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Herbstrose

Bewertungen

Insgesamt 223 Bewertungen
Bewertung vom 26.03.2017
Smith, Dominic

Das letzte Bild der Sara de Vos


ausgezeichnet

Seit vielen Generationen ist das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert, „Am Saum eines Waldes“, schon im Besitz der Familie. Doch nun hängt im Schlafzimmer des reichen New Yorker Patentanwaltes Marty de Groot plötzlich eine Kopie – vermutlich ausgetauscht bei der Wohltätigkeits-Party vor einigen Tagen. Bei dem Bild handelt es sich um das einzige verbliebene Werk der holländischen Malerin Sara de Vos, die 1631 als erste Frau in die Amsterdamer Meistergilde aufgenommen wurde. De Groot schaltet einen Detektiv ein, der auch bald den Maler der brillanten Kopie ausfindig machen kann. Es ist die junge Kunststudentin Ellie Shipley, die für den Kunsthändler Gabriel gelegentlich beschädigte Gemälde restauriert. Zu spät merkt sie, dass sie einem Betrug aufgesessen ist und für Gabriel eine Fälschung gemalt hat – mit weitreichenden Folgen …
Der Autor Dominic Smith wuchs in Sidney auf und lebt heute in Austin, Texas. Er schrieb Beiträge für einige namhafte Zeitungen und erhielt für seine historischen Romane zahlreiche Preise, doch erst mit seinem Buch „Das letzte Bild der Sara de Vos“ errang er weltweit Beachtung und Anerkennung. Der Roman zeichnet sich durch Liebe zur Malerei, großen Sachverstand und ausgezeichnete Recherche aus, das Cover dazu ist hervorragend gelungen und verrät bereits im Voraus einiges über den Inhalt.
Der Schreibstil ist sehr ansprechend und lässt sich gut und flüssig lesen. Besonders ausdrucksstark sind dem Autor die Landschaftsbeschreibungen und sehr lebendig die Lebensumstände der Protagonisten gelungen. Erklärungen zur Malerei, Maltechniken und Pinselführung sind anschaulich geschildert. Wie Dominic Smith im Nachwort erwähnt, ist die Handlung frei erfunden, wobei er jedoch biographische Details einiger Malerinnen des 17. Jahrhunderts, wie Judith Leyster und Sarah van Baalbergen, mit eingebunden hat.
Die Geschichte baut auf drei Hauptpersonen in drei verschiedenen Zeitebenen an drei verschiedenen Orten auf. Da ist die Malerin Sara de Vos, ihr Leben und Wirken in den Jahren 1636 und 1637 in Holland – der Anwalt Marty de Groot und die Kunststudentin Ellie Shipley in New York 1958 – und ein nochmaliges Zusammentreffen des Anwalts und der Fälscherin in Sidney im Jahr 2000. Handeln und Beweggründe der Protagonisten sind sehr real geschildert, menschliche Schwächen und ihre Hintergründe sind gut nachvollziehbar. Kurze Kapitel und ein stetiger Wechsel von Ort und Zeit steigern allmählich die Spannung und halten sie bis zum Schluss auf hohem Niveau. Obwohl die Grundstimmung eher melancholisch ist, blitzt doch ab und zu Humor durch, das Ende stimmt versöhnlich und lässt einen zufriedenen Leser zurück.
Fazit: Ein außergewöhnliches Buch, sehr empfehlenswert – für Kunstinteressierte ein Muss.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2017
Frank, Arno

So, und jetzt kommst du


ausgezeichnet

Vater, Mutter, drei Kinder – eine ganz normale Familie, wie es zunächst den Anschein hat. Doch es fällt auf, dass sie in letzter Zeit mehrmals umgezogen sind. Jetzt, 1984, wohnen sie in einem Haus mitten im Wald in der Nähe von Kaiserslautern. Vater Jürgen, der schon immer von Reichtum und vom mondänen Leben träumte, verkauft derzeit gebrauchte Nobelkarossen. Mutter Jutta gibt gelegentlich Tupper-Partys und ist ansonsten ganz zufrieden mit ihrem Leben, so wie es ist. Der 13jährige Arno besucht das Gymnasium in Kaiserslautern, seine fünf Jahre jüngere Schwester Jeany die Grundschule im benachbarten Ort und der Jüngste, Fabian, ist gerade mal ein halbes Jahr alt. Doch statt des erhofften Reichtums kommen nun öfters Briefe vom Gericht und gelegentlich steht auch die Polizei vor der Tür. Dann, eines Tages war er plötzlich da, der große Geldsegen, der Reichtum. Um Mitternacht werden die Kinder geweckt, rasch das Nötigste eingepackt, und ab geht’s im geliehenen Benz Richtung Süden, an die Côte d’Azur. Jetzt kann man es sich gut gehen lassen, man hat ja schließlich „einen Arsch voll Geld“, wie Vater sich ausdrückt. Man mietet eine Villa mit Meerblick und Swimmingpool und gibt das Geld mit vollen Händen aus. Abends geht Vater ins Casino nach Nizza oder Cannes, zum ‚Arbeiten‘, wie er es nennt. Dann steht eines Tages wieder die Polizei vor der Tür – und wieder flüchtet man mitten in der Nacht, diesmal ohne Geld, denn das ist aufgebraucht …
Arno Frank, Jahrgang 1971, studierte Kunstgeschichte und Philosophie, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München, war elf Jahre Redakteur bei der „taz“ in Berlin, arbeitete als freier Kulturjournalist für verschiedene Magazine, lebt jetzt in Wiesbaden und ist dort Inlandskorrespondent der „taz“. Seine Kindheits- und Jugenderlebnisse hat er, leicht verfremdet. In seinem ersten Roman „So, und jetzt kommst du“ zusammen gefasst und nach dem Tod seiner Mutter veröffentlicht.
Protagonist und Erzähler seiner Erlebnisse ist Arno als dreizehn- bis fünfzehnjähriger Junge. Der Schreibstil ist sehr angenehm, ausdrucksstark und bildhaft. Zu Beginn jedoch, wenn Arno als kleines Kind über seine Erfahrungen berichtet, ist meiner Meinung nach die Sprache zu ‚erwachsen‘, bzw. nicht der kindlichen Sprach- und Denkweise angepasst. Die Geschichte liest sich ansonsten gut und flüssig und hat bei aller Tragik, zumindest in der ersten Hälfte, auch ihre komischen Momente. Doch irgendwann wird dem Leser klar, dass der Spaß und das Abenteuer zu Ende ist. Plötzlich hat man nur noch Mitleid mit den Kindern und den beiden Hunden, die auf dieser Odyssee auch mitgeschleppt werden, ärgert sich über die Mutter, die alles so teilnahmslos hinnimmt, und bekommt Hass auf den Vater, der in seiner Hilflosigkeit gewalttätig wird und mit seiner Großspurigkeit die ganze Familie ins Unglück stürzt.
Anfangs zieht sich die Handlung etwas verhalten dahin, doch mit der Flucht kommt deutlich mehr Spannung auf. Man fragt sich, wie lange das noch gut gehen kann und warum immer wieder der Zusammenhalt der Familie beschworen wird. Selbst als kein Geld für Essen und Unterkunft mehr da ist, werden Vaters Entscheidungen nicht infrage gestellt. Ist das noch Liebe, Arglosigkeit oder eher Dummheit? Man hofft, dass die Familie endlich merkt, dass er kein Held, sondern ein ganz gewöhnlicher Betrüger ist. Es macht mich betroffen, dass die Kinder dadurch keine normale Kindheit erleben konnten.
Fazit: Ein gut gelungenes Romandebüt, eine ausdrucksstark erzählte Geschichte die berührt und betroffen macht.

Bewertung vom 03.03.2017
Stout, Rex

Es klingelte an der Tür / Nero Wolfe Bd.41


sehr gut

Nachdem die reiche Geschäftsfrau Rachel Bruner das Buch „Hinter den Kulissen des FBI“ gelesen hatte war sie der Meinung, alle Amerikaner in führenden Positionen sollten es auch lesen und verschickte es daher an 10.000 einflussreiche Bürger. Das gefiel wohl dem FBI ganz und gar nicht – die Dame fühlt sich seither verfolgt und auf Schritt und Tritt überwacht. Als Retter in der Not erscheint ihr Nero Wolfe geeignet, der bekannte New Yorker Privatdetektiv. Doch Wolfe zögert den Auftrag anzunehmen, er kann und will sich nicht mit dem FBI anlegen. Auch Wolfes Assistent Archie Goodwin rät davon ab. Doch ein Scheck über 100.000 Dollar als Anzahlung stimmt Wolfe um …
Wer von den (älteren) Lesern kennt sie nicht, die US-Fernsehserie „Nero Wolfe“ aus den 80er Jahren, mit dem übergewichtigen bärtigen Ermittler, der seine Wohnung fast nie verlässt und der mit Hilfe seiner Assistenten Archie Goodwein und Saul Panzer auch die kniffligsten Fälle in seinem Stuhl sitzend löste? Nero Wolfe, der gemütliche Orchideenzüchter und Liebhaber exzellenter Küche, mit eigenem Koch und Gärtner, – ihnen allen begegnet man in diesem Buch wieder. „Es klingelte an der Tür“ ist eine der unzähligen Episoden, die der Autor Rex Stout (1886-1975) in der Zeit von 1934 bis 1975 geschrieben hat. Auch hier befasste er sich kritisch, wie in vielen seiner Bücher, mit Übergriffen amerikanischer Staatsorgane in die Privatsphäre der Bürger und entlarvt mit grimmigem Witz die Überwachungsmethoden des FBI.
Der Schreibstil ist, dank der Neuübersetzung von Conny Lösch, sehr ansprechend und flüssig lesbar. Der Autor lässt seinen Assistenten Archie Goodwin erzählen, der die verzwickte Story dem Leser auf unterhaltsame Weise und mit einer gehörigen Portion Humor näher bringt. Trotzdem ist es nicht einfach, dem kniffligen Geschehen zu folgen, denn zwei zunächst eigenständige Fälle werden von Wolfe geschickt miteinander verwoben. Richtige Spannung kommt jedoch erst ab etwa der Mitte des Buches auf. Die Protagonisten sind gut gezeichnet – beim Lesen kommen Erinnerungen zurück und es spielt auch eine große Portion Nostalgie mit. Die gute Haptik des Einbandes, das einprägsame Cover, ein interessantes Nachwort von Jürgen Kaube und ein Auszug (in englisch) aus dem Rex-Stout-Archiv vervollständigen den guten Gesamteindruck.
Fazit: Eine Detektivgeschichte, die zu lesen mir großen Spaß bereitet hat.

Bewertung vom 19.02.2017
Chirovici, Eugene O.

Das Buch der Spiegel


sehr gut

Der Literaturagent Peter Katz bekommt das Manuskript eines Romans zugeschickt, von dem er sofort begeistert ist. Verfasser ist ein gewisser Richard Flynn. Er berichtet über den nie aufgeklärten Mord an einem Professor für Psychologie aus dem Jahre 1987 in Princeton und verspricht neue Enthüllungen. Doch das Manuskript endet an einer entscheidenden Stelle. Als Katz sich mit Flynn in Verbindung setzen will erfährt er, dass dieser in der Zwischenzeit verstorben ist. So beauftragt er den befreundeten Reporter John Keller damit, den Rest des Manuskripts zu finden oder einen passenden Schluss zu erfinden. Keller gelingt es einige Zeitzeugen zu befragen, von denen alle ein Puzzlestück zur Lösung des Falles beitragen könnten. Doch dabei stößt er auf ein Gewirr von Widersprüchen und Ungereimtheiten, denn jeder der Beteiligten hat nach beinahe dreißig Jahren eine andere Erinnerung. So setzt er sich mit Roy Freeman, einem pensionierten Polizisten, der in dem damaligen Mordfall ermittelte, in Verbindung. Diesem gelingt es offenbar, Licht ins Dunkel zu bringen. Doch ist das wirklich die Wahrheit? Kann man den Erinnerungen trauen? …
„Das Buch der Spiegel“ ist sowohl der Arbeitstitel des Romanmanuskripts in der Geschichte, als auch der Titel des Kriminalromans des rumänischen Schriftstellers E.O. Chirovici. Das Buch wurde bereits in über 30 Länder verkauft und vom britischen „The Guardian“ gar als ‚Sensation‘ bezeichnet. Vom Verlag und auf dem Cover als Roman charakterisiert, würde ich es doch eher unter der Bezeichnung „Kriminalroman“ einordnen. Obwohl sehr viel auf das trügerische menschliche Erinnerungsvermögen, auf Einbildungskraft und Unterbewusstsein, eingegangen wird, überwiegt m.E. doch das kriminalistische, denn der Leser brennt naturgemäß darauf zu erfahren, wer seinerzeit den allseits beliebten Professor ermordet hat und was die Gründe für die Tat waren.
Vier Ich-Erzähler schildern in chronologischer Reihenfolge den Fall jeweils aus ihrer Sicht. Daraus entwickelt sich zu Beginn eine gewisse Spannung und die Frage, wie sich das alles am Ende wohl zusammen fügen wird. Viele Wendungen und immer wieder neue Erkenntnisse kommen in Umlauf, so dass sich die Sichtweise des Lesers ständig ändert. Rückblicke und aktuelle Ereignisse wechseln rasch, familiäre Probleme der Protagonisten verknüpfen sich mit dem Geschehen, neue Personen und belanglose Nebenschauplätze tauchen plötzlich auf, so dass man schon mal den Überblick verlieren kann.
Der Schreibstil ist sachlich und eher nüchtern, die Erzählweise den berichtenden Personen angepasst, insgesamt jedoch flüssig und schnell lesbar. Die Spannung ist zu Beginn sehr hoch, fällt aber bald rapide ab. Bedingt durch die unterschiedlichen Erzähler ergeben sich zwar neue Sichtweisen, jedoch bleibt die Geschichte immer dieselbe mit einigen Abwandlungen. Die Charaktere und ihr Umfeld sind sehr ausführlich und sehr detailgetreu beschrieben, so dass man sich während des Lesens ständig fragen muss, was wohl für die Geschichte relevant ist und was man getrost vergessen kann. Das Ende ist schlüssig und passend, wenn auch einige Fakten ungeklärt bleiben.
Fazit: Ein Roman mit kriminalistischem Hintergrund, der geschickt mit den Tiefen der Psyche, dem menschlichen Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft und trügerischem Unterbewusstsein, spielt.

Bewertung vom 29.03.2016
Backman, Fredrik

Ein Mann namens Ove


ausgezeichnet

„Ein Mann namens Ove“ ist für mich eines der schönsten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Dem Autor Fredrik Backman gelingt es großartig, aus Ove, den man anfangs nur nervig und unausstehlich findet, einen absoluten Sympathieträger zu machen. Man muss ihn einfach gern haben, diesen kauzigen Mann, dessen weicher Kern nach und nach zum Vorschein kommt. Man liest nicht nur, man ist dabei, man fühlt sich dazugehörig beim Schlagabtausch mit der Nachbarin, bei den Gesprächen mit der Katze oder wenn Ove mit dem Grabstein seiner Frau redet und ihr die neuesten Vorkommnisse in der Siedlung erzählt.
Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen, Rückblenden auf Oves früheres Leben machen das Ganze zu einer runden Angelegenheit. Eine Geschichte die das Herz wärmt und die Seele streichelt – man kann herzhaft lachen und ist wenig später wieder zu Tränen gerührt. Am Schluss ist man nur traurig, dass das Buch schon zu Ende ist und dass es keine Fortsetzung geben wird, aber Ove und seine Weisheiten wird man noch lange in Erinnerung behalten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2015
Schiller, B. C.

Rattenkinder / Chefinspektor Tony Braun Bd.6


sehr gut

Chefinspektor Tony Braun wird in die Psychiatrische Klinik in Linz gerufen, ein Patient hätte der Polizei eine wichtige Mitteilung zu machen. Dort erhält er von Viktor Maly, einem Insassen der geschlossenen Abteilung, einen blutverschmierten Zettel mit geheimnisvollen Zahlen. Wie sich bald herausstellt, handelt es sich um Koordinaten, die auf einen Park an der Donau hinweisen. Dort sitzt eine junge Frau regungslos auf einer Bank, im Kinderwagen daneben schreit ein Baby. Die Frau ist tot, bestialisch ermordet, zu ihren Füßen liegt ein Rattenschädel. Das Ermittlerteam Tony Braun, Franka Morgen und Bruno Berger vermutet zunächst den Mörder im heimischen Umfeld, doch bald führt eine weitere Spur in ein Roma-Ghetto nach Tschechien. Auch Viktor Maly wird verdächtigt, doch der kann die Psychiatrie ja nicht verlassen, oder doch? Dann wird eine weitere Frau ermordet – auch hier findet sich ein Rattenschädel, der Franka in panische Angst versetzt - und Maly weiß offenbar wieder mehr als er zugeben will…
Ein brisantes Thema, das das Autorenduo B.C. Schiller hier in ihrem neuesten Thriller „Rattenkinder“ aufgegriffen und offensichtlich gut darüber recherchiert hat. Es geht dabei nicht nur um extrem brutale Morde, sondern vielmehr um die illegalen Geschäfte höher gestellter Persönlichkeiten, die damit viel Geld verdienen, und um die korrupten Machenschaften osteuropäischer Banden. Selbst die Polizei agiert manchmal unkonventionell und am Rande der Legalität.
Die Story beginnt mit einem geheimnisvollen Prolog, den man erst viel später zuordnen kann. Weiter wird in mehreren Handlungssträngen erzählt: In Linz versuchen Braun und sein Team die Morde aufzuklären, in Dogcity, einem tschechischen Ghetto, erleidet eine junge Frau namens Tara schreckliche Qualen und eine unbekannte Person erzählt in Kursivschrift von ihrer Vergangenheit. Aufgrund sehr vieler Namen und eingestreuter Nebenhandlungen ist die Geschichte, besonders am Anfang, ziemlich verwirrend. Die Ermittler machen einen Fehler nach dem anderen und scheinen dabei selbst ein Fall für die Psychiater zu sein. Trotzdem lässt sich das Buch, bedingt durch den klaren und flüssigen Schreibstil, sehr gut lesen. Es passiert sehr viel in diesem Thriller und die Spannung ist durchgehend auf hohem Niveau, der Show-Down zum Ende hin erzeugt Gänsehaut und Nervenkitzel.
Die Auflösung des Geschehens ist stimmig und nachvollziehbar, wenn auch für mein Empfinden stark konstruiert und vom Zufall abhängig. Trotz allem ist am Schluss vieles der Fantasie des Lesers überlassen. Einige Fragen bleiben offen, was wohl im Hinblick auf den nächsten Thriller mit Tony Braun so geplant ist.
Fazit: Ein Thriller mit unkonventionellem Ermittler, spannend und verwirrend, mit einem überraschendem Ende.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.01.2015
Felenda, Angelika

Der eiserne Sommer / Kommissär Reitmeyer Bd.1


gut

Ein Stück Zeitgeschichte
Sommer 1914, zwei Ereignisse prägen das Weltgeschehen: Ende Juni das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin in Sarajewo und im August als Folge davon der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In dieser Zeitspanne ist der Roman „Der eiserne Sommer“ angesiedelt.
In München wird am Ufer der Isar die Leiche eines Mannes aufgefunden. Sebastian Reitmeyer, Kommissär bei der Münchner Kripo, wird mit der Leitung der Ermittlungen beauftragt. Bald geschehen weitere Morde. Die Spuren führen zum Leibregiment des Königs und ins Homosexuellenmilieu, einer Konstellation, die eigentlich undenkbar ist. Das Militär ist unantastbar, so dass der Polizei bald von höchster Stelle nahegelegt wird, die Ermittlungen einzustellen. Doch Reitmeyer hält sich nicht an die Order …
Der Autorin Angelika Felenda ist es sehr gut gelungen, den geschichtlichen Hintergrund darzustellen und den Zeitgeist vor einhundert Jahren einzufangen. Gute Recherchen lassen die Mordmotive glaubhaft erscheinen, nichts ist überkonstruiert. Das Land steht vor dem Abgrund des 1. Weltkrieges, die Macht liegt beim Militär, es herrscht Standesdünkel und Obrigkeitsdenken, die Bevölkerung leidet unter Armut, die Polizei fährt mit dem Fahrrad zum Tatort und die Kriminaltechnik steckt noch in den Kinderschuhen.
Der Schreibstil ist klar, flüssig und gut verständlich der damaligen Zeit angepasst. Regelmäßig eingefügte Tagebucheinträge, Zeitungsnotizen und Mitteilungen lockern die Handlung auf und bieten dem Leser eine zusätzliche Sichtweise. Die Protagonisten sollten, im Hinblick auf eine Fortsetzung, noch besser ausgearbeitet werden. Reitmeyer ist seltsam langweilig, blass und ohne Struktur, seine Empfindungen kann man nicht fühlen und nachvollziehen. Auch die anderen Charaktere wirken auf mich nur oberflächlich, verschwommen und nicht greifbar. Einzig der Polizeischüler Korbinian Rattler ist sehr vielschichtig, zeigt Konturen und hat Ecken und Kanten.
Fazit: Eine durchaus interessante Mischung aus Zeitgeschichte und Kriminalfall, logisch und gut konstruiert, die beim Lesen jedoch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit fordert. Leider lassen sich die Hintergründe der Morde schon sehr früh erahnen, so dass ein Knalleffekt ausbleibt.

Bewertung vom 19.01.2015
Götz, Andreas

Stirb leise, mein Engel!


sehr gut

Der Tod liebt Zyankali

Drei Selbstmorde in München innerhalb kürzester Zeit – nichts Außergewöhnliches, sollte man meinen. Doch es sind drei sehr junge Mädchen, und alle haben sich mit Zyankali vergiftet. Da man immer einen Abschiedsbrief vorfand, kann die Polizei nichts unternehmen. Nur Sascha, der Sohn einer Polizeibeamtin, findet die Sache merkwürdig. Als sich dann auch noch Nathalie umbringt, ein Mädchen das er bei seinem Psychologen Dr. Androsch kennen gelernt hat, steht für ihn fest, dass es sich um Mord handeln muss. Zusammen mit Joy, seiner neuen Nachbarin, begibt er sich auf „Spurensuche“ nach einem Jungen namens Tristan, den Nathalie kurz vor ihrem Tod einmal erwähnt hatte. Lange tappen sie im Dunkeln, bis sich auch Mareike, ein weiteres Mädchen, an den „Ermittlungen“ beteiligt. Plötzlich wird es für alle sehr gefährlich …

„Stirb leise, mein Engel“ ist ein sehr gut gemachter, spannender Jugendthriller. Der Autor Andreas Götz lässt die Geschichte abwechselnd von Sascha und von dem Mörder erzählen. Bemerkenswert dabei ist, dass der Schreibstil sich jeweils überzeugend den Protagonisten anpasst. Während sich der 16jährige Sascha eher in einer etwas legeren Jugendsprache ausdrückt, berichtet der Mörder interessant und sehr spannend über seine Gefühle und Gedanken. Besonders diese Passagen überzeugen und sorgen für Gänsehautfeeling.

Die gut konstruierte Handlung bedient sich bewährter Klischees und ist teilweise auch vorhersehbar, dennoch ist man von dem spektakulären Showdown am Ende überrascht. Die Figuren sind allesamt glaubwürdig und anschaulich dargestellt, ihre Gefühle dezent und dennoch authentisch beschrieben, gelegentlich ist auch etwas Liebe im Spiel. Obwohl man als Leser über den Mörder Bescheid weiß, kennt man ihn dennoch nicht und ratet und rätselt eifrig mit den Protagonisten mit.

Fazit: Ein gelungener Thriller, empfehlenswert für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.01.2015
McCarten, Anthony

funny girl


ausgezeichnet

Azime – einfach nur Azime
Azime lebt in London, ist zwanzig Jahre alt, unverheiratet und erledigt in dem kleinen Möbelgeschäft ihres Vaters die Büroarbeiten. Eine junge moderne Frau wie jede andere? Nein, eines unterscheidet sie von anderen Londonerinnen ihres Alters, sie ist Muslima. Ihre Eltern stammen aus einem kurdischen Dorf in der Türkei und leben immer noch nach alten, überlieferten Regeln. Zwar trägt Azime kein Kopftuch und konnte sich auch erfolgreich den vielen Versuchen ihrer Mutter, sie mit einem Landsmann (meist im Alter ihres Vaters) zu verheiraten, widersetzen, doch auch für sie gilt: Der Mann hat das Sagen, die Frau muss gehorchen. Aber plötzlich will Azime mehr, sie will aufrütteln, will die starren Regeln durchbrechen. Auslöser sind ein Terroranschlag radikaler Islamisten in London und der vermeintliche Selbstmord einer Freundin, die verbotenerweise mit einem Italiener eine Beziehung hatte. Azime vermutet einen Ehrenmord der Familie und beginnt mit Nachforschungen.
Auch Azime hat ihre Heimlichkeiten, die sie vor ihrer Familie verbergen muss. Mit einem Freund besucht sie, eher zufällig, einen Kurs für angehende Comedians und ist begeistert. Auf der Bühne kann man beinahe alles sagen, was man sonst nur denken darf. Sie erkennt die Chance, gegen Intoleranz anzukämpfen und mit Humor zwischen den Kulturen zu vermitteln. Bald schon hat sie ihren ersten Auftritt zu dem sie, um nicht erkannt zu werden, eine schwarze Burka überzieht. Sofort hat sie großen Erfolg, das Publikum ist begeistert. Die erste muslimische Frau, die auf der Bühne steht und Comedy macht erregt natürlich Aufsehen, und am nächsten Tag erscheint ihr Foto im Guardian. Die Familie ist entsetzt und verstößt sie, ihr jüngerer Bruder wird handgreiflich und von muslimischen Glaubensbrüdern bekommt sie sogar Morddrohungen.
Doch Azime ist nicht mehr zu bremsen, sie kann nicht anders, sie muss ihr Talent nutzen, muss sich mitteilen, muss Witze erzählen und ihr Publikum zum Lachen bringen. Gemeinsames Lachen verbindet, ist ein Mittler zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen. Erste Erfolge zeigen sich bereits in ihrer Familie …
Mit dem Roman „funny girl“ ist es Anthony McCarten wieder einmal gelungen, ein ernsthaftes, brisantes Thema auf unterhaltsame Weise zu vermitteln. Sein unaufdringlicher, humorvoller Schreibstil ist wie geschaffen für diese Geschichte. Azime ist eine junge Muslima die zwischen den Kulturen steht, zwischen Tradition und Moderne. Schlagfertig und manchmal auch voller Selbstzweifel verfolgt sie mutig ihr Ziel, die Welt durch Humor etwas menschlicher zu machen. Kritik an der Gesellschaft und an deren Verhältnis zur Integration wechseln gekonnt mit humorigen Passagen. Ganze Bühnenauftritte Azimes werden geschildert, Witze als Waffe gegen intolerante Zeitgenossen. Klischees werden bedient, Unerwartetes geschieht, alles ist dynamisch miteinander verwoben – und zum Ende ist es dann doch anders als erwartet.
Fazit: Ein Buch das nachdenklich stimmt, zum gelegentlichen Schmunzeln verführt, gefühlvoll ist und dennoch enormen Tiefgang hat. Sehr lesenswert!