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Herbstrose

Bewertungen

Insgesamt 181 Bewertungen
Bewertung vom 15.04.2024
Das Fenster zur Welt (eBook, ePUB)
Winman, Sarah

Das Fenster zur Welt (eBook, ePUB)


sehr gut

Dolce Vita in Florenz ?
Als sich die sechzigjährige britische Kunsthistorikerin Evelyn Skinner und der junge britische Soldat Ulysses Temper 1942 im zerstörten Florenz begegnen, entsteht daraus eine lebenslange Freundschaft. Sie erklärte ihm die Welt der Kunst, die ihn auch nach dem Krieg, nach seiner Rückkehr nach England, nicht mehr los lies. In der Heimat war alles anders als erwartet. Seine Frau Peggy hatte inzwischen ein Kind von einem Amerikaner, der zurück in seine Heimat gegangen war und auf dessen Rückkehr sie sehnlichst hoffte. Ulysses liebte ihr Kind, die kleine Alys, und nahm sich ihrer gerne an, was Peggy dankbar zur Kenntnis nahm. Als dann einige Zeit später ein Rechtsanwalt aus Italien eintraf der Ulysses verkündete, dass er Alleinerbe von Arturo sei, dem er damals in Florenz das Leben rettete, änderte sich alles. Zusammen mit der kleinen Alys, dem väterlichen Freund und Nachbarn Cressy und dem Papagei Claude fährt Ulysses zurück nach Florenz …
Sarah Winman, geb. 1964 in Ilford, ist eine britische Schriftstellerin und Schauspielerin. Sie wuchs in der Grafschaft Essex auf. Nach ihrem Studium in London arbeitete sie ab 1989 als Schauspielerin in Nebenrollen bei zahlreichen Produktionen für das britische Fernsehen und in Kinofilmen. Sie schrieb bisher sieben Bücher, für die sie einige Anerkennungen und Auszeichnungen erhielt. „Das Fenster zur Welt“ (erschienen am 20.04.2024 beim Verlag Klett-Kotta) ist ihr 8. Roman. Die Autorin lebt heute in London.
Während eines Zeitraums von etwa vierzig Jahren begleiten wir Ulysses, Peggy und Alys mit ihren zahlreichen italienischen und englischen Freunden. Wir sind dabei wenn sie sich verlieben, neue Freundschaften knüpfen oder wenn sie im Londoner Pub oder in einer Bar in Florenz ihre Trauer und ihren Verlust teilen und ihre Sorgen zu vergessen suchen. Wir treffen auf Menschen wie Du und ich, mit den gleichen Problemen, wie wir sie alle haben. Man hat den Eindruck es geschieht nicht sehr viel, dennoch ist die Geschichte voll prallen Lebens, was dieses Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis macht. Ganz nebenbei erfahren wir eine Menge über die großartigen Kunstwerke in Italien und besonders in Florenz und über die schreckliche Überschwemmungskatastrophe, von der Florenz und die Toskana 1966 heimgesucht wurden.
Fazit: Ein wunderbar geschriebenes Buch über Menschen und Menschlichkeit, über Liebe und Freundschaft und über Trauer und Schmerz – mitten aus dem Leben gegriffen.

Bewertung vom 09.04.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen (eBook, ePUB)
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Überleben um die Zukunft zu erleben
Gemeinsam mit seinem Bruder Sverre fuhr Großvater Konrad als Funker während des II. Weltkrieges auf einem Handelsschiff zur See. 1943 werden sie auf dem Weg nach Australien im Indischen Ozean von einem japanischen U-Boot torpediert und versenkt. Während Sverre gefangen genommen wurde, gelang Konrad in einem Rettungsboot die Flucht. Nach 19 Tagen auf See strandete er, mehr tot als lebendig, auf einer indonesischen Insel. Im dortigen Krankenhaus verliebt sich Konrad in die Krankenschwester Sigrid. Die beiden machen Pläne für eine gemeinsame Zukunft nach dem Krieg, doch dann kommen sie in getrennte japanische Internierungslager. Es herrschen dort schreckliche Zustände und jeder muss ums nackte Überleben kämpfen. Doch dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu …
Die Autorin Trude Teige wurde 1960 in einem kleinen Ort an der Küste Norwegens geboren. Sie ist ausgebildete Übersetzerin und Journalistin und arbeitete viele Jahre als Reporterin und Nachrichtensprecherin beim norwegischen Sender TV2. Als Schriftstellerin debütierte sie 2002 mit einem historischen Roman, in dem sie viele Erlebnisse ihrer Urgroßmutter verarbeitete. Sie hat drei erwachsene Kinder und lebt mit ihrer Familie am Oslofjord. Das Original des Romans „Als Großmutter im Regen tanzte“ war bereits 2015 ein Bestseller in Norwegen, bei uns stand der erste Band der Generationen-Reihe monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste von 2023. Der zweite Teil „Und Großvater atmete mit den Wellen“ ist am 27.03.2024 erschienen.
Das Buch umfasst die Zeitspanne von 1943 bis 1947. Im Fokus steht Konrad, der Großvater von Juni, die diesmal nur im Vor- und Nachwort vorkommt. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven und Sichtweisen der Protagonisten Konrad und Sigrid, so dass man als Leser deren Empfindungen und Gefühle intensiv erfährt. Zu Anfang ist das Erzähltempo recht hoch, wird jedoch bedächtiger wenn es um die Geschehnisse im Lager geht. Diese werden sehr anschaulich geschildert, sei es die Willkür der japanischen Besatzung, der Mangel an Nahrung, die hygienischen Verhältnisse und die damit verbundenen Krankheiten. Dabei zeigt sich, dass es bei Zusammenhalt und Zuversicht möglich sein kann, auch bei widrigsten Bedingungen zu überleben. Es scheint am Ende alles gut zu werden, doch dann schlägt das Schicksal unerbittlich zu …
Fazit: Ein fesselndes und aufrüttelndes Buch, das uns ganz nebenbei die weniger bekannte Seite des Krieges mit der Schreckensherrschaft der Japaner im Pazifik aufzeigt.

Bewertung vom 01.04.2024
25 letzte Sommer (eBook, ePUB)
Schäfer, Stephan

25 letzte Sommer (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Was zählt wirklich im Leben?
Normalerweise verbringt er die Wochenende zusammen mit seiner Familie, doch diesmal ist er alleine in seinem kleinen Haus auf dem Lande, der vielbeschäftigte Manager. Sein Kopf ist voller Gedanken an die Arbeit, seine Gedanken kreisen unentwegt um Unerledigtes, während er frühmorgens seine Laufrunde startet. Als er am See vorbei kommt, steigt gerade ein nackter Mann aus dem Wasser. Der Fremde fordert unseren Erzähler auf, ebenfalls im kalten Wasser des Sees ein erfrischendes Bad zu nehmen, und lädt ihn danach zum Frühstück in seinem nahe gelegenen Hof ein. Karl, wie er sich nennt, ist Bauer und pflanzt Kartoffeln an. Die beiden Männer könnten nicht unterschiedlicher sein, dennoch sind sie sich sofort sympathisch. Es beginnt ein Gespräch darüber, was wirklich wichtig ist im Leben, über unerfüllte Träume und heimliche Sehnsüchte. Sie stellen dabei fest, dass sie noch etwa 25 Sommer vor sich haben, die es sinnvoll zu leben gilt …
Stephan Schäfer, geb. 1974 in Witten, war viele Jahre als Journalist, Redakteur, Vorstand und Top-Manager tätig, bis er 2022 aus seinem Job ausstieg, um zu schreiben. „25 letzte Sommer“ (erschienen 14.03.2024 bei park x ullstein) ist sein erster Roman. Der Autor lebt mit seiner Familie in Hamburg und an der Schlei.
Wie Stephan Schäfer sich selbst äußerte, wollte er mit dem Schreiben seinem Leben eine Wendung geben und betrachtet diese literarische Aufarbeitung als eigenen Neuanfang. Mit diesem Buch bringt er auch uns Leser dazu, über unser bisheriges Leben nachzudenken. Was ist wichtig für mich? Bin ich auf dem richtigen Weg? Ist mein Leben im Gleichgewicht? Was kann ich in Zukunft ändern? Das dünne Buch ist dank seines angenehm warmherzigen Schreibstils gut zu lesen. Die beiden sympathischen Protagonisten wirken absolut lebensnah, ihre Gedanken und Gefühle sind realistisch und nachvollziehbar.
Fazit: Ein Buch wie ein Schatzkästchen – man muss nur die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Meine absolute Empfehlung!

Bewertung vom 27.03.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

„Ich bin James“
Alle nennen ihn Jim, doch eigentlich heißt er James. Er ist sehr gebildet, kann Lesen und Schreiben und sich exzellent ausdrücken - doch er muss sich dumm stellen und sein Wissen geheim halten, der schwarze Sklave von Miss Watson. Als Jim erfährt, dass er verkauft werden soll, flieht er zusammen mit Huck, einem Jungen, der seinen Tod vorgetäuscht hat, um seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Auf dem Weg in die vermeintliche Freiheit haben die beiden gefährliche Abenteuer zu bestehen. Schlangen kreuzen ihren Weg, Sturm und Überschwemmung erschweren das Weiterkommen, sie treffen auf Diebe und Betrüger, Jim tritt als Sänger auf und sie erleiden Schiffbruch auf dem Mississippi. Dann bricht der Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten aus …
Percival Everett, geb. 1956 in Fort Gordon/Georgia, ist ein US-amerikanischer Schriftsteller und Professor für Englisch an der University of Southern California. Schon während seines Studiums verfasste er seinen ersten Roman, der 1983 veröffentlicht wurde. Inzwischen hat er sich mit mehr als 30 Romanen einen Namen gemacht und ist auch erfolgreich als bildender Künstler in der Malerei tätig. Er ist verheiratet mit Danzy Senna, die ebenfalls Autorin ist, und lebt mit ihr und den beiden gemeinsamen Söhnen in Los Angeles.
„James“ (erschienen 18.03.2024 im Hanser-Verlag) ist das neueste Werk des Autors, in dem es um Rassismus und die Frage der Identität und Daseinsberechtigung geht. Er verleiht Mark Twains Roman eine neue Dimension, indem er mit dem schwarzen Sklaven Jim einen liebenswerten Helden erschaffen hat, den er seine Geschichte selbst erzählen lässt. Herausgekommen ist dabei ein aufrüttelnder Roman über Menschenrechte und zugleich eine Abenteuergeschichte vom Feinsten.
Fazit: Lesenswert!

Bewertung vom 27.03.2024
Die Hoffnung der Chani Kaufman (eBook, ePUB)
Harris, Eve

Die Hoffnung der Chani Kaufman (eBook, ePUB)


sehr gut

Einblicke in die jüdische Glaubenswelt
Nach ihrer Hochzeit sind Chani und Baruch nach Jerusalem gezogen, wo Baruch für seine Zukunft als Rabbiner den Talmud studiert und Chani in einem Blumenladen arbeitet. Ihr Glück wäre vollkommen, wenn sich endlich Nachwuchs ankündigen würde, doch leider waren bisher alle Bemühungen diesbezüglich vergebens. Als die Erwartungen von außen immer mehr zunehmen, entschließt sich das Paar, mit finanzieller Unterstützung von Baruchs wohlhabenden Eltern, in London eine Klinik für Kinderwunsch aufzusuchen. Der Befund lässt wenig Hoffnung, den Chanis fruchtbare Tage fallen genau in die Zeit, in der nach den strengen jüdischen Gesetzen das Paar sexuell enthaltsam sein sollte. Zufällig trifft Chani ihre einstige Brauthelferin Rivka Zilberman, die sich inzwischen von ihrem Ehemann Chaim getrennt hat und versucht, sich außerhalb der jüdischen Konventionen ein eigenes Leben aufzubauen. Wird Rivka eine Lösung für Chanis und Baruchs Problem finden? …
Eve Harris ist eine britische Schriftstellerin und wurde 1973 in London als Tochter polnisch-israelischer Eltern geboren. Sie arbeitete zwölf Jahre als Lehrerin für Englisch an katholischen und jüdisch-orthodoxen Mädchenschulen in London und Tel Aviv. Ihr erster Roman „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ stand 2013 auf der Longlist des Man Booker Prize. Eve Harris lebt mit Mann und zwei Kindern in London.
Mit viel Feingefühl und Toleranz schildert die Autorin die für Außenstehende kaum verständlichen Bräuche und Rituale der jüdischen Religion. Dabei stellt sie nicht die Religion selbst oder gar Gott infrage, sondern prangert die teils unmenschlichen Gebote und Verbote an, die alte Männer vor hunderten von Jahren erlassen haben und auf deren Einhaltung engstirnige religiöse Eiferer auch heute noch bestehen. Dass diese mit List und einigen Tricks auch umgangen werden können, liest man mit vergnüglichem Schmunzeln.
Der Schreibstil ist angenehm schnörkellos und lässt sich gut lesen, lediglich die zahlreichen speziellen jüdischen Ausdrücke (im Anhang befindet sich ein Glossar) stören etwas den Lesefluss. Die wichtigsten Figuren kommen kapitelweise zu Wort, so dass man ihnen sehr nahe kommt und ihre Art zu handeln etwas besser versteht. Auch die Schauplätze wechseln zwischen Jerusalem, Tel Aviv und Golders Green, einem Stadtteil Londons, in dem hauptsächlich orthodoxe Juden wohnen. Trotz dem Bemühen der Autorin mangelt es mir an Verständnis und Toleranz für die mannigfachen Rituale und Regeln in der jüdischen Glaubenswelt.
Fazit: Interessante und spannende Einblicke in die Welt des jüdischen Glaubens wie man sie nicht alle Tage zu lesen bekommt – und gleichzeitig eine einfühlsame Liebesgeschichte.

Bewertung vom 18.03.2024
Gussie
Wortberg, Christoph

Gussie


ausgezeichnet

Auguste >Gussie< Adenauer – ein Leben zwischen Glück und Leid
Im Februar 1948 liegt im Bonner Johannes-Hospital eine Frau, die nur noch einige Tage zu leben hat - es ist Auguste >Gussie< Adenauer. Ihre Gedanken schweifen zurück, sie erinnert sich: Gussie Zinsser ist 24 Jahre alt, als sie 1920 den beinahe 20 Jahre älteren Witwer und Vater dreier Kinder, Konrad Adenauer, heiratet. Der Ehe entspringen fünf Kinder, der Erstgeborene stirbt jedoch kurz nach der Geburt. Als Frau des Oberbürgermeisters von Köln begleitet sie ihren Mann oft zu Veranstaltungen, ist selbst aber auch politisch und sozial tätig. Ihr Leben ändert sich entscheidend, als Hitler 1933 die Macht übernimmt. Adenauer wird überwacht, enteignet, gefangen genommen und entgeht nur durch eine List dem Konzentrationslager. Jetzt muss er sich vor den Nazis verstecken und seine Familie allein ihrem Schicksal überlassen. Mit Mut und Kraft versucht Gussie, sich und die Kinder durch die schwierige Zeit zu bringen, bis eines Tages die Gestapo erscheint und sie zum Verhör mitnimmt …
Christoph Wortberg, geb. 1963 in Köln, studierte nach seinem Abitur Germanistik, Philosophie und Geschichte und absolvierte eine Ausbildung zum Schauspieler. Er ist Autor einiger preisgekrönter Jugendromane, mehrerer Kriminalromane und Verfasser zahlreicher Drehbücher für Fernsehproduktionen.
Auguste "Gussie" Amalie Julie Adenauer (geb. Zinsser)
* geboren 07.12.1895 in Köln - † gestorben 03.03.1948 in Bonn
Sorgfältige Recherche um größtmögliche geschichtliche Genauigkeit zeichnet diesen biografischen Roman aus. Auf unterhaltsame Weise erleben wir hier ein Stück Zeitgeschichte, flüssig geschrieben und ansprechend aufbereitet. Kurze Kapitel, denen jeweils ein kurzer Auszug aus dem Briefwechsel zwischen Gussie und ihrem Vater bzw. zwischen ihr und Adenauer vorangestellt ist, sowie sehr gut ausgearbeitete Charaktere sind weitere Pluspunkte, die das Lesen dieses Buches zu einem angenehmen Erlebnis machen.
Fazit: Ein Buch, das ohne zu belehren geschichtliches Wissen vermittelt – sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 07.03.2024
Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück
Kvensler, Ulf

Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück


ausgezeichnet

Trekkingtour auf Leben und Tod
Wie schon in den letzten Jahren, so wollen auch in diesem Jahr Anna, ihr Lebensgefährte Henrik und ihre gemeinsame Freundin Milena eine Wanderwoche zusammen in den schwedischen Bergen verbringen. Doch diesmal ist es anders, Milenas neuer Freund Jakob ist mit von der Partie. Schon zu Beginn überredet er die Gruppe, eine andere Gegend als die gewohnte aufzusuchen. Er möchte in den einsamen Nationalpark Sarek im schwedischen Lappland, der bekannt ist für seine tief eingeschnittenen Täler, seine reißenden Flüsse, seine schroffen Gebirgsmassive und eisigen Gletscher. Etwas zögerlich willigen die Freunde ein – die falsche Entscheidung, wie sich bald herausstellen soll. Die Wanderroute wird immer beschwerlicher, das Wetter wird immer schlechter, die Stimmung unter den Wanderern kippt, man streitet sich …
Ulf Kvensler, geb. 1968, ist ein schwedischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Der Roman „Der Ausflug“, 2024 auf Deutsch im Penguin-Verlag erschienen, (Originaltitel SAREK, 2022) ist sein Debüt und stand wochenlang an der Spitze der schwedischen Bestenliste.
Die Geschichte beginnt nicht mit dem Ausflug, sondern mit dem Geschehen danach. Wir lesen ein Protokoll über die Rettung einer schwer verletzten Frau die sagt, sie hieße Anna. Danach folgen Ereignisse aus der Vergangenheit, immer wieder eingeschoben Protokolle der polizeilichen Befragung Annas, und dazwischen natürlich die Erlebnisse der vier Wanderer auf dieser mörderischen Tour.
Der Roman ist an Spannung kaum zu überbieten. Genau wie die Protagonisten immer wieder vom rechten Weg abkommen, so führt uns auch der Autor auf falsche Fährten. Wir lesen über eine wunderbare Landschaft und über eine grandiose Bergwelt, und erleben dabei gleichzeitig den brutalen Kampf ums Überleben. Der Schreibstil ist flüssig und, abgesehen von den vielen schwedischen Namen der Berge, Flüsse und Täler, sehr gut lesbar. Das Geschehen ist aus Annas Sicht geschrieben, was uns durch ihre Gespräche mit ihren Wandergefährten den Gefühlen und Emotionen aller Beteiligten sehr nahe bringt.
Den Schluss dieser nervenaufreibenden Geschichte finde ich großartig gelungen, plötzlich wird der Blickwinkel gewechselt, eine perfekte Lösung, ganz anders als man es erwartet hat – es bleibt noch viel Raum für die eigene Fantasie.
Fazit: Eine gut gelungene Mischung aus großartigen Landschafts- und Naturbeschreibungen und gnadenlosem Überlebenskampf, spannend bis zum Schluss.

Bewertung vom 04.03.2024
Das andere Tal (eBook, ePUB)
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Was wäre, wenn man in der Zeit vor und zurück gehen könnte?
Odile Ozanne ist 16 Jahre alt und soll bald eine Ausbildung beginnen. Ihre Mutter möchte, dass sie am Auswahlverfahren für‘s Conseil, der Verwaltung des Bezirks, teilnimmt, um so ihr Ansehen und ihren Lebensstandard zu verbessern. Die beiden leben in einem Tal, umgeben von anderen Tälern, deren Grenzen jedoch mit Stacheldraht und Wachtürmen gesichert sind. Im Nachbartal im Osten leben dieselben Bewohner, jedoch 20 Jahre in der Zukunft, während selbige Bewohner im Westen 20 Jahre in der Vergangenheit leben. Begegnungen zwischen den einzelnen Zeitzonen müssen verhindert werden, da mit unvorhersehbaren Folgen gerechnet werden muss. Ein kurzer anonymer Besuch kann vom Conseil nur in ganz besonderen Fällen erlaubt werden, meist um einen Verstorbenen, von dem man sich nicht verabschieden konnte, nochmals zu sehen. Odile hat bei der Auswahl gute Aussichten im Conseil aufgenommen zu werden, doch dann geschieht etwas, das sie ihre Bewerbung abbrechen lässt. Das sollte fatale Folgen für ihre Zukunft haben …
Scott Alexander Howard lebt in Vancouver, British Columbia. Er promovierte in Philosophie an der University of Toronto und war Postdoktorand in Harvard, wo er sich mit der Beziehung zwischen Erinnerung, Emotion und Literatur beschäftigte. „Das andere Tal“ ist sein erster Roman.
Es handelt sich hier um eine ganz außergewöhnliche Geschichte, vom Autor philosophisch durchdacht und intelligent geschrieben, die nachdenklich stimmt und zum Grübeln anregt. Was wäre, wenn man in die Vergangenheit zurück könnte, um seine gemachten Fehler und falschen Handlungen zu korrigieren? Welche Auswirkungen hätte es für mich und für die Zukunft anderer beteiligter Personen? Wäre es sinnvoll, verstorbenen lieben Menschen noch einmal zu begegnen und wäre der Kummer des Verlustes dann nicht noch größer?
Kein einfaches Thema, das Howard jedoch großartig umgesetzt hat. Es geht im Roman nicht alleine um „Zeitreisen“, sondern neben Schmerz und Trauer spielt auch eine aufkeimende junge Liebe eine große Rolle. Die Handlung, die Personen und auch die Beschreibung der Landschaft konnten mich voll überzeugen. Neben ruhigen und besinnlichen Phasen knistert es in der Geschichte manchmal vor Spannung, so dass es nie langweilig wird. Glaubt man irgendwann zu wissen wie es ausgeht, wird man wieder eines Besseren belehrt. Der Schluss überzeugt, beruhigt und macht glücklich.
In einem Interview am Ende des Buches erklärt Howard sein Motiv für dieses „erzählerisch umgesetzte philosophische Gedankenspiel zum Thema Zeit und Zeitreisen“, wie er es nennt.
Fazit: Ein außergewöhnlich spannendes Leseerlebnis, das mich gepackt und begeistert hat und das ich gerne weiter empfehle.

Bewertung vom 04.03.2024
Wir werden jung sein (eBook, ePUB)
Leo, Maxim

Wir werden jung sein (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Für immer jung – Fluch oder Segen?
Der Biochemiker Professor Martin Mosländer an der Berliner Charité hat ein neues Medikament entwickelt, das Herzmuskelzellen erneuern soll, um so eine chronische Herzmuskelschwäche zu kurieren. Er testet dies an einer Gruppe von vier Personen, an sich selbst und an seinem alten Hund. Die Probanden sind: Der sechzehnjährige herzkranke Jakob, der gerade seine erste Freundin hat, der alte Fabrikant Wenger, der aufgrund seines Herzleidens nicht mehr lange zu leben hat, die fünfunddreißigjährige Verena, ehemalige Olympiasiegerin im 100-Meter Freistilschwimmen und Jenny, eine Lehrerin in den besten Jahren, die bereits jahrelang erfolglos versuchte schwanger zu werden. Das Medikament zeigt seine Wirkung, jedoch etwas anders als erwartet, alle Probanden werden biologisch immer jünger. Als die Öffentlichkeit davon erfährt, reißt sich alle Welt um das Wundermittel ...
Maxim Leo, geb. 1970 in Ost-Berlin, ist ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Er wuchs in Ost-Berlin auf, absolvierte nach der Schulzeit eine Ausbildung zum Chemielaboranten, studierte danach Politikwissenschaften und arbeitete im Anschluss als Nachrichtenredakteur beim RTL. Er schrieb gemeinsam mit Jochen Gutsch mehrere Bestseller und eine Krimi-Reihe um Kommissar Voss, der in Brandenburg ermittelt. Der Autor lebt mit Frau und zwei Kindern in Berlin.
Eine faszinierende Zukunftsvision, die uns der Autor hier präsentiert. Er erzählt die Geschichte aus Perspektiven der Probanden, für die das Medikament einschneidende Veränderungen in ihrem Leben bewirkt – sie werden nicht nur gesünder, sondern auch biologisch jünger! Wir begleiten sie während eines Jahres und erfahren so hautnah, wie unterschiedlich sie mit der Situation umgehen und wie die Welt darauf reagiert. Was sind die Risiken und welche Möglichkeiten eröffnen sich? Ist das Medikament ein Segen oder gar ein Fluch für die Menschheit und ist eine Lebensverlängerung ethisch eigentlich zu verantworten? Der Schluss ist dann überraschend kurz. Eine schlüssige Antwort auf all die Fragen erfahren wir nicht, man muss sich seine eigenen Gedanken machen.
Fazit: Ein wirklich gut gelungener Roman über ein ungewöhnliches Thema, der sich gut und flüssig lesen lässt.

Bewertung vom 02.03.2024
Annas Lied (eBook, ePUB)
Koppel, Benjamin

Annas Lied (eBook, ePUB)


sehr gut

Die heilsame Kraft der Musik
Hannah ist das jüngste von fünf Kindern der dänisch-jüdischen Familie Koppelman. Sie würde gerne Musikerin werden, doch im Gegensatz zu ihren vier Brüdern, die sich der Familientradition widersetzten und ihre Frauen selbst aussuchten, muss sich Hannah dem Willen der Eltern beugen. Obwohl sie heimlich Aksel liebt, soll sie die Ehre der Familie wahren und eine arrangierte jüdische Ehe eingehen, die sie nach Paris verschlagen wird. Doch zunächst kommt es anders. Der II. Weltkrieg steht kurz bevor, die jüdische Bevölkerung wird auch in Dänemark verfolgt und wer nicht fliehen konnte wird deportiert. Die Familie wird auseinandergerissen, Hannah überlebt in Schweden und heiratet nach dem Krieg, wie von den Eltern gewünscht, den jungen französischen Juden Francois …
Benjamin Koppel, geb. 1974, ist ein international bekannter dänischer Jazz-Musiker und Autor des Buches „Annas Lied“ (2024). Er erzählt darin die Lebensgeschichte von Anna, der Schwester seines Großvaters, die lange als verschollen galt. Der Roman beruht auf Tatsachen, wie der Autor selbst sagt, die er fiktionalisiert und mit Anekdoten ausgeschmückt hat, die in seiner Familie seit Generationen überliefert sind.
Jüdisches Leben, ihre Sitten, Traditionen und Bräuche, sind neben Annas bewegender, mitreißender Geschichte ein großes Thema, das der Autor Benjamin Koppel in diesem Buch lebendig werden lässt. Wir lesen von der Einsamkeit im Herzen der Protagonistin und von ihrer Liebe zur Musik, die ihr über manch schwere Stunde hinweg half. Sehr feinfühlig schildert er auch Hannahs unerfüllte Träume, ihre hoffnungslose Liebe zu Aksel, der sie ein beinahe 100jähriges Leben lang nachtrauert, und von ihrer großen Sehnsucht Musikerin zu werden.
Der Autor versteht es großartig, die Gefühle der Menschen zu beschreiben. Auf eindringliche Weise vereinigt er hier gut recherchierte Zeitgeschichte mit jüdischem Lebensgefühl und überzeugt durch Tiefgang und Spannung. Es ist kein einfacher Lesespaß, doch wer sich für Musik interessiert und gerne Familiensagas liest, wird hier auf seine Kosten kommen.
Fazit: Interessante, gut geschriebene Lebensgeschichte über eine starke Frau, die die Liebe zu ihren Eltern über ihr eigenes Glück stellt.