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Circlestonesbooks.blog
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Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

Bewertungen

Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 13.04.2021
Das Ilona-Projekt
Flörke, Lutz

Das Ilona-Projekt


ausgezeichnet

Ein vielschichtiges Lesevergnügen

„Wie so oft fragt sich HP, in welcher Geschichte er sich befindet, ob es die eigene ist oder eine, die ihm andere aufzuwingen, seine Schwester, Reinhardt, das Leben im Allgemeinen.“ (Zitat Seite 27)

Inhalt
Seine Schwester schenkt HP aus Hamburg zum Geburtstag eine Studienreise nach Sizilien. Nun sitzt HP Proust-lesend in Taormina, als ihn Reinhardt, Beruf Erbe, ebenfalls Proust-Leser, anspricht. Er hat spontan eine Frau, Ilona, nach Taormina eingeladen, doch nun muss er geschäftlich dringend nach Samos reisen. HP soll Ilona am Treffpunkt abholen und mit ihr Reinhardt auf die Insel Samos nachreisen. Damit beginnt das Ilona-Projekt und HP taucht ein in ein skurriles, chaotisches Abenteuer. Auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte findet er sich jedoch wieder nur als Nebenfigur in den Geschichten der anderen wieder, tröstet, hört zu. Erst wenn er jemanden findet, der ihm zuhört, dem er die ganze Geschichte erzählen kann, wird es seine eigene Geschichte sein.

Thema und Genre
In diesem vielschichtigen Roman geht um die Such nach der eigenen Identität und um den Platz im eigenen Leben. Weitere Themen sind Beziehungsformen, Liebe, Literatur, sowie die vielen Erzählformen und unterschiedlichen Erzählperspektiven, die Fülle an literarischen Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen.

Charaktere
Die Hauptperson, kurz HP, ist eher ruhig und zurückhaltend, in seinen Gedanken jedoch läuft pausenlos eine Vielzahl von Geschichten ab, Träume, die reale Situationen spontan verändern, Literaturfragmente aus Büchern von bekannten Schriftstellern, eigene Erinnerungen. Manchmal verirrt er sich in diesen Geschichten, während er sich verzweifelt bemüht, authentisch zu wirken. Mit einem großen Augenzwinkern lässt der Autor seine Figuren mit den typischen menschlichen Verhaltensweisen und Schwächen agieren.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt in Italien, Griechenland und zusätzlich in mehreren Variationen in den Gedanken von HP. Ereignisse und Szenen, die ruhig, gelassen beginnen, werden durch unvorhersehbare Wendungen und wechselnde Erzählperspektiven plötzlich chaotisch. Skurrile Gespräche über das Schreiben, das Leben und Biografien, Beschreibungen von antiken Sehenswürdigkeiten fließen als Textauszüge und Zitate in die Handlung ein. Auch in diesem Urlaub weitab von seinem alltäglichen Umfeld, führen Situationen dazu, dass sich HP in die Biografien der Personen, die ihn umgeben, einfügt, dabei sehnt er sich nach einer eigenen Biografie, mit ihm selbst als Hauptperson. Er hat die Wahl zu gehen, überlegt, sich zurückzuziehen, sich eine andere, eigene Geschichte zu suchen. Aber er bleibt, weil er neugierig ist, weil es ihn interessiert, was daraus wird und auch wir Lesende sind gespannt. Selbst als HP endlich jemandem seine Geschichte erzählen konnte, sie damit zu seiner eigenen Geschichte gemacht hat, unterbricht der Erzähler diese ruhige Nacht am Meer mit einer skurril-komischen Pointe und fügt für HP ein weiteres Kapitel an.

Fazit
Ein Roman wie eine abenteuerliche Achterbahnfahrt: ernst, chaotisch, skurril, witzig. Ein ungewöhnliches, interessantes und unterhaltsames Lesevergnügen.

Bewertung vom 09.04.2021
Der Wal und das Ende der Welt
Ironmonger, John

Der Wal und das Ende der Welt


sehr gut

2015 erschienen, heute aktuell

„Die Zeit lief hier in einem anderen Tempo ab. Ein Mann konnte mit einem Glas Cider dasitzen und aufs Meer hinausblicken, und die Zeiger der Uhr drehten ihre Runden, und niemand rief seinen Namen.“ (Zitat Seite 96)

Inhalt
In dem kleinen Küstendorf St. Piran in Cornwall wird zuerst ein nackter Mann an den Strand gespült und später ein Wal, der in einer gemeinsamen Aktion gerettet wird. Joe Haak, der junge Mann, ist ein Banker aus London. Er hatte fünf Jahre lang an einem Datensystem gearbeitet, das nun in der Lage ist, weit genauer und umfassender als alle bisher bekannten Programme, anhand von unzähligen, auch kleinsten Details, die es laufend sammelt, bearbeitet und vernetzt, zukünftige Entwicklungen präzise vorauszusagen. Hier, in St. Piran, weiß niemand, wer er ist. Zu seinem Programm hat er immer noch Zugriff und eines Tages sieht er Hinweise auf höchst alarmierende Ereignisse. Kurz entschlossen kauft er große Mengen an Lebensmitteln und lagert diese. Kann ein Computersystem, bei aller Perfektion, auch die Komponente des menschlichen Verhaltens vorhersagen?

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Wirtschaftsdaten, Börsensysteme, eine Pandemie und den Zusammenhalt und das Miteinander der Menschen einer Dorfgemeinschaft.

Charaktere
Ein Fischerdorf in Cornwall mit schrulligen, liebenswerten Menschen, die auch in ihren Handlungen authentisch wirken. Joe Haak, Banker, Investment- und Computerspezialist, fühlt sich rasch als Teil dieser Dorfgemeinschaft und handelt sofort, als er die Zeichen einer weltweiten Krise erkennt.

Handlung und Schreibstil
Der Roman ist in einer leisen, poetischen Sprache geschrieben und es ist eine märchenhafte Geschichte, an welche sich alle Bewohner von St. Piran noch heute, Jahre später, erinnern und rückblickend schildern. Eine interessante Aktualität erhält dieser bereits im Februar 2015 erschienene Roman durch die Vorwegnahme einer Pandemie, wie wir sie in diesen Monaten tatsächlich erleben.

Fazit
Eine poetische, beinahe märchenhafte Geschichte von Menschlichkeit, Zusammenhalt und Hoffnung, die in einem kleinen Dorf an der Küste Cornwalls spielt.

Bewertung vom 07.04.2021
Bogners Abgang
Platzgumer, Hans

Bogners Abgang


ausgezeichnet

Verstrickungen einer Nacht

„Es gibt Dinge, die behält man besser für sich. Manches verletzt erst dann, wenn man es ausspricht, nicht, wenn man es verschweigt.“ (Zitat Seite 81)

Inhalt
Die Bregenzerin Nicola Pammer studiert an der Universität Innsbruck. Auch an diesem 5. April 2018 will sie sofort nach der letzten Vorlesung nach Hause fahren, doch eine ihrer WG-Mitbewohnerinnen feiert Geburtstag. Drei Aperol Spritz später steigt Nicola nachts in ihr Auto und fährt los. Plötzlich taucht aus dem Nichts ein Schatten vor ihr auf der Straße auf.

Thema und Genre
Dieser Roman handelt von einem plötzlichen Ereignis und der Reihe von zufälligen Verkettungen, die zu dieser Situation geführt haben. Es geht um menschliches Verhalten,
Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Verantwortung, auch zeitgenössische Kunst und Kunstkritik spielen eine wichtige Rolle.

Charaktere
Der Autor taucht in die Gedankenwelt seiner Figuren, zeigt uns in eindrücklichen Abschnitten ihr Befinden und ihr Verhalten. Er schildert, macht Handlungen nachvollziehbar, doch überlässt er die Wertung und Einschätzungen uns Leser:innen. Auch die Namen der Figuren sind Charakter, der Künstler Andreas Bogner, in dessen aktuellem Kunstzyklus auch ein Bogen eine Rolle spielt und der selbst in einer starken mentalen Anspannung lebt, seiner verbissenen Sucht nach Anerkennung, der überhebliche Kunstkritiker Kurt Niederer, dessen vernichtende Kunstkritik Künstler niedermacht.

Handlung und Schreibstil
Die Sprache ist präzise, teilweise protokollarisch, nimmt sich aber auch Zeit für Beschreibungen des Umfeldes, der Denkweise, der Gefühle seiner Figuren. Die Geschichte spielt innerhalb von wenigen Tagen, wird verdichtet durch erklärende Rückblenden, wechselt zwischen den einzelnen Figuren und wird nicht chronologisch geschildert. Erst langsam bringen die unterschiedlichen Handlungssplitter Klarheit darüber, was in dieser Nacht tatsächlich geschehen ist. Gespannt und neugierig folgen wir den Figuren und ihren Entscheidungen. Dadurch entstehen vielschichtige Impulse für eigene Überlegungen, was wir selbst in extremen Konfliktsituation wie den geschilderten tun würden, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.

Fazit
Eine facettenreiche, spannende Geschichte über eine Verkettung von Zufällen. Extrem belastende Situationen führen zu unterschiedlichen menschlichen Reaktionen, zu spontan getroffenen Entscheidungen und deren nicht vorhersehbaren Auswirkungen. Der Autor erzählt uns, wie es dazu kommen konnte. Das Nachdenken über die Schuldfrage, Verantwortung, eigene Verhaltensweisen und mögliche anderen Lösungen der Konflikte, auch „was wäre gewesen, wenn“-Überlegungen überlässt er uns Leser:innen.

Bewertung vom 05.04.2021
Höllenkind / Clara Vidalis Bd.8
Etzold, Veit

Höllenkind / Clara Vidalis Bd.8


ausgezeichnet

„Doch das, war jetzt über ihn hereinbrach, war deswegen so perfide, weil es ebenfalls eine Konstanz hatte. Eine Konstanz des Bösen.“ (Zitat Seite 178)

Inhalt
Clara Vidalis, Hauptkommissarin und Expertin für pathopsychologische Serienmörder, wird nach dem Blutgott-Fall vorübergehend suspendiert und nützt diese Gelegenheit, sich endlich Florenz anzusehen. Doch der Urlaub währt nur kurz, denn Kardinal Julio Valera bittet sie um Hilfe. Es hätte ein großartiges gesellschaftliches Ereignis werden sollen, die Hochzeit zwischen den beiden mächtigen alten Adelshäusern Sforza und Visconti, in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Doch einige Schritte vor dem Altar bricht die Braut blutüberströmt zusammen und stirbt. Ein Fall für die Expertin Clara Vidalis, die im Auftrag des Vatikans den offiziellen Ermittler Commendatore Adami aus Florenz, unterstützen soll. Es bleibt nicht der einzige Mord im Umfeld der berühmten Familie Visconti und immer nimmt der Täter Bezug auf Verse aus Dantes „Göttlicher Komödie“. Der alte Patriarch, Paolo Visconti, spricht vom Satan, doch an den glauben weder Clara noch ihr Mann, der erfahrene Profiler Dr. Martin „MacDeath“ Friedrich, der mit ihr gemeinsam ermittelt.

Thema und Genre
In diesem Thriller, dem Band 8 der Serie um die Patho-Psychologin Clara Vidalis, geht es um Familiengeheimnisse, Macht und Rache. Auch Dantes bekannte Dichtung „Divina Commedia“ spielt eine Rolle. Hauptschauplätze sind Florenz und Rom.

Charaktere
Obwohl sie vom Dienst beurlaubt ist und sich auf zwei Wochen Sightseeing und Einkaufen gefreut hatte, ist die erfahrene, sympathische Clara Vidalis sofort bereit, den Ermittler in diesem ungewöhnlichen Fall zu unterstützen und zieht auch ihren Ehemann MacDeath hinzu. Alle Figuren diese Geschichte sind komplex, aber im Zusammenhang mit den Hintergründen ist ihr Verhalten realistisch und nachvollziehbar.

Handlung und Schreibstil
Kurze Kapitel, drastische Schilderungen und zwei Handlungsstränge erzählen eine packende Geschichte. Der zweite Erzählstrang, ebenfalls aktuell und zeitnah geschildert, spielt in Rumänien und ergänzt die Hauptgeschichte, welche die in einem straffen Zeitrahmen ablaufenden Ereignisse und Ermittlungen zum Inhalt hat. Die Sprache passt zum Genre, die Taten werden, wie wir es von diesem Autor kennen, gekonnt bis ins Detail zelebriert. Die psychologischen Aspekte und Überlegungen sind interessant, unterbrechen aber nie die Spannung. Dies gilt auch für die fachlichen Details zu den betreffenden Versen in Dantes berühmtem Werk, das dem Täter als Vorbild dient.

Fazit
Ein packender Thriller, ein neuer, geheimnisvoller Fall für Clara Vidalis und MacDeath mit interessanten Hintergründen und italienischem Flair. Es handelt sich um das neueste Buch aus einer Serie, die Handlung ist jedoch in sich abgeschlossen und garantiert auch als Einzelthriller spannendes Lesevergnügen.

Bewertung vom 05.04.2021
Reise mit zwei Unbekannten
Brisby, Zoe

Reise mit zwei Unbekannten


sehr gut

„Sie hinterließ ihm die Erinnerungen an diese zwei Tage. Das war nicht viel, aber er konnte sich ihrer bedienen, wie man sich eines Schmuckkästchens bedient.“ (Zitat Seite 360)

Inhalt
Alex ist fünfundzwanzig Jahre alt, unsicher, schüchtern und unglücklich verliebt. Er muss raus aus dem Alltag und beschließt, durch Frankreich nach Brüssel zu fahren. Aus finanziellen Gründen sucht er über eine Mitfahrzentrale eine weitere Person. Als er in seinem alten Renault Twingo Max „Hobbies: Technik, Whisky, Tour de France“ abholt, rechnet er mit einem jungen Mann. Doch es erwartet ihn Maxine, violette Haare, exzentrisch und über neunzig Jahre alt. Sie hat erste Anzeichen für Alzheimer an sich entdeckt und und will in Brüssel ihr Leben selbstbestimmt geordnet beenden. Doch zuvor will sie diese Reise richtig genießen, Spaß haben und plötzlich können beide wieder lachen.

Thema und Genre
Dieser Roman ist ein charmantes Roadmovie. Es geht um Verständnis zwischen den Generationen, Lebenserfahrung, Mut und vor allem um die Freude am Leben mit allen Höhen und Tiefen.

Charaktere
Das denkt Maxine über Alex: „Was diesem jungen Mann fehlte, war Vertrauen. Zunächst einmal Selbstvertrauen, aber darüber hinaus auch Vertrauen zu anderen, Vertrauen in das Leben, Vertrauen in die Zukunft.“ (Zitat Seite 38)
Das denkt Alex über Maxine: „Einerseits sah sie aus wie eine freundliche und harmlose alte Dame, andererseits bekam sie offenbar alles was sie wollte, und brachte ihr Gegenüber mühelos dazu, das Gegenteil von dem zu tun, was er eigentlich vorgehabt hätte.“ (Zitat Seite 39)

Handlung und Schreibstil
Die Handlung umfasst nur wenige Tage. Sie beginnt mit den beiden Einträgen in das Formular der Mitfahrzentrale und schildert chronologisch den Verlauf der Reise von Alex und Maxine. Details aus dem Leben der beiden erfahren wir durch die Episoden, die sie einander erzählen. In den einzelnen Kapiteln steht jeweils Alex oder Maxine im Mittelpunkt der personalen Erzählform, was Abwechslung und Vielfalt in den Text bringt. Es sind witzige und skurrile Situationen, die sie auf dieser Reise erleben, manche abenteuerlich und oft überraschend. Spannung erhält die Geschichte durch die Frage, ob und wie diese gemeinsame Reise die beiden Hauptfiguren verändern wird. Für mich wäre die Handlung damit perfekt gewesen, doch die Autorin bringt ein weiteres Detail als Spannungsmoment in die Handlung, die dadurch etwas ins Unglaubhafte, Konstruierte abgleitet.

Fazit
Liebenswerte Charaktere, Humor und Lebensfreude ergeben einen unterhaltsamen Roadmovie-Roman.

Bewertung vom 05.04.2021
Drei Sommer
Liberaki, Margarita

Drei Sommer


sehr gut

„Abends vorm Einschlafen denke ich über dich und Infanta, über Mutter und Vater und sogar über Tante Tereza nach. Ich frage mich, wie unser Leben später mal aussehen wird, was wir erreichen werden. Wir müssen doch etwas erreichen, Maria, oder?“ (Zitat Seite 80)

Inhalt
Maria, Infanta und Katerina gehören zu einer angesehenen, begüterten Familie und leben mit ihrer geschiedenen Mutter Anna und Tante Tereza auf dem großen Landgut des Großvaters, in Kilissi, der noblen Wohngegend außerhalb Athens. Dieser erste von drei aufeinander folgenden Sommern in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ist für Katerina etwas Besonderes. Denn in diesem Sommer lassen ihre beiden älteren Schwestern, Maria ist zwanzig Jahre alt, Infanta achtzehn, die sechzehnjährige Katerina erstmals an ihren Gesprächen teilhaben, teilen ihre Geheimnisse mit ihr, während sie versuchen, die Welt um sich herum und sich selbst zu verstehen. Aus den früheren Freunden der Kindheit sind junge Männer geworden und mit diesen Veränderungen kommt auch die erste Liebe. Im zweiten Sommer verliebt sich Katerina, doch gleichzeitig träumt sie von einem Leben als Schriftstellerin, ungebunden und frei.

Thema und Genre
Dieser Roman ist eine Frauen-, Familien- und Coming-of-Age-Geschichte. Es geht um das enge, traditionelle Frauenbild im Griechenland der 1930er Jahre. In Griechenland zählt dieser 1946 erschienene Roman heute zu den modernen Klassikern.

Charaktere
Katerina ist ein eigenwilliges Mädchen, neugierig, aber auch verträumt. Sie überlegt, ob sie wirklich ein Leben als Ehefrau und Mutter führen will, träumt von fernen Ländern und Freiheit. Sie beobachtet und beschreibt die unterschiedlichen Menschen aus mehreren Generationen in ihrem Umfeld, Frauen, Männer, Familie, Freunde, versucht, ihre Geheimnisse zu ergründen, ihr Leben und ihr Verhalten zu verstehen.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung umfasst hauptsächlich die Sommermonate in drei aufeinanderfolgenden Jahren, wird ergänzt durch dazwischenliegende Ereignisse, Kindheitserinnerungen von Katerina und Episoden aus dem Leben der Großeltern- und Elterngeneration. Die gesamte Geschichte wird nachträglich aus der Erinnerung erzählt, mit Katerina als Ich-Erzählerin, jedoch unterbrochen und ergänzt durch weitere Erzählstimmen, zwischen denen die Autorin wechselt. So erfahren wir beim Lesen auch Geschichten, die Katerina nicht wissen kann. Inhalt der Handlung sind die alltäglichen kleinen Erlebnisse und Erfahrungen dieser Zeit, der häusliche, weibliche Tagesablauf in vielen kleinen Momenten, die einzigartige Üppigkeit der griechischen Frühlings- und Sommermonate, eine Zeit voll von Wärme, Düften und Gefühlen. Die Sprache der Übersetzung liest sich angenehm und fließend.

Fazit
Ein Klassiker der modernen griechischen Literatur, es sind die Schilderungen der kleinen alltäglichen Momente im Leben der Frauen in den 1930er Jahren in Griechenland, die ihn interessant und lesenswert machen.

Bewertung vom 30.03.2021
Über Menschen
Zeh, Juli

Über Menschen


ausgezeichnet

„Meistens besteht das Leben aus Trial and Error, und der Mensch kann viel weniger begreifen und kontrollieren, als er glaubt. Auf dieses Dilemma kann weder Nichtstun noch Aktionismus die richtige Antwort sein.“ (Zitat Seite 28)

Inhalt
Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin, als ihr im Home-Office des Corona-Lockdown nicht nur die gemeinsame Wohnung in Berlin, sondern auch das Leben mit Robert endgültig zu eng wird. Bereits im Dezember hatte sie heimlich das renovierungsbedürftige, alte Gutsverwalterhaus auf dem verwilderten Grundstück mit den großen Bäumen gekauft, in Bracken, einem kleinen Straßendorf irgendwo in Brandenburg. Jetzt, drei Monate später, ist sie emdgültig hierher übersiedelt. Mit ihrer Hündin Jochen, ohne Möbel, aber mit einem Nachbarn, der sich ihr als Gote, wie Gottfried, ich bin der Dorf-Nazi vorstellt, was zu seiner sauber geschorenen Glatze passt. Doch plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz auf dem Treppenabsatz vor dem Haus stehen eines Tages Küchenstühle. Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora, vom Nachdenken zum Umdenken.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Menschen, ihre Ängste, Sorgen, aber auch den Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart.

Charaktere
Dora muss in Bewegung sein, um sich ruhig zu fühlen. Sie hat eine eigene Meinung zu vielen Themen unserer Zeit, doch hier in Bracken erkennt sie rasch, wie sehr sie sich irrte, als sie überzeugt davon war, man könne doch Gut und Böse ganz einfach auseinanderhalten. Denn hier lernt sie alle möglichen Zwischenschattierungen in unterschiedlichster Form kennen.

Handlung und Schreibstil
Dieser Roman spielt in der Gegenwart in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Dora zieht sich aus ihrem Leben in Berlin zurück, um mit ihrer Hündin Jochen eine völlig andere Art Leben zu probieren, denn Home-Office geht überall. Einkaufen ohne Auto, mit einer Busverbindung mit hohem Seltenheitswert, Gärtnern mit theoretischen Anleitungen über YouTube. Dazwischen freie Zeit, auch das muss sie lernen, mit dieser freien Zeit umzugehen, die Natur in ihrer wunderbaren Vielfalt hilft ihr dabei. Doch jeder Tag bringt neue Herausforderungen und manchmal wünscht sich Dora weit weg von allem, am besten auf die Raumstation ISS, um Abstand zu gewinnen und Ruhe. Die Autorin erzählt einfühlsam, intensiv, bindet die drängenden Themen der Gegenwart mit ein, schafft unterschiedliche Figuren mit völlig unterschiedlichen Sichtweisen, beleuchtet die Standpunkte, lässt sie ruhen, nimmt sie in einem neuen Zusammenhang wieder auf. Sie lässt ihre Figuren nachdenken, umdenken und uns beim Lesen mit.

Fazit
Dies ist tatsächlich ein Roman über Menschen, ihre Ängste, Probleme, das tägliche Leben mit skurrilen, witzigen Szenen und nachdenklichen, sehr traurigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man miteinander umgeht, wenn die Meinungen stark auseinanderdriften. Es sind Figuren auf der Suche und man schließt jede einzelne der Figuren ins Herz, obwohl oder gerade weil jede so ihre Eigenheiten hat, authentisch, Menschen eben, und oft anders, als die anderen denken.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.03.2021
Die Buchhändlerin Bd.1
Thorn, Ines

Die Buchhändlerin Bd.1


sehr gut

Ein Frauenroman, in dessen Mittelpunkt eine Buchhandlung steht

„Wahre Literatur geht über den Zeitgeist, über die Moden hinaus. Noch hundert Jahre nachdem die Autor das Buch geschrieben hat, ist es aktuell.“ (Zitat Pos. 86)

Inhalt
Christa Schwertfeger wächst umgeben von Büchern auf, in der Buchhandlung der Familie, die ihr Onkel Martin leitet. Dieser wird von den Nationalsozialisten verhaftet, doch er überlebt und sofort nach dem Krieg öffnet er die Buchhandlung wieder. Denn trotz Hunger und Armut ist der Wunsch der Menschen nach Büchern ungebrochen. Christa kann es kaum erwarten, bis auch die Universitäten 1946 wieder geöffnet werden, sie will Literaturwissenschaften studieren. Doch familiäre Probleme zwingen Christa, das Studium abzubrechen und die Leitung der Buchhandlung zu übernehmen. Sie gründet einen Literaturzirkel und wird zu einer engagierten Buchhändlerin, ohne jedoch ihre Träume aus den Augen zu verlieren. Doch die Umstände fordern ein weiteres Opfer von ihr.

Thema und Genre
Dieser Frauenroman spielt in Frankfurt, beginnt 1941 und schildert vor allem die schwierige Zeit nach dem Krieg, die langsam beginnende Hoffnung und Aufbruchsstimmung, die erste Frankfurter Buchmesse 1949. Themen sind Bücher, Literatur, vor allem jedoch Familie, Verantwortung, Freundschaft und Liebe in vielen Facetten.

Charaktere
Christa Schwertfeger will studieren und Literaturwissenschaftlerin werden. Sie ist ehrgeizig und engagiert und weigert sich, ein Leben als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu führen, wie es ihre Mutter von ihr erwartet. Doch als die familiäre Situation persönliche Opfer von ihr fordert, gibt sie nach und bricht das Studium ab.

Handlung und Schreibstil
Dieser Roman spielt in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweites Weltkriegs. Die Geschichte der Buchhandlung Schwertfeger wird auch zur Geschichte der jungen Christa, die von einem selbstbestimmten Leben im Literaturbereich träumt, mit einem Studium und anschließender Berufstätigkeit. Der Erzählstrang schildert die Ereignisse chronologisch und beschreibt auch anschaulich das Leben in diesen schwierigen Jahren, die erfolgreiche Wiedereröffnung einer Buchhandlung, deren Regale sich langsam wieder mit Büchern füllen. Obwohl in der Handlung die verbotenen Bücher und Autor*innen, klassische Literatur, dann die jungen amerikanischen und deutschen Romane vorkommen, ebenso wie Lyrik, ist es vor allem eine Frauen- und Familiengeschichte. Die angenehm und leicht zu lesende Sprache entspricht dem Genre.

Fazit
Ein unterhaltsamer Frauenroman, der während der Nachkriegsjahre in einer Buchhandlung in Frankfurt spielt.

Bewertung vom 28.03.2021
Der große Sommer
Arenz, Ewald

Der große Sommer


ausgezeichnet

Eine Geschichte, einzigartig wie dieser Sommer

„Es war dieser eine Sommer, wie es ihn wahrscheinlich nur ein Mal im Leben gibt. Dieser eine Sommer, den hoffentlich jeder hatte; dieser eine Sommer, in dem sich alles ändert.“ (Zitat Pos. 85)

Inhalt
Es ist der Sommer, in dem er sich auf seine Nachprüfungen vorbereitet, den Wert einer tiefen, echten Freundschaft auch in Krisensituationen erkennt, und Beate trifft, das freche Mädchen mit den grünen Augen und mit ihr die erste große Liebe. Friedrich ist sechzehn Jahre alt und noch auf der Suche nach dem Menschen, der er werden will, doch diese Wochen in diesem für immer besonderen Sommer sind der erste Schritt.

Thema und Genre
In diesem Coming-of-Age-Roman geht es um unbeschwerte Sommertage, aber auch um Trauer und Verlust, Lebenserfahrung und prägende Ereignisse, vor allem jedoch geht es um Jugend und Alter, Familie, Freundschaft und Liebe.

Charaktere
Wie schon in „Alte Sorten“ stellt der Autor auch diesmal Figuren unterschiedlichen Alters in den Mittelpunkt der Geschichte, einerseits Friedrich auf der Schwelle zum Erwachsenensein, andererseits die Nana und Großvater, die ihr Leben gelebt haben. Sehr behutsam entwickelt der Autor die einzelnen Charaktere dieses Romans, die jungen Menschen mit ihren Eigenheiten, ihrer Unbekümmertheit, aber auch ihren Unsicherheiten und Ängsten. Der Großvater, vor dem Friedrich großen Respekt hat, der seine eigenen Regeln aufstellt und erwartet, dass diese befolgt werden und dennoch bei Problemen sofort da ist, sich nicht nur mit Latein-Zitaten, sondern aktiv um Friedrich kümmert.

Handlung und Schreibstil
Friedrich, der Ich-Erzähler, ist längst erwachsen, als er wieder einmal auf dem Friedhof ein spezielles Grab sucht, eigentlich nur ein Stück Rasen, das damals, in jenem Sommer, ein Blick in eine fernen Zukunft und das Symbol der ganz besonderen Freundschaft dieser jungen Menschen werden sollte: Friedrich, seine ein Jahr jüngere Schwester und Vertraute Alma, Johannes, sein bester Freund, cool, aber sehr komplex, und die unangepasste Beate, die für Friedrich vom ersten Moment an etwas Besonderes ist. Auf dem Spaziergang über den Friedhof erinnert sich Friedrich zurück an die Ereignisse jenes Sommers, als er sechzehn Jahre alt war und statt einer Urlaubsreise bei Großvater und Nana für zwei Nachprüfungen lernen muss. Die Geschichte dieses Sommers ist das Kernstück des Romans. So eindringlich wie die einzelnen Figuren und ihre Thematik, beschreibt die poetische Sprache auch die Natur, die Wärme, den Duft und die Gefühle jener Sommertage, man taucht beim Lesen sofort in diese besonderen Tage ein.

Fazit
Dieser Roman über einen einzigartigen Sommer ist mit seinen besonderen Figuren, der einfühlsamen, genauen Beobachtung dieser Figuren und ihrer Erlebnisse zwischen intensiven Glücksmomenten und Verzweiflung, und der poetischen, aber auch humorvollen, lebhaften Sprache ein eindrückliches, überzeugendes Leseerlebnis

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.03.2021
Die Toten von Ralswiek
Berndt, Jens-Uwe

Die Toten von Ralswiek


ausgezeichnet

Spannend, unterhaltsam und auch sprachlich überzeugend

„Der Polizist löst Verknüpfungen in seinen Gedanken, bindet neue, verwirft sie wieder, kehrt zu den alten zurück, um dann noch einmal neue Varianten auszuprobieren.“ (Zitat Seite 316)

Inhalt
Kriminaloberkommissar Karsten Schwinka ist auf Rügen geboren und aufgewachsen. Nun kehrt er nach dreißig Jahren zurück auf die Insel, um die Kriminalabteilung des Bergener Hauptreviers zu leiten. Doch seine Ermittlungen beginnen schon vor dem offiziellen Dienstantritt. Während einer Störtebeker-Aufführung in Ralswiek ist ein Darsteller auf der Bühnen tot zusammengebrochen. Schwinka tippt auf Mord, doch vorerst will das niemand glauben. Als jedoch innerhalb kurzer Zeit weitere Personen aus dem Team des Sommertheaters ermordet werden, ist klar, dass es dieses Jahr in Ralswiek ähnlich gefährlich zugeht, als zu Störtebekers Zeiten. Gerüchte, Intrigen, Unwahrheiten und einige Geheimnisse innerhalb der Schauspielgruppe erschweren die Arbeit der Ermittler, und auch im Kripo-Team Bergen sind nicht alle über den neuen Leiter erfreut.

Thema und Genre
Dieser Kriminalroman mit Regionalbezug spielt auf der Insel Rügen, während der bekannten Störtebeker Festspiele im Sommer. Bei diesem Ostseekrimi handelt es sich um einen typischen „Whodunit“ Kriminalroman, in dem es um Taten und die nachfolgenden Ermittlungen geht.

Charaktere
Karsten Schwinka hat eine unangenehme Scheidung hinter sich, als er auf die Insel Rügen zurückkehrt. Er ist ein erfahrener, hervorragender Ermittler, der nicht aufgibt. Zusammen mit Kriminalhauptmeister Danilo Schobel bildet er ein sympathisches Team, dem man gerne auf ihren Wegen durch diesen vielschichtigen, undurchsichtigen Fall folgt. Der Autor nimmt sich Zeit für jede seiner Figuren, ist ein sehr genauer Beobachter und bevölkert seine Geschichte mit unterschiedlichen, glaubhaften Charakteren, denen man auch im realen Leben begegnet.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung umfasst den straffen Ermittlungszeitraum von zwanzig Tagen, führt an mehrere Orte auf der Insel Rügen, aber auch nach Stralsund und Mirow in der Mecklenburgischen Seenplatte. Die vielschichtige, spannende Geschichte lädt durch die unterschiedlichen Charaktere zum Mitraten ein, denn bei jeder der involvierten Personen ergeben die Befragungen Verdachtsmomente und mögliche Eigeninteressen. Die gekonnt beschreibende, angenehm zu lesende Erzählsprache des Autors bringt durch die Schilderungen der Gegenden und des Umfeldes ein Stück Rügen-Feeling.

Fazit
Ein klassischer Kriminalroman mit vielschichtigen Figuren und spannenden Ermittlungen während der bekannten Störtebeker-Festspiele auf der Insel Rügen. Eine Geschichte, die auch sprachlich überzeugt.