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Leserin
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Deutschland

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Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 16.02.2009
Liebespaarungen
Shriver, Lionel

Liebespaarungen


gut

Die Kirschen in Nachbars Garten... oder die eigenen... oder alle?

In ihren ersten Roman seit „Wir müssen über Kevin reden“ wagt Lionel Shriver sich an ein ganz anderes Thema, ein Beziehungsdrama in zwei Spielarten.

„Was wäre gewesen wenn….. „

Das ist die Frage, die sich die Hauptfigur Irina im Laufe des Romans „Liebespaarungen“ immer wieder stellt. Was wäre passiert, wenn sie an dem einen Abend anders gehandelt hätte. Da es sich um einen Roman handelt, werden dem Leser beide Möglichkeiten geboten, in sich abwechselnden Kapiteln.

Irina lebt seit rund zehn Jahren mit Lawrence zusammen, einem Wirtschaftswissenschaftler. Beide sind Amerikaner, fühlen sich in London aber inzwischen heimisch. Einer ihrer besten Freunde ist Ramsey, ein professioneller Snooker-Spieler, der sich vor kurzem von seiner Frau Judy getrennt hat. Es hatte Tradition, dass alle vier sich an Ramseys Geburtstag treffen. Weil Lawrence geschäftlich unterwegs ist, trifft sich Irina widerwillig allein mit Ramsey. Überraschenderweise verläuft der Abend sehr angenehm und Irina fühlt sich zu Ramsey hingezogen. Als sich nach dem Essen noch zu Ramsey nach Hause fahren, kommt es dort zu einem Kuss. Dieser Kuss ist die Schlüsselszene.
In der einen Variante entscheidet sich Irina für Lawrence, ihren grundsoliden und etwas langweiligen Partner, obwohl sie unzufrieden ist, unter anderem weil Lawrence nicht heiraten will. In der anderen Variante fällt die Entscheidung zugunsten Ramseys aus.

Die eine Irina muss feststellen, dass die Kirschen in Nachbars Garten verlockend aussehen, anders aber nicht unbedingt besser schmecken. Ist es wichtiger, einen aufregenden Mann zu haben, der heiratswillig ist oder einen grundsoliden, der einen selbst als Person schätzt und unterstützt?

Die erste Hälfte las sich flüssig weg und die Fragestellung „Was wäre wenn…“ war psychologisch interessant umgesetzt. Später stellte ich mir leider immer wieder Frage, was wäre, wenn das Buch ca. 200 Seiten kürzer gewesen wäre und viele Nebensächlichkeiten nicht so detailliert geschildert worden wären. Wenn die Schwarz-Weiß-Zeichnung der beiden Varianten nicht so deutlich und durchschaubar gewesen wäre. Wenn mir einige Hauptfiguren in einer der beiden Varianten nicht zunehmend unsympathisch geworden wären.

Sprachlich ist der Roman flüssig zu lesen. Die sprachlichen Gegensätze zwischen Ramsey (Dialekt aus Südlondon) und Lawrence (akademisches Amerikanisch) gehen in der Übersetzung verständlicherweise verloren, geben der Originalfassung noch einen besonderen Flair.

Alles in allem eine reizvolle Idee, mit einer durchaus realistischen Ausgangssituation. Ein Roman, der sich für lange Winterabende eignet.

Bewertung vom 10.02.2009
Alle sieben Wellen, 4 Audio-CDs
Glattauer, Daniel

Alle sieben Wellen, 4 Audio-CDs


ausgezeichnet

Eine bewegte Nacht mit Emmi und Leo

Gestern abend fing ich an, „Alle sieben Wellen“ zu hören und habe es in einem Rutsch durchgehört. Jetzt schwebe ich nach einer weitgehend schlaflosen Nacht immer noch im siebten Himmel der Wortspielereien und der Geschichte um Emmi und Leo.

„Alle sieben Wellen“ ist ein Roman in modernisierter Briefform. Das gesamte Buch besteht ausschließlich aus Emails von Emmi und Leo. Ach nein, beinah hätte ich den Dritten im Bunde vergessen, den Systemmanager.

Die Handlung schließt direkt an das Ende von „Gut gegen Nordwind“ an. Emmi kommuniziert mit dem Systemmanager, bis Leo dann doch wieder auftaucht. In der längeren Schreibpause hat er in Boston Pamela kennengelernt, was Emmi nicht gut aufnimmt. Sie überredet Leo zu einem Treffen mit dem Argument „Denn das einzig vernünftige Ende einer innigen Nicht-Begegnung ist die Begegnung.“ Doch wird es zu diesem Treffen kommen? Das verrate ich hier nicht.

Auch „Alle sieben Wellen“ ist wieder ein Feuerwerk an Sprachwitz und –spielerei. Der Grundton ist nicht mehr ganz so leicht und locker wie beim Vorgänger. Verständlich, denn inzwischen leben beide in festen Partnerschaften und möchten die realen Partner nicht verletzen. Gleichzeitig können sie aber doch nicht voneinander lassen und schreiben sich viele skurrile, ernste, traurige, ironische, sarkastische, aufmunternde, verletzende, andeutungsvolle, provozierende, suggestive, melodramatische und vor allem liebevolle Emails. Ihre Fans durchleben mit ihnen einige Höhen und Tiefen.

Als Leserin, nein Zuhörerin, fällt es manchmal schwer, die Antwort des anderen abzuwarten. Durch die Briefform bekommt der Leser nicht direkt die Antwort auf Fragen von Emmi oder Leo, sondern muss bis zur nächsten Email des Gefragten warten. Oder auch mal etwas länger, denn es wären ja nicht Emmi und Leo, wenn sie sich alle Fragen direkt beantworten würden. Die beiden sind immer noch abwechselnd so herrlich konsequent inkonsequent und ihre Beziehung nimmt einige überraschende Wendungen.

An sich scheint es widersprüchlich, einen solchen Briefroman, der essentiell der Schriftform bedarf, als Hörbuch zu vertonen. Dank Andrea Sawatzki und Christian Berkel birgt die ungekürzte Hörversion noch mehr Vergnügen. So kann man zuhören, wie Emmi und Leo frotzeln, sich aufmuntern, genervt oder niedergeschlagen sind und kann das Knistern zwischen den beiden fast auch hören. Es ist unglaublich, wieviel Tiefe und Bedeutung die beiden Sprecher in die Worte „so so so“ geben können.

Wenn ich jetzt das gedruckte Buch durchblättere, höre ich die Stimmen von Andrea Sawatzki und Christian Berkel. Für mich sind sie Emmi und Leo.

Warnung: Suchtgefahr
Empfehlung: Viel Zeit zum Hören / Lesen nehmen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2009
Das Haus in den Wolken
Lennox, Judith

Das Haus in den Wolken


ausgezeichnet

Das Haus in den Wolken - eine anglo-irische Familiensaga

Die Leseprobe und auch die Kurzbeschreibung lesen sich fast wie eine triviale Liebesgeschichte. Armes Mädchen mit geheimnisvoller Vergangenheit trifft reichen Mann. Die beiden heiraten und bekommen Kinder.

Hinter dem mich wenig ansprechenden Cover und Titel verbirgt sich ein unerwartet spannendes und interessantes Buch. Die Autorin schafft es, mir eine Zeit näherzubringen, die mir bisher völlig fremd war. Die Familie Finborough vermittelt mir viel anschaulicher als der Geschichtsunterricht, wie stark sich innerhalb der beschriebenen gut 30 Jahre die Welt verändert hat.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhundert ist eine faszinierende Kulisse, vor der Judith Lennox auch ihr neustes Buch ansiedelt. Eine Zeit der Umbrüche, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich.
Die beiden Hauptfiguren, die anderen Familienmitglieder und ihre Freunde werden sehr plastisch beschrieben. Am Ende des Buches hatte ich fast das Gefühl, ich würde sie persönlich kennen.

Die Ereignisse der damaligen Zeit greifen tief in das Leben der Figuren ein. Der Leser erlebt mit, wie die Familie Finborough und ihre Freunde die Höhen und Tiefen durchleben. Als ich das Buch zuschlug, tauchte ich wie aus einer anderen Welt wieder in unsere heutige Zeit ein. Judith Lennox gelang es, mir das Gefühl zu geben, ich hätte diese Zeit selbst miterlebt.

Ein sehr beeindruckendes Buch, das ich ohne vorablesen.de sicherlich nicht in die Hand genommen hätte. Und mit Sicherheit nicht das letzte Buch, das ich von Judith Lennox gelesen habe.

(Zur Sprache kann ich nur wenig sagen, da ich die englische Fassung gelesen habe. Die Leseprobe gefiel mir aber sehr gut und die Übersetzung schien mir außergewöhnlich gut zu sein.)

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2009
Schrei nach Stille
Chaplet, Anne

Schrei nach Stille


sehr gut

Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich

Das dem Buch vorangestellte Zitat von Theodor Heuss passt ausgezeichnet zu Anne Chaplets neustem Buch „Schrei nach Stille“.

Sophie Winter ist eine ältere Schriftstellerin, die sich vom Geld ihres Buches „Summer of Love“ ein verlassenes Haus im nordhessischen Dorf Klein-Roda gekauft hat. Die Dorfbewohner begegnen ihr mit der gleichen misstrauischen Ablehnung, wie den Hippies, die einst 1968 in diesem Haus lebten. Es wird schnell klar, dass sie nicht zufällig in dieses Haus gezogen ist und ihr Roman keine erfundene Geschichte beschreibt.

In „Summer of Love“ beschreibt sie wie 1968 drei junge Hippies nach Klein-Roda zogen, welche Konflikte zwischen den Dorfbewohnern und den Hippies entstanden und legt nahe, dass eines der beiden Hippie-Mädchen von den Einwohnern in den Tod getrieben worden wäre. Die Dorfbewohner verbinden mit diesem Haus nicht nur wegen der Hippies unangenehme Erinnerungen und begegnen Zugezogenen ohnehin nicht gerade offen und herzlich. Davon kann auch ihr Nachbar Paul Bremer ein Lied singen, denn obwohl er schon lange in Klein-Roda wohnt, gehört er nicht richtig dazu. Erst durch das Buch erfährt er, was hier 1968 geschah und einiges andere mehr, das er vielleicht lieber nicht über liebgewonnene Nachbarn gewusst hätte.

Bei der Leseprobe war ich mir noch sicher, dass ich recht schnell den Überblick über die vielen eingeführten Personen und die unterschiedlichen Erzählperspektiven haben würde. Für mich wurde das Lesevergnügen leider dadurch getrübt, dass ich gelegentlich zurückblättern musste, um den Überblick zu behalten. Hätte ich die Lektüre nicht mehrmals für einige Tage unterbrechen müssen, wäre das sicher anders gewesen. Die oft fehlende Kennzeichnung von wörtlicher Rede und den SMS trug zur Verwirrung bei.

Für mich ist „Schrei nach Stille“ nicht wie auf dem Klappentext versprochen: „Ein eindringliches Porträt der Bundesrepublik in einer ihrer größten Umbruchsphasen (...)“, sondern ein sehr gelungenes Porträt des Lebens in einem Dorf vor vierzig Jahren und heute. Die Nebenhandlung nimmt soviel Raum ein, dass es sich meiner Ansicht nach nicht um einen Krimi handelt, sondern um einen (sehr lesenswerten) belletristischen Roman.

Ein sehr beeindruckendes Buch, das ich gerne gelesen habe und auch schon weiterempfohlen habe.

Bewertung vom 06.02.2009
Untot mit Biss
Chance, Karen

Untot mit Biss


schlecht

Eintopf statt Fünf-Gänge-Menü

Cassandra Palmer hat seit ihrer frühsten Kindheit Visionen. Nach dem Tod ihrer Eltern wuchs sie in der Obhut des Meistervampirs Antonio auf. So konnte er sich ihre hellseherische Gabe zu Nutze machen. Als Cassandra erfährt, dass Antonio für den Mord an ihren Eltern verantwortlich ist, ergreift sie die Flucht und lebt unerkannt unter "normalen" Menschen. Doch auch dort wird sie aufgespürt....
Cassie fühlt sich selbstbewußt und erfahren durch ihr ach so schweres Leben, ist gleichzeitig aber sehr naiv und leichtgläubig, mit einer unangenehmen Portion Verachtung für normale Menschen, die so überhaupt keine Ahnung von der übernatürlichen Welt haben.

Bei der Zubereitung ihres Erstlingswerkes scheint Karen Chance die Zutaten für mehrere Gerichte auf einmal verwendet zu haben. Eine jungfräuliche sterbliche Heldin mit übernatürlichen Fähigkeiten, Vampire, Hellseher, Geister als Grundzutaten. Dazu kommen Werwölfe, einen Werratten-Satyr, Dämonen, helle und dunkle Zauberer und einige andere Fabelwesen, bekannte Persönlichkeiten wie Rasputin und Raffael als Vampire und als besondere Würze Reisen durch Zeit und Raum. Als Sahnehäubchen dann noch Golems und Elfen.

Am Anfang der Lektüre hatte ich das Gefühl, ich wäre mitten in den Topf gefallen statt die Suppe langsam Löffel für Löffel genießen zu können. Leser von „Untot mit Biss“ werden mitten in die unübersichtliche Handlung geworfen, Erklärungen kommen ab und zu als Rückblick – oft in Verbindung mit weiteren mystischen Figuren, zusätzlichen Handlungssträngen und neuen übersinnlichen Fähigkeiten. Hätte Karen Chance die Zutaten auf mehrere Bände verteilt, den Inhalt nur ein wenig chronologischer geschildert und eine Liste ihrer Zutaten beigefügt, wäre ihr Buch deutlich besser verdaulich gewesen.

Doch so blieb ich am Ende mit dem Gefühl zurück, mir den Magen durch die Fülle der Zutaten verdorben zu haben und mir ist für längere Zeit der Appetit auf Vampirromane vergangen.

P.S. Vielleicht hätte ich mich auch wirklich besser durch den deutschen Titel „Untot mit Biss“ abschrecken lassen sollen und von diesem Werk besser die Finger gelassen. Der Originaltitel „Touch the Dark“ ist weitaus passender.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2009
Die Zwerge von Amboss
Plischke, Thomas

Die Zwerge von Amboss


sehr gut

Im Land der Zwerge

Als erstes fiel mir bei „Zwerge von Amboss“ das liebevoll gestaltete Cover auf, das es so wohltuend aus der Masse der düsteren Fantasybücher abhebt. Dann auf den ersten Seiten die schöne Karte der fiktiven Welt der „Zerrissenen Reiche“. Durch den fesselnden Einstieg hatte ich sehr hohe Erwartungen, denn die Szene mit dem ermordeten Zwerg und den Spannungen zwischen Zwergen und menschlichen Gastarbeitern gefiel mir gut.

Thomas Plischke und sein Team haben mich nicht enttäuscht. Die von ihnen erschaffene Welt der Zerrissenen Reiche ist sehr gut durchdacht und überzeugend umgesetzt. Die zwergischen Ermittler Garep und Bugeg stehen für zwei verschiedene Einstellungen unter den Bewohnern des Staates Amboss. Der etwas ältere Garep ist eher aufgeschlossen und gewissenhaft. Für seinen jüngeren Assistent Bugeg hingegen steht schnell fest, dass der Täter der menschliche Haushälter des ermordeten Zwergs gewesen sein muss und er lehnt weitere Ermittlungen ab. In Amboss werden die Folgen einer raschen Industrialisierung deutlich. Die Infrastruktur und der Lebensstandard wurden in den letzten Jahren deutlich verbessert, jetzt drohen Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit – und das in einem Wahljahr. Natürlich möchte der Oberste Vorarbeiter wiedergewählt werden. Eines der Wahlkampfthemen sind die menschlichen Gastarbeiter, die so naiv sind noch eine Religion zu haben und als rückständig und gefährlich gelten. Da kommt dieser vermeintliche menschliche Mörder fast wie gerufen…

Die Parallelen zu unserer Erde sind deutlich und oft so ironisch gestaltet, dass ich immer wieder beim Lesen schmunzeln musste. Auch die sehr liebevoll ausgearbeitete Sprache der Zwerge gefällt mir sehr gut. So werden z.B. kleine Zwerge „Kiesel“ genannt und auch die Sprichwörter und Schimpfworte sind optimal auf die Sprache eines Volkes abgestimmt, das jahrhundertelang umgeben von Gestein unter der Erde lebte. (Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.) Amboss und die Figuren werden so plastisch beschrieben, dass ich sie in ihrer jeweiligen Umgebung vor mir sehen konnte, ohne dass die Autoren sich in epischen Landschaftsbeschreibungen verloren.

Ein bemerkenswerter Erstling von einem Autorenteam, das offensichtlich viel Spaß bei der Arbeit hatte. Das sieht man auch an der Webseite, auf der noch viele Hintergrundinfos zu finden sind.

Ich freue mich schon auf den nächsten Band und wünsche mir viele Lesungen im nächsten Jahr, eine davon vielleicht in meiner Gegend oder auf der Buchmesse in Leipzig.

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2009
Obsession
Kanehara, Hitomi

Obsession


schlecht

Autofiktion? - hoffentlich nicht!

Rin und Shin sind auf dem Rückflug ins heimische Japan. Es ist die Rückreise von ihren Flitterwochen und schnell wird deutlich, dass Rin sowohl sehr verliebt als auch extrem eifersüchtig ist. "Dank" ihrer blühenden Fantasie ist sie fest überzeugt, dass eine Stewardess hinter ihrem Mann her ist und ihr Mann ihr fremdgeht.

Was anfangs noch einigermaßen amüsant-überspannt daherkommt, artet schnell zu kranken und vor allem nervigen Fantasien aus. Ziemlich am Anfang des Buches sagt Rin zu sich selbst: „Es musste etwas Originelleres her. Etwas Witziges, eine Geschichte mit Esprit.“ Genau das ist „Obsession“ leider nicht. Stattdessen erwartet den Leser eine Tour de Force kranker und abstruser Sexfantasien, sowie exzessiver Eifersucht.
Rins Stimmungsschwankungen lassen jeden pubertierenden Teenager ruhig und ausgeglichen erscheinen. Sie geht grundsätzlich davon aus, dass andere Menschen ihr Böses wollen. Von ihrem Mann erwartet sie, dass er jederzeit für sie da ist und klebt an ihm wie eine Klette.

Schon nach dem ersten Kapitel fragte ich mich, wie Shin das aushält. Wirklich überrascht war ich, dass er es mehrere Jahre erträgt – bis Rin plötzlich entdeckt, dass sie ihn nicht mehr liebt und die Scheidung einreicht. Shins Reaktion darauf ist nicht mehr Thema des Buchs, denn es folgt ein anderer Abschnitt in dem Rin noch einige Jahre jünger ist und auch schon große psychische Probleme hatte. Auch in den nächsten Abschnitten werden Episoden aus Rins Vergangenheit erzählt. So endet die lineare Handlung eigentlich damit, dass sie beschließt, sich von Shin scheiden zu lassen. Der Leser erfährt nicht, ob sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, oder weiterhin die Schuld bei anderen suchen wird. Sicherlich hatte ich auch Mitleid mit Rin, aber ihre Handlungen und Gedanken waren zu oft zu extrem und nicht nachvollziehbar.

Hätte ich das Buch nicht von Vorablesen geschenkt bekommen, hätte ich es schon nach wenigen Seiten weggelegt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so ein schlechtes Buch zu Ende gelesen habe. Sicherlich muss eine junge Autorin in Japan provokant schreiben, um Aufmerksamkeit zu erregen. In einer Kultur, in der pornografische Mangas und gebrauchte Unterwäsche von Schülerinnen verkauft werden, muss sie sehr weit gehen. Aber bei „Obsession“ blieb für mich das Lesevergnügen auf der Strecke. Ein wenig fühlte ich mich an „Shanghai Baby“ von Wei Hui erinnert, sowie an „Feuchtgebiete“, denn auch dort erzeugten die Autorinnen Aufmerksamkeit (und Umsatz) durch Tabubruch und Provokation. Das Leben der weiblichen Hauptfiguren der drei Bücher hat nur sehr wenige Gemeinsamkeiten mit dem der gleichaltrigen Durchschnittbevölkerung. Passenderweise habe ich „Obsession“ bisher auch nur in Erotik-Abteilungen gesehen.
.
Auf mich wirkt „Obsession“ wie moderne Kunst: Von vielen bewundert und hoch gelobt, aber nur von wenigen wirklich verstanden und kaum einer möchte es im eigenen Wohnzimmer haben.

Den einen Stern vergebe ich für das noch verhältnismäßig amüsante erste Kapitel.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2009
Licht am Ende des Tunnels
Wolf, Klaus-Peter

Licht am Ende des Tunnels


sehr gut

Gib die Hoffnung nie auf!

Roberts heißgeliebter Opa ist vor einigen Monaten gestorben. Zu seinen Eltern hat Robert kein enges Verhältnis. Der Vater führt die Geschäfte von Opas Sanitärfirma, die Mutter hat auch wenig Zeit für ihren Sohn. Nachdem Robert einen schweren Unfall hat, seine Eltern sich trennen und seine Mutter einen neuen Partner findet, landet Robert in einem Internat in den Alpen. Doch er hat das Gefühl, als ob sein Opa - unsichtbar - immer noch bei ihm wäre, als eine Art Schutzengel. So vertraut Robert auch auf Opas Worte, als er von einem Angestellten seines Vaters entführt wird und die Situation ausweglos erscheint.

Als ich noch zur Schule ging, bekam ich von meiner Oma zu jedem Fest Jugendbücher aus christlichen Verlagen. Deren Autoren hätten von K.P. Wolf viel lernen können. Ganz unaufdringlich wird hier von Roberts verstorbenem Opa gesprochen, der seinem Enkel in einer schwierigen Zeit zur Seite steht. Genauso selbstverständlich wird von der Nahtod-Erfahrung von Robert berichtet, auf die der Titel sich bezieht. Auf Drängen seines Opas geht Robert nicht zum Licht, sondern aus dem Koma zurück ins Leben.

Roberts Leben ist nicht das eines gewöhnlichen Jugendlichen, er ist der Erbe der Firma, die sein Opa aufgebaut hat. Vielleicht hat sein Opa sich deshalb auch so sehr bemüht, ihn für das Leben stark zu machen. Das ist auch die Grundbotschaft des Buches: "Gib die Hoffnung nie auf! Vertraue auf Dich selbst!" Gerade in der schwierigen Zeit der Pubertät ist das eine wichtige Botschaft. Auf der einen Seite erlebt der Leser Robert in einer außergewöhnlichen Situation, auf der anderen Seite hat Robert zum Teil die gleichen Probleme wie die Zielgruppe des Buches.

Passend zur Botschaft des Buchs gibt es auch kein Happy End, sondern der Leser erlebt mit, wie Robert mit Zuversicht in seine komplizierte Zukunft blickt. „Licht am Ende des Tunnels“ ist ein Jugendbuch, das einen auch nach dem Ende der Lektüre noch eine Weile beschäftigt und auf keinen Fall als "Esoterik" verschmäht werden sollte. Das Cover und der Titel passen zum Inhalt und sind ansprechend gestaltet. Ein Buch, das ich bereits weiterempfohlen habe.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2009
Wohin der Fluss uns trägt
Martin, Charles

Wohin der Fluss uns trägt


sehr gut

Der Weg ist das Ziel

Noch nie habe ich ein Buch gelesen, bei dem diese Redewendung so zutreffend war. „Wohin der Fluss uns trägt“ ist schon früh klar und das im doppelten Sinne. Doch was zählt, ist die Reise auf dem im Titel genannten Fluss, die Zeit, die dort gemeinsam verbracht wird.
Gemeinsam, das bedeutet Abbie und ihr Mann Chris. Die Herkunft der beiden hätte unterschiedlicher nicht sein können. Abbie gehört zum Südstaaten-Adel von Charleston und arbeitet erfolgreich als Model. Chris ist bettelarm und lebte mit seiner Mutter in einem Trailerpark am St. Mary´s River. Dank eines Stipendiums studiert er Kunst in Charleston. Abbie arbeitet erfolgreich als Model. Die beiden lernen sich zufällig kennen, verlieben sich ineinander und heiraten gegen den Willen von Abbies Vater.
Nach zehn Jahren Ehe wird bei Abbie Krebs diagnostiziert, der sich trotz jahrelanger Behandlung nicht besiegen lässt. Als die Ärzte ihr höchstens noch zwei Wochen geben, beschließt Abbie, das Krankenhaus zu verlassen. Denn sie möchte die ihr verbleibende Zeit nicht im Krankenhaus oder einem Hospiz verbringen, sondern sie gemeinsam mit Chris. So fahren die beiden an den St. Mary´s River, um dort mit dem Kanu zur Mündung des Flusses zu fahren.

Das klingt sehr kitschig, vorhersehbar und deprimierend – ist es aber erstaunlicherweise kaum. Sicher weiß der Leser von Anfang an, wie das Buch ausgehen wird. Aber der Weg dorthin ist eher positiv und verläuft anders als erwartet.

Die Geschichte wird aus der Perspektive von Chris erzählt, der sich ein Leben ohne Abbie nicht vorstellen kann. Abbie hingegen hat mit dem Leben fast abgeschlossen und sich mit dem nahenden Tod abgefunden. Obwohl beide wissen, was am Ende der Fahrt steht, versuchen sie den Rest ihres gemeinsames Weges so gut wie möglich zu nutzen, statt in Depressionen zu versinken. So strahlt das Buch trotz des bedrückenden Themas einen gewissen Optimismus aus.

Besonders schön fand ich die Stelle, an der Chris den Fluss offen als Metapher für den Lebensweg nutzt: "Der Fluss war ein magischer Ort. Man konnte sich beeilen (...) soviel man wollte, letztendlich bestimmte der Fluss das Tempo. (...) Das machten Flüsse ganz natürlich. Das Ziel war ihnen völlig gleichgültig, nur der Weg zählte." Deshalb finde ich den deutschen Titel etwas unpassend, denn es geht gerade in diesem Buch um den Weg und nicht das Ziel.

Die Landschaft wird sehr ausführlich beschrieben, teilweise allzu detailliert. Hier wäre manchmal weniger mehr gewesen. Dafür hätte ich mir eine Karte des Flusslaufs gewünscht. Auf der Homepage des Autors habe ich einige Fotos und weiterführende Informationen gefunden.

Die Kapitel spielen abwechselnd in der Gegenwart (d.h. beschreiben hauptsächlich die Reise auf dem Fluss) und in der Vergangenheit (hauptsächlich vom Kennenlernen der beiden bis zur Gegenwart). Auf der einen Seite zeigt so fast die Hälfte des Buches das Leben von Chris und Abbie vor der Krankheit, auf der anderen Seite stören diese häufigen Perspektivwechsel den Lesefluß.

Insgesamt ist das neuste Buch von Chris Martin ein empfehlenswerter Roman, der zum Nachdenken anregt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.