappentext kann ich mich anschließen. Der geplanten Hollywoodverfilmung sehe ich mit Spannung entgegen. Das Buch umzusetzen wird eine große Herausforderung! Hoffentlich gelingt es.

Bewertung vom 01.03.2023
Die letzte Lügnerin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.3
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Die letzte Lügnerin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.3


ausgezeichnet

Fall Nr. 3
Es ist bereits der 3. Fall für Eberhardt und Jarmer. Wie die Zeit vergeht! Teil 1 der Justiz-Krimi-Reihe „Die siebte Zeugin" las ich vor zwei Jahren. Jedes Buch ist allerdings für sich lesbar. Es ist nicht zwingend notwendig, die vorherigen Bände zu kennen.

Dieses Mal ist es Rocco Eberhardts persönlichster Fall, denn es scheint so, als ob sein Vater mit der Angelegenheit zu tun hat. Auch aus diesem naheliegenden Grund übernimmt er die Verteidigung des Berliner Bausenators Dieter Möller. Zunächst handelt es sich um einen Politskandal als ein Video der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, in dem der Politiker schmutzige Immobiliendeals in Rotlichtatmosphäre tätigt. Doch nachdem der Tontechniker des Videos tot aufgefunden wird, kommt zur Korruption noch der Mordvorwurf. Der Rechtsanwalt ist in besonderem Masse gefordert.

Das Geschehen um den Bausenator gestaltet sich kompliziert. Alles weist eindeutig auf ihn als Täter hin. Ganz raffiniert wurde ihm eine Falle gestellt. Rechtsanwalt Eberhardt und sein guter Freund, der ehemalige Kriminalkommissar Tobias Baumann, recherchieren gründlich, um die Unschuld Möllers zu beweisen.
In 72 kurzen Kapiteln wechseln die Schauplätze. So wird die Spannung gehalten. Gut beraten ist, wer die Überschriften beachtet und mit in Betracht zieht. Verschiedene Nebenschauplätze und andere Personen vertieften bei mir das Interesse, wie alles miteinander in Verbindung stehen könnte. Die beiden Autoren harmonieren sehr gut miteinander. Der schnörkellose sachliche Schreibstil gefällt mir. Sie verstehen es die politischen bzw. gesellschaftlichen Hintergründe sinnstiftend mit in die Handlung einzuflechten. Das Immobilien-/Wohnungsbauthema spielt eine riesige Rolle in Berlin.
Allerdings empfand ich auch in diesem Krimi die Kontakte Roccos zu dem Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer sowie zu seinem Vater etwas spärlich. Doch immerhin ist sein bisher ziemlich distanziertes Verhältnis zu Eberhardt senior inzwischen aufgetaut. Das trübt aber meinen positiven Gesamteindruck nicht. Ich fand die gesamte Handlung in sich stimmig und nachvollziehbar.

Das Cover passt in seiner Gestaltung sehr gut in die Reihe. Es hat Wiedererkennungswert. Auch der Titel ergibt Sinn.

Fazit:
Authentisch und gut erzählter Krimi! Lesenswert! Ich spürte die Fachkenntnis der beiden Autoren und freue mich auf weitere Folgen.

Von mir gibt es die Höchstbewertung und eine unbedingte Lese- und Kaufempfehlung für alle Freunde des guten Kriminalromans.

Bewertung vom 23.02.2023
Jetzt ist Sense
Rath, Hans

Jetzt ist Sense


ausgezeichnet

Der Tod in Therapie
Aufmerksam wurde ich auf das Buch sowohl durch den sprichwörtlichen Titel als auch durch das ausdrucksstarke Cover, welches die anziehende Ausstrahlung einer Leuchtreklame auf mich hat.

Hans Rath lässt in der Story den allseits gefürchteten Tod als äußerst attraktiven und jungen Griechen auftreten. Mir gefiel die leichte, lockere, humorvolle Art seines Schreibstiles sehr. Allerdings darf man nicht jedes Wort, jede Situation auf die Goldwaage legen. Manches war schon ziemlich absurd.

Die Hauptfigur Dr. Olivia Bentele trifft ausgerechnet an ihrem 50. Geburtstag auf den schönen Gott des sanften Todes. Er wird in der griechischen Mythologie Thanatos genannt. Liv stellt er sich als Zino Angelopoulos vor und sucht angeblich therapeutische Hilfe für einen Freund. In Folge nehmen bei der Psychologin und ihrer Freundin Conny merkwürdige Begebenheiten ihren Lauf. Leben und Sterben sind stets nah beieinander. Natürlich ist Zino immer in Reichweite, wenn jemand zu Tode kommt.
Der Autor beschreibt das ernste Thema so beschwingt, so launig, dass ich des öfteren schmunzeln musste. Sehr kurzweilig erzählt er absurde, skurrile Episoden aus dem Leben, die mich zum Nachdenken, aber auch zum philosophieren brachten. Schließlich bin ich nicht mehr jung.

Ich habe die unterhaltsame und lustige Geschichte gern gelesen. Nur war sie leider so schnell zu Ende.

Von mir gibt es die Höchstbewertung und die uneingeschränkte Lese- und Kaufempfehlung für alle, die gerne etwas Amüsantes aus Absurdistan lesen wollen.

Bewertung vom 17.02.2023
Overkill
Korten, Astrid

Overkill


ausgezeichnet

Psychothriller vom Feinsten
Der essentielle Handlungsort ist das Mehrfamilienhaus in der Johannisgasse 17 in der Kleinstadt Berg am Starnberger See. Es geht scheinbar friedlich und gesittet zu, vermeintlich ist alles soweit in Ordnung. Doch die hauchdünnen Wände des Hauses haben sprichwörtlich Ohren. Sie verbergen kaum eines der Geheimnisse seiner Bewohner. Und da gibt es einige! Mannomann! Da möchte ich wahrlich nicht zu Hause sein.

Der kursiv geschriebene Text dient als Stilmittel wie oft in Astrid Kortens Werken. Hier wird er dazu benutzt uns die Gedanken des vermutlichen Täters/der Täterin mitzuteilen. Der besondere Schreibstil schafft ständig neue Perspektiven, wechselt in kurzen Kapiteln, fordert einem beim Lesen.
Die anscheinende Idylle in den so friedlich wirkenden vier Wohnparteien wird jäh unterbrochen durch den brutalen Mord an Andreas Tauber. Und es muss jemand aus ihrer Mitte gewesen sein. Das elektronische Schließsystem mit Codierung und Aufzeichnung lässt keine andere Schlussfolgerung zu. Aus der einstmals friedlichen Stimmung im Haus wird Bedrohung.
Zusätzliche spannende und gruselige Momente liefern die an unterschiedlichen Orten aufgefundenen, toten, grässlich misshandelten Kaninchen. Wer steckt dahinter? Was hat es mit der abgeschlossenen Gefriertruhe im Keller auf sich? Es tauchten bei mir viele Fragen auf, auf die ich zunächst keine Antworten finden konnte.
Über Julia Hagen, Ehefrau von Theo und Geliebte von Andreas, erfährt der Leser/die Leserin so nach und nach am meisten. Sie ist die zentrale Figur, der Dreh- und Angelpunkt. Auch die Kommissare tragen häppchenweise zur Aufklärung bei, aber ihre Ermittlungsarbeit verläuft weitgehend unauffällig im Hintergrund...

Diese Story wurde wie immer äußerst gekonnt in Szene gesetzt, gut beobachtet und einleuchtend bis zum überraschenden, mich sehr erschütterndem Ende geführt. Was für eine Wendung! Damit hätte ich nicht gerechnet. Den Menschen wird tief in die Seele geschaut. Ihre Handlungen sind sehr komplex und kompliziert, miteinander detailreich verstrickt. Ursachen und Wirkungen weitreichend. Es war nur eine Frage der Zeit, dass es zum Äußersten kam.
Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung und möchte erneut dabei sein, wenn die Kommissarin Mo Celta und ihr Kollege Nico Braun intensiver in Erscheinung treten.

Fazit:
„Overkill – Der Sündenfall" ist ein intensiv erzählter Psychothriller, der erneut in menschliche Abgründe schauen lässt, wie bereits in vielen Geschichten der Autorin. Negative persönliche Entwicklungen spielen auf verschiedenen menschlichen Beziehungsebenen eine große Rolle gekoppelt bis hin zu toxischen Verhaltensweisen, die schließlich zum Exzess, zum Tod führen.
Von mir erhält der Thriller die Höchstbewertung und meine unbedingte Lese- sowie Kaufempfehlung!

Bewertung vom 08.02.2023
Der Ruf des Eisvogels
Prettin, Anne

Der Ruf des Eisvogels


ausgezeichnet

Olga Blume, eine großartige Frau
Mich bewegte die Geschichte von Olga Blume, weil diese so nah an den Menschen blieb mit all den vielen Facetten. Zunächst wächst sie in einer idyllischen Kleinstadt ohne Mutter in einer wohlhabenden Arztfamilie auf, vom Vater unbeachtet, desto mehr und inniger vom Großvater. Obwohl sie ein Mädchen ist, bezieht er sie in alles ein, was er von der Natur und der Medizin gelernt hat. Der warmherzige, liebevolle und fortschrittliche
Mann prägt sie und so will sie wie er den Arztberuf ergreifen. Dieses Ziel verliert sie nie aus den Augen, obwohl ihr vieles im Leben dazwischenkommt.

Olga wird am 1. April 1925 im Uckermärkischen geboren. Der Geburtstag, ein Schicksalstag für die Mutter und das Mädchen sowie deren Freundin, führt uns des Öfteren im Buch durch die Kapitel. Zeitsprünge bringen uns an verschiedene Orte, immer wieder zurück und dann nach vorn in die Gegenwart des Jahres 1991, in das Heimatdorf Ginsterburg. Olga zieht dort schließlich und ein wenig gegen ihren Willen, die Bilanz ihres bewegten Lebens. So erfährt man häppchenweise ihre Lebensgeschichte. Diese zeigt auf, mit welcher Willenskraft, mit welch energischem Durchsetzungsvermögen, teilweise aber auch Selbstverleugnung die junge Frau ihren Weg geht. Sie will Ärztin werden und dabei ihre Freiheit nicht verlieren! Was für ein harter Weg das ist und welche Entbehrungen sie dabei auf sich nimmt, wird eindrucksvoll beschrieben.
Am Beispiel Olgas schafft es Anne Prettin deutsche Geschichte lebendig zu machen. Die schreckliche Nazizeit mit den Vorboten des 2. Weltkrieges, die abrupte Beendigung der sorglosen Kinder- und Jugendzeit, die Mobilmachung, dann die schrecklichen Folgen des Krieges mit Vertreibung, Vergewaltigung, Krankheit, Geburt und Tod, das alles und viel mehr wird anschaulich dargestellt. Nach dem Krieg geht für Olga der Kampf weiter. Sie studiert trotz aller Widerstände Medizin und beweist sich im Studium gegenüber den Männern. Sie ist eine Frau und noch dazu Mutter! Gleichberechtigung ist noch ein Fremdwort. Für ihre Tochter gibt sie alles! Eine wunderbare und starke Frau. Immer wieder spielt der Eisvogel eine kurze, aber entscheidende Rolle. Er gibt ihr Mut und Kraft.
Das Ende des Buches hielt noch eine überraschende Wendung für mich parat. Diese Entwicklung hatte ich nicht vorausgesehen!
Die Autorin hat hier äußerst gefühlvoll in beeindruckender Weise ein Frauenschicksal beschrieben. Ich bewundere das sehr!

Fazit:
„Der Ruf des Eisvogels" ist die berührende Geschichte einer starken, kämpferischen, klugen Frau mit riesengroßem guten Herzen, ohne jemals ins Sentimentale, Rührselige abzugleiten.

Empfehlenswerter Roman, bewertet mit fünf von fünf Sternen.

Bewertung vom 20.01.2023
Die Wiege der Hoffnung
Haigh, Tara

Die Wiege der Hoffnung


ausgezeichnet

Die Geschichte einer anfangs 17jährigen
Romane, die die Zeit von 1935 bis kurz nach dem Krieg beinhalten, habe ich schon einige gelesen. Hier wird in anderer Weise über das Schicksal einer jüdischen Familie erzählt. Nicht die Deportation der Juden in ein Lager steht im Vordergrund. Die Handlung der Geschichte geht von der seit Generationen in jüdischer Hand befindlichen Berliner „Rosenbaum-Apotheke“ aus.
Tara Haigh widmete sich in der Hauptsache dem Werdegang der beiden Kinder der Familie Rosenbaum, Luise und Hannes. Sie zeigt auf, wie unterschiedlich Menschen die Gefährlichkeit des Naziregimes beurteilen. Während der Vater Rosenbaum sich darauf beruft, ein Deutscher jüdischen Glaubens zu sein, dem nichts passieren könne, arrangieren sich die jungen Erwachsenen mit den Nazis, allerdings auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Der Roman hat 21 Kapitel und ist in drei Teile unterteilt, die in den Überschriften den Inhalt anschaulich widerspiegeln - I Die Kunst der Anpassung; II Die Kunst des Überlebens; III Die Kunst des Hoffens.

Der Titel „Die Wiege der Hoffnung" wurde auch gut gewählt, war doch für viele Juden Apulien in Italien die Wiege der Hoffnung. Von dort aus hofften sie nach Palästina ausreisen zu können.
Eindrucks- und gefühlvoll vermag die Autorin die damalige Zeit zu schildern, u. a. die unheilbringende Entwicklung der Stimmung und der wachsenden Angst in der Bevölkerung, nachdem die Nazis immer mehr die Oberhand gewannen. Es ist nicht zu fassen, mit welchen haarsträubenden, hanebüchenen Mitteln die Juden diffamiert wurden, wie die infame Hetze funktionierte.
Die geschichtlichen Abläufe sind ja hinlänglich bekannt mit den schlimmen Auswüchsen gegen die jüdische Bevölkerung. Die Kristallnacht als Höhepunkt der Ausschreitungen findet hier ebenfalls Eingang. Leider zieht Rosenbaum Senior für sich die falschen Schlüsse. Sehr spannend erfolgt die Beschreibung der Ereignisse. Fast wie im Krimi erfolgen die Schilderungen, wie es bspw. mit den Liebenden Luise und Emilio und Luises Bruder Hannes weitergeht.

Ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen und vergebe die Höchstbewertung.

Bewertung vom 02.01.2023
Jemand
Haller, Elias

Jemand


ausgezeichnet

Für mich der perfekte Thriller!
Wie alles, was ich bis jetzt von Elias Haller schon kenne, ist auch diese neue Lektüre wieder von Beginn an spannend, richtiggehend fesselnd und vor allem aktionsreich.

Der Thriller besteht aus vier Teilen: Der Tod; Der Ruhm; Die Kunst; Die Liebe. Prolog und Epilog runden die Geschichte ab.

In 72 kurzen Kapiteln, die stets mit einem gewissen Spannungsbogen enden, erfährt der Leser von wechselnden Personen. Sie werden als der Jäger, der Fotograf, der Kurier, das Luder und der Bulle in den Überschriften benannt. Wie sie in Beziehung stehen, schildert Haller sehr packend. Die Charaktere bis in die Nebenfiguren sind durchgängig keine gewöhnlichen Typen. Sie haben alle irgendwie eine Macke, der eine mehr, der andere weniger. Auf alle Fälle tun sich unermessliche menschliche Abgründe auf. Im Klappentext ist davon die Rede, dass jemand die Hölle verdient. Doch nicht nur der Jemand verdient sie, sondern einige andere auch. Es wird nicht nur brutal gemordet, sondern es spielt auch Gewalt an Kindern und deren Missbrauch eine große Rolle.

Dass die aktiven Personen in mehr oder wenig engem Zusammenhang stehen müssen, verdichtet sich im Laufe der Handlung für mich immer mehr. Ich schlussfolgerte das auch daraus, weil der Schauplatz der verschiedenen Aktivitäten sich bald nur noch in einer Stadt befand. Das ist Chemnitz, eine Stadt, die ich mit ihren Straßen, Plätzen, Gebäuden, Örtlichkeiten sehr gut kenne. Alle Akteure sind megainteressante Charaktere bis in die Nebenrollen hinein (die Wahrsagerin, der Persönlichkeitstrainer, der Bruder vom „Luder" Josephine, Viktor, Katalena...). Es wird für mich immer interessanter, welche Rolle die Menschen im Einzelnen spielen und wie sie mit dem „Fotografen" in Verbindung stehen werden. Was hat der Fotograf, der im Internet als „Jemand" unterwegs ist, mit der kleinen Maria zu tun? Er ist ein Mörder, ein gefühlloser Killer, aber auch ein Familienvater. Warum bewegt ihn das Schicksal des Mädchens? Ich hatte unzählige Fragen. Und es gibt eine Menge Leute, die Probleme haben bzw. kriminell sind oder anderweitig nicht richtig ticken. Überraschende Wendungen gibt es zuhauf. Die Perspektiven wechseln. Die Handlungsorte auch und stets wird man mit Gewalt konfrontiert. Zart besaitet darf man nicht sein.

Das Ende des Thrillers (eigentlich nicht nur das Ende) ist ungewöhnlich.

„Jemand" ist ein außergewöhnlicher Thriller, der mich ausgezeichnet unterhalten hat und der die Höchstbewertung verdient hat.

Bewertung vom 20.12.2022
Vilma zählt die Liebe rückwärts
Skretting, Gudrun

Vilma zählt die Liebe rückwärts


sehr gut

Briefe aus dem Jenseits
Wie schon der Titel vermuten lässt, ist diese Geschichte etwas wunderlich. Zunächst stellte sich mir die Frage, warum Vilma die Liebe rückwärts zählt. Ich bekam es nicht heraus, aber die Aussage des Titels rechne ich zu den zahlreichen Skurrilitäten, die dieser Roman zu bieten hat. Die Protagonistin Vilma, 35 Jahre alt, lebt als Klavierlehrerin ganz allein in Oslo in einem großen Haus. Ihre sozialen Kontakte sind auf ein Minimum begrenzt. Eines Tages stehen zwei Männer, ein Pfarrer und ein Sektionsassistent, vor ihrer Tür und konfrontieren sie mit dem Tod des Vaters, von dessen Existenz sie bis dahin nichts wusste. Er hinterlässt ihr zahlreiche an sie gerichtete Briefe, die sie nach und nach öffnet wie bei einem Adventskalender die Türchen. Dabei erfährt Vilma die tragische Liebesgeschichte ihrer Eltern. Mehr und mehr kommt sie aus ihrem Kokon und beginnt sich u.a. ihre eigene Vergangenheit zu erschließen.

Mit dem Lesen kam ich schnell voran. Das Buch strotzt vor komischen, grotesken, befremdlichen Charakteren und Begebenheiten. Die Autorin verfügt über viel schwarzem Humor. Das vermutete ich eher in einem englischen Roman, aber das ist dann wohl norwegischer oder skandinavischer Witz. Jedoch manchmal war es mir dann doch zu viel der skurrilen Personen und grotesken Situationen! Der komischen Vilma werden noch einige Charaktere zur Seite gestellt, die ausgewachsene Macken haben.
Gut herausgearbeitet wurde, wie zaghafte Veränderungen bei der jungen Frau vor sich gehen. Ihre Einstellung zum Leben verändert sich. Erkenntnisse werden sichtbar. Großen Anteil daran hat Amdi, das kleine Musikgenie. Er mit seiner kindlichen Unbeschwertheit bringt ihr so nebenbei menschlichen Umgang nahe. Großartig! Und da ist dann noch der unter Tourette leidende Robert, der sich nicht von Vilma abweisen lässt.

Mein Fazit lautet, dass hier eine durchaus unterhaltsame Geschichte vorliegt mit lustigen und traurigen Sequenzen und einem versöhnlichen Schluss.

Lesenswert!

Ich bewerte mit vier von fünf Sternen!