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jenvo82
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Oberschöna

Bewertungen

Insgesamt 219 Bewertungen
Bewertung vom 10.09.2023
Vom Himmel die Sterne
Walls, Jeannette

Vom Himmel die Sterne


ausgezeichnet

"Wenn du ein Problem nicht lösen kannst und weder davor weglaufen, noch dich davor verstecken kannst, mach es zum Problem deines Gegners."

Inhalt

Sally Kincaid ist zurück im Großen Haus - zurück an der Seite ihres geliebten Vaters Henry Kincaid, nachdem dessen dritte Frau verstorben ist. Vor neun Jahren musste die kleine Sally auf Drängen ihrer Stiefmutter ausziehen und lebte in der Zwischenzeit bei ihrer Tante. Doch nun feiert sie ihr Glück und kümmert sich vorbildlich um ihren jüngeren Halbbrüder Eddy. Der Duke - Vorsteher, Bürgermeister und Mogul des Countys hält die Zügel straff in der Hand - ein Oberhaupt mit Format und klaren Vorstellungen, seine Zweitgeborene ist ihm ähnlich und eifert ihrem Vater nach. Nur privat begibt sich Henry umgehend auf die Suche nach einer neuen Frau und so dauert es nicht lange, bis die nächste Frau ins Haus einzieht. Sally versucht sich gut mit ihr zu stellen, denn sie möchte diesmal nicht wieder den Platz räumen. Aber kurz nach der Hochzeit des Duke kommt es zu einem tödlichen Badeunfall, bei dem er sein Leben verliert und nun muss die gesetzliche Erbfolge entscheiden, wie es mit der Firma, dem County und dem Sitz der Familie weitergehen wird. Sally kann warten, sie weiß tief in ihrem Herzen, dass kein anderer Kincaid jemals ihren Enthusiasmus an den Tag legen wird und außerdem ist sie Papas "Frechdachs" gewesen, dem er selbst alles zugetraut hat ...

Meinung

Ein mitreißender, unterhaltsamer Roman, der den Leser gemeinsam mit einer entschlossenen Hauptprotagonistin in das ländliche Amerika zu Zeiten der Prohibition entführt und voller wilder Überraschungen, trauriger Ereignisse und hoffnungsfroher Momente steckt. Auf gut 400 Seiten erlebt man so viel Drama, Geheimnisse, Ränkespiele, Lebensweisheiten und Fortschritte wie nur selten in einem Buch. Die Autorin versteht es szenische Bilder zu schaffen, einer fiktiven Familiendynastie echtes Herzblut anzudichten und eine junge, emanzipierte, positive Heldin zum Liebling eines ganzen Ortes werden zu lassen.

Ich vergebe 5 Lesesterne, denn genau so muss Unterhaltungsliteratur für mich sein. Stellenweise überschlägt sich zwar das Tempo und zu Morden gesellen sich Selbstmorde, Affären, uneheliche Kinder, Schlägereien, Bombenangriffe und Brandstiftung, doch dieses Buch verträgt die einzelnen Ereignisse ganz gut, schließlich herrscht hier im Laufe des Geschehens eine Frau über ihren Clan und dessen Verästelungen.

Besonders gut gefallen hat mir die Ausarbeitung der Vater-Tochter-Beziehung, die vorbildlich den Reifeprozess der Jüngeren schildert. Der Duke als Vaterfigur bleibt trotz seines frühen Todes im Roman präsent, denn seine Tochter Sally lässt ihn wegen ihres idealistischen Denkens lebendig bleiben. Allerdings gewinnt sie auch Abstand zum vergangenen Glück und entdeckt ihre eigene Stärke und darüber hinaus die ein oder andere Schwäche des Vaters.

Ein tolles Buch zum Abtauchen - geschriebene Worte, die direkt verfilmt werden könnten und mich bestens unterhalten haben.

Bewertung vom 26.08.2023
Eine glückliche Familie
Kabler, Jackie

Eine glückliche Familie


weniger gut

Bisher kannte ich noch kein Buch der gefeierten Autorin Jackie Kabler, wurde aber durch eine ansprechende Leseprobe darauf aufmerksam. Die Geschichte einer erwachsenen Tochter, die als Kind von ihrer Mutter verlassen wurde und nicht über diesen Verlust hinweg kommt, klang sehr verlockend und voller Möglichkeiten. Etwas irritiert war ich, weil zunächst Kriminalroman auf dem Cover stand, in meiner Ausgabe aber nur noch Roman - doch die Einordnung ins passende Genre bewerte ich nicht direkt.

Leider wurde schon nach wenigen Seiten deutlich, dass mich die Art der Handlung und die Geschichte selbst so ganz gar nicht begeistern konnte. Das größte Manko dieses Buches sind die absolut nervigen, dominanten Protagonisten, die sich ausschließlich mit belanglosen Nebensächlichkeiten beschäftigen und emotional ständig zwischen "himmelhochjauchzend" und "zu Tode betrübt" schwanken. Gerade Beth, die verlassene Tochter, ist so naiv, dass ich beim Lesen nur noch die Augen verdrehen konnte. Und ihre ständigen Selbstzweifel, gepaart mit einem ach so tollen aber unbeständigen Freundeskreis und der nagenden Angst, ihre eigenen Kinder zu verlieren, hat mich dazu verleitet, dieses Buch überhaupt nicht mehr ernst zu nehmen. Wer bitte verhält sich so?

Der einzige Pluspunkt, der mich dann doch flott durch die Lektüre geführt hat, war eine flüssige, konkrete Ausrichtung des Textes mit entsprechenden Andeutungen am Ende jedes Kapitels - lesetechnisch wird man dadurch bei Laune gehalten, nicht jedoch mit einem besseren Inhalt belohnt. Zusammenfassend gibt es hier ein Drama, eine Dramaqueen und einen Luftballon voller Oberflächlichkeiten. Als dieses imaginäre Herzstück des Textes deutlich wird, laufen alle Fäden zusammen, allerdings hatte ich dann schon lange das Interesse an diesem Roman verloren.

Fazit: Eine große Enttäuschung für mich, die ich mit 2 Lesesternen bewerte - obwohl ich gerne Krimis und auch Romane lese, findet sich hier keinerlei Mehrwert. Von psychologischer Raffinesse ist nichts zu spüren und die Intrigen, die gesponnen werden, sind ermüdend, ganz zu schweigen von so vielen Menschen, die mir allesamt enorm unsympathisch waren. Ob ich ein weiteres Buch der Autorin lesen werde, kann ich nicht sagen - schreiben kann sie zwar- nur über was?

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


ausgezeichnet

Der Sommer hat für Alex vielversprechend begonnen: ein luxuriöses Sommerhaus in den Hamptons, ein spendabler älterer Freund, der ihr schöne Kleider kauft und sie finanziell aushält. Beinahe hätte sie darüber ihre echten Probleme vergessen können: ein fordernder Ex-Freund, ihre Tablettenabhängigkeit, das leere Bankkonto, die verlorene Wohnung und ihr ungebrochenes Interesse an Drogen und Alkohol.
Doch ein kleiner, unangepasster Fehltritt ihrerseits bedeutet das Ende des sorglosen Daseins, denn ihr Freund Simon setzt sie einfach vor die Tür und erbittet sich Abstand. Erst da wird ihr schlagartig bewusst, wie nah am Abgrund ihr Leben verläuft. Ihr fragiler Lebensentwurf macht sie zum Spielball für stärkere Charaktere, treibt sie in jene bedingungslose Abhängigkeit, die abgebrühte Anpassungsfähigkeit erfordert. Doch ihr ist es egal, solange Simon sie am Ende der Woche wieder bei sich aufnimmt – und dafür muss sie nichts weiter tun, als die schier endlosen Tage bis zur nächsten Party zu überstehen …
Meinung:
Nachdem mich „The Girls“ gut unterhalten hat, bin ich nach dem Lesen der Leseprobe auf das neue Buch der kalifornischen Autorin Emma Cline aufmerksam geworden. Ihr gewählter Rahmen in der Welt der High-Society sprach mich zwar nicht unmittelbar an, die geschilderte Story schien aber vielversprechend. Und so habe ich ohne spezielle Erwartungshaltung mit der Lektüre begonnen.
Die Handlung selbst ist irgendwie belanglos, denn sie widmet sich der tagtäglichen Ausweglosigkeit der Protagonistin und ihrem aktionsarmen „Vor-sich-hin-Dümpeln“. Aber die Geschichte zog mich dennoch unweigerlich in ihren Bann. Dabei hat mich vor allem die Erzählperspektive fasziniert, denn der Leser bekommt alles ungefiltert aus erster Hand präsentiert und kann mit der unreifen, provokanten Alex erleben, wie es sich anfühlen muss, ein derart gestörtes Leben aufrecht zu erhalten. Dieses irrige Verhalten, die Skrupellosigkeit, die ständigen Ängste – kurzum das Bild der Hauptfigur von sich selbst aber auch von anderen, hat mich nachhaltig beeindruckt und eine große Lesefreude erzeugt. Was dort wem und weswegen passiert, ist vollkommen unerheblich – es geht um den sukzessiven Verfall eines Individuums, um Kurzschlusshandlungen ebenso wie um Berechnung, um tiefste Verzweiflung und absolute Ohnmacht, um rauschhafte Erlebnisse gepaart mit bitteren Wahrheiten.
Das schillernde Porträt einer geschundenen Seele, die aus welchen Gründen auch immer, kontinuierlich auf ihren Zerfall zusteuert. Sehr gern hätte ich noch mehr aus ihrer Vergangenheit erfahren, wäre durch Rückblenden etwas schlauer geworden, insbesondere was die Motivation hinter den Aktionen betrifft, doch die im Nebel bleibende, zurückliegende Zeit ist so unbestimmt und zerstörerisch, wie Alex selbst.
Fazit: Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für diesen Roman, der mit einem facettenreichen Menschenporträt punkten kann und sich vorrangig der psychischen Komponente widmet. Weder die Handlung noch die Schauplätze sind dominant, sondern einzig die diffizile Persönlichkeit einer jungen Frau. Das offene Ende hat mich nur kurz befremdet, denn eigentlich passt es ganz gut – jeder Leser kann eine eigene Interpretation entwickeln und wird nicht widerlegt werden. Dieser Roman würde mir auch als Verfilmung zusagen, vor allem weil mittels Bildmaterial die Diskrepanz zwischen der Welt der Schönen und Reichen und der zerrütteten Alex, die nur eine Fassade aufrecht erhält, noch deutlicher zu Tage treten würde.

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Bewertung vom 05.07.2022
Der Mann, der vom Himmel fiel
Tevis, Walter

Der Mann, der vom Himmel fiel


ausgezeichnet

„Bin ich zu etwas Neuem geworden oder zu etwas Altem zurückgekehrt?“

Inhalt

Thomas Jerome Newton, scheint nicht nur ein genialer Erfinder zu sein, sondern taucht förmlich über Nacht in Kentucky auf und verkauft dort seine wissenschaftlichen Ideen. Dieser Umstand macht ihn innerhalb kürzester Zeit nicht nur reich, sondern auch immer interessanter. Doch Thomas ist ein seltsamer Mann, er scheut das Sonnenlicht, wirkt seltsam filigran und zerbrechlich und benötigt anscheinend keinerlei Schlaf. Nur wenige Menschen kommen ihm überhaupt näher, die meisten hält er strikt auf Distanz. Nur Nathan Bryce, ein Wissenschaftler, der schon bald in der Firma Newtons beschäftigt ist, vermutet hinter dem genialen Geist von Newton etwas anderes. Und Schicht um Schicht versucht er seinen Verdacht zu untermauern, bemerkt aber schnell, dass sein Arbeitgeber zwar nicht den gleichen körperlichen Aufbau wie er selbst zu haben scheint, aber dennoch ein äußerst menschlicher Zeitgenosse ist.

Meinung

Ich bin nun definitiv kein Liebhaber von Science-Fiction, weder im Film noch im Buch. Das Universum und seine möglichen Bewohner sowie die Gefahren, die der Menschheit durch außerirdisches Leben drohen könnten, üben tatsächlich wenig Reiz auf mich aus. Umso erstaunter war ich über die hier erzählte Story, die nicht nur flüssig zu lesen ist, sondern sehr gute Unterhaltung bietet und den ein oder anderen Gedanken aufkommen lässt, was denn nun genau menschliches Verhalten ist.

Der Außerirdische in dieser Erzählung hat diverse Anpassungsschwierigkeiten und er betreibt auch ein Versteckspiel, welches man durchaus erwartet. Dennoch wirkt und handelt er nicht wie jemand, der noch niemals auf unserem Planeten war. Gerade die Entdeckung des Alkohols, dem er bald schon in rauen Mengen zuspricht und die kleinen Gesten machen ihn zu einem netten Individuum, welches man als Leser gern ein Stück des Weges begleitet. Die Mission, die einst sein Anspruch war, muss warten. Denn trotz seiner Tarnung schöpfen die Menschen Verdacht und er wird viele Jahre zu allerlei Experimenten in strengste Verwahrung genommen, denn zu verlockend ist die Aussicht der oberen Regierungsbehörden, dieses Objekt, getarnt als Wissenschaftler gründlichst zu durchleuchten.

Fazit

Ein sehr interessanter, teilweise schockierend ehrlicher Roman, der die Science-Fiktion-Welt nur peripher berührt und viele klare, nachvollziehbare Argumente ins Feld führt. Sehr gern vergebe ich hier 5 Lesesterne, denn ich bin gerade deswegen davon begeistert, weil die Realitätsnähe durchgehend erhalten bleibt und man als Leser nicht mit „fremden Wesen“ vertraut gemacht werden soll, sondern vielmehr den gesellschaftskritischen Spiegel vorgehalten bekommt.

Zwischen den Zeilen hat mich auch immer wieder etwas Melancholie erfasst, denn Mr. Newton besitzt ein Wissen, welches dem der Menschen weit voraus ist und dennoch ist auch sein Volk jenseits des blauen Planeten bedroht und weder er noch die Menschheit an sich wird diesen Prozess aufhalten können, weder dort noch hier.

Auch die Thematik veränderlicher Pläne und Träume wird hier anschaulich umgesetzt, denn die große Frage nach der Motivation dahinter wird sichtbar. Eine gewisse Desillusionierung tritt ein, wenn wir haben, was wir wollen und feststellen müssen, dass uns dieses Wissen dennoch keinerlei Vorteile bringt.

Bewertung vom 12.05.2022
Die sieben Schalen des Zorns
Thiele, Markus

Die sieben Schalen des Zorns


ausgezeichnet

„Umkehr der Hierarchien -das war gut. Die eigene Unterordnung drehte sich zur Überordnung. Maria erweckte das nicht wieder zum Leben. Aber in diesem Licht betrachtet, war ihr Leiden auch nicht mehr in Gottes Hand gewesen. Max hatte Gott um einen Trumpf gebracht. Endlich.“

Inhalt

Die beiden Freunde Max und Jonas haben sich zwar in den letzten Jahren aus den Augen verloren, doch ihre langjährige Freundschaft und ein einschneidendes Schlüsselerlebnis aus ihrer Jugend binden sie nach wie vor aneinander. Während Jonas als Staatsanwalt die Karriereleiter weit hinaufgeklettert ist, hält sich Max nur notdürftig mit seiner Arztpraxis über Wasser. Doch ob er in Zukunft überhaupt noch seine Berufserlaubnis behalten darf, liegt in den Händen anderer. Max wird beschuldigt, seine Tante getötet zu haben. Zwar ausdrücklich auf deren Wunsch, aber dennoch eigenmächtig. Er wendet sich in seiner Notlage an den alten Freund und erinnert diesen an eine längst fällige Schuldbegleichung. Da Jonas aber genau auf der falschen Seite der Gesetzbarkeit steht und nicht die Verteidigung, sondern die Anklage leiten müsste, gerät er in einen Gewissenskonflikt. Und der Ausgang des Prozesses könnte auch das Ende seiner Karriere bedeuten.

Meinung

Da ich bereits die Romane „Echo des Schweigens“ und „Die Wahrheit der Dinge“ des deutschen Autors Markus Thiele gelesen habe und beide Bücher absolut lesenswert fand, konnte ich natürlich das aktuelle Werk nicht verpassen. Immer sind es die wichtigen Dinge des Lebens, die hier anhand eines ganz konkreten Falls betrachtet werden und sich auf tatsächliche Ereignisse (wenn auch in abgewandelter Form) berufen. Dadurch bekommt der Leser einen sehr umfassenden Einblick in die Tatbestände und den Ablauf hiesiger Gerichtsprozesse.

Was aber der eigentliche Knackpunkt ist und damit den Mehrwert des Romans darstellt, ist die Erörterung der menschlichen Ansichten, Überzeugungen und Handlungen in Anbetracht moralischer Entscheidungen, die sich nicht mit den geltenden Gesetzen vertragen. Dazu bedient sich der Autor eines geschickten Elements, indem er als auktorialer Erzähler auftritt und jeden Beteiligten mit dessen entsprechender Sicht auf die Dinge ernst nimmt, ohne irgendeine Wertung vorzunehmen. Die reine Handlungsebene ist spannend geschrieben, fast wie ein Kriminalfall, im Grunde genommen sind es aber die Hintergründe, die den Reiz des Buches für mich ausmachen.

Außerdem wirkt alles sehr authentisch und realistisch, denn der Autor ist Rechtsanwalt und kennt die Abläufe vor Gericht sehr genau. Er scheint außerdem ein guter Beobachter zu sein und bewahrt sich eine große Portion Neutralität, trotz einer so polarisierenden Thematik, wie die der Sterbehilfe. Und was könnte in einem fiktiven Roman besser funktionieren als die Schilderung aus nächster Nähe, mit viel Empathie und Verständnis aber auch mit klaren Grenzen und ohne Schönfärberei?

Fazit

Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich gerne 5 Lesesterne gebe. Die verschiedenen Wahrheiten regen schon während des Lesens zum Nachdenken an und immer wieder begeben sich die eigenen Gedanken auf die Reise zu den Geschehnissen vor Ort. Dadurch das hier die Perspektivenvielfalt einen so großen Raum einnimmt, beginnt man selbst, die Dinge zu hinterfragen. Unabhängig von der persönlichen Überzeugung kann man sich förmlich nebenbei mit diversen Gesetzmäßigkeiten vertraut machen, ohne tatsächlich irgendein relevantes Wissen bezüglich der Rechtssprechung zu besitzen.

Sehr gut gefallen hat mir auch die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Glaubens oder der Umgang mit der Abwesenheit desselben. Alle Ansätze greifen wie kleine Rädchen ineinander und hinterlassen nachhaltig Eindruck.

Ich freue mich jetzt schon auf weitere Bücher des Autors - die Ideenvielfalt erwächst vielleicht aus aktuellen Fällen und deren Rechtslage und solange es Menschen gibt, die Fehler machen und lebensverändernde Entscheidungen treffen, dürfte diese Quelle auch nicht versiegen.

Bewertung vom 01.05.2022
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


gut

„Wenn du die Vergangenheit nicht ausradieren kannst, musst du sie so lange überschreiben, bis sie nicht mehr zu entziffern ist.“

Inhalt

Akira Kido ist fasziniert von der Geschichte, die ihm seine Klientin Rie zuträgt. Ihr Mann ist auf tragische Weise verunglückt, doch während ihres Trauerprozesses entdeckt die Frau, dass es Unstimmigkeiten gibt, denn der Verstorbene kann nicht der sein, für den er sich ausgab und nun stellt sich ihr die elementare Frage, mit wem sie hier eigentlich verheiratet war? Kido verspricht, sich der Sache anzunehmen und legt Stück für Stück die wahren Hintergründe frei. Immer tiefer taucht er in das Lügengebäude des Taniguchi Daisuke ein und entdeckt neben all den moralischen Verfehlungen plötzlich auch die wahre Motivation des Betrügers. Schon bald kann er sich der Faszination eines Identitätentauschs kaum noch entziehen und stellt sich die philosophische Frage, wie man mit so einer Lüge leben kann?

Meinung

Es ist ein hochinteressantes Konstrukt, welches der japanische Autor Keiichiro Hirano hier entwirft: ein Mann legt sich eine neue Identität zu, lässt sein komplettes bisheriges Leben hinter sich und verleibt sich die Stationspunkte eines anderen ein. Nicht nur auf den Dokumenten ist er nun ein anderer, nein auch seine Vergangenheit und Vorgeschichte sind eine komplett unterschiedliche. Plötzlich bietet sich in der Mitte des Lebens die Möglichkeit einen kompletten Neuanfang zu starten, die Fesseln abzustreifen und noch einmal von vorn anzufangen. Das einzig moralisch bedenkliche dabei, ist der Betrug, den man damit an seinen Mitmenschen verübt und das Dilemma derer, wenn sie die Farce aufdecken.

Die Leseprobe des Buches hat mich sehr angesprochen, der distanziert, kühle Ton, wie so oft in japanischen Büchern aber auch die fatale Situation der Protagonisten haben mich zu diesem Roman greifen lassen. Gerade die psychologische, mentale Komposition der Ausgangssituation hat mich fasziniert. Leider entwickelt das Buch aber nicht den gewünschten Lesesog. Stellenweise habe ich mich eher gelangweilt und es geht ständig auf und ab mit der Begeisterung. In weiten Teilen des Textes handelt es sich um die Spurensuche des Anwalts, nach der wahren Identität des Gesuchten. Damit verbunden sind zahlreiche Umwege und Stolperfallen. Es kommt zu verschiedenen Begegnungen mit Menschen, die den Betrüger oder auch dessen Leben kannten und sozusagen aus dem Nähkästchen plaudern, nur leider gerät in diesen Passagen die eigentliche Aussage des Ganzen immer weiter in den Hintergrund.

Mein Hauptkritikpunkt an diesem zeitgenössischen Roman mit interessanter Story, ist die Tatsache, dass er sich verzettelt, immer wieder abschweift und damit nur schwache Spuren hinterlässt. Eine klare Fokussierung und weniger Randthemen hätten diesem Text wesentlich mehr Tiefe verleihen können. Vielleicht ist der suchende Anwalt auch die falsche Person, die hier zu Wort kommt. Oft habe ich gedacht, es wäre besser gewesen, der Betrüger selbst hätte seine Gedanken offenbart, dann wäre man als Leser auch schneller involviert gewesen.

Fazit

Ich vergebe mittelmäßige 3 Lesesterne für diese Geschichte, die ich mir in ihrem Verlauf doch ganz anders vorgestellt hatte. Auf mich wirkte das Ganze, wie ein gebrochenes Spiegelglas, bei dem der Betrachter langsam zuschauen kann, wie die Risse immer tiefer werden und die Glasscherben schließlich bröckelnd zu Boden fallen. Übrig bleibt zwar ein Eindruck, wie es einmal gewesen sein könnte, aber dadurch, dass man den Spiegel nicht in seiner ursprünglichen Form kannte, bleiben einfach zu viele Lücken, um die Schönheit insgesamt zu erfassen oder sich ihrer zu erinnern.

Dieses Buch kann man besser lesen, wenn man sich auf mäandernde Storys einlassen kann und nicht so großen Wert auf Emotionalität und Identifikationspotential legt. Der Roman zählt definitiv nicht zu denjenigen, die besonderen Anklang bei mir finden, schon allein wegen seiner fehlenden Aussagekraft.

Bewertung vom 20.04.2022
Der dreizehnte Mann / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.2 (eBook, ePUB)
Schwiecker, Florian; Tsokos, Michael

Der dreizehnte Mann / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.2 (eBook, ePUB)


gut

„Mein Lieber, mir scheint beinahe, Sie haben es in ihrer Welt mit eindeutigeren Sachverhalten zu tun. Der Fall zeigt, dass es im Leben da draußen einfach ambivalenter zugeht.“

Inhalt

Für Rocco Eberhardt, der normalerweise auf Seiten der Verdächtigen steht und vor Gericht deren Strafverteidigung führt, handelt es sich bei dem Ansinnen seines neuen Mandanten Timo Krampe um einen ungewöhnlichen Fall. Krampes bester Freund und Leidensgefährte Jörg Grünwald, ist spurlos verschwunden und das, kurz bevor sich die beiden offiziell zu den staatlich gelenkten Straftaten äußern wollten, die ihnen selbst widerfahren sind. Als wenig später die Leiche von Grünwald aufgefunden wird und es sich nach dem Obduktionsbericht um ein Gewaltverbrechen handelt, beginnt Rocco Eberhardt tiefer zu graben. Bald muss er feststellen, dass seine Gegner weit oben an den Schalthebeln der Macht sitzen und trotz der Verjährung ihrer Verbrechen, alles dafür tun, um ihr Wirken zu verschleiern …

Meinung

Dies ist der zweite Band aus der Justiz-Krimi-Reihe des Autorenduos Florian Schwiecker und Michael Tsokos. Darin ermitteln der Strafverteidiger Eberhardt und der Rechtsmediziner Jarmer gemeinsam an Mordfällen in der deutschen Hauptstadt Berlin. Nachdem mich Band 1 „Die siebente Frau“ gut unterhalten konnte, wollte ich schauen, ob sich die Fortsetzung dieser Reihe lohnt. Aber so ganz konnte der Funke diesmal nicht überspringen. Prinzipiell sind die auf Tatsachen beruhenden Hintergründe zu diesem Fall sehr interessant, denn das Verbrechen, welches hier zur Verhandlung gebracht wird, gab es in einer ähnlichen Form tatsächlich. Die Umsetzung jedoch wirkte ausgesprochen zäh und recht mühsam, da es wirklich nur in ganz kleinen Schritten und sehr detailverliebt vorwärts geht.

Der Text formiert immer neue Tage, mit nur wenig fallrelevanten Ereignissen. Jeder Akteur geht seiner Arbeit nach, es ergeben sich dabei mehr zufällig als zielgerichtet Neuigkeiten und die Inhalte schwenken oftmals ab. Mag sein, dass die Realität genau so aussieht, doch für einen spannenden Kriminalroman müsste es gebündelt und anders aufbereitet werden. Die vielen Gespräche, Treffen und Absprachen vor der eigentlichen Verhandlung bleiben deshalb so blass, weil sie akribisch und in wörtlicher Rede zu Papier gebracht wurden. Der Blick auf das große Ganze kommt dadurch abhanden und die Spannungskurve verläuft flach.

Fazit

Ich tendiere zu eher mittelmäßigen 3 Lesesternen – die Justiz und die Funktionsweise des Systems werden ausgesprochen anschaulich und wahrheitsgemäß wiedergegeben, die Identifikation und das generelle Interesse dafür schwinden aber zusehends. Auch die kleinen Abstecher ins Privatleben von Rocco Eberhardt, der hier mit seiner vergangenen Liebespartnerin zusammenarbeitet und gerne wieder an alte Zeiten anknüpfen würde, haben mich nur mäßig angesprochen. Auf dem Sektor eines anspruchsvollen Justizfalles mit mörderischer Energie und persönlicher Erfahrung (die merkt man den Handlungen nämlich tatsächlich an), hätte ich insgesamt mehr erwartet. Ob ich dieser Reihe nun weiterhin folgen werde, ist ungewiss, vielleicht kommt mit dem nächsten Band wieder Fahrt auf, ich warte erstmal ab.

Bewertung vom 13.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


sehr gut

„Eine Zeit, die sie auszuradieren versucht, über die sie nicht zu sprechen bereit ist. Denn wenn man weitermachen will, muss man manchmal so handeln, als hätte es die Dinge nie gegeben.“

Inhalt

Die Polizistin Clara Roussel steht vor einem schwierigen Fall der Kindesentführung, als die kleine Kimmy Diore vom Versteckspiel nicht mehr zurückkehrt. Sie und ihr älterer Bruder Sammy wachsen ohnehin sehr behütet auf, eigentlich spielen sie nicht unter freiem Himmel und in der exklusiven Wohngegend gibt es niemanden, der einfach so kleine Mädchen von der Straße wegfängt. Schwierig wird es allerdings, als Clara begreift, wer hier tatsächlich gekidnappt wurde. Denn Kimmy und ihr Bruder sind echte Stars, weil ihre Eltern einen äußerst lukrativen Kanal betreiben, in dem ihre Mutter sich an alle Fans weltweit wendet und das komplette Familienleben als öffentliches Spektakel vermarktet. Familie Diore kennt fast jeder, sie sind wohlhabend und verdienen mit jedem geteilten Video eine nicht zu verachtende Summe Geld. Und jeder, der sich die zahlreichen Videos auf den Social-Media-Kanälen anschaut, würde mit wenig Aufwand herausfinden, wie das kleine Mädchen lebt und auch wo. Hauptakteurin hinter der Kamera ist Melanie Claux, eine Frau, die die Zufriedenheit ihrer virtuellen Fangemeinde schon längst über das Wohlergehen ihrer eigenen Kinder gestellt hat. Und nun gezwungen wird, ihren Kummer als Mutter ebenfalls mit der Welt zu teilen …

Meinung

Ich bin ein großer Fan der französischen Bestsellerautorin Delphine de Vigan, die sich in jedem ihrer Romane einem kontroversen Thema stellt, welches oftmals Bezug zu unserer ganz alltäglichen Welt besitzt und meist eine generalistische Aussagekraft besitzt. Aktueller könnte es kaum sein, denn die Ausbeutung von Kindern im Netzt, ist ein sehr brisantes und mittlerweile nicht zu verachtendes Phänomen, tatsächlich muss man sich nur einmal durch die Profile alter Klassenkameraden auf facebook klicken und schon, lernt man deren Nachwuchs beim morgendlichen Frühstück kennen, auch wenn man längst keinen direkten Kontakt mehr zu den gewählten Personen hat.

Das Buch gliedert sich inhaltlich in zwei klar voneinander getrennte Teile. Im ersten Teil wird die Story rund um die Entführung geschildert und gewissermaßen auch die Hintergrundgeschichte beleuchtet. In kurzen Episoden erfährt der Leser auch von der Vernehmung und den aktuellen Umständen, ebenso wie vom Ermittlungsansatz der Polizei. Der zweite Teil des Buches spielt dann im Jahr 2031, die ehemaligen Kinderstars sind erwachsen geworden, ihre Mutter gealtert und die Polizistin mittlerweile mit anderen Fällen beschäftigt und doch setzt die Erzählung gerade hier andere Maßstäbe, denn sie fokussiert sich auf die Spätfolgen, die eine derartige Lebensweise mit sich bringen kann. Tatsächlich hat mich der zweite, deutlich kürzere Teil wesentlich mehr gereizt, denn zunächst bewahrt die Erzählung eine sehr objektive Sicht, man fühlt sich auf Distanz gehalten, gerade wenn man sich so wenig mit dieser Lebensweise identifiziert. Viele Emotionen werden ausgeblendet, es entsteht kaum Nähe zu den Protagonisten.

Danach gewinnt der Text aber immer mehr Tiefe und zeigt die traurigen Wahrheiten, die zerrütteten Lebenswege, die verpassten Chancen, die späte Abrechnung der Geschädigten und die Uneinsichtigkeit manch Betroffener – ab Seite 235 war dieses Buch ein Lesevergnügen für mich, sehr gern hätte ich hier die Schwerpunkte gesetzt aber so funktioniert das Buch eben nicht. Im Vergleich zu anderen Werken der Autorin bin ich deshalb auch etwas enttäuscht, hier fehlt es an durchgängiger Intensität, an Charakteren, denen man ihr Wesen abkauft, die nicht nur in ihre Rolle schlüpfen oder sich dem Leser so präsentieren, als wären sie aus Fleisch und Blut. Mag sein, dass es an meinem fehlenden Interesse für das gezeigte Leben im World Wide Web liegt, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie man so sehr auf fremde Bestätigung angewiesen sein muss, dass man dafü

Bewertung vom 27.02.2022
Tell
Schmidt, Joachim B.

Tell


ausgezeichnet

„Ich muss zugeben, dass mich sein Besuch beglückt hat. Wenn man an Menschen erinnert wird, die man einst geliebt hat, fühlt man nicht bloß Kummer.“

Inhalt

Eine Bauernfamilie hoch in den Bergen der Schweizer Alpen, weit weg von der Zivilisation, leben sie ein bescheidenes Leben, ausgerichtet auf die täglichen Bedürfnisse. Die beiden Brüder Peter und Wilhelm Tell halten zusammen, auch wenn der eine ein munterer Zeitgenosse ist und der andere ein schweigsamer Eigenbrötler. Als ein Lawinenunglück dem jüngeren Bruder zum Verhängnis wird, sieht sich der ältere in der Verpflichtung, die Familie des Bruders durchzubringen. Doch am Himmel ziehen dunkle Wolken auf, schließlich durchpflügen die Mannen der Habsburger die Orte in der näheren Umgebung, schänden Frauen und Kinder und plündern, wo sie nur können. Spurlos wird der Feind auch nicht am Haus der Familie Tell vorbeiziehen, doch Wilhelm ist nicht gewillt, sich kampflos zu ergeben. Seine Ehrfurcht vor dem König und dessen Vasallen ist nicht existent, die Armbrust sein bester Freund und wenn er schon nicht den Bruder retten konnte, dann wenigstens die noch Lebenden.

Meinung

Dies war mein erster Roman aus der Feder des in Island lebenden Autors, der sich hier mit der Sage des berühmten Wilhelm Tell auseinandersetzt und sie in moderner Sprache und komprimierter Handlung zu Papier bringt. Der Klappentext des Buches verspricht einen Blockbuster und genau so habe ich diesen Roman auch empfunden, denn während des Lesens läuft vor dem inneren Auge eine sehr stimmungsvolle, glaubwürdige Handlung ab, die man szenengenau wahrnehmen kann. Doch weniger die Historie selbst steht im Zentrum der Erzählung als vielmehr die familiäre Situation eines einfachen Mannes, der bemüht ist, die Seinen zu beschützen.

Das Besondere an diesem belletristischen Unterhaltungsroman ist wohl die gewählte Perspektive, denn die Erzähler des Buches wechseln in kurzen, prägnanten Kapiteln und stellen allesamt Zeitgenossen von Wilhelm Tell dar. Jeder Beteiligte schildert auf seine Art und Weise die Begegnung mit Tell und das Zusammenspiel der Ereignisse. Er selbst kommt dabei zwar nicht zu Wort, doch das tut dem Lesevergnügen keinerlei Abbruch, wird er doch als ein wortkarger, harter, prinzipientreuer Mann beschrieben, der am liebsten allein mit sich und seinen Gedanken war.

Besonders gut gefallen hat mir die Vielschichtigkeit in der Charakterisierung des Hauptprotagonisten, denn der Leser erfährt viel über seine Hintergründe und wird ebenso umfassend über seine Handlungen informiert. Es sind die zahlreichen Facetten, die hier ein stimmiges Bild ergeben und die auch über das Leben des Legende hinaus eine Aussagekraft besitzen. Denn obwohl es ausschließlich um ebenjenen Schweizer Freiheitskämpfer geht, beleuchtet die Erzählung auch generalistische Aussagen bezüglich des Menschseins. Mut, Rache, Vergebung, Hass und Liebe, Glück und Versagen – alles Themen, die zwar nicht explizit genannt werden, aber dank des authentischen Erzählstils eben trotzdem ihre Spuren hinterlassen und die Aussage des Romans sehr vielfältig und nachdenklich erscheinen lassen.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen starken, wichtigen Roman, der ungeachtet seines Handlungsortes eine angenehme Zeitlosigkeit besitzt. Hier funktioniert beides: die Einbettung der Geschichte in die ursprünglichen zeitlichen Hintergründe, geprägt von Armut und Unterdrückung, Kampf mit dem Feind und gegen die Widrigkeiten der Umwelt. Aber ebenso die beispielhafte Schilderung menschlicher Charakterzüge und ihre Auswirkungen auf das direkte Umfeld und die nächsten Angehörigen. Sehr gern hätte dieses Buch noch ein paar hundert Seiten mehr haben dürfen, einfach weil man sich so schön in der Erzählung wiederfinden konnte und die Personen des Buches einem nach und nach ans Herz gewachsen sind. Eine große Leseempfehlung für dieses erste Jahreshighlight und ich werde nun „Kalmann“ direkt auf meine Wunschliste setzen.

Bewertung vom 08.02.2022
Perfect Day
Hausmann, Romy

Perfect Day


gut

„ Liebe ist das Zerbrechlichste und zugleich Stärkste in uns Menschen. Und sie ist immer existent.“

Inhalt

Ann Lesniak kann es kaum glauben, dass ihr geliebter Vater, der sie als Alleinerziehender großgezogen hat, nun als Hauptverdächtiger in mehreren Mordfällen an jungen Mädchen im Fokus der Ermittler steht. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass die Polizei den falschen Mann verhaftet hat und begibt sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem Mörder. Irgendwo wird sie eine Spur finden und den Verantwortlichen klarmachen, dass es sich hier um ein einziges Missverständnis handelt. Mühevoll und ereignislos vergehen die nächsten Wochen, bis ihr das Schicksal in die Hände spielt und erneut ein kleines Mädchen verschwindet, welches kurz darauf wieder auftaucht, weil sie den Fängen des Mörders entkommen ist. Doch die kleine Sarah ist nicht zwangsläufig der Beweis für die Unschuld von Walter Lesniak und ihr beharrliches Schweigen scheint andere Gründe zu haben. Wenn Ann nicht bald den Schlüssel zur Lösung des Falls findet, muss sie hilflos mit ansehen, wie die Justiz ihres Amtes waltet …

Meinung

Nachdem ich bereits die beiden vorherigen Bücher der deutschen Bestsellerautorin Romy Hausmann mit viel Vergnügen gelesen habe, war ich natürlich auf ihr neuestes Werk umso neugieriger. Die Szenerie ganz nach meinem Geschmack: ein scheinbar heikler Fall, mit überschaubarem Personal und möglichst tiefgründiger psychologischer Orientierung. Der Schreibstil war wie erwartet schon auf den ersten Seiten flüssig zu lesen, spannend erzählt und zunächst sehr undurchsichtig. Gerade die diversen Texteinschübe, aus unterschiedlichen Perspektiven, sorgten für viel Interpretationsspielraum und Spekulationen. Hinzu kamen bewusst genutzte Zeitsprünge zwischen Anns Bemühungen in der Gegenwart, ihren Erinnerungen aus Kindheitstagen und einer zweiten, bedrohlichen Stimme des vermeintlichen Täters, die darauf schließen ließ, dass wir es hier mit einem Psychopathen zu tun haben. Doch so geschickt, wie die Geschichte auch aufgebaut ist, sie wirkt nicht aus einem Guss und lässt den Leser zu lange in der eigenen Gedankenwelt verharren. Schon bald sorgt das Geschehen für erste Ungereimtheiten und entwickelt sich zunehmend unlogisch und konzentriert auf Effekthascherei – Hauptsache Dramatik, Action und Plot-Twists, die allerdings bald ihren Glanz verlieren.

Besonders geärgert hat mich die Tatsache, dass neben der Geschichte um Walter Lesniak noch so viel anderes angesprochen und ausgeführt wurde, dadurch konnte ich mich gerade mit der Perspektive des potentiellen Mörders gar nicht so recht auseinandersetzen. Die Frage nach dem Motiv ist unklar und ebenso die nach dem Wahrheitsgehalt der Geschehnisse. Möglichkeiten gibt es viele und dadurch bleibt vieles an der Oberfläche, die Intension liegt mehr auf der spekulativen Handlung und weniger auf den Hintergründen.

Fazit

Ich vergebe hier 3,5 Lesesterne, die ich aber tendenziell eher abrunden würde. Diese Story ist mir zu turbulent und dann wieder zu langatmig, der Lesefluss ist zwar da und man könnte meinen einen echten Pageturner in den Händen zu halten, nur leider häufen sich die Kritikpunkte und oftmals verwirkt der Text kurz zuvor aufgebaute Sympathien, weil er sich dann wieder in den Weiten einer anderen Nebenhandlung verirrt. Auch die Glaubwürdigkeit aller Protagonisten steht immer auf der Scheidelinie, als Leser fiel es mir schwer, mich auf einen Aspekt zu konzentrieren und ich kam mir manchmal regelrecht gehetzt vor.

Ganz klar, dieser Thriller ist für mich das bisher schwächste Buch der Autorin, zu sehr orientiert sie sich an temporeichen Entwicklungen und verliert dadurch die ausgeprägten Charakterstudien aus den Augen. Die Schicksale hinter den verschiedenen Rollen des Täters und der Opfer bleiben schwammig und als Leser spürt man nur, dass sich hier ziemlich viele kranke Charaktere auf gut 400 Seiten tummeln, die erstaunlicherweise recht gut in bestimmte Klischees passen. Ich hoffe d