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Benutzername: 
mapefue
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Kirchbichl

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 23.11.2023
Der Kaninchenstall
Gunty, Tess

Der Kaninchenstall


ausgezeichnet

Mit „Kaninchenstall“ hat KiWi einen unerwarteten? Volltreffer gelandet. Und mit Tess Gunty und Sophie Zeitz, geniale Autorin und perfekte Übersetzung. Es ist schier unglaublich was der 30jährigen Gunty mit ihrem Erstlingswerk gelungen ist: „The Rabbit Hutch“ (im englischen Original), ein atemberaubender Roman.

Apartment C4, Vacca Vale, Indiana: Gunty hat kein Erbarmen mit den Lesern; (eine) Blandine Watkins liegt aufgeschlitzt am Boden. In dieser heißen Nacht verlässt Blandine ihren Körper: „Sie ist nicht alles. Nicht ganz. Sie ist nur das Gegenteil von nichts.“ Es folgen noch über 400 Seiten, auf denen wir mehr über den Hauptcharakter des Romans erfahren und „wie es dazu kam und wer sie aufgeschlitzt hat“. Vacca Vale ist eine fiktive Stadt in Indiana, ähnlich vieler Städte im Rust Belt wie South Bend, wo Gunty aufwuchs.

„Der Kaninchenstall“, im La Lapinière Affordable Housing Complex, einem abgewrackten Gebäudekomplex mit zu dünnen Wänden; jeder hört jeden, aber niemand kennt seine Mitbewohner. Joan in C2: Checkt die Nachrufe ihrer Firma RIP auf respektlose, um sie dann zu löschen. C4: Drei Teenager-Burschen - vor Kurzem aus dem staatlichen Pflegesystem entlassen -, die aus Langeweile Tiere töten und mit denen sich unsere Blandine das Apartment teilt. Wird das spannend! C6 Ida und Reggie, altes Ehepaar.

C8 Hope, die unter einer postnatalen Depression zu leiden scheint und panische Angst vor den Augen ihres Neugeborenen hat. Gibt es Hoffnung für Hope? Ehemann Anthony liebt Hope, sollte ihr Hoffnung geben.

In Teil II, von insgesamt fünf, hat mich emotional am meisten das Kapitel Variablen berührt. Tiffany Watkins, hochintelligente siebzehnjährige Schülerin der St. Philomena Highschool, Haare gebleicht, ätherischer Teint, hübsch auf eine außerirdische Art mit weit auseinanderstehenden Augen. In diesem Augenblick assoziiere ich Tiffany mit Tess Gunty – autobiographisch? Sie ist das X und der vierzigjähriger James Yager, ihr Musiklehrer und Mentor das Y. Nach „dieser Nacht“ wird Tiffany zu Blandine.

Vor 10 Monaten in „Die Flut“ liegen Hop und Anthony in einem Motel-Bett, September, Hochwasser, der Vacca Vale River hat die Innenstadt überflutet, aus dem Kaninchenstall zwangsevakuiert. „Zeig mir, was du willst“ sagt Anthony. Hochemotional zu lesen.

Gunty bearbeitet eine Fülle an Themen, die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, Verfall und Neubeginn, Rebellion gegen das kapitalistische System, die Abgründe der digitalen Welt: „Im Internet toben sich die Raubtiere aus“ und den irrealen „Mamablogs“.

Der Roman ist ein Feuerwerk, verwirrend, aber auch beeindruckend. Wegen der wechselnden Erzählperspektiven verlangt er volle Konzentration, es ist kein Buch zum Nebenbei-Lesen. Ich habe es jedenfalls genossen, für die Rezension Teile des Buches nochmals zu lesen.

Bewertung vom 13.11.2023
Eine Geschichte, die uns verbindet
Musso, Guillaume

Eine Geschichte, die uns verbindet


ausgezeichnet

„Realität … Fiktion … Mein ganzes Leben lang hatte ich die Grenze zwischen beiden Ebenen als sehr fließend empfunden. Nichts ist dem Wahren näher als das Falsche. Und niemand irrt sich mehr als jene, die glauben, nur in der Realität zu leben, denn in dem Moment, da die Menschen bestimmte Situationen für real halten, werden diese real in ihren Konsequenzen.“ (S. 306).
Nichts kann Mussos Roman besser beschreiben, als diese Gedanken der Hauptperson, des Pariser Romanautors Romain Ozorski.

Mein vierter Musso – ein typischer Musso. Musso mag man oder nicht. Ich bin voreingenommen, ich liebe Musso. Nebenbei „Das Atelier in Paris“ ist eines der schönsten Bücher je gelesen.

Brooklyn: Flora Conway ist eine erfolgreiche walisische Romanautorin. Sie leidet jedoch unter einer Sozialphobie, lebt zurückgezogen und meidet jeden Medienrummel. Ihre Verlegerin Fantine de Vilatte vertritt sie dagegen liebend gern in der Öffentlichkeit. Floras Lebensmittelpunkt ist Tochter Carrie. In ihrer Wohnung, während eines, bei beiden beliebten Versteckspiels, verschwindet Carrie spurlos aus dieser und ist unauffindbar. Flora hat das Gefühl, dass sie nur eine Figur in einem Spiel ist und jemand anderes über ihre Geschichte bestimmt. Aber wer? Um das herauszufinden, steigt Flora auf das Dach ihres Hauses und fordert das Schicksal heraus. Sie will sich vom Dach ihres Hauses stürzen…

Paris: Währenddessen sitzt Erfolgsautor Romain an seinem neuen Manuskript und weiß nicht mehr weiter. Seine Hauptfigur ist Schriftstellerin und Mutter, deren Kind spurlos verschwunden ist und die gerade am Abgrund steht...
Romain, ebenfalls am Abgrund, kämpft um das Sorgerecht seines Sohnes mit seiner Ex-Frau.

Unzählige Literaturzitate ergänzen die beiden Handlungssträngen, gekonnt baut Musso die Spannung auf und kommt in die Nähe eines Krimis.

Weit entfernt von dem was irgendwie nach 08/15 riecht, ein typischer Giullaume Musso, genial. Es ist wie, wenn aus einem Film die Personen von der Leinwand „herausspringen“.

Bewertung vom 09.11.2023
606
Fox, Candice

606


gut

Aus dem fiktiven Hochsicherheitsgefängnis Pronghorn in der Wüste Nevadas entfliehen fast sämtliche Insassen, 606 teils schwerkriminelle Häftlinge. Der englische Originaltitel lautet „The Chase“, zu Deutsch: „Die Jagd“ und sie beginnt. Captain Celine Osbourne, die Leiterin des Maximum mit den Todgeweihten, hat nur eines im Sinn: John Kradle so schnell wie möglich einzufangen. Vor fünf Jahren soll er seine Frau, deren Schwester und seinen Sohn ermordet haben. In der unverhofften Freiheit will er endlich seine Unschuld beweisen und den wahren Mörder seiner Frau, seines Sohnes und seiner Schwägerin finden. Celine Osbourne belaste ein Trauma aus ihrer Vergangenheit: Ihre gesamte Familie wurde von ihrem Opa getötet. Daher rührt ihre Obsession, Kradle schnellstmöglich wieder in eine Todeszelle zu stecken.

U.S. Marshal Trinity Parker hat die Leitung der größte Menschenjagd nach dem größten Gefängnisausbruch in der US-Geschichte. Ihre Perspektive ist eine andere, für sie ist Celine nur ein Kampfzwerg.
Völlig überraschend nimmt Kradle Kontakt mit Celine auf und bittet sie um Hilfe bei der Suche nach dem wahren Mörder seiner Familie. Sie beginnt zu zweifeln, ob Kradle nicht doch unschuldig ist.
Zwei Handlungsfäden bilden das Gerüst des Thrillers: John Kradles Weg zum wahren Mörder seiner Familie und die Geschichte um einen flüchtigen Naziterroristen, der mit einem im Gefängnis geplanten Anschlag einen Rassenkrieg zu entfesseln gedenkt, in dessen Verlauf eine neue, von Weißen dominierte Weltordnung entstehen soll. Das sind allerding lächerliche Spintisierereien.

Nicht ohne Humor sind die Zusammentreffen von Celine und Trinity, die endlich das berufliche Potential von Celine anerkennt und fortan Celine auf „Augenhöhe“ begegnet, ungeachtet des großen Unterschieds ihrer Körpergröße.

Bewertung vom 17.10.2023
Das Ende - Dein letzter Tag ist gekommen / Björk und Brand Bd.4
Beck, Jan

Das Ende - Dein letzter Tag ist gekommen / Björk und Brand Bd.4


sehr gut

Mir scheint, Jan Beck ist im vierten Teil etwas die Luft ausgegangen zu sein. Was ich an einer Trilogie schätze, sind die drei Bände, diesen vierten halte ich für zu viel des Guten.

Wie auch immer.
Mit dieser literarischen Qualität wird er zwar nicht den Ingeborg-Bachmann-Preis gewinnen, geschweige dafür nominiert zu werden, was allerdings der ungeheuren Spannung, die der Plot bietet keinen Abbruch tut. Ein Pageturner allemal, doch ich war froh, dass „DAS ENDE“ gekommen war. Einladung zu einem Krimifest wäre jedoch keine Überraschung.

Tödlichster Anschlag auf eine der reichsten Familie Hollands: Ein angekündigtes Attentat: Der Ehemann Ruben wurde ermordet, der Ehefrau wurde durch einen Messerstich das Rückenmark durchtrennt und der Embryo getötet. „Ich möchte anderen Manschen in ähnlicher Lage helfen, sich zu schützen. Mit allen was ich habe…wollen Sie mir dabei helfen?“ (S. 7) In diesem Prolog wird mit dem Ansinnen der Dame das Motto dieses Thrillers angedeutet.

Menschen sterben, bizarre Todesfälle und das Internet online dabei. Unser Duo von Europol, Super Recognizer Inga Björk und Topermittler Christian Brand, ermitteln in einem Spiel auf Zeit. Stopp, alles neu bei Europol. Europol-Direktorin Leona Willems ernennt überrascht die beiden Ermittler Björk und Brand mit der neu zu gründender Abteilung „Internationale Serienkriminalität“, mit Brand als Chef und dem überambitionierten PR- und Social-Media-Spezialist Luca Gasser.

Es wird düster, mysteriös, perfid und schockierend. Wer stellt die Killerszenen online?
Gewohnte wilde Jagd durch Europa, rapide Ortswechsel und in einem Besenkämmerchen…

Bewertung vom 17.10.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


ausgezeichnet

Julia, sechsunddreißig Jahre, erzählt ihre Geschichte. Als Krankenschwester ist ihr bei der Behandlung einer Patientin ein Fehler unterlaufen. Nach der Verabreichung eines falschen Medikaments hat sie statt dem Not-, den Herzknopf gedrückt. Die Patientin hat’s überlebt, nicht so Julia, denn nun ist sie den Job als Krankenschwester los. Zunächst im Krankenstand, wegen ihres Asthmas, das sich durch die Aufregung zusätzlich verstärkt.
„Alles kann man nicht auf die Organe schieben“, so die Lungenärztin (S. 8); Kündigung nach Ende des Krankenstandes. Einher gehend der Verlust der Personalwohnung, das Ende ihrer Affäre mit dem verheirateten Johannes und das Abhandenkommen ihrer einzigen Freundin Gerlinde. Es geht noch tiefer, denn der Exit heißt zurück in ihr Heimatdorf, zu Vater und Bruder, dorthin wo sie nie sein wollte. Die Mutter ist ab in den Süden, nach Sizilien geflüchtet. Bruder David lebte nach einer Hirnhautentzündung, die der Betriebsarzt falsch diagnostiziert hatte, als vegetierender Rest in einem Heim.
Vater holt sie vom Krankenhausparkplatz ab, Julia schnauft tief: „Ich bin knapp am Sauerstoff vorbei“ (S. 30).
Provinzielle Trostlosigkeit in strukturschwacher Gegend, in der die großen Arbeitgeber dichtgemacht haben. „Schwarzbach ist jahrzehntelang im Tageslist verblasst“ (S. 33). Das Dorf im Innergebirg, nur eine Stunde von der Stadt entfernt, aber durch ein ganzes Bergmassiv von der Sonne abgeschnitten.

Schmerzhaft genau und ziemlich traurig. Nur Oskar könnte für Julia einen Hoffnungsschimmer bedeuten. Nach einem Luxus-Herzinfarkt auf Reha. Da könnte was entstehen, aber es ist kompliziert, zwischenmenschlich, in der Familie, im Dorf – und überhaupt.

Nach knapp zweihundert Seiten ist das Lesen zu Ende und ich muss den Atem anhalten. Mit eigenwilligem Rhythmus und kristallklaren Sätzen, ohne Effekthascherei und Pathos beweist Birnbacher ihre Souveränität in dieser „Mikrostudie von Lebensverhältnissen“.
Birnbachers klare Sprache, benennt die Probleme dieser spießig-patriarchalen Welt deutlich mit Vermessung des österreichischen Wirtshauskosmos, nicht anklagend, sondern als aufmerksames, lesenswertes Protokoll, mit einem Schuss Hoffnung - zum Schluss.

Birgit Birnbacher ist nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2023.

Bewertung vom 22.09.2023
Der Erstgeborene / Cyrus Haven Bd.3
Robotham, Michael

Der Erstgeborene / Cyrus Haven Bd.3


ausgezeichnet

Nr. 3 der Cyrus Haven-Reihe. Nr. 4 soll 2024 erscheinen, zunächst die englische Fassung.
Mit der Person in „Der Erstgeborene“ ist Elias, der Bruder von Cyrus gemeint. Elias ist 39 Jahre alt, sechs Jahre älter. Er soll nach zwanzig Jahren aus der Psychiatrischen Anstalt in die Obhut von Cyrus entlassen werden. Er hatte damals als 19jähriger seine Eltern und seine Zwillingsschwestern ermordet, war aber nie des Mordes angeklagt bzw. verurteilt worden – wegen einer diagnostizierten Schizophrenie. Schizophrenie ist nicht heilbar, nur der Patient kann sie mit Medikamenten unter Kontrolle bringen, und das soll bei Elias der Fall sein. Wäre das Leben und die Betreuung der aufsässigen 21jährigen? Evie während eines Jahres nicht genug, muss Cyrus sich nun auf die Ankunft von Elias vorbereiten.
Neben all diesen privaten Kalamitäten steht er als forensischer Psychologe in den Diensten der Polizei, in enger Zusammenarbeit mit CI Lenny Parvel, die ihn als 13jähriger in jener Mordnacht gefunden hat.

Cyrus muss den Mord an einem behinderten alten Mann und das Verschwinden seiner Tochter Maya Kirk untersuchen. Später wird eine weitere Frau von einem mysteriösen Mann entführt. Könnten all diese Fälle mit einem anderen Vorfall zusammenhängen, der vor 6 Jahren passiert ist? Gibt es da draußen jemanden, der die Krankenschwestern jagt? Aber warum? Was ist das Motiv?
„… dieses Verbrechen hat so viele Aspekte, die keinen Sinn ergeben“ (S. 247).
Der komplexe Mordfall, die Dynamik zwischen Cyrus, Evie und Elias bilden den zentralen Teil dieses Psychothrillers. Das toxische Verhältnis zwischen Evie und Elias – mit deren unterschiedlichen psychischen Störungen - ist einerseits verstörend, andererseits „prickelnd“ – kommt doch Cyrus noch dazu.

Unwillkürlich verbinde ich den Charakter Cyrus‘ mit der Figur von Oliver von Bodenstein, Kommissar in den Taunuskrimis von Nele Neuhaus. Noch eine Assoziation: Evie - Lisbeth Salander im Film „Verblendung“ mit ihrer durch Gewalt geprägten Kindheit und enttäuschten Liebe.

Dieses Buch ist in jeder Hinsicht fantastisch (sagt ein Robothan-Fan). Ich wünschte, er schriebe Dutzende Fortsetzungen. Die Cyrus Haven-Reihe macht süchtig, ein absolutes Lesevergnügen. Ein Pageturner.

Bewertung vom 06.08.2023
The Shards
Ellis, Bret Easton

The Shards


schlecht

Überwältigt von dem medialen Hype um den Roman THE SHARDS und angesteckt vom Nimbus eines Kultautors Bret Easton Ellis - immerhin Autor von „American Psycho“ - kaufte ich das Buch. Wie masochistisch muss ich während der vier Wochen Lesezeit gewesen sein, das Buch trotzdem zu vollenden? Das Buch ist eine wahre Pein, Erlösung erst nach der siebenhundertsechsunddreißigsten Seite.

Ich verzichte auf Inhaltsangabe und Umschlag-/Klappentext, dies bitte beim Verlag KiWi nachlesen.

Die einzigen wahren Zeilen stehen am Ende des Romans: Es sei ein fiktionales Werk. Die Figuren, Ereignisse und Vorfälle entsprängen der Vorstellungskraft des Autors, NUR der Autor selbst sei REAL. Das kann ich glauben oder nicht. Für Realität ist zu viel „fantasy“ im Spiel.

1981 L.A. mit seinen vielen Streets, Boulevards, Drives, Freeways, Highways und Avenues, da kann es schon vorkommen, dass auf 10 Zeilen 8 Straßenbezeichnungen gesammelt werden. Zur Orientierung muss das sein. Und immer wieder Mulholland Drive – hinauf und hinunter. Es sind diese belanglosen, absolut nebensächlichen Sätze, wie „er fuhr in jenem Auto, auf jener Straße zu jener Straße, um jene Ecke links und dann rechts herum, auf jenen Parkplatz in jene Parklücke, mit jener Sonnenbrille auf der Nase…" und so fort, die die Geduld strapazieren.

Neben den unzähligen Musiktiteln der verschiedenen Bands der 80er Jahre, die aus diversen Lautsprechern dröhnt, stört mich mehr die umfassende Schilderung der Garderobe und das Anziehen dieser: passt das Hemd zu Hose, welche Schuhe passen dazu und die Krawatte – welche Farbe und welche Streifen muss sie haben… extrem enervierend.

1981 Buckley School. Die kleine Luxus-Teeny-Blase mit Bret und Debbie, Susan und Thom, und die erweiterte Teeny-Blase mit Matt, Ryan und Robert. „Wir waren Teenager, die sich mit Sex und Popmusik beschäftigten, mit Filmen und Prominenten, mit Lust und kurzlebigen Phänomenen und unserer eigenen neutralen Unschuld.“ (S. 447). Mit dem Eintritt Roberts in die Buckley beginnt eine neue „Zeitrechnung“, er ist ein hübscher und wird später ein allseits beliebter Goldjunge, der das soziale und erotische Gefüge der Clique nachhaltig beeinflussen wird.
Mami und Papi sind nicht zu Hause, das Haus ist vollkommen leer, die Mexikanerin hält Haus, der BMW, die Corvette, der Porsche, der Mercedes, der Jaguar, der TransAm stehen bei den Kids in der Garage. Das Valium, die Quaaludes, Koks und Gras erleichtern das Leben dieser Luxuskids. Also wenn Brets Leben dermaßen „unerträglich war und nichts Linderung brachte, weder zu trainieren, noch zu schwimmen (im hauseigenen Pool), noch in dem Whirlpool zu sitzen, noch … wieder einmal einen herunterzuholen,“ na dann „Gute Nacht“. Da sieht Bret Robert am Pool nass und nackt „und ich nahm seinen festen, glatten Hintern in den Blick und bekam plötzlich keine Luft mehr.“ (S. 440). Hat er denn keine Telefonnummer eines Sextherapeuten in L.A.?

Um den heißen Brei reden ist eine Höchstleistung der Teenies. „War was zwischen dir und Matt? / Du bist mit ihm rumgehangen. / Ich habe ihn nicht so genau gekannt. / Wie sah eure Freundschaft aus? / Ich habe ihn nicht so genau gekannt. / Hattet ihr etwas mit einander? / Wir haben ein bisschen zusammen herumgehangen und manchmal ist etwas passiert … ist etwas gelaufen … nichts Ernstes." (S. 303/304, S:B). Bret: „Ich hab‘ mich ausprobiert.“ Ist er nun bi, oder ho oder he?
Einzig Robert spricht unverblümt seine Sexfantasien aus: „Ich würde verdammt gern die Zunge in diese enge, kleine, klatschnasse rosa Muschi schieben, in das kleine Honigtöpfchen. Ja, ich würde sie richtig gern in den Arsch ficken, diesen Arsch so richtig hart durchficken. Sie ordentlich zum Schreien bringen.“ (S. 227/556.)

Neben dieser Homoerotik hat sich Ellis noch für einen völlig hintangestellten Thriller-Plot entschieden. Im Hintergrund schwirrt der Trawler, ein psychopatischer Massenmörder, dessen Morde unser Bret exzessiv verfolgt. Ellis spart nicht mit Volten in der Handlung. Seine Fans sollten ihm das Abo für CSI L.A. spendieren.
BEE ist ein „Edgelord“, der absichtlich über kontroverse, beleidigende, tabuisierte oder nihilistische Themen schreibt, um Leser/-innen zu schockieren und glaubt, nonchalant und unübersehbar zu wirken.

Die Klimax kommt zum Schluss und ich „habe den Scherben (Scherm) auf.“

Bewertung vom 02.07.2023
Schmales Land
Dwyer Hickey, Christine

Schmales Land


ausgezeichnet

1950: Spätsommer auf Cape Cod. Michael, ein deutscher 10-jähriger jüdischer Junge, lebt bei Familie Harry Novak, seinen Pflegeeltern in New York, nachdem er die Konzentrationslager des Zweiten Weltkriegs überlebt hatte. Er wird in den Zug gesetzt und für zwei Wochen nach Cape Cod geschickt, um den Sommer bei Familie Kaplan zu verbringen und mit Mrs. Kaplans gleichaltrigen Enkel Richie soll er spielen. Michael und Richie haben Probleme, miteinander auszukommen. Sich selbst überlassen fasziniert Michael mehr die Nachbarschaft von nebenan, das Künstlerehepaar Edward & Josephine Hooper (alias Mr. und Mrs. Aitch); es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft.

Die Atmosphäre des Sommers in Cape Cod, eine wunderschöne Kulisse für diese Coming-of-Age-Geschichte und die schwierige Ehe zwischen dem Künstlerehepartnern. Das Adjektiv „schwierig“ beschreibt die Ehe fast beschönigend, viel eher trifft „toxisch“ zu, bisweilen erwartete ich eine emotionale Eruption von einem der beiden. Paartherapie wäre angesagt.
Alle Erwachsenen haben mit ihrer Einsamkeit, Selbstmitleid, Wut, Eifersucht, Alter und Krankheit sowie der Komplexität jeder ihrer Beziehungen zu kämpfen.
Jo ist sprunghaft, leidenschaftlich und oft irrational und leidet unter zwanghafter sexueller Eifersucht. Sie fühlt sich in seinem Schatten völlig verkannt und von ihm nicht wahrgenommen.

„Nicht alle halten Kinder für das Erfolgsgeheimnis jeder glücklichen Ehe. Das ist meines Erachtens (Anm. Jo) eine ziemlich altmodische Sicht.“ (S. 307)
Ed zurückgezogen und unwohl, deprimiert wegen seiner Arbeitsunfähigkeit verliebt sich in Richies gebrechliche und schöne Tante Katherine, die nicht mehr lange zu leben hat, eine Verliebtheit, die er mit dem jungen Michael teilt.

„Ich will dich malen, und wenn ich damit fertig bin, will ich Dinge mit dir anstellen, für die ich keine Worte habe.“ (S. 280)

Ein ruhiger, nüchterner Roman mit wenig Schnickschnack, unprätentiös und ohne Schnörkel. Voller Gefühle, Drama und ein wenig Spannung. Auch ein Kompliment der Übersetzerin, hervorragend gelungen. Die Charaktere werden in einer überragend fesselnden Meisterleistung des Geschichtenerzählens offengelegt.

Bewertung vom 04.06.2023
District VIII
LeBor, Adam

District VIII


ausgezeichnet

Budapest während des heißen ungarischen Sommer 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Mit „District VIII“, dem ersten Roman der neuen Krimireihe (Band 2 und 3 in Englischer Sprache bereits vorhanden) von Detective Balthazar Kovács, enthüllt LeBor die verborgene, kriminelle Welt hinter Budapests glitzernder Fassade.

Keleti-Bahnhof, der wichtigste Bahnhof Budapests im Stadtteil Pest im VIII. Bezirk, Abfahrt internationaler Züge, tausend gestrandete Flüchtlinge hoffen auf ein Fortkommen. Simon Nazir mit Frau und Sohn aus Aleppo hat einen Kriminellen aus seiner Heimatstadt entdeckt und will ihm folgen.

Balthazar Kovacs, Kommissar des Budapester Mordkommandos, ist einem Toten auf der Spur. Er erhält eine anonyme SMS mit einer Adresse und einem Foto, das einen leblosen, wahrscheinlich toten Mann zeigt: 26 Republic Square, das ehemalige Hauptquartier der Kommunistischen Partei und einst das am meisten gefürchtete Gebäude des Landes. Zu Balthazars Überraschung ist inmitten der Ruinen des abgerissenen Gebäudes keine Leiche zu finden. Dafür fährt die Gendarmerie auf, eine neue paramilitärische Truppe, direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt, und macht Balthazar klar, er befände sich auf Staatsbesitz! und solle verschwinden. Vorher konnte er unbemerkt noch eine SIM-Karte sicherstellen.

Die 21 Kapitel sind nochmals klein strukturiert, mit exakten Orts-, Straßen- und Zeitangaben betitelt, mit unzähligen ungarischen Begriffen und jede Menge „utca“, „út“ oder „körút“ (Straße), denn LeBor will Authentizität beweisen, war er doch lange Zeit als Auslandskorrespondent in Ungarn unterwegs.

Ein dramatisches, bitteres Stück Zeitgeschichte als Hintergrund für einen Polizeikrimi um die Ermordung eines Flüchtlings?

Eniko Szalai, ehrgeizige und unerschrockene Journalistin eines erfolgreichen Online-Magazins und Ex-Freundin von Balthazar tritt in Erscheinung, macht die Ehefrau von Simon ausfindig und findet heraus, dass er hinter dem „Gärtner“, einem Kriminellen, Folterer und Islamisten her ist. Balthazar und Eniko beschleicht die Ahnung, dass hinter der Sache viel mehr steckt und vermuten eine ungeahnte Verstrickung bis zum Ministerpräsidenten und der Justizministerin. Ministerpräsident Pálkovics und Justizministerin Bárdossy verfolgen ihre eigene Illegale Agenda, es geht um Geschäfte mit arabischen Investoren, Schwarzgeldkonten, offizielle ungarische Pässe, die illegal ausgestellt und teuer verkauft werden, radikale Islamisten, die mit dem Flüchtlingsstrom in den Westen einreisen wollen und Geschäfte mit illegalen Schleppern. Dazu kommen der amerikanische CIA und der britische MI6.

LeBor belässt es aber nicht bei einem Polizeikrimi, der sich zu einem Politthriller entwickelt, er gibt viel Raum den gesellschaftlichen Strukturen in Ungarn: Er gibt Einblicke in die Kultur und die Tradition der Roma, nicht zuletzt in die kriminelle Machenschaften der „Famile“. Balthazar ist Roma und damit Außenseiter.

Trotz aller Schilderungen der widrigen Situationen, stehen die Menschen im Roman im Mittelpunkt: Balthazar und Eniko, sein Bruder Gáspár, Anastásia eine ungarische Geheimdienstagentin, die syrische Flüchtlingsfamilie, ein IS-Terrorist, korrupte Polizisten, westliche Geheimdienste, brutale Gendarmen und saubere Polizisten.

Das Cover steht als Symbol für das Gedenken in Ungarn: das Holocaust-Mahnmal „Schuhe am Donauufer“ in Budapest, gestaltet von Gyula Pauer und Can Togay zur Erinnerung an die Pogrome an Juden in Ungarn während des Zweiten Weltkriegs durch Pfeilkreuzler (faschistischen und antisemitischen Partei in Ungarn).

Adam LeBor wurde 1961 in London geboren. 1991 beschloss er, Auslandskorrespondent zu werden und zog nach Budapest, um über die Nachwirkungen des Zusammenbruchs des Kommunismus zu berichten. Er schreibt für The Economist, Monocle, Newsweek, New York Times und rezensiert in der Literary Review.
Seine Noir-Krimireihe spielt im heutigen Budapest. In deren Mittelpunkt steht Balthazar Kovács, ein Roma-Ermittler der Budapester Mordkommission. LeBor veröffentlichte mehrere Sachbücher und Kriminalromane. Er lebt mit seiner Familie in London.

Bewertung vom 28.05.2023
Fünf Winter
Kestrel, James

Fünf Winter


ausgezeichnet

Der Thriller beginnt im November 1941, mit vorläufigem Höhepunkt am 7. Dezember 1941, dem japanischer Angriff auf Pearl Harbor. Amerika steht am Rande eines Krieges.

Im Brennpunkt in „Fünf Winter“ – im englischen Original „Five Decembers“ steht Polizeidetektiv Joe McGrady aus Honolulu, während er zwei Morde untersucht, die sein Leben für immer verändern werden.

McGrady, Ex-Soldat, steht in der Hierarchie des HPD Honolulu Police Department, nach fünf Jahren bei der US-Army, eher weit unten. Er besuchte das College und meldete sich zur Armee, bevor er als Polizist nach Honolulu kam. Die Insel befindet sich in einem Zustand äußerster Spannung, doch mit einem Angriff der Japaner wird nicht gerechnet.

Der betrunkene Hilfscowboy Miguel, angestellt bei einem angesehenen Inselbewohner hat in seiner Hütte einen kopfüber aufgehängten Mann gefunden. McGrady wird mit den Nachforschungen beauftragt. Er findet tatsächlich die Leiche und noch mehr, erstattet dem HPD Bericht und fährt zum Tatort zurück. Dort trifft er auf den vermutlichen Täter, der die Hütte in Brand stecken will, um alle Beweise zu vernichten und tötet ihn im Kampf. McGrady glaubt nicht an die Theorie eines Einzeltäters.
Als männliches Opfer wird der Neffe des Kommandanten der auf Hawaii stationierten Pazifikflotte Admiral Kimmel identifiziert. Das weibliche Opfer ist ein junges japanische Mädchen, noch unbekannt.

McGrady ist gezwungen, mit dem Detektivkollegen Fred Ball ein Ermittlerteam zu bilden, der es sich zur Gewohnheit macht, bei der Erpressung von Geständnissen Gewalt anzuwenden, auf Befehl von Captain Beamer. Abgesehen von Balls Brutalität bilden die beiden Männer ein gutes Team und entdecken bald, dass der Mörder von der Insel über den Pazifik nach Hongkong geflogen ist. Im Zusammenspiel von Polizei und Marine und seiner Erfahrungen aus der Stationierung in China bei der Armee – wird McGrady nach Honkong losgeschickt, um den Verdächtigen festzunehmen.
Zum Abschied küsst er seine Geliebte, die Doktorandin Molly Radcliffe mit der festen Absicht, sie mit einem romantischen Kurzurlaub zu überraschen, wenn er nach ein paar Tagen, spätestens nach ein paar Wochen zurückkommt. Die Geschichte hat jedoch andere Pläne: McGrady ist in Honkong fast am Ziel, knapp vor der Entdeckung des Mörders, als er in einen Hinterhalt gerät und im Polizeigefängnis landet. Honkong wird von den Japanern eingenommen, zeitgleich überfallen die Japaner Pearl Harbor. Die USA tritt in den zweiten Weltkrieg ein. Wahrlich kein guter Zeitpunkt für einen Amerikaner in Hongkong. Er wird gefangen genommen, entgeht knapp seiner Hinrichtung und nur mit Hilfe eines japanischen Diplomaten entkommt er - ausgerechnet nach Tökyö (Tokyo).
Er darf das Haus nicht verlassen, dafür lernt er mit der jungen Sachi, der Tochter des Diplomaten japanisch. Die Amerikaner bombardieren Tokyo zuerst mit Napalmbomben zur Zielmarkierung, damit die nachfolgenden Bomberstafeln treffsicher ihre Bomben abwerfen können. Er erlebt auch die Entbehrungen der Bevölkerung und deren Leiden während der Bombardements und erfährt, wie sich das Bild von Freunden und Feinden verschiebt. Nach der Kapitulation Japans fährt McGrady an Bord der USS Missouri zurück nach Honolulu. Mit der Verbissenheit des Bluthundes – nachdem ihn das HPD nicht mehr haben will, setzt er seine unerbittliche Jagd nach dem bestialischen Killer fort. McGrady spricht (ein großes Wort gelassen aus) „…Es ist doch merkwürdig, wie sich die Dinge entwickeln. All die kleinen Wendepunkte.“ (S. 477)

Bleiben zwei Fragen offen: Bringt er den Killer zur Strecke und findet er nach vielen Privaten Rückschlägen sein Glück?

Einer der besten Thriller, die ich seit Jahren gelesen habe, der so fesselnd und gleichzeitig so voll von schönem Pathos war und gleichzeitig die vernichtende Tötungsmaschine des Pazifikkrieges WWII nicht ausgespart hat. Zwar habe ich nur fünf Tage für die fast 500 Seiten verbraucht, aber ohne einen Lesestopp mit Pausen, um das gelesene sacken zu lassen, wäre es mir nicht gelungen, in die emotionalen Erzählungen von James Kestrel fortgesetzt einzutauchen. Schwierig wird es, diesen Thriller treffend zu charakterisieren: Beginnend in Art eines Noir-Romans mit Polizisten Joe McGrady aus Honolulu, der beharrlich einen Mörder, zuerst auf der einen Seite, später auf der anderen Seite des Pazifischen Ozeans verfolgt und einem „hardboiled detective“, der seinem Herzen folgt.

„Fünf Winter“ ist ein außergewöhnlicher Roman über Kriegsverbrechen, Gerechtigkeit und die Liebe zum Verlorenen und Wiedergefundenen, geschrieben/übersetzt in ausgezeichneter Prosa (fast immer), die Schönheit und Brutalität gleichermaßen ausdrucksvoll vermittelt.

James Kestrel, alias Jonathan Moor hat für „Fünf Winter“ den Edgar Award 2022 für den besten Roman/Krimi des Jahres und den Barry Award 2022 für den besten Thriller des Jahres 2022 erhalten. Nebenbei bekunden Dennis Lehane (einer meiner Lieblingsautoren) und Stehen King ihre Bewunderung.