Benutzer
Benutzername: 
yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2149 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2025
Paar, Tanja

Am Semmering


sehr gut

Am Semmering ist ein Zeitporträt: Ein bestimmter Ort in Österrreich und eine Zeit, ab 1928 bis in die dreißiger Jahre hinein.
Erzählt wird exemplarisch anhand eines Paares: Bertl und Klara.
Die Autorin wurde von ihren Großeltern zu diesen Figuren inspiriert. Daher wirken sie besonders authentisch.
Auch stilistisch ist der Roman geschickt und gut gemacht.

Bewertung vom 31.08.2025
Wunnicke, Christine

Wachs


ausgezeichnet

Manchmal gibt es Bücher, die haben so einen tollen Anfang, das man sie nicht vergisst. Wunnickes Wachs gehört dazu. Das erste Kapitel ist grandios geschrieben und hat einen Witz, der zugleich auch dazu dient, die eindrucksvolle Hauptfigur vorzustellen. Marie Biheron, die in Frankreich des 18.Jahrhunderts lebte. Sie war Künstlerin und machte anatomische Wachsmodellation.
Mit der Blumenmalerin Madeleine Basseport kommt eine weitere wunderbare Figur hinzu. Erst war sie Maries Zeichenlehrerin, dann hatten sie eine lang andauernde Beziehung.
Es gibt eine zweite Zeitebene, in der der junge Edmé sich um die inzwischen alte Marie kümmert. Auch das ist eine enge Beziehung.
Christine Wunnicke, die schon lange ein literarischer Geheimtipp ist, gestaltet ihr Buch stilistisch sehr elegant. Ihre Sprache ist raffiniert.

Bewertung vom 31.08.2025
Nandi, Jacinta

Single Mom Supper Club


gut

Jacinta Nandi hat mit Single Mom Supper Club einen Roman geschrieben, der es überraschend auf die Longlist des Deutschen Buchpreis geschafft hat.
Es geht um alleinerziehende Frauen, die sich regelmäßig treffen um gemeinsam zu kochen. Eigentlich waren es ursprünglich 2 Gruppen. Die normalen Mütter und die etwas jüngeren Cocaine-Moms.
Die normalen Mütter und ihr Alltag stehen mehr im Vordergrund: Kayla, Tamara, Lina , Antje
Die Figuren sind mehr oder weniger typisiert. Das Spiel mit Klischees macht der Autorin amscheinend Spaß.
Es gibt amüsante Momente, insbesondere bei den Dialogen. Es bleibt aber auch das Gefühl, diese Frauen im realen Leben besser nie treffen zu müssen.
Provokantes Schreiben als Programm. Streckenweise ist das eine Zumutung, dann aber auch keine schlechte Parodie. Dennoch habe ich den Humor als anstrengend empfunden.

Bewertung vom 29.08.2025
Sullivan, Tara

The Bitter Side of Sweet


sehr gut

Ein Buch, klar konzipiert als Jugendbuch, erzählt von Kinderarbeit schlimmsten Ausmaßes in der Elfenbeinküste.
Der jugendliche Erzähler Amadou ist aus Mali und schon länger in der Lage, daher fast ein Profi.
Die Ausbeutung ist ihm ins Fleisch übergegangen. Die Kinder erleben brutale Gewalt. Amadou kümmert sich aufopfernd um seine jüngeren Bruder.
Die Situation ändert sich als ein störrisches Mädchen hinzukommt, die sich dem Terror widersetzt. Zu dritt gelingt ihnen die Flucht. Es gibt dramatische Szene. Das Buch ist durchaus spannend.
Interessant sind die Denkprozesse, die in Bewegung gesetzt werden.

Als durchschnittlicher, westlicher Leser ist man schockiert. Aber Kinderarbeit und -Ausbeutung ist Realität.

Bewertung vom 29.08.2025
Schätte, Lena

Das Schwarz an den Händen meines Vaters


sehr gut

Das Schwarz an den Händen meines Vaters ist ein Buch, das zeigt, wie Alkoholismus das Leben einer Familie prägt und sich sogar vererbt.
Es ist zum Teil ein erschütternder Bericht, da er eindringlich aus Ichperspektive erzählt. Der Vater der Erzählerin Motte war schwerer Trinker, von der Mutter ein Stück weit toleriert. Zahlreiche Vorfälle prägten schon die Kindheit der Erzählerin, die schließlich selbst anfängt, schwer zu trinken.
Lena Schätte schreibt schonungslos, abgemildert durch eine Nähe zur Figur. Vielleicht ist das Buch deswegen auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis gelandet.

Bewertung vom 28.08.2025
Göring-Eckardt, Katrin

Deutschland, lass uns reden


sehr gut

Die Bündnis 90/Grünen-Ikone Katrin Göring-Eckhardt berichtet von ihren Reisen, Begegnungen und Gesprächen mit verschiedenen Bürgern, aber auch bekannten Persönlichkeiten wie Charlotte Knobloch oder Igor Levit
Dabei blendet sie auch immer wieder ihre Gedanken zu den Äußerungen der Gesprächspartner ein. Das sind nachträgliche Kommentar und eigentlich wäre es vielleicht doch besser gewesen, sie hätte das gleich ausgesprochen. Doch sie wollte in erster Linie die andere Seite zu Wort kommen lassen. Zuhören ist ihr wichtig.

Sie spricht auch mit Flüchtlingen und Migranten sowie einer Bürgergeldempfängerin.

Katrin Göring-Eckardt und das für das sie einsteht haben meine Sympathien. Dieses Buch lädt zu gesellschaftlich-politischen Diskussionen ein.

Bewertung vom 27.08.2025
Kilroy, Claire

Kinderspiel


gut

Ode an den Sohn

Claire Kilroy ist eine irische Schriftstellerin. Kinderspiel ist anscheinend das erste Buch in deutscher Übersetzung.

in diesem Roman taucht man tief ins Innerste einer Frau ein, deren Perspektive ganz das Buch bestimmt. Sie ist junge Mutter und das Kind Sailor ist ihre ganze Welt. Vom Mann ist sie ein Stück weit entfremdet.
Man spürt eine gewisse Wut in ihr, vielleicht auch eine Überforderung. Sie scheint manchmal in Panik. Das gibt dem Buch eine Spannung, die sich unheilvoll anfühlt.
Trotz der Konsequenz der Erzählweise, halte ich sie in dieser Form auch für eine Einschränkung. Es bleiben gemischte Gefühle.

Bewertung vom 26.08.2025
Mazzetti, Lorenza

Der Himmel fällt


ausgezeichnet

Das Buch, 1961 erschienen, zeigt eine Kindheit im faschistischen Italien. Die Schwestern Penny und Baby wachsen bei ihrem Onkel auf. Penny ist die Erzählerin. Lorenza Mazzetti hält den Kinderblick durchgehend und konsequent durch.
Penny ist sicher stellvertretend für eine Generation von Kindern in Italien dieser Zeit, die einen unreflektierten Patriotismus angelernt bekommen. Das zeigt sich auch in den Kriegsspielen, die sie lieben und hinzu kommt eine religiöse Komponente. Manchmal scheint aber die überbordende Phantasie die Kinder auch zu retten.
Das Buch ist brillant und eindringlich. Wegen dem offensichtlichen autobiografischen wirkt es auch sehr authentisch.
Ein Glück, das man durch die Neuübersetzung eine neue Leserschaft dieses Buch entdecken darf.

Bewertung vom 25.08.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


sehr gut

Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts

Der junge Schweizer Schriftsteller Nelio Biedermann hat einen besonderen Roman vorgelegt.
Mit der Geburt Lajos von Lázár zur Jahrhundertwende in Ungarn setzt eine Familiengeschichte ein, fast ätherisch wie aus einer anderen Zeit erzählt.
Über weite Strecken ist ein Waldschloss der Schauplatz.
Über den Eltern Sandor und Maria und ihren Kindern Lajos und Ilona geht die Geschichte weiter mit Pistas und Eva.
Und es ist die Geschichte eines Jahrhunderts mit all den schrecklichen Ereignissen, die auch an einer adligen Familie in Ungarn nicht vorbeigehen.

Es ist auch eine Verfallsgeschichte, denn psychische Erkrankungen, Suizid, Alkoholismus und Schwäche durchziehen die Familie vielfach.

Das Buch weist eine gute Lesbarkeit und eine ganz eigentümliche, tief durchdringende Atmosphäre auf, die man nicht so schnell vergessen wird.

Bewertung vom 23.08.2025
Melle, Thomas

Haus zur Sonne


sehr gut

Bei Thomas Melles ungewöhnlichen Buch überlegt man erst einmal, ob es überhaupt ein Roman ist. Aber es gibt erzählende Elemente, Dialoge und die obskure Idee mit der Suizidklinik. Also ist es auch fiktional.
Der Erzähler begibt sich mit seiner bipolaren Störung in ene Klinik, deren Behandlung mit dem Tod enden soll.
Es gibt sprachlich überragende Momente. Es ist aber nicht einfach, diesen harten Text über die Auswirkungen einer langen, unhelibaren psychischen Erkrankung auszuhalten. Es gibt immer Momente, wo man sich dem fast lieber entziehen würde, aber es ist auch ein erkenntnisreiches Buch.
Das Buch steht auf der Longlist des deutschen Buchpreises 2025 und mich würde es nicht wundern, wenn Melle es auf die Shortlist schafft.