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Benutzername: 
Gela
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Niedersachsen
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Ob Krimi, Belletristik, Biografie oder Dokumentation. Ich mag Bücher und reise gerne mit ihnen in andere Welten.
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Insgesamt 141 Bewertungen
Bewertung vom 31.03.2023
Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt
Jonasson, Jonas

Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt


gut

Von seinem Bruder mit einem Wohnmobil ausgestattet, weiß der 30-jährige Johan Löwenhult erst einmal nicht wohin. Zum Glück trifft er auf einem Campingplatz in Stockholm Petra Rocklung, die sich sicher ist, dass am 7. September 2011 die Welt untergehen wird. Den beiden bleiben 12 Tage, um die Welt ein wenig zurecht zu rücken und einigen Mitmenschen ihre Meinung zu geigen. Bevor das Duo schnellstmöglich das Land in Richtung Rom verlassen will, gesellt sich noch die toughe 75-jährige Agnes dazu. Ein ungemein schräges und unvorhersehbares Abenteuer nimmt seinen Lauf.


Jonas Jonasson ist ein begnadeter Geschichten-Erzähler, der seine Leserschaft in seinen Bann zieht und zu unterhalten versteht. Der Einstieg in das Jahr 2011 mit Rückblick auf viele politische und geschichtliche Ereignisse weckt Erinnerungen und bildet gleichzeitig den Rahmen für die folgenden Kapitel. Vorgelesen wird der Roman von Shenja Lacher, der gekonnt die schrägen Situationen sprachlich umsetzt und das Kopfkino anregt. Er trägt dazu bei, dass die Protagonisten so lebendig wirken.

Der Einstieg ist wundervoll skurril und temporeich. Sofort schließt man den liebenswerten und etwas langsam denkenden Johan, der von seinem älteren Bruder "Idiot" genannt wird, ins Herz. Es schmerzt, wenn Johan stolz von seinem Bruder Frederik berichtet und gar nicht merkt, was für ein eigennütziger Widerling dieser die ganzen Jahre über hinweg war.

Als Frederik an die Botschaft von Rom wechselt, löst er die millionenschwere Stockholmer Wohnung auf und überlasst Johan sich selbst und dazu großzügigerweise ein Wohnmobil. Auf einem Campingplatz trifft Johan im wahrsten Sinne des Wortes Agnes, die als Verschwörungstheoretikerin gerade ihrem Leben ein Ende setzen will, da der Weltuntergang bevorsteht. Ihre Begegnung ist trotz der eigentlich düsteren Stimmung sehr unterhaltsam und ein Dauerschmunzeln stellt sich ein.

Agnes gibt Johan Selbstbewusstsein und zeigt ihm, welche Talente in ihm schlummern. Johans wunderbares Kochtalent begeistert alle, die er an seinen Tisch bittet und desto öfter er von anderen hört, wie grandios seine Kochkünste sind, desto mehr glaubt auch er an sich. Als Agnes und Johan Pläne für die letzten 12 Tage, die die Welt noch existieren wird, schmieden, beginnt ein aberwitziges Roadmovie der besonderen Art.

Die Charaktere werden so bildhaft und lebendig beschrieben, dass man Spaß daran hat, ihnen über die Schulter zu blicken. Ob es Johans Fahrkünste mit dem Wohnmobil sind - er hat keinen Führerschein - oder Agnes Besuch bei ihrer heimlichen Jugendliebe und der daraus resultierenden Eigendynamik der Situation, es ist unterhaltsam und kurzweilig. Als weiteres Teammitglied gesellt sich dann noch die 75-jährige Agnes dazu, die trotz ihres betagten Alters die modernsten Ansichten und Ideen einbringt. Man lernt so einiges über Instagram oder schweizerische Bankaktivitäten.

Als zweiter Handlungsstrang wird die politische Entwicklung der Sowjetunion und Russlands beschrieben. Wahre und fiktive Ereignisse werden vermischt und es stellt sich häufiger die Frage, was davon wohl alles wahr sein mag. Mich haben diese Abschnitte nicht so sehr gefesselt. Die Rückblicke in längst vergangene Zeiten mit all ihren Verknüpfungen und dunklen Machenschaften wollten nicht so Recht zur launigen Fahrt mit dem Wohnmobil passen. Erst spät nähern sich die Handlungsstränge einander an und werden zusammengeführt.

Leider wurde es dann für mich zu klamaukig und zwanghaft lustig. Die Wärme der Handlung ging verloren. Johan trifft auf Obama und Ban Ki-moon und plant danach einem afrikanischen Präsidenten mal gründlich die Meinung zu sagen. Die daraus resultierenden abstrusen Situationen und das unglaubwürdige Ende führen zu den Abstrichen in meiner Bewertung. Weniger ist manchmal mehr.

Bewertung vom 28.03.2023
Die Toten von Friesland / Jaspari & van Loon ermitteln Bd.1
Jacob, Fynn

Die Toten von Friesland / Jaspari & van Loon ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Liewer düd aß Slaawe prangt eingeritzt auf der Brust eines Toten. Doch bei einer Botschaft bleibt es nicht. An verschiedenen Küstenorten der Nordsee werden ähnlich zugerichtete Opfer gefunden. Erst als deutsche und niederländische Ermittlungen zusammenlaufen, wird ein Muster erkennbar. Ein altes Gedicht wird auf makabre Weise zum Leben erweckt.

Fynn Jacobs Krimi bildet den Auftakt zu einer grenzüberschreitenden Ermittlungsserie zwischen Deutschland und den Niederlanden. Der lockere, eingängige Schreibstil und die detailreichen Schilderungen von Orten und regionalen Besonderheiten vermitteln sofort ein Bild der Region und des Geschehens. Der persönliche Bezug und die Begeisterung des Autors für diese Landschaft ist deutlich spürbar. Dabei hält er sich nicht lange mit ausschweifenden Beschreibungen auf, es geht direkt zur Sache. In Schiermonnikoog, dem Urlaubsort der niederländischen Ermittlerin Iske van Loon, wird ein Toter gefunden. Die Art, wie das Opfer aufgefunden wurde, überzeugt Iske, den Fall zu übernehmen. In Deutschland bekommt Marten Jaspari seinen ersten Mordfall als leitender Ermittler zugewiesen. Auch hier finden sich ungewöhnliche Schriftzüge auf der Brust eines Opfers.

Obwohl der Spannungsbogen gleich sehr hoch angesetzt wurde, bleibt er konstant erhalten. Es ist fesselnd zu verfolgen, wie das Ermittlungsteam anhand eines alten friesischen Freiheitskämpfer-Gedichts aus dem 8. Jahrhundert versuchen, Schlüsse zu den aktuellen Fällen herzuleiten und weiteres Morden zu verhindern. Die Kombination aus Krimi und Geschichtsinformationen wird toll umgesetzt. Viele Informationen über Helgoland als sagenumwobener Ort waren mir bisher nicht bekannt. Interessant waren auch die Details über König Radbod und die damit verbundene Geschichte Frieslands.

Die Charaktere sind durchweg glaubhaft und überzeugen durch ihre natürliche Art. Es gibt kleine persönliche Andeutungen zu den Ermittlern, die auf Schwächen und Stärken und deren Eigenarten hinweisen, an die in einer Fortsetzung angeknüpft werden kann. Kriminalhauptkommissar Marten Jaspari scheint intuitiv richtige Schlüsse zu ziehen, traut aber seinen eigenen Impulsen nicht und handelt vorsichtig. Seine niederländische Kollegin Iske van Loon dagegen geht die Dinge eher pragmatisch und zielgerichtet an. Auch wenn sich ihre Zusammenarbeit anfänglich schwierig gestaltet, könnten sie sich zu einem tollen Ermittlungsteam entwickeln. Anders als bei manch anderem Krimi bleibt der Schwerpunkt aber bei den Mordfällen, was mir sehr gefallen hat.

Obwohl viele Puzzleteile offengelegt werden und nach und nach ein Motiv zu erkennen ist, bleibt die Lösung des Falls bis zum Ende hin spannend. Eine dramatische Wendung steigert den Nervenkitzel sogar noch etwas mehr. Der kleine Schlenker auf den letzten Seiten mit Blick auf das Privatleben der Ermittelnden war genau richtig dosiert, um zu ahnen, wie es eventuell weitergehen könnte.

Dieser Krimi ist genau richtig für alle Spannungsfans, die gerne mit rätseln und fiebern und auch etwas mehr über Frieslands Land und Leute erfahren möchten.

Bewertung vom 06.03.2023
Alva und das Rätsel der flüsternden Pflanzen
Townsend, Yarrow

Alva und das Rätsel der flüsternden Pflanzen


sehr gut

Menschen und Pflanzen sterben an einer geheimnisvollen Krankheit. Die Schuld wird den Pflanzen gegeben und auch Alvas geliebter Garten soll vernichtet werden. Die Hilferufe der Pflanzen versteht nur Alva und im Pflanzenbuch ihrer verstorbenen Mutter findet sie einen Hinweis auf ein Heilmittel. Doch die Reise über den Fluss und durch den Wald ist gefährlich. Zusammen mit Idris und Ariana macht Alva sich auf eine gefährliche Reise auf dem unberechenbaren Fluss und durch den unbekannten Wald. Die Zeit drängt und nicht alle wollen, das Alva ihr Ziel erreicht.

Yarrow Townsend begeistert mit ihrem einfühlsamen Schreibstil nicht nur Kinder. Die Kombination aus einer magischen Geschichte, Pflanzenkunde und Umweltbewusstsein ist sehr gelungen. Die wunderschönen Zeichnungen von Torben Kuhlmann ergänzen die Geschichte und bilden ein kleines Pflanzenlexikon. Dass man Rohrkolbenwurzeln als Mehl und gleichzeitig zur Wundheilung nutzen kann, war auch mir neu.

Das Waisenkind Alva lebt zurückgezogen an einem Fluss in einer Holzhütte. Außer ihren geliebten Pflanzen hat sie nur ein altes Pferd als Begleiter. Mit den Menschen möchte sie so wenig wie möglich zu tun haben. Mutter und Tochter wurden als Heilerinnen erst willkommen geheißen und dann zu Unrecht gefürchtet. Alva ist kein einfacher Charakter. Ihre Ansichten sind teilweise egoistisch und sprunghaft. Anderen Menschen gegenüber verhält sie sich unfreundlich und abweisend. Ihr größter Schatz ist das liebevoll erstellte Heilpflanzenbuch ihrer Mutter.

Als die Pflanzen schwarze Flecken aufweisen und deshalb auf Anweisung des reichen Ortsvorstehers vernichtet werden sollen, will Alva ihnen helfen. Durch die Hilfe der Pflanzen kann sie sich immer rechtzeitig verstecken und findet den richtigen Weg. Besonders diese Stellen im Buch sind besonders schön. Jeder Pflanze wird ein Charakterzug zugeschrieben, der sie besonders lebendig erscheinen lässt.

"Die Blätter der Hecke hinter ihr begannen zu flüstern. Die Stängel des Roten Fingerhuts schaukelten im Wind. Lieber nicht sehen lassen, sagten sie. Lieber verstecken."
Besonders diese Stellen im Buch sind besonders schön. Jeder Pflanze wird ein Charakterzug zugeschrieben, der sie besonders lebendig erscheinen lässt. Manchmal wünscht man sich, dass der eigene Garten auch so mit einem spricht.

"Der Efeu war weise, der Beinwell loyal. Der Beifuß erzählte ihr immer genau das, was sie nicht hören wollte, selbst dann nicht, wenn sie wusste, dass er eigentlich recht hatte."
Als sie sich auf einem Boot der Schiffer versteckt, um ein Heilmittel in den Bergen zu finden, trifft sie auf den Schifferjungen Idris und die Nichte des Ortsvorstehers Ariane. Die drei unterschiedlichen Kinder erkennen erst langsam, dass sie nur zusammen das Geheimnis lüften können. Jeder für sich hat Fähigkeiten, die den anderen nutzen.

Gefährlich wird es für die Reisenden, als der Ortsvorsteher mit seinen Gehilfen ihnen auf den Fersen ist. Für ein Kinderbuch ab 10 Jahren sind manche Szenen schon etwas heftig. So stirbt ein Mann an der geheimen Krankheit und Menschen werden mit Gewalt zur Arbeit in giftigen Minen gezwungen. Feinfühlige Lesende sollten hier besser begleitet werden.

Eine dramatische Verfolgungsjagd und ein hoher Spannungsbogen garantieren ein tolles Leseerlebnis, das ganz nebenbei darauf hinweist, dass die Natur nur dann gerettet werden kann, wenn alle sich darum kümmern und niemand aus Profitgier oder Eigennutz über das Wohl anderer entscheidet.

Bewertung vom 27.02.2023
Der Taucher / Liewe Cupido ermittelt Bd.2
Deen, Mathijs

Der Taucher / Liewe Cupido ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Ein verschollenes Wrack aus den 50er-Jahren wird zufällig von einem niederländischen Bergungsschiff entdeckt. Die Ladung, Kupfer im Wert von einer Million Euro, würde die Mannschaft gern bergen. Wäre da nicht der tote Taucher, der in Handschellen am Wrack gekettet erstickt ist. Die Bundespolizei setzt Kommissar Liewe Cupido auf den Fall an, der durch seine niederländischen Wurzeln erste Ermittlungen in Terschelling bei einem Tauchclub durchführt. Spuren führen auch nach Föhr und Wilhelmshaven und decken nicht nur Hinweise zu diesem Fall auf.

Mathijs Deen beweist im zweiten Fall des Ermittlers Liewe Cupido - der Holländer genannt -, dass der erste Band kein One-Crimi-Wonder gewesen ist. Gleich auf den ersten Seiten fühlt man sich an die Küste versetzt, blickt den Seeleute der "Freyja" über die Schulter und sieht einen Taucher, der mit Handschellen an ein Wrack tief auf dem Meeresgrund angekettet wurde. Die düstere See mit ihren Geheimnissen lässt einem einen Schauer über den Rücken laufen. Die Stimmung ist ruhig und die Spannung wird langsam, aber stetig aufgebaut. Vorkenntnisse aus dem ersten Teil sind nicht erforderlich. Einige Personen und Hund Vos finden ihren Weg auch in den zweiten Teil, werden aber ausreichend beschrieben.

Passend zum Charakter des Ermittlers, der eine unglaubliche Ruhe ausstrahlt, werden besonders die kleinen Details hervorgehoben. Hier ermittelt kein Held und kein Selbstdarsteller, sondern Liewe Cupido, der am liebsten allein, eigenwillig und in seinem Tempo die Dinge angeht. Ich mag diese Figur sehr gern, weil es zeigt, dass man sich nicht verbiegen muss und bei sich bleiben kann, um ans Ziel zu kommen. Seine sehr ruhige, nicht gerade kommunikative Art wirkt auf viele beunruhigend und ungewöhnlich. Darin liegt seine Stärke: Er kann warten.
Jeder Protagonist wirkt realistisch, glaubwürdig und passend zur Szene. Der Hafenmeister, der sich mehr für die Boote als für die Menschen interessiert. Der Insel-Polizist Snausbjard, der liebevoll und ein wenig schusselig seinen Inseljob versieht. Die Wracktaucher, die ihre Geheimnisse für sich behalten möchten und Jugendliche, die zwischen Schuld und Trotz schwanken.


Interessant sind die Beschreibungen zum Thema Wracktauchen und den Schätzen, die heute noch das Meer verbirgt. Anhand der detaillierten und übersichtlichen Karte im Buchumschlag kann man Cupido bei seinen Ermittlungsfahrten begleiten. Ob mit dem Hubschrauber, dem Marineboot oder der Fähre, der Ermittler muss einige Kilometer zurücklegen, um erste Hinweise zu finden.
Das Motiv für den Mord ist nicht leicht zu finden und erst nach und nach stellt sich ein Familiendrama in Wilhelmshaven als Puzzleteil heraus.

Die Rückblenden, die zu Cupidos Familie führen, sind sehr fein und nebenbei erzählt. Sie zeigen aber, warum Cupido ein Einzelgänger mit schlechtem Schlaf und einer tragischen Vergangenheit ist. Ein wenig Melancholie legt sich über die Seiten, wenn Liewe etwas von sich preisgibt.


"Und als der Schlaf ihn endlich überwältigt, kommt er nicht als Erlösung, sondern als Schatten, der am Fußende heraufwölkt, sich wie ein Schleier über das Bett ausbreitet und ihm die Luft nimmt."

Am Ende wird es dann doch einmal brenzlig für den Ermittler, der all seine Ruhe über Bord wirft und die Tat im Alleingang klären will. Wenn es hektisch wird, gewinnt sein Bauchgefühl.


Ich hoffe sehr, dass Liewe Cupido weiter ermitteln darf und es weitere Ermittlungen zwischen deutsch und niederländischer Küste geben wird. Für alle Krimiliebhaber, die das Meer, die Landschaften und die Menschen dort mögen.

Bewertung vom 21.02.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


sehr gut

In einer Nacht- und Nebelaktion verlässt eine kleine Familie mit wenig Habseligkeiten das Festland um auf einer See-Insel zu leben. Für den zehnjährigen Hans ein unverrückbarer Lebensinhalt, der ihm Halt und Hoffnung gibt. Viel mehr wird er nicht haben und doch hat er alles.

Dirk Gieselmann erzählt in seinem Debüt, wie der zehnjährige Hans zusammen mit seinen Eltern auf eine Insel zieht, die nur von ihnen bewohnt wird. Lediglich eine Schafherde, die den Lebensunterhalt sichert und ein Hütehund leisten ihnen Gesellschaft. Der Schreibstil ist eindringlich und schonungslos direkt. Eine düstere Melancholie legt sich über die Seiten und bleibt als Grundstimmung der Handlung erhalten. Der Autor versteht es auch die kleinsten Details hervorzuheben und ihnen eine Stimme zu geben.
Hans liebt die Einsamkeit und die Nähe zu seinen Eltern. Auf der Insel vergisst er die Zeit und verschmilzt mit der Natur und seinen Bewohnern. Hier fühlt er sich wie ein König in seinem Reich.

"Er dachte an das, was er sich so sehnlich gewünscht hatte. Jetzt war er noch immer der Ärmste, aber der Reichste zugleich."

Doch die kurze Idylle trügt, denn das mehrfache Fernbleiben des Jungen in der Schule bleibt nicht unentdeckt. Sachlich und voller Kälte wird die Bootsfahrt ans Festland beschrieben. Hans wird in die Burg, eine Anstalt für schwer erziehbare Kinder, gebracht. Sieben Jahre voller Qual und Leid muss er überstehen. Fast wie im Märchen stellt man sich die Frage: Was ist die Moral aus der Geschichte?

Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen, ohne daran zu brechen. Was ist mit den Eltern, die ihren Sohn verloren haben. Was ist mit Hans, der seiner Heimat beraubt wurde? Poetisch, fast lyrisch wird die Stimmung immer wieder eingefangen:

"Hans, der Verwundete. Hans, der Unverwundbare. Hans, der unter Hieben lächelt."

Man versinkt in diesem Text. 176 Seiten, die mich festgehalten haben und immer wieder innehalten ließen. Hans Einsamkeit ist laut und eindringlich. Immer wieder der Blick auf den See und die Insel, die sich nicht ändern, was auch um sie herum geschieht.

"Der See wechselte sein Wasser aus, die Flüsse halfen ihm dabei. Sein Spiegel stieg, sein Spiegel sank und stieg dann wieder. Er fror zu und taute auf, viele, viele Male."

Dies ist kein Roman für eilige Leser. Die Betrachtung eines ganzen Lebens findet auf diesen wenigen Seiten Raum. Es geht ans Herz und darüber hinaus. Ein Menschenleben fern jeden Konsums, Geltungsbewusstseins und Konkurrenzdenkens. Gebt den Außenseitern in dieser Welt einen Platz zum Leben.

Bewertung vom 03.02.2023
Als die Welt zerbrach
Boyne, John

Als die Welt zerbrach


ausgezeichnet

Aufrüttelnd, fesselnd und bewegend
Die liebenswerte 90-jährige Gretel Fernsby verbringt ihren Lebensabend in einem Londoner Villenviertel. Ihr ruhiges Leben wird durch den Einzug einer kleinen Familie in die Wohnung unter ihr aufgerüttelt. Sie ahnt nicht, dass der neunjährige Henry sie an ein enges Familienmitglied von ihr erinnert. Um Henry zu retten, muss sich Gretel entscheiden, ob sie sich weiter verstecken will oder sich ihren vergangenen Dämonen stellen muss.

John Boyne versteht es, die Leserschaft von Anfang an in seinen Bann zu ziehen. Auch wenn man den ersten Teil "Der Junge im gestreiften Pyjama" nicht kennt, wird man von dieser Geschichte gefesselt. Mir hat der warme Erzählstil und die spürbare Nähe zu den Protagonisten sehr gefallen. Die Sprecherin Elisabeth Günther verleiht dieser emotionalen Handlung zusätzlich noch eine besondere Note. Ich konnte mich nur schwer von der Erzählung trennen. Die knapp 11 Stunden Hörzeit vergingen wie im Flug.

Der Autor lässt anfangs im Jahr 2022 die 90-jährige Gretel als Ich-Erzählerin zu Wort kommen. Sie berichtet von ihrem gemütlichen Leben in ihrer großzügigen Londoner Stadtwohnung, plaudert über ihr Verhältnis zu ihrem Sohn, der wieder einmal heiraten möchten. Sie verbringt ihre Tage ruhig und mit wenig Abwechselung. Man kann sich sehr gut diese nette alte Dame vorstellen.

Der Sprung in das Jahr 1946 zeigt eine andere Gretel. Zusammen mit ihrer Mutter ist das deutsche Mädchen von Polen nach Paris geflohen. Beide bemühen sich, ihre Herkunft zu verheimlichen. Statt - wie gewohnt - in sehr guten Verhältnissen zu leben, schlagen sie sich dank ihrer Ersparnisse mehr schlecht als recht durch. Die junge, quirlig und neugierige Gretel ist sehr sympathisch und man nimmt Anteil an ihrem Leben als Flüchtling.

Erst nach und nach werden immer mehr Details aus Gretels Leben aufgedeckt. Es gibt viele dunkle, grausame Schatten, die sie ihr Leben lang begleitet und bedrückt haben. Als Hörerin war ich oft gefühlsmäßig hin- und hergerissen. Die Deutsche Geschichte ist voller Gräueltaten und niemand sollte davon kommen, der Schuld auf sich geladen hat. Doch ganz so einfach ist die Schuldzuweisung rückblickend nicht. Nicht nur Gretel ringt um eine Entscheidung, sondern auch ich konnte mich selbst nach langem Nachdenken nicht so einfach festlegen, wie Gretel handeln sollte.

Es geht um Schuld, Verbrechen und dem Selbsterhaltungstrieb, der in jedem Menschen steckt.

Ein Hörerlebnis, welches mich noch lange Zeit beschäftigt hat.

Großartig, wenn SchriftstellerInnen es verstehen, geschichtliche Elemente gekonnt in Romanhandlungen zu verweben und ihren Teil zum Nichtvergessen beitragen. Ein wunderbares, sehr empfehlenswertes Hörbuch.

Bewertung vom 16.01.2023
Die Liebe an miesen Tagen
Arenz, Ewald

Die Liebe an miesen Tagen


ausgezeichnet

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen"- viel mehr als eine Liebesgeschichte

Mit Ende vierzig erwartet die alleinlebende Fotografin Clara keine großen Veränderungen mehr in ihrem Leben. Doch von den Schatten der Vergangenheit möchte sie sich allmählich trennen und inseriert ihr Haus zum Verkauf. Zur Besichtigung kommen der Schauspieler Elias mit seiner Freundin. Doch sein Interesse gilt nicht nur Haus und Garten, sondern auch Clara. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen und eine weitere Begegnung zeigt ihnen, dass Glücklichsein nicht nur anderen vorbehalten ist. Der Weg zu einem gemeinsamen Leben liegt vor ihnen, doch diesen Schritt zu wagen ist für beide nicht einfach.


Ewald Arenz hat auch mit diesem Roman ein besonderes Leseerlebnis geschaffen. Es fühlt sich an wie ein Wannenbad, wenn man sich langsam in das warme Wasser gleiten lässt. Die Worte umfangen einen, lassen die Lesenden in die Geschichte eintauchen und sich wohlfühlen. Besonders die Schilderung der Jahreszeiten, die Besonderheiten der Natur und die Gefühle der Protagonisten sind wundervoll beschrieben. Man baut eine Beziehung zu den agierenden Personen auf, versucht ihr Handeln nachzuvollziehen und entdeckt auch immer persönliche Dinge, die man selbst auch so erlebt hat oder haben könnte.

Die unerwartete Begegnung von Elias und Clara ist anfangs nur die spielerische Freude darüber, einen Wortduellpartner entdeckt zu haben. Doch wenn einem diese Person dann nicht mehr aus dem Kopf geht, wird daraus Verliebtheit, die in den schönsten Farben zeigt, egal in welchem Alter man sich befindet, dass Schmetterlinge im Bauch einen jederzeit treffen können. Anders als in einem klassischen Liebesroman kommt hier das eigentliche Leben dem Glück immer wieder in die Quere. Die Vergangenheit kann man nicht ignorieren und die Angst, verletzt zu werden, wenn man sich einer fremden Person öffnet, ist groß..

Claras spröde, ruppig direkte Art ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Sie überrumpelt Elias oft mit sehr klaren Vorstellungen und kompromisslosen Ansichten. Gleichzeitig hat sie aber auch Angst, sich ihren Gefühlen zu stellen und hat allerlei Ausreden, warum eine Liebe zwischen ihnen unmöglich erscheint. Der Altersunterschied, der zukünftige Arbeitsortswechsel und Familienprobleme stehen im Weg. Ihr Blick als Fotografin durch das Objektiv zeigt ein anderes Bild von ihr. Die Details, die ihre Kamera einfängt, lassen auch die Person Clara weicher werden. Es macht Spaß, diese Momente mit ihr zu erleben.

Elias wirkt jünger als seine 36 Jahre. Er scheint eher auf der Bühne als auf dem Boden der Tatsachen zu leben. Wenn das Leben zu ernst wird, sucht er nach neuen Wegen und anderen Partnerinnen. Besonders die Beschreibung seines gespielten Willy Loman im "Tod eines Handlungsreisenden" hat mir durch die Bilder, die im Kopf entstehen, sehr gefallen. Sein Charme bezaubert nicht nur Clara. Sehr glaubhaft beschrieben wird, wie überrascht Elias von seinen intensiven Gefühlen für Clara ist:

"Es war, als hätte er sich die ganze Zeit verfahren, um schließlich völlig überrascht festzustellen, dass er genau dort angekommen war, wo er von Anfang an hingewollt hatte."
Von der anfänglich leichten Welle des Verliebtseins getragen, wechselt die Handlung zu ernsten Themen, die die beiden Liebenden nicht mehr ganz so ungezwungen bewältigen können. Hürden müssen genommen werden, lange Gespräche ohne Ergebnis folgen und Missverständnisse mit daraus resultierenden emotionalen Verletzungen scheinen zum Unausweichlichen zu führen.

Man wünscht sich so sehr, dass Clara und Elias ein Paar werden und doch fühlt man auch ihre Zerrissenheit. Eine dramatische Wendung macht noch einmal deutlich, dass Gefühle dann am deutlichsten hervortreten, wenn Alltägliches die Priorität verliert und man sich auf das Wesentliche im Leben besinnt.


Ich habe versucht, den Roman so langsam wie möglich zu lesen, um mich von den Worten tragen zu lassen, am Ende habe ich aber doch jedes Kapitel nur so im Flug genommen. Es war schön und aufwühlend zugleich, und ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Roman des Autors.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1 (9 Audio-CDs)
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1 (9 Audio-CDs)


sehr gut

An der Côte d’Azur im beschaulichen Port Grimaud versteht sich Monsieur Lipaires auf le tout farniente. Kleine Gaunereien, die er mithilfe des jungen Wassertaxifahrers Karim Petitbon durchführt, sichern ihm seinen Alltag als Lebemann. Zufällig finden die beiden einen Hinweis auf einen Schatz, den sie natürlich aufspüren wollen. Doch in Port Grimaud gibt es überall Augen und Ohren, die sich ihren Anteil sichern wollen. So findet ein chaotisches, aber charmantes Team zusammen, das von einer Katastrophe in die nächste stolpert.

Das Autorenteam Volker Klüpfel und Michael Kobr wendet den Alpen den Rücken zu und startet eine neue Krimireihe in Südfrankreich. In der Gaunerkomödie weht ein Hauch Nostalgie durch die Handlung. Ich hatte Figuren wie Inspektor Clouseau oder den Schauspieler Louis de Funès beim Hören im Kopf. Die Protagonisten sind dann auch alle herrlich skurril, schräg und überzeichnet. Dass man sich diese Figuren so gut vorstellen kann, liegt vor allem an dem humorvollen Sprachklang des Sprechers Axel Prahl. Jede Figur bekommt eine eigene Stimmfarbe. Besonders die quiekende Stimme des Ex-Fremdenlegionärs Paul Querot und der wienerisch versnobte Dialekt der 84-jährigen Lizzy haben mir sehr gefallen.

Die Schönen und Reichen an der Côte d’Azur bekommen hier ihr Fett weg. Die einheimischen Anwohner scheinen alle eine eigene Art entwickelt zu haben, mit den dekadenten Zugezogenen zu leben. Der eine nutzt die Gärten, die er betreut, gleichzeitig als Cannabisplantage, der andere vermietet Ferienhäuser, ohne die Besitzer davon zu informieren. Die Handyladenbesitzerin nimmt es mit dem Datenschutz nicht so genau und Ticketverkäufer bieten Fahrkarten für Fähren an, die es gar nicht gibt. Alles mit einem zwinkernden Auge erzählt und durch durchweg sympathische Charaktere so humorvoll erzählt, dass man sich die Szenerie an diesem herrlichen Küstenort bildlich vorstellen kann.

Der Einstieg ist lustig und Monsieur Lipaires alias Wilhelm Liebherr besticht durch Charme und Bauernschläue. Es gibt in jedem Kapitel etwas zum Schmunzeln, denn dieser bunt zusammengewürfelte Ganoven-Haufen kommt auf die aberwitzigsten Ideen, um das Rätsel des Schatzes zu lüften. Als Gegenspieler dieses Teams kommt die Adelsfamilie Vicomte ins Spiel. Dem Klischee entsprechend besteht die Familie aus einem alten Herrn, einer überengagierten Geschäftsfrau, einer verwöhnten Tochter, einem Lebemann und Trinker und einem abtrünnigen Sohn, die gemeinsam einen geheimnisvollen Monsieur Barral erwarten. Dieser ist eine Schlüsselfigur, der immer wieder in den unmöglichsten Momenten sehr speziell auftritt.

Ein wenig verliert sich die Handlung und man ist sich nicht sicher, ob es sich noch um einen Krimi mit einem Toten oder doch eher um eine Komödie rund um einen Schatz handelt. Es gibt eine Verfolgungsjagd, die filmreif jedem Bond-Film das Wasser reichen kann und weniger erfolgreiche Manöver, die etwas zäh und langatmig erzählt werden.

Bei meiner Bewertung bin ich deshalb auch ein wenig hin- und hergerissen. Gaunerkomödien sind schon fast ausgestorben und verdienen es, erhalten zu bleiben. Doch einige Szenen konnten mich so gar nicht abholen. Dass es mir dennoch gefallen hat, liegt auch an der tollen Leistung des Hörbuchsprechers.

Als Krimireihe kann ich mir das Team "Der Unverbesserlichen" nur schwer vorstellen, lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen.

Bewertung vom 09.01.2023
Tomatidin
Scheidle, Michael J.

Tomatidin


gut

Kurzweiliges Krimi-Debüt
Der im Ruhestand befindliche Rechtsanwalt Otto Meisner hat einen für ihn ungewöhnlichen Auftrag erhalten. Er soll nachweisen, dass Silke Steinheimer von ihrem Mann betrogen wird. Bevor es dazu kommt, ist seine Klientin Witwe und der Rechtsanwalt a. D. auf der Spur eines Mörders. Alte Fälle helfen ihm auf die richtige Fährte, während die Mordermittler noch im Dunklen tappen.

Michael J. Scheidle hat einen unterhaltsamen Debütkrimi geschrieben, der durch einen lockeren und witzigen Schreibstil kurzweilig daherkommt. Als Fan von kreativen Wortschöpfungen habe ich mich über die ungewöhnlichen Farbbeschreibungen sehr gefreut. Am Ende waren es dann aber doch zu viele Farbtupfer (albinoweiß, kapweiß, solarschwarz, bristolgrün etc.).

Anwalt Otto Meisner ist ein sehr sympathischer Protagonist und ungewöhnlicher Ermittler. Eher zufällig gerät er in einen Mordfall, der seine Neugier und alte Instinkte weckt. Obwohl die Kommissarin Rita Schmölz durchaus den Spürsinn Meisners zu schätzen weiß, ist sie über seine Alleingänge nicht gerade erfreut. Die toughe Kommissarin hat schon mehr als genug mit einem tollpatschigen und konfusen Mitarbeiter zu tun, der sie laufend von wichtigen Ermittlungen abhält.

Diesen Mitarbeiter empfand ich anfangs durch seine paddeligen Art noch unterhaltsam, da diese Spezies eher selten im Krimi zu finden ist. Eine besonders schräge Heldentat, die eher in eine Slapstick-Komödie gehört hätte, war dann doch sehr übertrieben. Im wirklichen Polizeialltag hätte dieser Kollege schon längst ein Disziplinarverfahren am Hals oder würde Schafe auf dem Deich zählen.

Am Ende verliert sich ein wenig der rote Faden der Handlung und zu viele Nebenschauplätze lassen keinen durchgehenden Spannungsbogen zu. Ich hätte mir mehr Details zur Spurensuche gewünscht, der Ausflug ins Privatleben der Kommissarin hätte dafür entfallen können. Aber hier scheiden sich die Geschmäcker und jeder mag sich selbst ein Bild machen.

Durch die wenigen Seiten und den fluffigen Stil kann ich mir den Krimi gut als Begleiter für lange Zug- oder Flugreisen vorstellen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2023
Zur See
Hansen, Dörte

Zur See


ausgezeichnet

Verbunden mit ihrer Insel lebt die alteingesessene Familie Sander schon Jahrhunderte an der Nordsee. Jens fährt schon lange nicht mehr zur See und seine Frau Hanne mag keine Zimmer mehr an Feriengäste vermieten. Ihre drei erwachsenen Kinder fühlen jeder für sich den Verlust von Tradition und die Angst vor Veränderung, die auch Befreiung bedeuten kann. Nicht nur diese Familie ist im Aufbruch, durch die ganze Insel geht ein Ruck, bei dem am Ende das Meer das letzte Wort hat.

Dörte Hansen hat einen wundervoll ruhigen und gleichzeitig aufwühlenden Roman über den Wandel der Nordseeinseln geschrieben. Eine Seefahrer-Familie, wie es unzählige auf den Inseln gibt, bildet den Rahmen für eine intensive Betrachtung des Unaufhaltsamen, dem Verlust von alten Traditionen, aussterbenden Dialekten und dem Suchen von neuen Werten.

Die Charaktere werden so intensiv und kraftvoll mit ihren Ecken und Kanten beschrieben, dass sie fast greifbar und spürbar werden. Wenn Eske Sander morgens nackt mit all ihren Tätowierungen zum Schwimmen ins Meer geht, kann man das nachspüren. Man hört die harten Bässe, wenn sie mit ihrem Auto über die Insel fährt und keinem Touristen den Weg freimacht. Man kann sich die Treibholzwesen von Henrik Sander vorstellen, die in seiner Werkstatt auf das eine, vollendende Stück Treibgut warten. Dieser unruhige Mann, der vom Meer lebt und ohne es nicht sein kann. Die Last und Angst, die den ehemaligen Kapitän Rykmer Sander treibt und die er nur im Vollrausch erträgt, legt sich wie ein dunkler Schleier um einen.

Dabei gibt es kaum Dialoge, sondern nur Schweigen und Handeln. Besonders glaubwürdig und erlebbar wird dies von Nina Hoss mit Leidenschaft gelesen.

Es gibt so viele kleine Dinge, die ich gar nicht alle erwähnen kann. So detailliert beschriebene traurige und düstere Szenen, bei denen man einen Moment innehalten muss. Eine einsame Frau, die nach und nach ihre ganze Familie beerdigen musste und nur noch ihren altersschwachen Dackel durch den Ort trägt und selbst der Inselpastor sich beim Aufeinandertreffen still abwendet, weil er ihr keinen Trost mehr spenden kann.

Die zwei Gesichter der Mutter, die während die Feriengäste im Haus sind, freundlich und gelöst ist und nach der Saison wieder zu schweigen beginnt.

"Und Hanne hängt an diesem Brocken Land, sie weiß nur manchmal nicht, ob dies noch ihre Insel ist. Vielleicht gehört sie längst den Wellenreitern und den Wolkenmalern, den Nacktbadern und Muschelsuchern - oder den Eintagsfliegen, die in Schwärmen jeden Tag vom Festland kommen, eine Inselrunde mit der Pferdekutsche drehen, Kaffee trinken in der Leuchtturmstube, weiterzuckeln Richtung Inselkirche, Vogelkoje und Museum, einmal kurz die Promenade rauf und runter, Abendessen im Klabautermann und mit der letzten Fähre wieder auf das Festland, wo die Reisebusse auf sie warten."
Inselbewohner führen in Trachten und Seemansskluft für Inselgäste tagein, tagaus ein Stück auf, an das sie selbst nicht mehr glauben und selbst der Inselpastor Matthias Lehmann inszeniert seine leidenschaftlichen Predigten mit goldbestäubten Muscheln, bis die Saison zu Ende ist und seine Kirchenbänke sich wieder leeren.

Trotz meiner Liebe zum Meer und deren Inseln werde ich wohl nie wieder eine Insel betreten, ohne an die Menschen zu denken, die uns Gäste ertragen müssen und deren Welt eine andere geworden ist.

Es ist ein düsterer Roman, der wenig Licht zulässt. Aber die Intensität der Worte, die Beschreibung der Natur und die Kraft des Meeres und die wundervollen kantigen Charaktere haben mich einfach begeistert. Für mich eine klare Hörempfehlung.