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yellowdog

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Insgesamt 2096 Bewertungen
Bewertung vom 29.05.2025
Oates, Joyce Carol

Wache halten


ausgezeichnet

Ein intimer, intensiver Text!

Die große amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates hat hier ein offenbar sehr persönliches Buch geschrieben. Wenige Jahre nachdem ihr Ehemann gestorben ist, zeigt sie hier ein Paar (Michaela und Gerard), dass zum Arbeiten und Unterrichten in ein Institut nach New Mexico gegangen sind. Hier wird der Mann krank, unheilbar. Für Michaela ist es hart zuzusehen, wie ihr Mann sich in der Klinik dem Tode nähert.
Nur kurz gibt es eine Passagen an der Uni, mit einer Studentin, die Hilfe von Michaela braucht. Dann geht es wieder nur um die Krankheit und nahenden Tod. Das ist teilweise im Detail beschrieben auch für den Leser nicht ganz einfach zu ertragen.
Der zweite Teil des Buches hat eine andere Tonlage und zeigt dann die Trauer nach Gerads Tod. Es gibt auch noch weitere Passagen mit einem Studenten. Für mich sehr gelungene Szenen.

Die Autorin geht weit, die Emotionen zu zeigen. Es ist ein Buch nicht ohne Bitterkeit und doch wird eine Tiefe der Trauer dargestellt, wie man es selten gelesen hat.

Bewertung vom 28.05.2025
Safier, David

Die Liebe sucht ein Zimmer


sehr gut

David Safier ist nach 28 Tage lang und Solange wir leben wieder ein ernsthafter, leidenschaftlicher Roman gelungen. Er spielt 1942 im Warschauer Ghetto und ist ganz ein Buch über das jüdische Theater.

Es gibt großartige Details über das Theater. Aber man vergisst nie, die Zeit, in der es sich abspielt. Alle Juden sind sich der großen Gefahr allzeit bewusst.
David Safier schildert so einige Härten.

Die Handlung umfasst im Wesentlichen die Dauer eines Theaterstücks. Das Stück heißt Die Liebe sucht ein Zimmer und beinhaltete auch Gesangseinlagen.
Der Clou ist, dass zum einen das Stück präsentiert wird, aber nebenbei auch die Geschichte der Schauspieler. Da ist die Liebe zwischen den Schauspielern Sara und Edmund, aber auch die des Intendanten, der mit Sara aus dem Ghetto fliehen will. Dann auch noch die Nebenfiguren, die Rollen im Stück haben.
Das Ganze wird von der Sprecherin Katharina Thalbach zusammengehalten. Eine Meisterleistung!

Bewertung vom 28.05.2025
Maar, Paul

Lorna


sehr gut

Der berühmte Kinderbuchautor Paul Maar, inzwischen 87 Jahre alt, legt hier eine vollendete Novelle über eine Frau vor.
Wichtig ist die Erzählperspektive. Die liegt bei einem Freund von Lorna, der einfühlsam und streckenweise bewundernd über Lorna und ihr Leben schreibt. Sie waren Kinderfreunde, später ein Paar. Aber Lorna entwickelte erst ein Helfersyndrom, später eine Manie und eine psychische Störung, mit der schwer zurecht zu kommen ist.
Es ist eine tragische Geschichte, aber unbedingt lesenswert.

Bewertung vom 28.05.2025
Gardner Smith, William

Gesicht aus Stein


ausgezeichnet

Ein bemerkenswerter Roman und eine großartige Entdeckung. William Gardner Smith ist jetzt nicht gleich ein zweiter James Baldwin. Solche Giganten der Literatur sind rar, aber auch Gardner Smith hat einen guten, reflektierenden Stil. Dazu gehört ein ebenso die Situation durchdenkender Protagonist.

Simeon Brown verlässt die USA und geht nach Paris, um dort den Rassismus zu entgehen. Er freundet sich mit einigen Leuten an und findet mit der Jüdin Maria eine Liebe. Aber der Algerienkrieg zeigt Frankreichs düsteres Gesicht und Simeon kommt immer mehr ins Grübeln, ob er sich mehr gegen den Rassismus engagieren muss. Die Gewalt in Paris eskaliert.

Der Roman wirkt nicht altmodisch und ist doch in seiner Zeit behaftet. Er erzeugt ein realistisches, glaubhaftes Bild über diese Zeit an diesem Ort.

Hoffentlich folgen weitere Übersetzungen von Büchern dieses Autors. Gesicht aus Stein jedenfalls ist unbedingt empfehlenswert.

Bewertung vom 28.05.2025
Mann, Thomas

Mit Thomas Mann am Meer


ausgezeichnet

Aus dem Werk des Zauberers

Ulrich Tukur, der bekannte Schauspieler, Musiker und Schriftsteller hat hier Texte von Thomas Mann versammelt, die mit dessen Nähe zum Meer zu tun haben.
Man kann die Qualität der Texte aber auch den Topos Meer erkennen.

Ziemlich am Anfang ist anscheinend komplett die Kurzgeschichte Der Tod enthalten. Ein sehr früher Text, von mir bisher übersehen. Es ist ein ergreifender Text voller Wehmut.
Aber es gibt auch viele Auszüge aus den bekannten Bücher: Buddenbrooks und Zauberberg.
Außerdem Tagebucheinträge und Briefe.
Es ist ein sehr reichhaltiges Buch.

Mit Meerfahrt mit Don Quijote endet das Buch mit einem tagebuchartigen Text. Im Gegensatz zu den Tagebüchern ist dieser Text aber literarisch und essayistisch sorgfältig bearbeitet. Ein Highlight.

Bewertung vom 28.05.2025
Astrabie, Sophie

Die Chance unseres Lebens


sehr gut

Sara und Stanislas

Es gibt eine oft verwendete Formel für passende Sommerlektüre, die berührt. Das funktioniert ein weiteres Mal in diesem Roman. Ein selbstbewusstes Mädel mit dem Herz am rechten Fleck und ein kluger, aber schüchterner Junge, die sich anfreunden.
Wird aus der Freundschaft Liebe und was wird 20 Jahre später sein?

Das Buch erinnert von der Stimmung her an Helle Sommer, dem früheren Roman der Autorin. Es ist ein schnell gelesener Roman und als Leser fühlt man mit den beiden Protagonisten.

Bewertung vom 26.05.2025
Marx, Reinhard

Kult. Warum die Zukunft des Christentums uns alle betrifft


sehr gut

Habent sua fata libelli

Kardinal Reinhard Marx arbeitet sein Essay gründlich aus und setzt gekonnt Zitate, wie z.B. Peter Sloterdjik und/oder nimmt Bezug auf andere Persönlichkeiten, wie z.B. oft auf Jürgen Habermas
Auch von Franziskus ist öfter die Rede.

Marx benennt die globalen Herausforderungen, die auch die Kirche betreffen.
Er bleibt aber auch oft Optimist, der an das Christentum als Religion der Zukunft und er kommt auf seine Vision, dem „Kult“ und die Eucharistie zu sprechen.
Ehrlich gesagt, ich war da teilweise raus.

Interessanterweise plädiert Marx für eine Globale Soziale Marktwirtschaft, doch die aktuelle Weltlage ist eine andere.
Marx selbst sagt ja: „Und ich bin sehr besorgt über die europaweiten und weltweiten Entwicklungen hin zu Rechtspopulismus, Nationalismus und rückwärtsgewandter Abgrenzung.“
Die Zukunft des Christentums hängt somit von vielen Faktoren ab.
Unabhängig davon hat Reinhard Marx mit seinen sprachlichen Mitteln gekonnt sein Essay gestaltet.

Bewertung vom 24.05.2025
Lau, Mariam

Merz


ausgezeichnet

Mariam Lau ist Zeit-Korrespondentin und Buchautorin. Sie hat schon über Angela Merkel und Harald Schmidt geschrieben.
Das hier vorliegende Buch ist jedoch keine Biografie im eigentlich Sinne, sondern beleuchtet die politischen Vorgänge der letzten Zeit, vordergründig im Zusammenhang mit Friedrich Merz Wahlkampf und Kanzlerschaft. Der Untertitel ist treffend gewählt.

Über Friedrich Merz wurden in letzter Zeit schon ein paar Bücher veröffentlicht, die hohe Qualität haben, aber Mariam Laus Buch ist das erste, nachdem Merz wirklich Kanzler geworden ist. Sie hat es mit spürbarer guter Schreiblaune gemacht und man wird von ihr kenntnisreich durch die Ereignisse der letzten Monate gewirbelt.
Dabei ist die Frage der politischen Position, die die neue Regierung und vorrangig Merz suchen, wichtig. Und das innen- wie außenpolitisch.

Immer wieder gibt es auch bemerkenswerte Rückblicke und man liest im Zusammenhang auch von anderen Politikern.

Mariam Lau spart nichts aus, bleibt aber fair.
Das Buch bietet pure Lesefreude und vielleicht ist Laus Merz-Buch daher das bisher beste.

Bewertung vom 18.05.2025
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


ausgezeichnet

Noch einmal kurz grandios

Nach „Auf Erden waren wir kurz grandios“ kommt Ocean Voungs zweites Prosawerk. Wieder ein Werk von Niveau.

Ocean Vuong zeichnet ein raues Amerika-Bild und schon mit wenigen Sätzen entstehen starke Bilder im Kopf des Lesers. Es beginnt schon mit der Passage, als der junge Hai auf der Brücke in East Gladness steht und überlegt zu springen. Doch dann hält ihn eine ältere Frau davon ab. Sie lässt ihn bei sich wohnen, dafür soll er sich um sie kümmern und sie leidet an Demenz.Die beiden sind dennoch ein gutes Team.
Hai findet schließlich einen Job in einem Schnellimbiß, lernt einige Leute kennen, die auch am Rande leben und wird so gewissermaßen ein Teil einer Gesellschaft, auch wenn es schwer bleibt.
Es gibt in der Mitte ein paar Längen, doch das Buch führt den Leser gut durch die Jahreszeiten und viele Passagen gehen unter die Haut.

Bewertung vom 17.05.2025
Manzini, Gaia

Für uns gibt es keinen Namen


sehr gut

Adas Weg

Für uns gibt es keinen Namen ist ein Roman über eine Frau im zeitgenössischen Italien. Ada arbeitet in Mailand in einer Werbeagentur und ist ziemlich verschlossen. Sie ist noch jung, erst 26, aber hat schon eine neunjährige Tochter. Von der erzählt sie in Mailand nicht. Die Tochter lebt bei Adas Eltern.
Es wird ein langer Weg für Ada, sich zu ihrer Tochter zu bekennen, von der sie anfangs mal sagte, sie sei ihre Schwester.
Das Thema des Buches ist Beziehungen. Zu ihrer Tochter und den Eltern und zu Alessio, mit dem sie zusammenarbeitet und teilweise sogar mit ihm lebt.
Gaia Manzini schreibt in einem ruhigen, verhaltenen Ton, in einer durchaus ansprechenden Sprache. So kann sie ein ehrliches Porträt einer Frau zeichnen, die ihren Weg finden muss.