Benutzer
Benutzername: 
MaWiOr
Wohnort: 
Halle

Bewertungen

Insgesamt 3701 Bewertungen
Bewertung vom 15.12.2025
Gotthelf, Jeremias;Theisohn, Philipp

Anne Bäbi Jowäger


ausgezeichnet

Der Diogenes Verlag hat seine Jeremias Gotthelf- Edition mit dem ersten Teil des zweiteiligen Romans „Anne Bäbi Jowäger“ fortgesetzt. Anstoß zu dem Roman gab eine Anfrage der Sanitätskommission des Kantons Bern, in der Gotthelf um eine populäre Schrift gegen das medizinische Pfuschertum und die Quacksalberei gebeten wurde.

Der volkserzieherische Roman erzählt von der tief religiösen, aber abergläubischen Bäuerin Anne Bäbi, deren Sohn Jakobli nach der Heirat mit dem Waisenkind Meyeli einen Sohn bekommt, der jedoch verstirbt, weil sie statt des Dorfarztes einem Kurpfuscher vertraut. Geplagt von Schuldgefühlen, stürzt die ansonsten resolute Anne Bäbi in eine schwere psychische Krise. Auch die bisher geordneten Verhältnisse des Bauernhofs geraten in chaotische Umstände. Neben der Romanhandlung äußert Gotthelf hier seine Auffassungen über Religion und Glauben sowie über die gesellschaftliche Stellung des Arztes.

Die Diogenes-Ausgabe orientiert sich an dem Erstdruck von 1843, an dem nur kleine, behutsame Änderungen vorgenommen wurden. In einem umfangreichen Glossar werden viele Redewendungen und Ausdrücke des Berner Dialekts erläutert, sowie Hinweise zu Berner Währungen, Gewichten und Maßen angefügt.

Der Roman zeigt Gotthelfs milieugetreue und fabulierfreudige Erzählkunst. Er wurde schnell ein großer Erfolg, sowohl als Buch als auch später als populäre Verfilmung, die den Stoff einem breiten Publikum zugänglich machte und als Meilenstein des Schweizer Heimatfilms gilt. Fast zweihundert Jahre nach seinem Erscheinen ist der Roman immer noch ein Abbild des wirklichen Lebens und keine romantisch geschönte Darstellung des Dorflebens im 18. Jahrhundert. In ihrem Nachwort betont die Schweizer Schriftstellerin Simone Lappert, dass der Roman „heute gelesen, nicht zuletzt auch etwas über die Wichtigkeit von Verbundenheit aussagt und über Wunden, die entstehen, wenn es daran mangelt“.

Bewertung vom 04.12.2025

Vorschmak


ausgezeichnet

Bei einer Privataudienz des Königs Friedrich IV. von Dänemark am 9. September 1724 überreichte das erst dreieinhalb Jahre alte Lübecker „Wunderkind“ Christian Henrich Heineken ein besonderes Gastgeschenk. Der kleine Besucher hatte eine gedruckte Einführung in die Geschichte der dänischen Könige mitgebracht, die von seinem Lehrer verfasst worden war. Das Unikat war außerdem mit 250 farbigen Illustrationen geschmückt, die die Mutter des kleinen Jungen, Catharina Elisabeth Heineken, angefertigt hatte. Sie wirkte als Malerin in Lübeck. Bereits mit vier Jahren verstarb jedoch der Knirps, der ein kleines Genie war.

Nun macht der Nachdruck des NA-Verlages dieses einzigartige Kunstwerk erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Die Identität des Unikats, das in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen lagerte, konnte erst kürzlich ermittelt werden. Die gemalten Illustrationen ergänzen den Text visuell und machen die Ausgabe zu einer Kostbarkeit. Im Original sind beide auf kostbarem französischem Blütenpapier gedruckt bzw. gemalt. Das ehemalige Gastgeschenk ist außerdem in wertvollem Samt eingeschlagen.

Neben der Reproduktion des Originals widmet sich die Neuerscheinung in der reich illustrierten Einleitung ausführlich der Ausstattung des Originals, dem Verfasser, der Künstlerin, der Entstehung des Buches sowie der Reise nach Kopenhagen und der Übergabe des Prachtexemplars. Auch der Inhalt des „Vorschmaks“ wird beleuchtet. Im anschließenden umfangreichen Kommentarteil in diplomatischer Umschrift wiedergegeben. Fazit: Die Neuerscheinung ist ebenfalls ein bibliophiles Prachtexemplar.

Bewertung vom 04.12.2025
Hauptmann, Gerhart

Phantom


ausgezeichnet

Der kleine Roman „Phantom – Aufzeichnungen eines ehemaligen Sträflings“ ist eines der unbekannten Werke von Gerhart Hauptmann, die der Quintus Verlag jetzt in seiner Erkneraner Ausgabe der Werke des Schriftstellers herausgebracht hat. Die Novelle entstand 1922 als Fortsetzungsroman für die „Berliner Illustrierte Zeitung“ und wurde im gleichen Jahr noch als Stummfilm verfilmt.

Die Geschichte spielt in Breslau; die Stadt kannte Hauptmann gut aus seiner Jugendzeit. Aus der Ich-Perspektive erzählt der ehemalige und armselige Magistratsschreiber Lorenz Lubota, der zufällig der 13-jährignen kindhaften Veronika Harlan begegnet. Um die Liebe der Tochter aus einer wohlhabenden Familie zu gewinnen, verliert er immer mehr die Kontrolle über sich selbst. Von ihrer Schönheit und Unerreichbarkeit besessen, driftet Lubota immer mehr in eine surreale Traumwelt ab. Hochstapelei, Betrügereien und eine kostspielige Lebensführung treiben ihn immer mehr zu kriminellen Handlungen, so zur Gründung einer Scheinfirma. Die Folgen sind verheerend, denn schließlich landet er als Mittäter eines Raubmordes im Zuchthaus. Hier beginnt die innere Wandlung und Leuterung von Lubota, die Hauptmann ausführlich beschreibt.

In seinem Nachwort gibt der Germanist Stefan Rohlfs über die Hintergründe der Entstehung des Romans. Fazit: Eine willkommene Ergänzung der Erkneraner Hauptmann-Werkausgabe.

Bewertung vom 03.12.2025

Monets Küste - Die Entdeckung von Étretat


ausgezeichnet

Die Felsen von Étretat sind spektakuläre Kreidefelsklippen an der Alabasterküste der Normandie in Frankreich, sie sind bekannt für ihre natürlichen Felsbögen. Diese beeindruckenden Kreidefelsen haben in der Vergangenheit zahlreiche Künstler und Schriftsteller inspiriert, darunter auch berühmte Persönlichkeiten wie den französischen Maler Claude Monet, der die Felsen von Étretat mehrmals malte. Er nutzte die Felsen als Motiv für eine impressionistische Darstellung der Natur und das unter stets verändernden Licht- und Wetterverhältnissen.

Das Städel Museum in Frankfurt am Main präsentiert nun eine große Ausstellung über die künstlerische Entdeckung des einstigen Fischerdorfes Étretat und den Einfluss des Ortes auf die Malerei der Moderne. Die Ausstellung (19.3.-5.7.2026) zeigt rund 170 herausragende Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und historische Dokumente, darunter allein 24 Werke von Claude Monet; daneben auch Werke von Eugène Delacroix, Gustave Courbet, Claude Monet oder Henri Matisse.

Im Hirmer Verlag ist der umfangreiche und üppig illustrierte Begleitkatalog zu dieser bemerkenswerten Ausstellung erschienen. Renommierte Kunsthistoriker*innen beleuchten in ihren Essays besondere Aspekte der künstlerischen Faszination und der Naturschönheiten – aber auch das Zusammentreffen von Künstlern und Fischern in Étretat oder die Badegäste, Sommerfrischler und Touristen im 19. Jahrhundert. Weitere Beiträge widmen sich u. a. der Fotografie in Étretat oder wie die Steilklippen in die Literatur Einzug hielten (Maupassant und Flaubert).

Neben den Essays und den zahlreichen Gemäldeabbildungen punktet der Katalog auch mit zahlreichen historischen Abbildungen und einer mehrseitigen Chronologie.

Bewertung vom 20.11.2025

Burgen am Oberrhein


ausgezeichnet

Der Oberrhein zwischen Basel und Bingen weist eine hohe Dichte an mittelalterlichen Burgen auf; es ist eine der burgenreichsten Landschaften Europas. Mehr als 1000 Burgen prägen das Landschaftsbild im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Sie sind Zeugen einer jahrhundertalten Geschichte.
Zur Erforschung und Präsentation war das länderübergreifende INTERREG-Projekt „Burgen am Oberrhein“ ins Leben gerufen wurden. Im September 2023 fand eine internationale Tagung an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz statt, die vor allem der Frage nachging, ob die Burgen am Oberrhein mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede in ihrer Geschichte, ihren geografischen Voraussetzungen, im Burgenbau und der Rezeptionsgeschichte aufweisen.
Nun ist im Nünnerich-Asmus-Verlag der umfangreiche und reich illustrierte Tagungsband erschienen. Nach einem mehrsprachigen Grußwort und einer Einführung in das Tagungsthema beleuchten renommierte Historiker*innen u. a. den archäologischen und geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand. In speziellen Themen widmet man sich z. B. der Südpfalz in der Spätantike, dem frühen Burgenbau am südlichen Oberrhein oder dem nachstaufischen Burgenbau zur Zeit Rudolfs von Habsburg. Das Schlusskapitel dokumentiert dann die Wiederentdeckung der Burgen im 19. Jahrhundert mit der Entwicklung von Tourismus, Denkmalpflege und Burgenforschung. Neben den wissenschaftlichen Essays punktet der Tagungsband mit eine reichen Ausstattung an historischen und aktuellen Abbildungen.

Bewertung vom 17.11.2025
Schubert, Helga

Luft zum Leben


ausgezeichnet

Nach ihren beiden Bestsellern „Vom Aufstehen“ (2022) und „Der heutige Tag“ (2024) legt die Schriftstellerin Helga Schubert nun einen Band mit Geschichten vor, die in einem Lebenszeitraum von 65 Jahren, von 1960 bis 2025, entstanden sind. Es sind ganz unterschiedliche Arten von Texten: Erzählungen, Vorträge, Aufsätze, Gedichte und sogar WhatsApp-Nachrichten. Darunter sind einige Erzählungen, die während der DDR-Zeit keine Druckgenehmigung erhielten. Trotzdem ließ sich die Autorin nicht entmutigen und schrieb immer weiter. Sie blieb sich und ihren Ansichten treu.

Schubert erzählt von Übergängen in ihrem Leben, von der Abhängigkeit des Kindseins in die Verantwortung für das eigene Leben, aber auch vom Übergang in eine andere Gesellschaftsordnung oder vom Übergang in den Tod, der auch als Erlösung kommen kann, wie sie beim Tod ihres Mannes erfahren hat. In ihrem Vorwort drückt Schubert die Hoffnung aus, dass diese Texte auch heute noch die Leser*innen erreichen. Am Anfang steht ein Text („Lebenstopf“) von 1960, in dem die damals Zwanzigjährige bereits ein erstes Fazit zieht: „Mein Topf Leben quillt über / Bilder, Stimmen, Geräusche, Gefahr.“ Sehr lesenswert.

Bewertung vom 15.11.2025
Rushdie, Salman

Die elfte Stunde


ausgezeichnet

Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie ist wieder zurück. In „Die elfte Stunde“ legte er fünf Erzählungen über Alter und Sterblichkeit vor. Es ist das erste literarische Werk drei Jahre nach dem Attentat auf ihn. Der Buchtitel erinnert irgendwie an unerledigte Dinge, die noch erledigt werden müssen.

Die Handlungen spielen an Orten, an denen Rushdie lebt oder gelebt hat, in Indien, England und Amerika. Die Auftaktgeschichte „Im Süden“ stellt zwei alte, mürrische Freunde vor, die sich ein Leben lang gestritten haben. Aber nach dem Tod seines Freundes weiß der andere nicht mehr, was er tun soll. „Die Musikerin von Kahani“ erzählt von einer indischen Musikerin, die über magische Fähigkeiten verfügt. Während in der Geschichte „Saumselig“ ein toter Schriftsteller als Geist weiterlebt, handelt „Oklahoma“ von einem Schriftsteller, dessen Manuskript an seinem Todestag bei einem Verlag eingeht. In der Abschlussgeschichte „Der alte Mann auf der Piazza“ denkt Rushdie über die beständige Bejahung in den Zeiten digitaler Medien nach.

Die Erzählungen sind ein Plädoyer für Toleranz und Kunstfreiheit, Rushdie ist wieder sehr einfallsreich und kritisch. Eine absolute Leseempfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.11.2025
Goos, Hauke

Die Magie der deutschen Sprache


ausgezeichnet

Schon seit Jahren stellt der Schriftsteller Hauke Goos in der SPIEGEL-Kolumne „Schöner schreiben“ Glanzlichter der deutschen Sprache vor. Bereits 2021 stellte er fünfzig dieser Fundstücke in dem Band „Schöner schreiben – 50 Glanzlichter der deutschen Sprache von Adorno bis Vaterunser“ vor.

Nun legt Goos mit „Die Magie der deutschen Sprache“ weitere fünfzig gute Texte in der deutschen Literatur vor – von Kafka bis Loriot. Das Spektrum der meisterhaften Beispiele reicht von Roger Willemsen über Vicki Baum, Franz Grillparzer, Theodor Storm, Heinrich von Kleist oder Dietrich Bonhoeffer bis zu Rainer Maria Rilke oder Sibylle Berg. Es sind aber auch weniger bekannte Namen darunter wie Dörte Hansen, Alexander Gorkow oder Rudolf von Ibering.

Jedes vorgestellte „Glanzlicht“ beginnt mit einem kurzen Auszug aus dem Werk (unterschiedliche Quellen: Roman, Rede, Brief usw.), auf das Goos und seine(n) Urheber*in anschließend näher eingeht. Es sind kluge Kommentare, die zeigen, wie schön die deutsche Sprache sein kann. Fazit: Ein lesenswerter Streifzug durch die Vielfalt der deutschen Literatur mit vielen Lektüreanregungen.

Bewertung vom 28.10.2025
Edel, Edmund

Das Glashaus


ausgezeichnet

Der Quintus Verlag hat seine Edition der Werke von Edmund Edel mit dem Roman „Das Glashaus“ fortgesetzt. Der vierte Band der Edition spielt in den 1910er Jahren in der turbulenten Berliner Filmwelt. Protagonisten sind der Journalist Robert Büchner und die Varieté-Tänzerin Martha Stängel, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nach Berlin kommen. Hier gelingt es Büchner, vom Filmkomparsen zum Hilfsregisseur aufzusteigen.

Büchner steckt voller Ideen und er gründet mit einem Freund aus früheren Tagen und dessen Geschäftspartner die Pegasus-Filmgesellschaft. Mit großem Aufwand wird ein Film mit Martha Stängel (jetzt unter dem Künstlernamen Marthe van Goes) in der Hauptrolle produziert. Symbol des Erfolges ist das neugebaute Glashaus, wo die Premiere stattfindet. Doch mit seinem nächsten Filmprojekt scheitert Büchner krachend. Am Ende steht das Glashaus, Sinnbild des aufgebauten Filmimperiums, in Flammen. Büchner wird zum Kriegsdienst eingezogen und Martha kehrt zum Varieté zurück.

Edmund Edel (1863-1934) konnte in dem Roman auf Erfahrungen zurückgreifen, die er als Drehbuchautor und Regisseur selbst beim Film gemacht hatte. Neben der Darstellung der Filmwelt sind die Ereignisse des Kriegsgeschehens auch immer wieder Gesprächsthema. In seinem Nachwort gibt der Editions-Herausgeber Björn Weyand einen recht ausführlichen Überblick zu Edmund Edel und zur Entstehung des Romans, den er als „Schlüsselroman der frühen Stummfilmzeit und eine fulminante Satire über Kunst, Kommerz und Krieg“ bezeichnet.

Bewertung vom 27.10.2025
Barnett, Vivian Endicott;Dalbajewa, Birgit;Ebner, Renate

Erich Heckel


ausgezeichnet

Erich Heckel (1883–1970) war einer der Mitbegründer der Künstlergruppe Brücke, die im Juni 1905 in Dresden gegründet wurde. Er blieb Mitglied der Gruppe bis zu ihrer Auflösung im Mai 1913. Trotz seiner wegweisenden Rolle bei der Etablierung dieser kritischen frühen Manifestation des deutschen Expressionismus erlangte er nicht die gleiche Anerkennung wie seine Brücke-Kollegen wie Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff. Daher gibt es nur wenig englischsprachige Literatur über ihn, und er hatte nie eine Einzelausstellung in einem amerikanischen Museum.

Diese Lücke wird nun mit einer Ausstellung (9. Okt. 2025 – 12. Jan. 2026) in der Neuen Galerie New York (1048 Fifth Avenue) geschlossen. Sie präsentiert fast 40 Werke, die von Heckels Studienjahren bis zu seinen Erfahrungen hinter der Front als Sanitäter während des Ersten Weltkriegs reichen. Zu den Höhepunkten zählt neben „Badende im Teich“ ein großes Triptychon mit dem Titel „An die Genesende“ (1912–13), eine Leihgabe der Harvard Art Museums.

Im Prestel Verlag ist der englischsprachige und reich illustrierte Katalog zu dieser einmaligen Ausstellung erschienen. Die Texte von renommierten Kunsthistoriker*innen konzentrieren sich auf Heckels frühe Karriere und behandeln Themen wie sein Engagement in der Künstlergruppe Brücke, seine Werke, die er während seines Militärdienstes in Flandern schuf, sowie seine ausdrucksstarken Holzschnitte. Der Schwerpunkt liegt auf seinen Porträt- und Landschaftsgemälden sowie seinen lebendigen Bildern von Badenden, die beide Genres miteinander verbinden. Alle Ausstellungswerke werden in ganzseitigen Abbildungen vorgestellt. Außerdem punktet der Katalog mit einer ausgezeichneten Papier- und Druckqualität.