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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 362 Bewertungen
Bewertung vom 13.08.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


weniger gut

Vaterlosigkeit. In Zora del Buonos neuem Buch "Seinetwegen" macht sich die Autorin auf die Suche nach dem Mann, der die Schuld an den Autounfall trägt, bei dem ihr Vater zu Tode gekommen ist als sie gerade einmal drei Jahre alt war. Mittlerweile sechzig Jahre alt startet sie nicht nur eine Erkundung, um 'eine Leerstelle in ihrem Leben' zu füllen, sondern lässt in "Seinetwegen" die interessierte Öffentlichkeit teilhaben. Weshalb es sich auch nicht um einen Roman im eigentlichen Sinne handelt. Mir hat sich auch die Frage gestellt, ob man darüber ein Buch schreiben muss. Natürlich kann man andere Menschen teilhaben lassen. Es ist auch kein Trauerbuch über den früh verlorenen Vater und bei der Recherche reisst die Autorin Themen an und führt Details auf, die zuweilen den Anschein des reinen Berichtens um des Berichtens willen haben. Da werden plötzlich Automarken interessant und Personen / Familiengeschichten, die nur sehr entfernt mit dem Kernvohaben zu tun haben, eine Antwort auf die Frage zu finden, wer dieser Mensch war, der Schuld am Tod des Vaters ist. Auch werden Vermutungen angestellt, die einer zu einer Erhellung nur wenig beitragen können - beispielsweise, ob der Fahrer des totbringenden Autos schwul gewesen sei. Mich hat das Buch recht unbefriedigt zurückgelassen... aber vielleicht ist das bei 'unvollständigen Puzzles' immer so.

Bewertung vom 07.08.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


sehr gut

Serien-Qualität. Optimaler Stoff für eine Netflixserie - acht Folgen zu 50 Minuten, mit der Option auf eine zweite Staffel. Caroline O'Donoghue erzählt in ihrem Roman "Die Sache mit Rachel" in lockerem Plauderton über die vielleicht wichtigste Lebensphase, den Übergang von der Jugend zum Erwachsensein. Irrungen, Wirrungen, das Durcheinander mit der Liebe, das sich Ausprobieren, wenn mögliche Lebenswege noch etwas nebulös scheinen. Im Mittelpunkt steht die Literaturstudentin Rachel, die alles mit ihrem schwulen besten Freund James teilt - auch die Wohnung - und sehr für ihren Professor schwärmt, der allerdings verheiratet ist, und in seinem geheimen, zweiten Leben voll auf James steht. Rachel und James arbeiten gemeinsam in einem Buchladen. Rachel verliebt sich in einen anderen James, den sie dann natürlich nicht James nennt, sondern ihn mit seinem Nachnamen anspricht. Eigentlich kein großes Ding, aber es sind halt manchmal die kleinen Dinge im Leben, die den Unterschied ausmachen. Natürlich läuft nicht alles glatt; es gibt Enttäuschungen, Verdächtigungen, Ungewissheiten... ganz abgesehen von der unsicheren und nicht gerade perspektivreichen Lage im krisengeschüttelten Irland der 2000-er Jahre. Aber am Ende dann... (wird nicht verraten). Ein wunderbar erzähltes Buch übers Erwachsenwerden, mit all seinen Verwicklungen und Stolperfallen, welches von Seite zu Seite derart an Fahrt aufnimmt, dass man es nicht mehr aus der Hand legen mag bis schließlich auch die letzte Seite umgeblättert ist.

Bewertung vom 28.07.2024
Anna O.
Blake, Matthew

Anna O.


weniger gut

Ambitioniert, aber... Und am Ende überwiegt das 'Aber'. "Anna O.", der erste Thriller von Matthew Blake, ist ein anerkennenswerter Versuch, 'Psychologisches' mit einer spannenden und wendungsreichen Story zu kombinieren. Dabei wirft der Autor eine Menge in einen Topf, rührt ein paarmal um und glaubt den perfekten, so noch nie dagewesenen Thriller geschrieben zu haben. Allein die Bezüge zu anderen Werken, die er immer wieder bemüht, wirken fast schon ein wenig überheblich: Der Fall der Anna O. von Sigmund Freud, die Medea aus der griechischen Mythologie und Truman Capotes 'Kaltblütig'... nicht zu vergessen William Shakespeare und John Milton. Es werden durchaus interessante Aspekte bemüht - Gewaltverbrechen während des Schlafwandelns, die Verabreichung von Drogen zum Zwecke der Manipulation von Menschen, Fragen von Schuld und Rache. Über die ersten Dreiviertel wirkt die Story in sich auch recht schlüssig und nachvollziehbar, im letzten Viertel hingegen hatte ich fast den Eindruck, der Autor käme mit seiner Story selbst in einen Erklärungsnotstand, was dann zu für mich kaum mehr nachvollziehbaren und wenig zufriedenstellenden Wendungen führt. Der Autor hat mich zwar zunächst gut in seine Story hineingezogen, am Ende hat er mich aber dann doch verloren.

Bewertung vom 28.07.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


sehr gut

Lebensnah. Ein Buch nicht nur für junge Familien, die die Erziehungsratgeber der Koryphäe Jasper Juul studiert haben und immer noch glauben, nicht alles richtig zu machen. Kinder haben ein Eigenleben, müssen sich ins Leben reinarbeiten, was in einer Zeit, in der sie rund um die Uhr von ihren Helikoptereltern liebevoll begleitet, aber auch kritisch dahingehend beobachtet werden, ob mit der Entwicklung auch alles 'normal' verläuft, nicht immer einfach ist. Und dann haben all diese Eltern ja noch die Erinnerungen an ihre eigene Kindheit, die mit der eigenen Elternwerdung wieder ins Bewusstsein rücken, welche Erziehung sie genossen haben und was sie auf jeden Fall vollkommen anders machen wollen wie die eigenen Eltern. Und genau das ist die Geschichte, die Jessica Lind in ihrem Roman 'Kleine Monster' erzählt. Die Eltern Pia und Jakob werden wegen eines 'Vorfalles' mit ihrem Grundschul-Sohn Luca zu einem Elterngespräch eingeladen. Luca will nicht so recht darüber sprechen, die Eltern wollen ihn auch nicht unter Druck setzen und sind innerlich und auch untereinander hin-und hergerissen, welcher Seite sie Glauben schenken, wem sie vertrauen sollen. Die Geschichte wird aus Pias Perspektive erzählt, die sich zunehmend an ihre eigene Kindheit erinnert - sie selbst die 'Große' von drei Schwestern, die 'Mittlere' ein Adoptivkind und die 'Jüngste' schon früh in einem See ertrunken. Jessica Lind gelingt es ganz hervorragend, Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander zu verweben und die Leser:innen in die höchst emotionale Story hineinzuziehen. Es galt lange als relativ normal, dass man sein Kind zuweilen am liebsten aus dem Fenster schmeißen wollte, allerdings als nicht normal, es tatsächlich auch zu tun. Heute aber muss man sich diesen Gedanken vollständig verbieten. Sich Gedanken und Gefühle zu verbieten produziert aber auch gleichzeitig eine Distanz zum Kind; der Anspruch immer alles korrekt zu machen, auch um dem kritisch beobachtenden Umfeld 'andere Eltern' zu genügen lässt kaum die so wichtige Nestwärme aufkommen. Aber ich will kein Erziehungsratgeber sein. Am Besten "Kleine Monster" lesen.

Bewertung vom 15.07.2024
Der Doppel-Schreier
Luftvogel, Lisei

Der Doppel-Schreier


ausgezeichnet

Eintauchen in eine fremde Welt.
Wer das Bild von Paul Klee auf dem Buchcover 'Der Doppel-Schreier' nicht kennt, wird zunächst ein wenig verwundert, aber umso neugieriger auf den Inhalt sein. Lisei Luftvogel ist mit ihrem zweiten Buch ein hochkomplexes Romanwerk gelungen, dem man sich kaum entziehen kann. Zunächst scheint das zentrale Thema Zaras Vatersuche zu sein; Zaras Suche ist dabei eingebettet in eine Reise nach Syrien und in den Libanon; offenbar ist ihr Vater, Kriegsreporter, nicht wirklich bei einem Unfall ums Leben gekommen und damals lediglich seine Lederjacke beerdigt worden. Aus vielen Puzzelsteinchen versucht Zara sich einen Reim darauf zu machen, wie die Geschichte nach dem Verschwinden des Vaters wohl weitergegangen ist, wo er sich aufhält und was der Grund für die Kontaktlosigkeit ist. Bei ihrer Suche taucht Zara ein in fremde kulturelle Welten Vorderasiens, in die Geschichte der Befreiungsbewegungen der Region und ihre verzweigten Verbindungen; sie begegnet nicht nur der Lebenswirklichkeit der Menschen der Region sondern auch der Freundschaft und der Liebe. Der Roman ist ein Lehrstück über die Zeit vor dem arabischen Frühling, als Hoffnung auf Veränderung herrschte und vieles möglich schien. Zaras Vatersuche ist aber auch der Versuch einer Neubestimmung der eigenen Identität, nicht nur eine Reise im Außen sondern auch im Innen - die vertrauten Werte ihrer linksalternativen Lebensart und Geisteshaltung stehen auf dem Prüfstand. Ein Roman, der die eigene Perspektive erweitert und einen bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt.

Bewertung vom 08.07.2024
Ehemänner
Gramazio, Holly

Ehemänner


sehr gut

Sehr unterhaltsam! Und allein das Buchcover ist schon ein echter Hingucker - lilafarbene Kaninchen, die sich spiralförmig hinterherjagen, und das auf einem knatschrosa Grund. Ob das wohl die Ehemänner sind, die Lauren wohl in einer nicht enden wollenden Abfolge zur Verfügung stehen, seit sich ihr Dachboden in einen regelrechten Wunderort verwandelt hat - aus welchen Gründen auch immer? Jeder männliche Partner, der den wundersamen Dachboden betritt, klettert nämlich als jemand anderer, als neuer Ehemann die Leiter wieder herunter. Und in Holly Gramazios Erstling "Ehemänner" findet die Protagonistin Lauren sehr schnell Gefallen daran, diejenigen Ehemänner, derer sie schnell überdrüssig ist oder die ihr nicht gefallen, unter einem Vorwand erneut auf den Dachboden zu schicken und gespannt zu sein, welch ein gewandeltes Exemplar der Spezies Mann zurückkehren wird. Ich als männlicher Leser habe mich natürlich ertappt gefühlt bei einer klassischen Männerfantasie, nämlich sich in einer schier endlosen Auswahl von Möglichkeiten immer wieder neue Partnerinnen aussuchen zu können, ohne diese in irgendeiner Weise erobern zu müssen. Und - na ja - die Autorin nimmt genau diese Fantasie und spielt sie für ihr Geschlecht durch. Natürlich bemüht sie dabei eine große Bandbreite an Klischees, natürlich ist das Ganze etwas albern, natürlich geht auch nicht alles glatt und natürlich fragt man sich als Leser schon bald, wo das wohl enden wird... aber dafür muss man diesen köstlichen und an keiner Stelle langweiligen Roman halt zuende lesen. Beste Sommerunterhaltung!

Bewertung vom 08.07.2024
Partikel
Harlander, Wolf

Partikel


weniger gut

Ziemlich mau. Die Thematik ist großartig, die Umsetzung als Thriller ist hingegen nicht so berauschend. Leider. Hatte mir weit mehr von Wolf Harlanders neuem Roman "Partikel" versprochen. Wieder greift Harlander ein aktuelles Thema auf: Wohin mit dem ganzen Plastik, dem Wunderstoff, der sich leider gar nicht so schnell abbaut, statt dessen in Drittländer exportiert und auf nicht immer legalen Mülldeponien gelagert wird? Der Autor informiert die Leserschaft immer wieder in kurzen Einschüben darüber, was aktueller Wissensstand über die Auswirkungen des Mikroplastik auf sämtliche Ökosysteme und den menschlichen Organismus ist. Im Mittelpunkt steht ein scheinbar innovatives Unternehmen, welches glaubt die Lösung für das Plastikproblem gefunden zu haben. Die Handlung des Thriller wirkt mit seinen recht eindimensionalen Figuren aber eher flach und wenig spannungsgeladen. Auch die klassischen Thrillerelemente zünden irgendwie nicht: die 'Guten' sind eigentlich gar nicht so gut, hin und wieder ein kleiner Cliffhanger am Ende eines Kapitels, 'unerwartete' Wendungen (die aber eher bemüht und konstruiert wirken). Der Roman schafft es, auf ein aktuelles Umweltproblem hinzuweisen, es gelingt ihm darüberhinaus aber nicht, als ein Thriller zu begeistern, den man nicht aus der Hand legen möchte.

Bewertung vom 19.06.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


gut

Interessant. Durchaus. Wer würde nicht gerne einmal ein Ereignis aus seiner Vergangenheit ungeschehen machen, mit dem Ziel, dem Leben dann einen entsprechend anderen Verlauf zu geben. Oder auch um Jahre nach vorne schauen können, um eine Idee von der eigenen Zukunft zu bekommen. Scott Alexander Howard verlangt seiner Leserschaft in seinem ersten Roman "Das andere Tal" einiges ab. Beginnend mit der Grundvoraussetzung für die Geschichte: Es existieren identische Täler nebeneinander, mit denselben Bewohnern... mit dem Unterschied, dass das jeweils östlich gelegene Tal in der Zeit 20 Jahre fortgeschritten ist, das jeweils westlich gelegene 20 Jahre hinter der Zeit liegt. Die Leser:innen erfahren aber an keiner Stelle etwas über mögliche Gründe. Die Täler sind streng voneinander abgegrenzt mittels bewachter Zaunanlagen, um Übertritte - die könnten nämlich Veränderungen bewirken - zu verhindern. Aber es gibt Ausnahmen, wenn nämlich jemand einen besonderen Grund hat, ein anliegendes Tal zu besuchen, dann entscheidet eine Kommission über den zu stellenden Antrag (ein wenig kafkaesk). Und die junge Protagonistin Odile hat einen Grund, nämlich den Tod eines Klassenkameraden, in den sie sich verliebt zu haben scheint. Der Autor verwendet viele Seiten dafür, zu erläutern, wie es sich mit den Anträgen, der Beurteilungskommission und der Ausbildung zu einem angesehenen Kommissionsmitlied verhält - deshalb hat der Roman einige Längen, weil wenig passiert. Die Geschichte ist immer dann gut, wenn der Autor nicht erklärt, sondern erzählt. Und damit belohnt das letzte Drittel des Buches. Und dennoch - aus dem Gedankenspiel des Zeitebenenwechsels mit all seinen Konsequenzen hätte man mehr rausholen und auch etwas mehr für den Spannungsbogen tun können.

Bewertung vom 14.06.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

Ungeheuer gut. Und das aus vielerlei Gründen. "James", der neue Roman von Percival Everett, erzählt nicht einfach nur die Geschichte einer Flucht, nämlich der des Sklaven James, der von seiner Familie getrennt und nach New Orleans verkauft werden soll; der Roman hält Amerika den Spiegel vor, indem er mit einer unrühmlichen Vergangenheit aus Menschenverachtung und Rassismus in seiner reinsten Form konfrontiert. Das ungeheuer Geschickte an dem Roman ist aber, dass die ganze Geschichte zunächst einmal wie ein Abenteuerroman daherkommt und vor allem diejenige Leserschaft mitreißen wird, die seinerzeit Mark Twains 'Die Abenteuer des Tom Sawyr' geliebt haben. Daher auch die Figur des Außenseiters Huck, der vor der Gewalt seines Vaters flüchtet, sich James anschließt. Die Geschichte ist mitreißend erzählt und zwingt gerade dadurch hinzuschauen und sich vielleicht auch gerade heute die Frage zu stellen, ob nicht noch einiges geblieben ist oder sich neu formiert, was die Haltung des Herrenmenschentums betrifft.

Bewertung vom 11.06.2024
Ein falsches Wort
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


sehr gut

Hard stuff. Meine Empfehlung - am Besten liest man Vigdis Hjorths Roman "Ein falsches Wort" ohne allzu große Pausen... er wird an Eindringlichkeit gewinnen. An einem Anlass, dem Tod des Vaters, entrollt sich das Drama einer Familie. Vordergründig entspinnt sich unter den vier Geschwistern und der Mutter eine Erbauseinandersetzung, aber es geht um viel mehr. Auch um viel mehr, als 'nur' um die Frage, wie die Liebe der Eltern unter den Geschwistern aufgeteilt war, oder wer die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat. Es geht um ein düsteres Geheimnis, dass sich der älteren Schwester Bergljot offenbart, als sie beschließt eine Psychoanalyse zu machen. Sie stößt auf ein Ereignis in ihrer Kindheit, welches die gesamte Familiendynamik bestimmt. das Problem ist nur - es kann nicht sein, was nicht sein darf. Scharfsinnig und mit psychologischem Feingefühl komponiert die Autorin einen herausfordernden Bewältigungsversuch. Absolut lesenswert!