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buecherweltenbummler
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Rheinland-Pfalz - Mudersbach

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 29.03.2023
Nur ein Wort von Dir
Whelan, Julia

Nur ein Wort von Dir


ausgezeichnet

Schönste Liebesgeschichte ganz ohne Kitsch
Es ist eine Nacht in Las Vegas, in der die Regeln der Natur gebrochen werden. Als es schneit und Sewanee einem Fremden begegnet.
Zurück in LA muss sich die Hörbuchsprecherin wieder der Wirklichkeit stellen. Mehr aus einem Notfall heraus nimmt sie daher den Auftrag für eine Romance-Geschichte an, die sie zusammen mit Brock McNight, der sagenumwobenen Stimme des Genres, einlesen soll. Aus Distanz. Doch während sie beide ihren Job erledigen, lernen sie sich immer besser kennen. Immer über die sichere Verbindung ihres Handys. Wer steckt hinter der Stimme, die für Sewanee längst mehr ist als ein Kollege ?

Gibt es einen Buch-Oscar für die beste Liebesszene in Romanen? Denn dann würde ich gerne dieses Buch nominieren! Julia Whelan beherrscht es, Spannung und Gefühl zu erzeugen und das auf eine Weise, die fast schon literarisch anmutet.

Die bedeutende Liebesszene ist beispielhaft für den Roman. Beide Protagonisten sind Unbekannte, die erst nach und nach entschlüsselt werden. Die Spannung wird während der gesamten Lektüre durch die gefühlvolle Annäherung zweier Menschen getragen.
Hinzu kommt das atemberaubende Setting. Die Leser*innen verweilen mit Sewanee in LA, nicht die Traumvariante, sondern die für Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Glamour dagegen wird mit BlahBlah, Sewanees dementer Großmutter und ehemalige Schauspielerin transportiert, jedoch auf alternative Weise. Wir begleiten die Stars, von denen keine*r mehr weiß, dass sie welche waren. Hören uns Geschichten an von einem Hollywood vergangener Tage.

"Nur ein Wort von dir" ist ein Buch, das ich regelrecht inhaliert habe. Es ist Trauer und Reue. Freundschaft und Schuld. Befasst sich mit Vergangenheit und Erwartungen an die Zukunft. Es ist irisch und das komplizierteste Dip-Rezept der Welt. Es ist Romantik pur und so viel mehr als das. Es macht seine Leser*innen verliebt.

Bewertung vom 28.03.2023
Mary
Eekhout, Anne

Mary


ausgezeichnet

Ernste Geschichte
Gerade mal 14-jährig wird Mary Wollstonecraft Godwin im Jahre 1812 zu der schottischen Familie Booth geschickt, wo sie Isabella kennenlernt. Gemeinsam mit der älteren Tochter der Booths beschäftigt sie sich mit Fragen, die sich um eine dunklere Seite des Seins drehen. Ihre Erfahrungen nimmt sie mit, als sie vier Jahre später als Mary Shelley mit mehreren Schriftstellern in Genf verbringt.

Mary Shelley wird unweigerlich mit einem ganz besonderen Namen in Verbindung gebracht - Frankenstein. Während ihres Aufenthaltes in Genf entstand die Idee zur weltberühmten Schauergeschichte, wo sie und die anderen Literaten, u.a. Lord Byron, unheimliche Geschichten schreiben, die sie sich gegenseitig vorlesen.
Der Hintergrund klingt fast genauso schön schaurig wie der Klassiker selbst. Wie also schafft dieses Buch die Umsetzung?

Gegruselt habe ich mich während der Lektüre nicht. Trotzdem ist die Atmosphäre düster. Die Handlung vollzieht sich in zwei Strängen: Marys Aufenthalt in Schottland als Tagebucheinträge sowie ihre Zeit in Genf aus Sicht des auktorialen Erzählers. Während das Eine persönlich erscheint, wobei Mary auch hier relativ sachlich bleibt, wirkt das Andere sehr distanziert. Ein Beobachter, der unter der Decke schwebt und seine Beobachtungen preisgibt. Jedoch dringt er dabei ab und an in den Geist Marys ein. Ihre Erinnerungen. Ihre Depression. Und genau das spiegelt die Atmosphäre wider. Trauer. Depression. Und gleichzeitig Distanz.

Keine weitere britische Schauergeschichte. Dafür eine ernsthafte Hintergrundgeschichte über ein trauerndes Mädchen.

Bewertung vom 22.02.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Lichte Tage

Mit einer billigen Kopie eines Van Gogh-Gemäldes fängt alles an. Es ist das Bild mit Sonnenblumen, anhand dessen sich Ellis' Mutter zum ersten Mal ihrem Mann widersetzt. Ellis soll sie etliche Male vor dem Bild stehen sehen, bis Mutter verschwindet. Und mit ihr das sonnige Gelb. Einziger Lichtpunkt in seinem Leben bleibt Michael, mit dem er als 19-Jähriger nach Südfrankreich geht, um den Ursprung des Gemäldes aufzuspüren. Fernab von Oxford scheint es, als könnten beide ein anderes Leben führen. Doch jede Reise nimmt irgendwann ein Ende.

Gerade mal 230 Seiten hat dieses Buch und doch werden unzählige Geschichten anhand einer einzigen Handlung erzählt.
Da gibt es die Geschichte des Arbeiterjungen Ellis, dessen Mutter stirbt und dessen Vater ihm das Prügeln lehrt.
Da gibt es die Frau, die sich ihrem Mann widersetzt und ihr Leben lang von Sehnsucht getragen wird, welche sich lediglich durch den besten Freund ihres Sohnes lindern lässt.
Da ist Michael als Mittvierziger, der zu viele Männer an AIDS hat sterben sehen.
Annie, die mehr weiß, als es ihrer Rolle als Erinnerung zusteht.
Und da ist vor allem die Geschichte zweier Männer, Jungen noch, die sich zueinander hingezogen fühlen und nicht wissen, was sie mit ihren Empfindungen anstellen sollen.

Der Roman erinnert an die Dramatik einer Hanya Yanagihara, bleiben die Leser*innen davon doch kaum unberührt. Ein großer Unterschied findet sich jedoch in der Erzählweise der Autorin, die sich der bildhaften Sprache bedient, um ihre Geschichte fast schon malerisch zu transportieren. Doch Gemälde sind nicht immer bunt und ihre Botschaft nicht nur fröhlich.

"Lichte Tage" ist ein Kunstwerk, das eine Vielfalt an Farben in sich vereint, ohne grell zu sein. Es ist ein Bild, das man sich in seinem Gedächtnis einprägt, um immer wieder davor stehen zu bleiben und sich in Gedanken zu verlieren.

Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 06.02.2023
Lebe deine weibliche Energie
Schönstedt, Celia;Schneider, Petra

Lebe deine weibliche Energie


sehr gut

Lebe deine weibliche Energie

Wie können Frauen ihre Energie leben? Welchen Ursprung hat sie und wie kann ein Leben gestaltet werden, dass welches das Frausein in all seinen Facetten berücksichtigt?
Diesen Fragen haben sich die Autorinnen und Heilpraktikerinnen Celia Schönstedt und Petra Schneider gestellt. Antworten liefern sie mit ihrem gemeinsamen Projekt "Lebe deine weibliche Energie".
Das Buch ist dabei folgendermaßen aufgebaut:
Nach einigen Begriffserläuterungen werden zunächst innere Faktoren aufgezeigt, welche das Wohlbefinden beeinflussen. Einen kleinen Exkurs gibt es beispielsweise beim Thema "Hochsensibilität". Schließlich wird auf äußere Bedingungen eingegangen, die das Wohlbefinden, bzw eine Harmonie zwischen Yin und Yang beeinflussen können.

Welchen Wert hat dieses Buch? Für Frauen, die der Esoterik zugewandt sind, kann dieses Werk eine Bereicherung sein. Interessant sind hier vor allem die Erklärungen zu manchen Ursprüngen. Hinzu kommt, dass es etliche Meditationen anbietet. Auch wird Bezug auf Yoga und Qigong genommen, jedoch nur sehr kurz angeschnitten.
Mich persönlich hat es nicht angesprochen. Eine Mediation, in der ich Kontakt zu meiner Gebärmutter aufbauen kann, erscheint mir zu weit weg von meiner Lebenswelt und meinen Überzeugungen. Auch den verschiedenen Kräften, Mutter Erde, Vater Sonne, Großmutter Mond, etc zu danken, stellt einen zu starken Kontrast zu meinem Glauben dar. Somit bleibt dieses Buch für mich leider Theorie. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich es deswegen nicht abwerte. Im Gegenteil. Diese Arbeit hat etwas mit Überzeugung und - ja, irgendwie auch - Spiritualität zu tun. Meiner Meinung nach gibt es da kein Richtig und kein Falsch.
Somit spreche ich eine Empfehlung für alle Frauen aus, die in der Hinsicht offen sind und einen Blick über den Tellerrand werfen wollen.

Bewertung vom 06.01.2023
The Ceremonies
Klein, T.E.D.

The Ceremonies


ausgezeichnet

The Ceremonies

Um seine Doktorarbeit zu schreiben, zieht der Universitätsdozent Jeremy Freirs für wenige Monate in den kleinen Ort Gilead, wo er als Mieter bei den Porroths lebt. Gilead ist eine Gemeinde der Brethren, streng gläubige Christen, die alles Moderne ablehnen.
Als Ungläubiger bleibt Freirs fremd in dem Ort, doch zu seinen Vermietern baut er ein freundschaftliches Verhältnis auf. Doch Jeremy weiß nicht, dass es kein Zufall ist, was ihn an diesen bösen Ort geführt hat. Vielmehr ist er Teil uralter Zeremonien. Denn im Verborgenen bereitet sich etwas auf seine Wiedergeburt vor.

Was erwartete mich mit dem Horrorklassiker, der bereits 1984 entstanden und nun neu überarbeitet erschienen ist? Der vermutlich beste Horror-Roman meines Lebens! T.E.D. Klein versteht es, Spannung aufzubauen. Nur langsam führt der Autor in die Geschichte ein, lässt gemächlich seine Protagonist*innen die Bühne betreten. Und während ich der Handlung folgte, war es, als lernte ich die Charaktere immer näher kennen. Konnte immer mehr Sympathien entwickeln oder Verurteilungen treffen. Besonders Sarr Porroth, der streng gläubige, Vermieter, hat mich fasziniert. Sein Wesen war so facettenreich, dass ich mich nur ungern von der Figur trenne, nachdem ich das Buch ausgelesen habe. Doch tatsächlich trifft der Zustand auf sämtliche Charaktere zu.

Gleichzeitig wird die Spannung durch die extrem kurzen Szenen, die abwechselnden Perspektiven und zwei Parallelhandlungen aufrechterhalten. So war ich gezwungen, ohnmächtig dem Bösen dabei zuzusehen, wie es seine Pläne in die Tat umsetzte und die Opfer unwissend in jede Falle traten.
Hinzu kommt die wunderbare Atmosphäre des Buches. Gilead - der Ortsname ist übrigens kein Zufall! - wirkt einerseits durch seine Natur- und Gottverbundenheit rein, da das Leben aus Farmarbeit und Beten besteht. Andererseits kann sich gerade dieser Zustand äußerst bedrohlich auswirken.

Thematisch setzt sich Klein vor allem mit einer Frage auseinander: Wie viel von unseren religiösen Bräuchen, Riten und Zeremonien sind tatsächlich christlichen Ursprungs und wie viele lehnen an das verdrängte Heidentum an?

Ein absolutes Highlight!

Bewertung vom 12.12.2022
Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd. Eine bewegte Geschichte
Mackesy, Charlie

Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd. Eine bewegte Geschichte


ausgezeichnet

Wo ist Zuhause? Dieser Frage widmet sich der Junge, als er sich verlaufen hat. Zum Glück findet er Hilfe, sodass er sich nicht allein auf die Suche begeben muss. Und so wird dem Jungen schnell bewusst, dass Zuhause viel näher sein kann als ein Licht in der Ferne.

Wann hat euch eine Geschichte zuletzt zum Nachdenken gebracht? Bei mir war es "Der kleine Prinz". Nachdem mich die @ullsteinbuchverlage mit einem wunderschönen Buchpaket zu "Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd" überrascht hat, durfte ich mich allerdings wieder auf eine fantastische Reise begeben, die mehr Wahrheit beherbergt als es auf den ersten Blick den Anschein macht.

Traumhaft bebildert, handelt es sich hier um eine Bilderbuchgeschichte für Erwachsene und Kinder. Dabei ist nicht nur die Handlung sehr berührend, sondern ebenso die Illustrationen, die jede für sich wie kleine Gemälde wirken.

Doch genauso besonders wie das Erzählte und die Untermalung ist die Schrift, die zum langsamen Lesen und Innehalten einlädt.

Alles an diesem Buch wirkt verträumt, melancholisch und zauberhaft. "Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd" verfügt über eine besondere Magie. Es nordet seine Leser*innen auf das Wesentliche im Leben ein.

Bewertung vom 07.12.2022
Turmgold / Turm-Reihe Bd.2
Grandl, Peter

Turmgold / Turm-Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Hochaktuell

Jahre ist es her, als ein blutiges Massaker dem Turm zu trauriger Berühmtheit verhalf. In dem Turm ist nun ein jüdischer Kindergarten untergebracht. Alle Nazis sind rehabilitiert und Karl Rieger hat als Paul Trautmann das wahre Glück gefunden. Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es auch! Denn was im Öffentlichen friedlich schläft, ist im Untergrund längst erwacht.

"Turmgold" ist die ersehnte Fortsetzung des spannenden Thrillers "Turmschatten". Und er steht dem Erstling in nichts nach. Sämtliche bekannte Charaktere finden ihren Auftritt in der Fortführung um ein denkwürdiges Gebäude. Dabei sind sie insofern ausgereift, dass die Geschehnisse aus dem ersten Teil ihre Spuren hinterlassen haben. Besonders das Wiedersehen mit der vielschichtigen Figur des Karl Rieger hat mich besonders gefreut. Denn Karl erscheint immer wie ein Mann am Abgrund und überzeugt durch seine Unberechenbarkeit. Umso interessanter empfand ich es, dass Karl mir in seiner neuen Existenz fremd blieb, sodass ich einer Rückverwandlung regelrecht entgegenfieberte.

Was mir jedoch am meisten imponiert hat, ist das Setting. Die historische und gesellschaftspolitische Einordnung der Handlung. Wieder präzise recherchiert zeigt Peter Grandl auf, wie aktuell das Thema "Rechtsextremismus" ist und welche reale Gefahren existieren. Sei es in Form von Rechten, die Coronademos unterwandern, oder die teils tödlichen Anschläge auf Politiker*innen. Aber: Auch diesmal macht es uns der Autor nicht leicht! Denn wie im wahren Leben gibt es auch in diesem Buch nicht einfach gut und böse. Schwarz und weiß. Manchmal ist es eine Entscheidung zwischen schwarz und schwarz.

Wer auf kurzatmige Lesestunden steht und gerne mal einen Thriller fern von Schema F lesen möchte, sollte sich "Turmgold" nicht entgehen lassen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.11.2022
Oscar Wilde - Gesammelte Werke
Wilde, Oscar

Oscar Wilde - Gesammelte Werke


ausgezeichnet

Bildschöne Ausgabe
Wer den Namen "Oscar Wilde" hört, denkt unweigerlich an "Das Bildnis des Dorian Gray". Doch der berühmte Autor des 19. Jahrhunderts, der für seinen scharfzüngigen Humor gleichermaßen bekannt ist wie für seinen Fall innerhalb der britischen Gesellschaft, hat weitaus mehr zustandegebracht als seinen einzigen Roman. Neben Geschichten, Deutungen und Märchen sind es vor allem die späteren Schriften Wildes, die mich persönlich am tiefsten berühren. Vor allem "Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading" möchte ich an dieser Stelle hervorheben. Ein Gedicht, das auf eindrückliche Weise Einblicke in die Zustände des Gefängnisses, als auch in die Seelen der Insassen gibt.

Oscar Wilde war ein Schriftsteller, der Widersprüche in sich vereinigte. Einerseits Dandy und Mitglied der gehobenen Klasse kritisiert er in seinen wunderschönen und auch traurigen Märchen andererseits die Verhältnisse dieser Klasse sowie deren Oberflächlichkeit.

Dass Wilde ein herausragendes Talent besaß, ist unbestreitbar. Unbestritten ist auch die Ungerechtigkeit, die dem Autoren widerfahren war, der für seine homosexuellen Neigungen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Als gebrochener Mann kehrte Wilde Großbritannien den Rücken und verstarb schließlich im Alter von 46 Jahren in Frankreich.

Oscar Wilde. Damals verlacht, heute verehrt. Was war Recht? Was Unrecht?

Wer sich ein Bild dieses großartigen Künstlers machen möchte, kann einen ersten Eindruck von seinen gesammelten Werken in der Ausgabe des Anaconda-Verlags gewinnen.

Bewertung vom 29.11.2022
Kerl aus Koks
Brandner, Michael

Kerl aus Koks


ausgezeichnet

Kerl aus Koks

Paul ist der wandelnde Tod auf Latschen. Findet zumindest die beleibte Nachbarin von Gegenüber, weshalb sie gleich das Amt informiert. Aus einer Verwechslung heraus landet Paul somit in der Kur, jedoch nicht bei den wandelnden Toten, sondern bei den verängstigten Bettnässern. Es ist nicht Pauls erste skurrile Station im Leben eines Nachkriegskindes. Seine Biografie ist geprägt vom Stolpern von einem Halt zum nächsten, manchmal auch nach einem ordentlichen Schubs durch die Mutter, die ihn liebevoll als Sargnagel bezeichnet. Doch als Potter Junge weiß Paul: Reichtum kommt nicht von Geld, sondern von den Menschen, die dich umgeben.

Michael Brandner dürfte den meisten Menschen als der Girwidz aus "Hubert und/ohne Staller" bekannt sein. Dass der Schauspieler jedoch auch schreiben kann, davon durfte ich mich in den letzten Tagen überzeugen.

Brandner beschreibt anhand des fiktiven Paul die Geschichte Nachkriegsdeutschlands, das einerseits geprägt ist von Armut und Schweigen, andererseits jedoch von Zusammenhalt und dem Sammeln schöner Momente im kohlebraunen Ruhrpott. Da ist Giovanni, der den Kindern auf dem Heimweg Pizza spendiert. Bruno Beinlos, der sich mithilfe eines Bügelbretts fortbewegt, die besoffenen Onkel, die ihm immer mal Kleingeld zuschieben. Und später Tim, Pia, der Junge mit der Winterjacke,...

In Epochen unterteilt begleiten die Leser*innen Paul durch die Zeit und deren Eigenheiten. Vom Potter Zusammenhalt über die Hippie-Ära bis in die Gegenwart. Michael Brandner beweist dabei ein erstaunliches Erzähltalent. Mit viel kohlestaubtrockenem Humor, Dramatik und einem feinen Gespür für die Verwendung von rhetorischen Mitteln zeigt er auf, auf welch wackeligem Fundament unsere Demokratie errichtet wurde und wie einem Jungen es gelang, trotzdem glücklich zu sein.

"Kerl aus Koks" ist eine unterhaltsame Reise in eine Zeit, in der der Suff einen ganzen Mann ausmachte und Kindheit aus Dreck und Freiheit bestand.

Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 14.11.2022
Die Berge des Wahnsinns
Lovecraft, Howard Ph.;Baranger, François

Die Berge des Wahnsinns


sehr gut

Horrorklassiker
Eine Gruppe von Wissenschaftlern reist 1930 in die Antarktis, um geografische und geologische Untersuchungen vorzunehmen. Während ihrer Unternehmung findet Lake eine Gebirgskette, die in Höhe und Erscheinung alles Bekannte überragt. Regelmäßig funkt er Bericht über immer wieder neue Entdeckungen. Ein Sturm jedoch verhindert, dass der Rest der Gruppe zu ihm stoßen kann. Als sich am nächsten Tag der Sturm schließlich gelegt hat, machen sie sich auf, um sich selbst von Lakes Entdeckungen zu überzeugen. Doch ihre Entdeckung ist weit grausamerer Natur.

Der Plot um "Die Berge des Wahnsinns" bietet den Stoff für eine beängstigende Horrorgeschichte. Tatsächlich erinnert der Inhalt ein wenig an den Film "The Thing", was auch literarisch wiederum Nachahmer gefunden hat.

Die Story ist in Form eines wissenschaftlichen Berichts aus der Ich-Perspektive verfasst. Leider verliert H. P. Lovecraft sich dabei so stark in seinen Beschreibungen, dass jede Spannung sogleich im Keim erstickt wird. Jeder Stein wird akribisch beschrieben, jede Formation genauestens erläutert, sodass die Leser*innen durchweg mit dem Zeichnen eines Panoramas in ihrem Kopf beschäftigt sind, während die Handlung kaum Raum findet.

Was steckt dahinter? Lovecraft thematisiert in seiner Horrorgeschichte die "Alte Rasse", die auf die Erde gekommen ist und dort alles Leben erschaffen hat. Somit wird Gott infrage gestellt, als auch darauf hingewiesen, wie labil menschliche Existenz ist, die auch jederzeit wieder ausgelöscht werden kann, wenn auch von anderen galaktischen Wesen.

"Die Berge des Wahnsinns" empfinde ich als eine Art literarischen Input. Es erscheint, als würde Lovecraft eine grandiose Idee liefern.
Die Ausgabe, erschienen im Anaconda-Verlag, besticht jedoch durch sein tolles Cover und - wie immer bei Anaconda - durch seinen Preis.