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Herbstrose

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Insgesamt 223 Bewertungen
Bewertung vom 19.12.2014
Lenz, Siegfried

Der Mann im Strom / Werkausgabe in Einzelbänden Bd.3


ausgezeichnet

Recht oder Unrecht?
Hinrichs ist Taucher, ein guter, erfahrener Taucher. Beinahe zwanzig Jahre ist er hinabgestiegen in das trübe Hafenwasser und hat dort seine gefährliche Arbeit verrichtet. Jetzt ist er arbeitslos, angeblich zu alt um noch zu tauchen. Doch Arbeit ist genug da, im Hafenbecken müssen die Wracks beseitigt werden. Und Hinrichs will arbeiten, ignoriert den Druck auf dem Herzen und will die Beklemmung, die er in der Tiefe verspürt, nicht wahrhaben. Außerdem braucht er das Geld, hat er doch seine schwangere Tochter und seinen Jungen zu ernähren. So sieht er nur einen Ausweg, eine letzte Chance. Er fälscht seine Papiere, macht sich jünger. Zunächst mit Erfolg, er bekommt die ersehnte Arbeit. Doch als er dann als Vorarbeiter bei einer Bergung in Schweden eingesetzt werden soll, eskaliert die Situation …
Ein zeitkritisches, und auch heute noch brandaktuelles Thema, das Siegfried Lenz in seinem dritten Roman „Der Mann im Strom“ bereits 1957 behandelt: Das Altwerden im Beruf, die Probleme, als älterer Mensch noch eine Arbeit zu finden. Alte werden trotz Erfahrung ausgemustert, Junge unerfahrene werden bevorzugt. Zitat: „Ja, Junge, es war wieder nichts“. (lässt Lenz den Taucher zu seinem Sohn sagen) „Sie brauchen überall Leute heutzutage, sie können nicht genug bekommen, aber sie wollen alle nur jüngere haben. Den Jüngeren brauchen sie weniger zu zahlen, das ist das Entscheidende. Wenn sie einen Alten einstellen, dann müssen sie ihm mehr geben, dann können sie ihm weniger sagen, und vor allem wissen sie nicht, wie lange ein Alter noch bei ihnen bleibt. Bei einem Alten ist zuviel Risiko, der rentiert sich nicht genug.“ --- "Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man zum alten Eisen geworfen wird.“
Der Roman spielt in den Nachkriegsjahren in Hamburg. Der Wiederaufbau ist allgegenwärtig, aber auf dem Grund des Hafenbeckens und im Strom liegen noch die Wracks vergangener Bombardierungen. Vorherrschend ist eine bedrückende Grundstimmung, von Aufschwung und Wirtschaftswunder ist noch nicht viel zu spüren. Der Schreibstil ist nüchtern und sachlich und lässt sich, obwohl nicht mehr ganz zeitgemäß, nach einigen Seiten recht gut lesen. Erfreulich wenige Figuren bevölkern den Roman, doch diese sind sehr gut heraus gearbeitet, sie leben. Lenz spielt mit gegensätzlichen Charakteren: Manfred, der verschlagene und kriminelle Freund der Tochter, Kuddl, der hilfsbereite und freundliche Arbeitskollege, dann der verständnisvolle und korrekte Chef und nicht zuletzt unser Protagonist Hinrichs, der zwischen allen Fronten steht. Der Leser fühlt förmlich die Zwangslage und die Ausweglosigkeit, in der er steckt. Er würde gerne ehrlich und rechtschaffen bleiben, doch er braucht die Arbeit um seine Kinder zu ernähren. Er sieht den einzigen Ausweg und seine letzte Chance darin, seine Papiere zu fälschen und sich deswegen strafbar zu machen. Dadurch entwickelt die Geschichte eine unheimliche Spannung, die durch die beklemmenden Unterwasserszenen im trüben Hafenbecken noch gesteigert wird. Man hofft für Hinrichs, dass alles gut geht, ahnt aber bereits, dass das wohl nicht der Fall sein wird.
Fazit: Ein lesenswerter Roman, sozialkritisch mit einem immer noch aktuellen Thema, bei dem der Leser sich am Schluss die Frage stellt, wie er selbst wohl gehandelt hätte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.12.2014
Steppe, Lisa

Kommst du ans Meer


ausgezeichnet

„Kreuzfahrt der Gedanken durch den Kopf“ (S. 127)
Es ist der 11. Mai 2009, als Lisa Steppe die endgültige Diagnose erhält: Drüsenkrebs, unheilbar. Was macht man, wenn man soeben sein Todesurteil erhalten hat? Lisa tut, was sie auch schon früher tat, sie schreibt, führt Tagebuch über ihre Gedanken und Gefühle. Ruhelos fährt sie kreuz und quer durch ihre Wahlheimat Irland, wandert, steigt auf Berge. Und immer wieder zieht es sie ans Meer, das sie so sehr liebt, sucht die Stille, steht an den Klippen und überlegt. Dazwischen erzählt sie von verlassenen Orten, die sie früher einmal aufgesucht hatte, von Sitten und Gebräuchen der Inselbewohner und weiß auch einiges über deren Vorfahren, die Druiden, zu berichten. Manchmal schweifen ihre Gedanken ab, erinnern an fünfundzwanzig glückliche Jahre und frühere unbeschwerte Urlaubstage mit A., an Wanderungen in nahezu allen Ländern Europas mit ihm, an eine gefahrvolle Rucksacktour in Algerien, die sie gemeinsam überstanden hatten und an 1976, als sie beide erstmals Irland kennen lernten und sich in dieses Land verliebten.
In ihrem Buch „Kommst du ans Meer“ verarbeitet Lisa Steppe ihre Gefühle. Ihren Schreibstil habe ich als etwas wirr, aber trotzdem sehr angenehm empfunden. Der Leser bekommt dadurch ein tiefes Gefühl für ihre Empfindungen und Stimmungen, für die wunderbare irische Landschaft und für das Meer, das für sie von innen leuchtet wie eine zweite Sonne. Sie verschweigt auch nicht ihre Schmerzen und die schlechte ärztliche Versorgung in irischen Krankenhäusern. Sie schreibt über den tödlich-giftigen Blauen Eisenhut, der ganz in der Nähe ihres Hauses am Waldrand wächst. Und immer wieder zieht es sie zu den Klippen …
Fazit: Kein Roman, keine Erzählung, nur Gedanken und Gefühle, die die Autorin manchmal sogar in Kunstwörter verpackt. Wer dafür kein Verständnis aufbringt, sollte die Finger davon lassen, für alle anderen ein anrührendes und eindringliches Buch über die Endlichkeit des Lebens.

Bewertung vom 15.04.2014
Almstädt, Eva

Ostseesühne / Pia Korittki Bd.9


ausgezeichnet

Im Feuerlöschteich des Röperhofes liegt eine Leiche. Der Briefträger von Groß Tensin an der Ostsee entdeckt sie bei der morgendlichen Postzustellung als erster. Die Bewohner des alten, heruntergekommenen Bauernhofes, Armin und Elsa Fuhrmann und ihr 16-jähriger zurückgebliebener Sohn Thilo, sind spurlos verschwunden. Mit den Ermittlungen werden Kriminaloberkommissarin Pia Korittki aus Lübeck und ihr Kollege Heinz Broders betraut. Bald wird auf dem Gelände eine weitere Leiche entdeckt …
„Ostseesühne“ ist nicht der erste Fall, in dem Pia Korittki ermittelt. Man muss die anderen Fälle nicht gelesen haben, um sofort in das Geschehen einsteigen zu können. Nach und nach erfährt man ausreichend Einzelheiten aus Pias Leben, ihrem Umfeld und dem ihrer Kollegen. Die Autorin Eva Almstädt hat hier einen überraschend angenehmen Krimi geschrieben, der sehr gut ohne die sonst üblichen, bis ins kleinste Detail gehenden, ekelhaften Beschreibungen auskommt.
Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der vielschichtigen Ermittlungsarbeit, die logisch und gut nachvollziehbar beschrieben ist. Vermutungen und Spekulationen ziehen den Leser in den Bann und laden zum Miträtseln förmlich ein. Spannung ist von Anfang an gegeben und steigert sich geschickt bis zum furiosen, actionreichen Schluss. Alles fügt sich dann schlüssig zusammen.
Aber auch das Privatleben der Protagonisten kommt nicht zu kurz. Als alleinerziehende Mutter eines 2-jährigen Sohnes gibt es auch hier genügend Probleme, die bewältigt werden müssen. Sehr einfühlsam geht die Autorin auch darauf ein und Pia gewinnt im Laufe der Geschichte immer mehr an Sympathie. Der flüssige klare Schreibstil und die insgesamt gut heraus gearbeiteten Charaktere machen das Lesen zu einem Vergnügen.
Fazit: Ein gut gemachter, logisch aufgebauter und stimmig gelöster Krimi, der gut unterhält und Lust auf weitere Fälle der Lübecker Kriminaloberkommissarin Pia Korittki macht.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.