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CK
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Insgesamt 249 Bewertungen
Bewertung vom 04.12.2025
Gorelik, Lena; Schellbach, Miryam; Zadoff, Mirjam

Trotzdem sprechen


sehr gut

Zum Frieden gibt es keine Alternative


"Trotzdem sprechen" ist ein Sammelband, herausgegeben von Lena Gorelik, Miryam Schellbach und Mirjam Zadoff, der sich in verschiedenen Essays mit den schwierigen politischen und gesellschaftlichen Debatten nach dem Terroranschlag der Hamas am 7.10.2023 und dem darauf folgenden Krieg in Gaza beschäftigt. Unter anderem mit Beiträgen von Carolin Emcke, Lena Gorelik, Nazih Musharbash, Maryam Zaree, Kathrin Röggla und vielen anderen.

„Seit dem Hamas-Massaker des 7. Oktobers, der Geiselnahme und dem darauf folgenden Gaza-Krieg, der in seiner menschenrechtsverletzenden Kriegsführung unzählige zivile Opfer fordert, Menschen zur Flucht, in Armut, Hunger und Unterversorgung zwingt, beobachten wir mit großer Sorge eine drastische Polarisierung im deutschen Diskurs. Die Aufarbeitung der Geschehnisse sowie die fortlaufende Kommentierung des Kriegsgeschehens in den sozialen Medien, in Meinungsartikeln und in Talkshows sind von stetig wachsenden Grabenkämpfen geprägt: Wer steht auf welcher Seite? Wer spricht mit und für wen? Wer ist dementsprechend, scheinbar, nicht mehr tragbar im Diskurs?
Diese Stellvertreterdebatten erreichen eine bisher unbekannte Note der Endgültigkeit, die den zwingend notwendig schmerzvollen Versuch unmöglich macht, ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten am Gespräch festzuhalten: an einem Gespräch, das Zuhören beinhaltet, den Wunsch zu verstehen oder doch zumindest eine Bereitschaft, die andere Position auszuhalten.

Es kommen verschiedene Perspektiven, darunter die von Israelis und Palästinensern, zu Wort, um einen Dialog zu ermöglichen. Es mag wie eine Utopie klingen, aber in der Hoffnung, diese greifbar zu machen.

„Was wäre, wenn Meinungsverschiedenheiten nicht zu Misstrauen, sondern zu einem Lern- und Verständnisprozess führten, wenn dadurch das gegenseitige Vertrauen bestärkt würde? Wenn wir gemeinsam für eine offene, pluralistische Gesellschaft einstehen, in der unterschiedliche Biografien, Lebenswelten, Narrative nebeneinander Platz finden? Ein Vertrauen darin entwickeln, dass es nicht leicht ist, immer zu einer verbindenden Resolution zu kommen, aber dass gleichzeitig das gemeinsame Ziel nicht infrage gestellt wird?“

„Juden und Jüdinnen, muslimische Menschen, Israelis und Palästinenser:innen kennen die Komplexität des Hasses, der in alle Richtungen geht. Es gibt für mich deshalb keine Hierarchie des Leids, sondern nur ein geteiltes. Dazu braucht es eine sich selbst zugewandte Haltung der Selbstkritik, ein Mit-Fühlen mit den anderen, womit ich keine Nächstenliebe meine oder Mitleid. Ich meine ein Mit-Gefühl, das auf eine Verbindung zu meinem Gegenüber in Beziehung zu mir selbst setzt. Das eigene Schicksal und die Perspektive des anderen in sich erkennen, ein Gleichgewicht herstellen und einen Schulterschluss – gegen die Polarisierung von zwei marginalisierten Gruppen, die auf unterschiedlichen Ebenen gegeneinander ausgespielt werden, während die Zahl antisemitischer und antimuslimisch motivierter Taten drastisch zunimmt.
Ob wir es schaffen, zusammen zu sein, -zuhalten und -zubleiben, hängt also davon ab, inwiefern wir als Gesellschaft bereit sind, unsere Unterschiede und Vergangenheiten zu akzeptieren – auch diejenigen, die wir familiär geprägt in uns tragen. Niemand in diesem Land ist neutral oder unbeteiligt an dem, was gerade mit uns passiert. Wir sind alle gesellschaftlich positioniert, und unser Handeln hat genauso Konsequenzen wie unser Nichtstun. Betrachten wir unsere Gegenwart von der Zukunft aus und hoffen, dass wir das verstanden haben werden. Dass wir mehr als der Kampf der einen gegen die anderen sind, der über uns erzählt wird.“

Das Buch bietet reichlich Stoff zum Nachdenken. Dass einen dabei, wie in einer Anthologie üblich, nicht alle Beiträge gleichermaßen ansprechen, ist natürlich; dennoch kann ich dieses kluge Buch unbedingt empfehlen.

Zum Abschluss noch ein paar der meiner Meinung nach wichtigsten Aussagen:

„Wir alle müssen wieder lernen, uns mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen und ihnen mit Argumenten zu begegnen, ja sogar aus ihnen zu lernen.“

„Ich stimme der inzwischen 102-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer zu, die einst sagte: ‚Es gibt kein jüdisches, kein christliches und kein islamisches Blut.‘ Wir sind alle Menschen. Das Blutvergießen muss beendet werden. Zum Frieden gibt es keine Alternative.“

Bewertung vom 01.12.2025
Céspedes, Alba de

Was vor uns liegt


sehr gut

Wer könnte vergessen, schon einmal selbst über sich bestimmt zu haben?#


Rom im Jahr 1934. Acht junge Frauen leben und studieren gemeinsam am Grimaldi-Konvikt. Die Regeln der Nonnen sind streng. Obwohl alle Frauen aus unterschiedlichen Verhältnissen kommen, haben sie eines gemeinsam: Den Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und nach Freiheit.

"Wer einmal die Freiheit gekostet hat, kehrt nicht mehr nach Hause zurück, und sei es nur die harmlose Freiheit, mit den Kommilitoninnen auszugehen, Vorlesungen zu besuchen und das züchtige und sorglose Leben des Grimaldi zu führen. Auch um jung zu sein und zu lachen, musste man frei sein."

Anna, Augusta, Emanuela, Milly, Silvia, Vantina, Vinca und Xenia: Jede der Frauen hat eine eingene Geschichte, oftmals auch ein Geheimnis. Eine von ihnen hat ein Kind aus einer früheren Liebesaffäre, das sie geheimhalten muss. Eine andere besteht ihre Prüfung nicht. Jede hat ihre eigenen Sorgen und Nöte. Doch sie alle wissen, dass es ein Privileg ist, hier studieren zu dürfen; und dass ihre Freiheit ein Ende haben wird, wenn sie heiraten werden - dieser Weg schien für Frauen in den damaligen Zeiten für alle schon vorbestimmt zu sein. Manche von ihnen wollten heiraten, doch andere schienen die traditionellen Erwartungen zu hinterfragen:

".... du freust dich auf deine Hochzeit. Du heiratest. Aber hast du je daran gedacht, dass du danach nicht mehr Herrin über dich selbst sein wirst? Selbst wenn du allein bist, ist da immer ein anderer Mensch, ein fremder Wille, eine Macht, die über dich bestimmt. Du darfst nicht Eigenes behalten, nicht einmal deinen Namen, du wirst einzig und allein Signor Lanzianis Frau sein; der wiederum ein Anrecht darauf hat, alles über dich zu wissen: was du tust und was du denkst, und wenn du ihm etwas verheimlichst, ist das Betrug. Selbst deine Kinder werden ihm gehören. Du bringst sie zwar zur Welt, doch laut Gesetz darf er nach Belieben über sie verfügen.“

Die Zeiten sind nicht einfach für Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen:
"Selbst wenn wir zurückkehren, werden wir doch immer schlechte Töchter und schlechte Ehefrauen sein. Wer könnte vergessen, schon einmal selbst über sich bestimmt zu haben? Und für die Leute auf dem Land ist doch eine Frau, die allein gelebt hat, eine verlorene Frau."

Alba de Céspedes Roman „Was vor uns liegt“ wurde 1940, zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung, von den faschistischen Behörden zensiert – noch ein Grund, weshalb ich mich über diese Neuübersetzung von Esther Hansen gefreut hatte.

„Was vor uns liegt“ ist ein leiser, langsamer Roman, der mir stellenweise etwas zu langatmig war; einige Charaktere blieben mir zu oberflächlich. Dennoch hat mir dieser feministische Klassiker insgesamt gut gefallen & ich vergebe 4 Sterne.

Bewertung vom 29.11.2025
Ventura, Maud

Der Rache Glanz


ausgezeichnet

Berühmtheit hat einen Preis, und den zahlt man jeden Tag aufs Neue - 4,5 ⭐️


„Der Rache Glanz“ von Maud Ventura erzählt die Geschichte von Cléo Louvant. Schon als Kind wollte sie nur eines: Berümht sein. Um jeden Preis.

„Es ist viel vom Impostersyndrom die Rede. Man bildet sich ein, seinen Erfolg nicht verdient zu haben, einfach nur Glück gehabt, sich durchgewurschtelt zu haben und einer Person, die kompetenter ist als man selbst, den Platz zu stehlen. Ich meinerseits leide unter der gegensätzlichen, nicht einzugestehenden Angst: Ich bin der Meinung, dass ich ein wahnsinniges Talent habe, und frage mich, wann das endlich die ganze Welt merkt. Für mich wäre es der Gipfel der Ungerechtigkeit, sollte mein Genie unbemerkt bleiben. Ich bin außergewöhnlich, aber ich fürchte, dass es mir nie vergönnt sein wird, es eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.“

Cléo setzt alles daran, den durchschnittlichen Verhältnissen ihrer Pariser Kindheit zu entkommen. Sie arbeitet hart daran, um eine berühmte Sängerin zu sein, formt ihren Körper, arbeitet an ihren Songs und ihrer Stimme, perfektioniert ihren Karriereplan. In New York kommt dann der große Durchbruch

Hautnah erlebt man mit, was es bedeutet, berühmt zu sein: Den Ruhm, aber auch die Schattenseiten davon: „Öffentlich würde ich es niemals zugeben, aber ich bin erschöpft. Ich war bereit, alle Schlachten zu schlagen, um berühmt zu werden, habe mir aber nicht vorstellen können, was ich alles tun müsste, um es auch zu bleiben.“

Maud Ventura zeigt auf bissige und unterhaltsame Weise, wie das Musikbusiness funktioniert, wie die Musiker*innen möglichst gewinnbringend vermarktet werden, wie die Inszenierung auf den sozialen Medien läuft und wie hoch der Preis der Berühmtheit ist.
„Ein Bild kommt mir immer wieder in den Kopf: das einer Orange, die man auspresst. Ich werde bald nichts mehr zu geben haben. Sie zahlen mir viel, aber sie nehmen mir alles.“

„Ich habe mich wieder in die Hölle manövriert, habe alles geopfert, um wieder ins Zentrum einer Maschinerie zu gelangen, die ich unerträglich finde. Ich bin natürlich nicht der erste Mensch, der in die Falle eines zweischneidigen Traumes tappt. Viele Eltern wünschen sich aus ganzem Herzen ein Kind; am Ende schütteln genau diese Eltern ihr Baby so heftig, dass sie seinem Gehirn irreversible Schäden zufügen, weil sie es leid sind, sich selbst so weit entfremdet zu sein, und für so lange Zeit. Ich verstehe sie nur zu gut. Schauen Sie, bei mir ist es nicht bloß ein kleines einzelnes Wesen, sondern es sind Millionen, die die Arme nach mir ausstrecken, die um meine Liebe und jedes Fitzelchen meiner Aufmerksamkeit betteln.“

Die Protagonistin ist narzistisch, arrogant und alles andere als sympathisch. Sie ist besessen vom Ruhm, will immer mehr, nichts ist mehr genug: „Meine größten Siege bereiten mir nur noch eine flüchtige Freude. Sie haben schon bald keinen Effekt mehr. Ich brauche immer mehr davon, um dieselbe Wirkung zu spüren. Das Hochgefühl hält nicht an, niemals.“

„Der enorme Ruhm hat die Bestie in mir befreit, erbarmungslos und grausam. Ich kann es auch gleich offen sagen: Ich habe mir die Hände schmutzig gemacht. Auf meinem Level haben alle Leichen im Keller. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Der Ruhm ist eine Kriegsbeute – niemand ist je bereit, ihm den Rücken zu kehren.“

Das Buch ist wirklich ein Highlight, spannend und unterhaltsam. Maud Venturas Schreibstil ist herrlich bissig und pointiert, ein echtes Lesevergnügen - und das Ende ist ein Knaller!

Ich vergebe 4,5 Sterne ⭐️ und bedanke mich beim Hoffmann und Campe Verlag und an NetGalley für das Rezensionsexemplar! 📚💚

Bewertung vom 21.11.2025
Beyer, Martin

Elf ist eine gerade Zahl


gut

Die falsche Geschichte für mein Kind ...


Die 14jährige Paula hat zum zweiten Mal in ihrem jungen Leben Krebs. Dieses Mal hat es ihre Lunge erwischt, die Lage ist ernst. In Martin Beyers Roman „11 ist ein gerade Zahl“ begleiten wir Paula und ihre alleinerziehnde Mutter Katja in den Tagen vor und nach der schweren Operation.
Paula war mal ein toughes Mädchen, selbstbewusst und gut im Fußball. Nun ist ihr Körper dünn und schwach, und sie hat Angst vor der Operation. Auch ihre Mutter Katja hat Angst, aber sie will stark sein für Paula. Um ihre Tochter abzulenken, erzählt sie ihr eine Geschichte über einen Fuchs und ein Mädchen, das von einem Schatten verfolgt wird, vor dem sie fliehen muss, um nicht von ihm verschlungen zu werden.

Abwechselnd befinden wir uns im Krankenhaus bei Paula und Katja bzw. inmitten der sehr fantasievollen Geschichte. Leider konnten mich gerade die Abschnitte mit der Erzählung so überhaupt nicht erreichen. Zwar verstehe ich die Intention des Autors, mir war die Geschichte aber einfach zu wirr und düster, auch wenn es ein paar gute Stellen gab:

"'Du fragst Dich noch immer, warum diese Ausgeburt eines Schattens ausgerechnet hinter dir her ist. Warum hat er ausgerechnet dich ausgewählt? Hör lieber auf, darüber nachzudenken. Solche Fragen können dich verrückt machen. Sie sind zu groß für so einen kleinen Menschenkopf. Und warum überhaupt: Warum sollte es nicht dich treffen? Warum denn nicht: dich! Es hat keinen Sinn, es ist aber auch kein Unsinn. Es ist keine Fügung des Schicksals, und doch hat es sich so gefügt.'"

In Paula und ihre Mutter kontte ich mich dagegen schon recht gut hineinversetzen, gerade als Mutter hat mich ihr Schicksal sehr berührt. Die Szenen im Krankenhaus sind sehr intensiv und schwer erträglich:

"Ein Türöffner wird gedrückt, Katja geht zurück in die Schleuse, wird in ein Licht geschoben, es ist zu grell. Die Tür schließt sich, sie bleibt allein zurück, und was hinter der Türe passieren wird, wird sie nicht sehen. Will sie nicht sehen. Der Schnitt, der offene Brustkorb, das Blut. Es ist besser, es nicht zu sehen. Es sich nicht einmal vorzustellen. Sonst würde sie rufen, sie würde schreien: 'Nein! Sofort aufhören! Das ist die falsche Geschichte für mein Kind.'"

Paula hat mir als Charakter sehr gut gefallen, ein mutiges und starkes Mädchen; ich hätte eigentlich gerne noch mehr aus ihrer Perspektive gelesen. Auch insgesamt blieb mir die ganze Familiensituation mit dem getrennt lebenden Vater etc. etwas zu sehr an der Oberfläche, das hätte noch etwas vertieft werden können. Stattdessen hat die Fantasiegeschichte mit dem Fuchs etwas zu viel Raum eingenommen für meinen Geschmack

Insgesamt konnte mich das Buch, welches mich eigentlich vom Cover, Titel und Klappentext her vorab stark angesprochen hatte, leider nicht so begeistern wie erhofft. Ich hatte mehr erwartet und vergebe für diese emotionale Geschichte 3 von 5 Sternen.

Bewertung vom 20.11.2025
Emcke, Carolin

Respekt ist zumutbar


ausgezeichnet

Es gibt keine Hierachie von Menschen: Texte gegen Hass


Ich kann es nicht ändern: Eine Rezension von Carolin Emckes Büchern ist bei mir gleichzusetzen mit einer Liebeserklärung an die Autorin. Für mich ist sie einfach eine der klügsten, reflektiertesten, authentischsten und sympathischsten Menschen, die ich mir vorstellen kann.
Ich liebe alle ihre Texte und Veröffentlichungen, ich kann nicht genug bekommen von ihren klugen Worten und Gedanken. Daher habe ich mich sehr auf ihre neue Veröffentlichung "Respekt ist zumutbar" gefreut. Hier versammelt sie Texte aus den Jahren 2014 bis 2024, die sie für eine Kolumne der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat. Auch wenn manche Texte schon älter sind, haben sie nichts von ihrer Aktualität und Treffsicherheit verloren.

In ihren Essays beschäftigt sich Carolin Emcke mit (zu der Zeit der Veröffentlichung jeweils) aktuellen gesellschaftlichen und politischen Konflikten; es geht um Gewalt, Menschenfeindlichkeit, um Hass, um Angriffe auf die Demokratie und die Freiheit, es geht um Respekt, um Menschenrechte und deren Verteidigung.

„Für Frauen gelten mühsam erlangte Rechte nie als untastbar. Sie bleiben ewig prekär. Sie können nicht nur einmal errungen werden, sondern sie müssen weiter verteidigt werden gegen die Angriffe derer, die immer noch und immer wieder Freiheits- und Gleichheitsgrundsätze in Frage stellen und Hierarchien einziehen wollen, die nur bestimmten Frauen, nur bestimmten Familien, nur bestimmten Körpern menschliche Würde und unveräußerliche Rechte zustehen wollen, die priorisieren wollen, welchen Lebensformen, welchem Glaube, welcher S•xualität echter Schutz zusteht.“

Gleichzeitig sind Carolin Emckes Worte ein Aufruf für Respekt, Empathie und ein friedliches Miteinander. Nicht umsonst erhielt die Autorin schon 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden – wenn es nach mir ginge, hätte sie diesen Preis auch 2025 wieder bekommen sollen; allein schon für ihre beeindruckende Rede (lest diese unbedingt mal komplett nach!) auf der Demonstration am Brandenburger Tor am 25. Januar 2025, die so beginnt:

„Wir müssen uns die Worte zurückholen.
Wir müssen es verteidigen,
das Vokabular der Würde.

Wir müssen uns die Worte zurückholen
und damit die Prinzipien von
Menschenrechten und Demokratie.“

Anhand der Texte erleben wir, wie sich im Laufe der letzten 10 Jahre unsere Gesellschaft und die Welt verändert haben. Dies nochmal vor Augen zu haben, ist erschreckend, besonders im Hinblick auf den Verfall unserer Demokratie. In sofern ist dieses Buch hoffentlich für viele ein Augenöffner, um dem Rechtsruck und dem Hass entgegenzuwirken.

„Vielleicht muss man wieder beginnen, die Worte auf ihre Bedeutung hinzubefragen, weil sie sonst sinnlos werden. [...] Vielleicht braucht es ein Wörterbuch der Demokratie, in dem das Vokabular beschrieben wird, das eine demokratische Gemeinschaft braucht, wenn sie demokratisch und gemeinschaftlich bleiben will.“

„Vielleicht braucht es eine Re-Formulierung des demokratischen Vokabulars. Vielleicht braucht es auch nur eine Beschreibung, wie die soziale Wirklichkeit aussähe, wenn es keine gesetzlichen Vorgaben gäbe. Gesetze und Verbote in einem Rechtsstaat verhindern nicht subjektive Freiheitsrechte, wie da permanent suggeriert wird, sondern sie setzen den Rahmen, innerhalb dessen die Autonomie des Einzelnen überhaupt erst ausgeübt und gelebt werden kann. Eine Freiheit ohne die Grenze der Freiheit und Würde anderer ist keine.“

„Respekt ist zumutbar“ ist ein wirklich kluges, wichtiges und vielschichtiges Buch, das mir auch Hoffnung gibt:

„Es ist möglich. Die Hoffnung auf ein freieres, gerechteres, nachhaltigeres Leben will geübt sein. Auch die Demokratie braucht die Lust und den Mut, sich zu verändern und zu vertiefen.“

Von mir gibt es eine ganz klare Empfehlung mit 5⭐️ für dieses Buch sowie für alle anderen Veröffentlichungen von Carolin Emcke - und die Hoffnung, dass möglichst viele Menschen Carolin Emckes Texte lesen.

Bewertung vom 13.11.2025
Mcdermid, Val

Queen Macbeth


sehr gut

Lady MacBeth bekommt endlich eine eigene Stimme

Ich gebe zu, Shakespeares Drama um MacBeth habe ich nie gelesen, aber jeder hat schon etwas davon gehört. Obwohl ich also nicht viel Vorwissen hatte, interessiert mich diese historische Geschichte sehr.
Mich reizte an der Neuveröffentlichung „Queen MacBeth“ von Val McDermid zum einen, dass sich eine Krimi-Autorin diesem Thema widmet und zum anderen die moderne Interpretation dieses Klassikers.

Val McDermid schreibt gewohnt gut, auch außerhalb ihres „gewohnten“ Genres. Hier finde ich ihre Sprache genau passend, teilweise fast poetisch. Besonders die Abschnitte, die in der Vergangenheit spielen, fand ich besonders gelungen.

Auf der einen Seite erleben wir, wie die Königin MacBeth mit ihren drei Gefährtinnen (einer Heilerin, einer Weberin und einer Seherin) auf der Flucht durch Schottland ist; gejagt von Männern, die sie töten wollen, da sie zwischen ihnen und ihren Zielen steht.
Parallel dazu erleben wir die Vergangenheit: ihr Leben mit Gille, mit dem sie zwangsverheiratet wurde und dem sie bisher keinen Erbfolger schenken konnte. Dann trat Macbeth in ihr Leben, sie lernt die Liebe kennen und bringt seinen Sohn auf die Welt. Doch wie kann sie es schaffen, mit Macbeth glücklich zu werden?

Durch die Erzählstruktur mit den zwei Zeitebenen baut sich beim Lesen immer mehr Spannung auf; ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, wollte unbedingt wissen, wie sich die beiden Erzähstränge am Ende zusammenfügen. Da das Buch mit insgesamt 192 Seiten recht dünn ist, war es schnell gelesen.

Insgesamt fand ich das Buch durchaus lesenswert und spannend, auch wenn es kein direktes Highlight für mich war. Dieser historische Kurzroman bietet einen interessanten Blick auf das Leben von Gruoch, besser bekannt als Lady MacBeth, und gibt ihr endlich eine eigene Stimme.

Bewertung vom 13.11.2025
Gasteiger, Heinrich;Wieser, Gerhard;Bachmann, Helmut

Passion Gemüse


sehr gut

Bunte Gemüseküche

Das Kochbuch „Passion Gemüse: Über 70 vegetarische Rezepte“ des "So kocht Südtirol"-Teams ist ein Buch, das definitiv Lust auf Gemüse weckt.

Das Buch ist reich bebildert, was Lust aufs Kochen und Ausprobierenb macht.
Die einzelnen Zubereitungsschritte gut erklärt, so dass sowohl Anfäger*innen als auch Fortgeschrittene gut damit zurechtkommen sollten.

Die Rezepte sind ein gelungener Mix aus „Klassikern“ (z.B. Gemüse-Lasagne), aber s finden sich auch neue und moderne Kreationen. Es gibt Rezepte für jede Saison, Spargel für den Frühling, Kürbis für den Herbst, aber noch vieles mehr. Die Rezepte sind originell, aber die Zutaten so einfach, dass sie problemlos erhältlich sein sollten, was ich sehr gut finde, der Alltagstauglichkeit wegen.

Das Buch enthält etliche praktische Tipps und Tricks, allgemeine Informationen zum Thema Gemüse und zur Verarbeitung von Gemüse, einen kurzen Abschnitt über Fermentierung, einen Saisonkalender sowie auch Grundrezepte.

Insgesamt ein schön gestaltetes, ansprechendes Kochbuch, das in einer hochwertigen Hardcover-Ausgabe daherkommt.

Bewertung vom 11.11.2025
Sironic, Fiona

Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft


gut

Schaum und Rauch: Dystopische Zukunft und erste Liebe


Die 15-jährige Era lebt zusammen mit ihrer Mutter am Waldrand. Die Welt verändert sich, die Wälder brennen und Era dokumentiert in ihrem Notizbuch nach und nach das Aussterben verschiedener Vogelarten. In einem Stream namens FOAMO (eine Kombination aus FOAM/Schaum und FOMO) beobachtet sie ihre Mitschülerinnen Maja und Merle, die samstags im Wald Festplatten in die Luft jagen. Die beiden Mädchen sind Töchter zweier Momfluencerinnen. Maja versucht verzweifelt, alle Erinnerungen an ihre öffentlich gemachte Kindheit auszulöschen.

„Die Geschichte ihrer Mütter hatte immer mit Vermarktung zu tun. Was aber wie vermarktet wird, das verändert sich. Während es mal ganz normal war, sein Privatleben öffentlich zu teilen, nimmt das während ihrer Karriere immer mehr ab. Die Storys der altmodischeren Influencer*innen verschwimmen nicht mehr mit denen deiner Cousine zweiten Grades (supersüßes Kleid), weil deine Cousine kein Interesse mehr daran hat, ihr supersüßes Kleid öffentlichkeitswirksam zu teilen. Der Verkauf von hochwertigen und innovativen Produkten gewinnt an Bedeutung für den verkackten Sommerurlaub der Medienelite. Heute ist alles fragmentierter. Es ist kaum noch möglich, eine Kanalgröße zu erreichen, die zur Monetarisierung taugt. Und natürlich: Auch die, die so groß sind, dass es sich lohnt, solche wie A&E, die bröckeln langsam.“

„Maja will nicht, dass andere Profit aus ihrem Bild schlagen. Andererseits ist der Stream die ihr vertrauteste Ausdrucksform / die Views ein Teil der Weltsicht. In einer anderen Zeit würde sie vielleicht einfach Mülltonnen anzünden oder so. Etwas bricht auf. Etwas brennt ab.“

Zwischen Era und Maja entwickeln sich Gefühle, die beiden verlieben sich ineinander. Jenseits von Streams und Zurschaustellung suchen sie analog ihr Glück, in der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.

„‘Ich erzähl dir das mal in Ruhe‘, sagt Maja.
Einmal, in Ruhe, erzählt sie es mir dann. Aber nicht jetzt. Erst schaut sie mich an. ‚Was soll das mit den Vögeln?‘, fragt sie, und ich sage auch: in Ruhe, einmal. Es geht nicht darum, dass wir uns nicht jetzt sofort alles erzählen wollen. Wir eröffnen uns die Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft. Wir wirtschaften sorgsam mit unseren Geschichten.“

Als ein großer Flächenbrand den Wald zerstört, sind nicht nur die Vögel, sondern auch der Lebensraum der Mädchen bedroht.

Der Titel „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ ist natürlich ein Hingucker und war auch der Hauptgrund, weshalb ich auf dieses Buch aufmerksam geworden bin, welches ja auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2025 war (und zu Recht).

Ich muss aber sagen, dass meine Erwartungen an das Buch wohl anders waren. Das dystopische Szenario konnte mich leider nicht so recht abholen. Der ungewöhnliche Schreibstil ist interessant, aber schwer zugänglich. Die Geschichte ist recht kühl und distanziert erzählt; ich konnte keinen wirklichen Bezug zu den Protagonist*innen herstellen.

Die Geschichte versammelt viele aktuelle (vielleicht auch zu viele) aktuelle Themen, ist aber insgesamt sehr bedrückend. Gut gefallen hat mir die Kritik an öffentlicher Selbstdarstellung in den sozialen Medien, besonders was Kinder angeht; Ansonsten wirkte das Buch für mich etwas zu konstruiert und überladen, so dass es mich trotz etlicher intensiver Momente nicht berühren konnte. Auch das Ende hat mich in der Form leider nicht überzeugen können.

Auch wenn das Buch meinen Geschmack nicht so getroffen hat, ist es aufgrund des aktuellen Themas (Klimakrise, Aussterben und Überleben) durchaus lesenswert

Vielen Dank an den ecco Verlag und NetGalley für dieses Rezensionsexemplar!

Bewertung vom 05.11.2025
Lutzenberger, Ida;Lutzenberger, Ana;Reisedepeschen

rette rette Fahrradkette


sehr gut

Rad-Abenteuer zweier Schwestern - für einen guten Zweck


„rette rette Fahrradkette“ fällt einem schon durch das farbenfrohe und künstlerisch gestaltete Cover auf – was daran liegt, dass die Autorinnen Ana und Ida Lutzenberger Künstlerinnen sind. Gemeinsam haben sie 16 Länder bereist, 15.000 km sind sie mit ihren Rädern „Shauny“ und „Eddie“ gestrampelt.
Und das nicht nur aus Abenteuerlust – sie sammelten dabei mit jedem gefahrenen Kilometer Spenden für Sea-Watch (hierzu hätte ich mir etwas mehr Infos im Buch gewünscht, aber man kann es auf Social Media mehr erfahren).

„Für alle, die ihre Heimat verlassen müssen aber nicht wollen, und alle, die ihre Heimat verlassen wollen, aber nicht können.“

Das Buch ist ein gelungener Mix aus Reisebericht und Tagebuch. Der Schreibstil ist sehr blumig und kreativ, die Fotos zur Reise wirklich beeindruckend. Die Schönheit der Natur und die Vielfalt der Menschen, das konnte ich mir gar nicht oft genug ansehen.

„Wenn man länger weit weg ist, erfährt man nicht nur zum ersten Mal, wie schön die Welt der anderen ist, sondern auch wie schön die eigene ist.“

Gemeinsam mit den beiden Schwestern lernt man neue Kulturen und Menschen kennen. Von der Türkei bis in die sowohl schönen als auch herausfordernden Gegenden in Asien, man sieht die Wüsten in Iran und das Hochgebirge in Kirgistan, man lernt Usbekistan und Kirgistan kennen.

"Sicherlich hängt die Wahrnehmung eines Landes immer auch davon ab, wer man ist und warum man sich dort aufhält - jeder Erfahrungsbericht wird aus unterschiedlichen Zutaten gekocht."

Sehr gut gefallen hat mir auch das vorletzte Kapitel "Radreisen als Frau":

„Erst dieses ‚obwohl‘ hatte uns den Widerspruch gezeigt, den viele andere zwischen dem selbständigen Fahrradreisen und dem Frausein sahen. Für sie schien es einen Grund zu geben, der dagegensprach, dass weibliche Füße freibestimmt in die Pedale drücken und in die Ferne strampeln sollten. Der Grund, den wir dafür gefunden haben, ist, dass die Vorstellungen in Bezug auf das, was man/frau tun ‚kann‘ und ‚sollte‘ vielerorts noch stark von patriarchalischen Strukturen beeinflusst sind. Diese Vorstellung besagen, dass das weibliche Geschlecht natürliche Einschränkungen mit sich bringt, beispielsweise in den Bereichen Stärke oder Mut.“

„Nach unserer Reise würden wir sagen, dass man als Frau genau dorthin Gurken sollte, wo man hin möchte, und dafür genau das Fortbewegungsmittel wählen sollte, dass man am liebsten mag.
Nicht nur um patriarchatsverstaubten Köpfen, die meinen, Frauen seien hilflos ohne Männer, das Gegenteil zu beweisen, sondern auch um andere Mädchen und Frauen zu einem selbstbestimmten, unabhängigen Lebensstil zu ermutigen. Und besonders denjenigen, denen tendenziell ständig Schwäche eingeredet wird, zu zeigen, dass sie stark sind. Dass sie alles schaffen können. Die schönsten Momente auf unserer Reise erlebten wie immer dann, wenn wir nicht nur unsere Räder, sondern auch das Selbstvertrauen einer Frau oder eines Mädchens ein Stück vorangebracht hatten.“

Genauso wie die Schwestern hat auch mich die unglaubliche Gastfreund*innenschaft berührt und begeistert, die sie auf ihrer Reise erleben durften:
„Wir waren erstaunt, was für intensive, schöne Momente wir dadurch sammeln konnten, dass wir aus unserer Komfortzone hinausgeradelt sind, und wie viel Wertschätzung wir nicht nur für das eigene Leben gewonnen haben, sondern auch für das der anderen, der Unbekannten und Fremden.
Durch die unzähligen Begegnungen mit neuen Kulturen, Religionen und Menschen haben wir neue Lebensweisen nicht nur kennen- sondern auch verstehen gelernt. Die unglaubliche Gastfreund*innenschaft, die uns entgegengebracht wurde, hat uns einen unverblümten Einblick ins Leben der Menschen gegeben, der uns dazu gebracht hat, Vorurteile abzubauen und das Fremde nicht zu verurteilen.“

Insgesamt ein wirklich inspirierendes und künstlerisch gestaltetes Buch, das mir sehr gut gefallen hat.

Bewertung vom 03.11.2025
Varga, Anne-Marie

Happy Ending


gut

Happy Ending: Warmherzige Geschichte, deren Potential nicht ausgeschöpft wurde


Die 26jährige Rosie, Autorin eines Bestsellers, verlässt ihr Leben in New York nach einer schmerzhaften Trennung. Sie hofft, in London endlich wieder Muse zum Schreiben ihres zweites Buches zu finden und auch ansonsten ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Zum Glück findet sie dort in Tara, Saoirse und Deepti schnell neue Freunde. Nur Taras Zwillingsbruder Gamble hält Rosie für eine eingebildete Amerikanerin. Doch später will er ihr sogar mit ihrem neuen Buch helfen, auf das ihr Verlag nicht mehr länger warten will.
Doch auch in London kann Rosie ihrer New Yorker Vergangenheit nicht ganz entkommen. Sie verschweigt ihren neuen Freund*innen, was in New York passiert ist. Sollte ausgerechnet der attraktive, aber verschlossene Gamble helfen können, wieder einen Weg ins Leben zu finden?

Ich hatte aufgrund der sehr interessanten Leseprobe und des Klappentexts hohe Erwartungen an das Buch.
Diese wurden leider nicht ganz erfüllt. Zwar ist der Schreibstil recht locker-flockig und gut lesbar, aber ich konnte mich nicht so recht mit den Charakteren anfreunden. Das Buch beinhaltet einige ernste Themen wie z.B. Depressionen, die meiner Meinung nach zwar nicht ganz falsch, aber bei weitem nicht tiefgreifend genug behandelt wurden. Auch insgesamt war mir das Buch, obwohl es (zum Glück) keine typische 08/15-Lovestory war, leider doch noch zu klischeehaft und seicht.
Meiner Meinung nach hatte die Grundidee des Romans ein größeres Potential, das die Autorin nicht ganz ausgenutzt hat. Einige Passagen waren mir auch zu langgezogen und ausschweifend, anderes passierte ann wiederum viel zu schnell.

Insgesamt ein ganz nettes und leicht lesbares Buch, das mir aber sicher nicht besonders in Erinnerung bleiben wird.

Ich vergebe 3/5 Sterne.