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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 98 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2024
Und alle so still
Fallwickl, Mareike

Und alle so still


ausgezeichnet

Die Frauen legen sich hin, auf die Straße, vor Krankenhäuser, Kindergärten, und stehen nicht mehr auf. Sie hören auf mit der Carearbeit, mit den selbstverständlich von Frauen ausgeführten Tätigkeiten, ohne laut zu werden oder Forderungen zu stellen - einfach, weil sie nicht mehr können.
So lernt Elin ihre Großmutter kennen und erfährt zum ersten Mal Solidarität unter Frauen. Ihre Tante Ruth wäre gern dabei, würde sich am liebsten dazulegen, aber als Pflegefachkraft im Krankenhaus wird sie nun noch mehr gebraucht als vorher, um das kollabierende System irgendwie aufrecht zu erhalten, und ohne Rücksicht auf sich selbst. Und da ist Nuri, gefangen am Existenzminimum und unter der toxischen Männlichkeit leidend, stellt er sich als Mann hinter die Frauen.
Mareike Fallwickl hat mit „Und alle so still“ den Roman unserer Zeit geschrieben. Sie drückt auf die blauen Flecken, die den Frauen immer wieder zugefügt werden, durch Druck, durch Erwartung, durch Gewalt. Sie schreibt über die Themen, die wenig Öffentlichkeit bekommen oder einfach nicht berücksichtigt werden; die abgewunken und mundtot gemacht werden, weil es doch läuft.
Mit „Die Wut, die bleibt“ hat sie 2022 einen famosen Auftakt geliefert, „Und alle so still“ ist die Ergänzung. Die beiden Romane greifen ineinander, bestehen aber auch eigenständig. Und es ist bemerkenswert, wie sehr sich Mareike Fallwickl von Roman zu Roman steigert. Etwas, was unmöglich scheint, denn ihr Niveau und ihr Handwerk sind bereits on top, wie kann sie da immer noch besser werden? Mit Elin, Ruth und Nuri erzählt sie eine Geschichte, die so tief berührt, dass unweigerlich Tränen fließen, und ist nicht so weit entfernt von unserer Lebensrealität, wie manche glauben mögen.
Mareike Fallwickl ist eine Meisterin der zeitgenössischen Literatur und nicht nur schriftstellerisch ein absolutes Vorbild. Ich hoffe, sie selbst, ihre Worte und ihre Werke, bekommen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

Bewertung vom 15.04.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


ausgezeichnet

Marlene arbeitet den Sommer über auf der nordfriesischen Insel Strand als Verkäuferin. Dort wird sie in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt, denn im Dorf dürfen die Angestellten nur im Kostüm herumlaufen. Alles ist auf alt getrimmt und sie pendelt zwischen früher und heute, so wie durch das Leben nach dem Studium. Als sie Janne kennenlernt, verändert sich ihre Sicht auf sich selbst und auf die Liebe, doch dann merkt sie, dass Strand keine normale Insel ist.
„Leute von Früher“ von Kristin Höller hat mich absolut begeistert. Anfangs, wenn Marlene von der Fähre steigt, ahnt man noch nichts von der Sogwirkung, die sich ganz schnell einstellt und die einen auf Strand festhält. Dabei fällt es mir schwer, genau zu benennen, woran es liegt. Vielleicht an der Gradlinigkeit von Kristina Höllers Erzählstil; vielleicht an Marlene selbst, die Ecken und Kanten hat und dadurch als Figur so rund ist; vielleicht, weil gleichzeitig so viel und so wenig passiert. Marlene ist in einer Zwischenphase des Lebens und flüchtet, was nur halb gelingt. Sie meint zu wissen, wer sie ist, erkennt aber schnell, dass es nicht so ist. Nämlich als Janne in ihr Leben tritt, womit sich eine Liebesgeschichte entspinnt, die zart ist und doch solide scheint. Liebe spielt eine große Rolle und Beziehungen, in ihren unterschiedlichsten Formen, aber auch die Frage nach dem eigenen Leben, nach den eigenen Wünschen. Das alles steht zwischen den Zeilen, trägt Marlene in sich, schwingt ganz nebenbei mit, zusätzlich zu der vordergründigen Geschichte mit Janne.
Dann kam das Ende und wie bei offenen Enden habe ich erst gestutzt und dann erkannt, dass es einfach perfekt ist. Kristina Höllers Stil ist besonders, nicht poetisch, aber unheimlich nahbar. Er ist klar und enthält doch Raum für Interpretation.
Ein wirklich toller Roman von einer Autorin, die ich zukünftig im Blick behalten werde.

Bewertung vom 14.04.2024
Alles gut
Rabess, Cecilia

Alles gut


sehr gut

Jess tritt ihren neuen Job an der Wall Street an und begegnet Josh, mit dem sie schon an der Uni aneckte. Es treffen zwei Welten aufeinander: die Schwarze Jess, die zwar Geld verdienen möchte, aber eher liberal eingestellt ist und der Weiße Josh, der nicht nur Republikaner ist, sondern seine Augen vor Ungleichbehandlung gerne verschließt. Immer wieder geraten sie aneinander, diskutieren, streiten, doch finden auch Gemeinsamkeiten und profitieren vom Gegenüber, besonders Jess. Sie werden Freunde und irgendwann mehr, leichter wird ihr Miteinander dadurch aber nicht.
„Alles gut“ von Cecilia Rabess hat eine wichtige Botschaft: Glücklich sein vor Recht behalten. Sie zeigt mit ihrem Debüt, wie sehr sich ein Paar aufreiben kann, wenn es konträre Sichtweisen hat. Allerdings konnte mich die Erzählweise nicht vollends überzeugen. Erst hat es lange gedauert bis es wirklich los geht und nach einer kurzen Hochphase, dümpelt es dann wieder bergab, bis zum Ende, was ich eher als mau empfunden habe.
Dass Cecilia Rabess einen Fuß in der Finanzwelt hat und sehr intelligent ist, merkt man an dem Infodump, den sie stellenweise einfließen lässt und was zu manchen Längen beiträgt. Und so ganz kann ich Jess und Josh auch nicht verstehen. Jess hat mich zusehends genervt, weil sie manchmal selbst nicht so recht wusste, worauf sie hinauswollte und Josh, weil ich seine Ansichten nicht teile und er für mich auch nach Beenden des Buches ein Rätsel bleibt.
Sprachlich hat es einiges zu bieten, es gab Metaphern, die mich überrascht haben und im Mittelteil konnte ich den Roman nicht zur Seite legen, aber davor und danach hätte man, meiner Meinung nach, vieles streichen können.
Trotz aller Kritik hat es mir einen weiteren Einblick in das Leben von PoCs in den USA geschenkt und wie sehr das Land vom Kapitalismus durchsetzt ist, während an anderer Front dagegen angekämpft wird.

Bewertung vom 08.04.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

Mark Twains Huckleberry Finn erzählt aus der Perspektive des Sklaven Jim - so könnte man „James“ von Percival Everett in einem Satz zusammenfassen, doch gerecht würde es dieser Neuerzählung des Klassikers nicht werden. Ich gebe zu, ich habe Mark Twain nicht gelesen, kann also keinen Vergleich ziehen, allerdings handelt es sich bei diesem Roman keineswegs um ein Abenteuerbuch für Kinder.
Kurz zum Inhalt: Als Jim nach New Orleans verkauft und somit von seiner Frau und seiner Tochter getrennt werden soll, flieht er. Dabei trifft er Huckleberry, der von seinem gewalttätigen Vater geflohen ist. Sie versuchen, sich zusammen durchzuschlagen, werden getrennt, finden sich wieder.
Jim schildert sehr eindrücklich, was ihm als Sklave von seinen Weißen Massas angetan wird. Er wird behandelt wie ein Gegenstand, wie ein Tier, wie Sklaven nun mal behandelt worden sind. Jegliche Menschlichkeit, selbst Schmerzempfinden wurde ihnen abgesprochen. Zu sagen, dass sie ausgebeutet wurden, ist zu schwach für das Leid, das ihnen von den Weißen zugefügt wurde.
Percival Everett schafft es, diese Grausamkeiten so zu verpacken, dass es gerade so erträglich ist und spickt die Begebenheiten mit Humor, was eigentlich unvorstellbar scheint, ihm aber sehr gut gelingt. Die Dummheit liegt dabei bei den Weißen, die denken, sie wären die Schlauen. Sie erkennen nicht, dass die Sklaven nur so tun, als seien sie einfältig, weil sie sonst mit Strafen oder sogar dem Tod rechnen müssen. Widerworte, Nachfragen, selbst Blicke sind gefährlich.
Jim macht eine tiefgreifende Veränderung durch. Anfangs ist er vorsichtig, zurückhaltend, aber im Verlauf hat er immer weniger zu verlieren und in ihm erwacht ein Zorn, der nur allzu menschlich ist in dieser Ungerechtigkeit.
„James“ ist ein Roman, der unbedingt neben Huckleberry Finn als Schullektüre stehen sollte, denn wir müssen endlich die Stimme derer hören, die so lange zum Schweigen gebracht wurden. Ein absolutes Muss für jede*n, die*der sich mit amerikanischer Geschichte auseinandersetzen will.

Bewertung vom 01.04.2024
Sieben Sekunden Luft
Milsch, Luca Mael

Sieben Sekunden Luft


ausgezeichnet

Selah hat sich verloren, eigentlich hat Selah sich noch nie gehabt. Früher hat ihre Mutter ihr alles vorgegeben, dann die Gesellschaft und irgendwann konnte sie nicht mehr. Selah ist aus- und aufgebrochen, um sich selbst zu finden, und tat sich trotzdem schwer damit. Als endlich ein Licht mit Namen Ava zu sehen ist, wird Selah wieder zurückgerissen, denn erneut fordert die Mutter die Aufmerksamkeit.
„Sieben Sekunden Luft“ von Luca Mael Miltsch gehört zu den intensivsten Romanen, die ich jemals gelesen habe. Selahs Geschichte wird zu verschiedenen Zeiten erzählt: 1995, 2006, 2017 und 2023. Jede Zeit hat die passende Perspektive, dahingehend, wie nah Selah sich selbst ist, was sehr spannend ist und den Zugang zu Selah verstärkt, das Leid noch ein Stück greifbarer macht.
Sie merkt schon früh, dass sie nicht in die festgefahrenen Rollenbilder passt, kann dies aber nicht einordnen und wird damit auch noch komplett alleingelassen. Sie versucht, ihren Schmerz zu betäuben, was so atemlos, so intensiv beschrieben wird, dass es mich japsen ließ. Erst spät erkennt Selah, dass sie sich keinem Geschlecht zugehörig fühlt und es kostet nochmal Zeit, es richtig zu begreifen. Über allem schwebt die Mutter, die mich wahnsinnig wütend gemacht hat, denn auch wenn sie es schwer hatte, Selah konnte am wenigstens dafür und ich hätte mir einen richtigen Befreiungsschlag gewünscht, aber Mutter-Kind-Beziehungen sind nie leicht und im Nachhinein hat Selah genauso gehandelt, wie es zur Figur passt.
Luca Mael Miltsch hat ein wahnsinnig eindringliches und sprachlich hervorragendes Debüt abgeliefert, was herausfordernd ist, aber auch den Blick öffnet. Luca schreibt über etwas, was nicht beschrieben werden kann und aus vielerlei Gründen am Puls der Zeit ist.

Bewertung vom 22.03.2024
Issa
Mahn, Mirrianne

Issa


ausgezeichnet

Issa ist schwanger und weiß nicht, was sie tun soll. Sich selbst darüber klar zu werden, ist schwierig, wenn man von allen Seiten Meinungen aufgedrückt bekommt. Also flieht sie in ihr Geburtsland Kamerun und widmet sich dort längst überfälligen Ritualen, die sie zur Erwachsenen und Mutter machen sollen.
Das ist nur ein Erzählstrang von „Issa“ von Mirrianne Mahn. Nicht nur Issas Geschichte wird erzählt, sondern auch die ihrer Vorfahrinnen, angefangen bei Ururgroßmutter Enanga, die von einem Deutschen vergewaltigt wurde, wodurch Marijoh gezeugt wird, die eine zentrale Rolle im Buch und in Issa Leben spielt, und zu meiner liebsten Figur geworden ist. Auch Issas Mutter und Großmutter bekommen eigene Kapitel, die sich traurigerweise alle ähneln.
Im Mittelpunkt stehen die Frau aus Kamerun, die durch die Gemeinschaft untereinander, sei es nun zwischen Müttern und Töchtern, Schwestern oder Ehefrauen (denn dort ist die Vielehe ein Zeichen von Macht und Reichtum) Halt finden und sie die Grausamkeiten überstehen lassen. Auch das sich fremd fühlen, spielt eine große Rolle, denn Issa ist zwar in Kamerun geboren, aber früh mit ihrer Mutter nach Deutschland gezogen und eckt in beiden Ländern an.
Der Roman ist auf vielfältige Weise wundervoll. Er gibt Einblicke, auch historische, in das Leben Schwarzer Frauen in Kamerun, wo die patriarchalen Strukturen noch mal anders greifen. Er zeigt, was Europa, speziell Deutschland mit der Kolonialisierung getan hat, was wir niemals vergessen sollten! Ich habe viel gelernt über die Kultur, über die Erziehung und das Mindset Schwarzer Frauen, was darauf fusst sich selbst zu schützen.
Der Wechsel der Perspektiven schenkt immer neue Sichtweisen. Mirrianne Mahns Stil ist szenisch mit erläuternden Passagen, teilweise Rückblenden, was die Konturen der Geschichte noch mal verschärft und ich sehr gelungen finde.
„Issa“ hat mich in vielerlei Hinsicht berührt und das Ende ist wunderschön und traurig zugleich. Ich möchte diesen Roman wirklich allen ans Herz legen.

Bewertung vom 10.03.2024
Gestehe
Faber, Henri

Gestehe


gut

Jacket liebt das Rampenlicht und weil er vor vier Jahren durch die Blutnacht, in der er einen Organhändlerring im Alleingang ausgeschaltet und das letzte Opfer gerettet hat, zum Helden wurde, sonnt er sich bis heute in der Öffentlichkeit. Polizist ist er nur noch auf dem Papier bis er an einen Tatort stolpert, der ihm bekannt vorkommt - aus seinem Manuskript, welches eigentlich niemand kennt. Nun muss er nicht nur herausfinden, wer ihn in eine blutige Mordserie hineinziehen will, sondern auch noch seinen engagierten Kollegen Mo bremsen.
„Gestehe“ von Henri Faber hat mir am wenigstens von seinen drei Thrillern gefallen, wahrscheinlich, weil die anderen beiden mich wirklich sehr überzeugt habe. Auch hier ist der Plot durchdacht, es gibt Wendungen, falsche Spuren und Charaktere, die eine solide Entwicklung durchmachen. Doch es ist stellenweise, gerade am Anfang und am Ende langatmig. Sehr viele Informationen werden anfangs eingebracht, die später zwar wichtig werden, aber auch viel Raum einnehmen. Und dann geht es plötzlich Schlag auf Schlag, ein Showdown jagt den nächsten, bis zum großen Finale, welches ich ein bisschen übertrieben fand. Damit endet der Thriller aber nicht, sondern er plätschert noch ein wenig weiter und gibt die letzten Lösungen, allerdings sind diese für mich nicht absolut stimmig, zumindest was Mo angeht.
Gut hat mir gefallen, dass auch politische Themen wie der gegenwärtige Rassismus, speziell in Österreich thematisiert werden und wie PoC alltäglichen Anfeindungen ausgesetzt sind. Schade fand ich allerdings, dass das Wienerische nicht durch kam, immerhin spielt „Gestehe“ in Wien und Henri Faber ist gebürtiger Österreicher. Vielleicht hat er das aus Rücksicht auf die deutsche Leserschaft getan, aber ich mag solchen Lokalkolorit sehr und so hätte auch eine deutsche Stadt als Schauplatz dienen können.
Alles in allem war es spannend und ich habe es nicht zur Seite gelegt, doch an die anderen beiden Bücher kommt „Gestehe“ für mich nicht ran.

Bewertung vom 06.03.2024
Frau Putz
Hoch, Julia

Frau Putz


ausgezeichnet

Kerstin Wischnewski ist Reinigungskraft und kämpft um jeden Auftrag. Als sie einige Kund*innen von einer Kollegin übernehmen kann, ist sie erleichtert. Eine Büroetage, die immer irgendwie anders ist; ein Künstler, den sie nie zu Gesicht bekommt; eine fünf-eigentlich sechsköpfige Familie mit Drillingen und eine extravagante Villa stehen nun, zusätzlich zur dementen Frau Schmidtmeier, auf ihrem Plan. Dabei widerfährt Kerstin nicht nur allerhand Skurriles, sondern sie durchlebt auch eine Sinnkrise.
„Frau Putz“ von Julia Hoch ist ein herrlicher Abstecher in die Welt des Absurd-Normalen. Alle Begebenheiten, die Kerstin erlebt, können so passieren, auch wenn der Wunderlich-Regler hochgedreht ist. Und man darf den Roman keinesfalls darauf reduzieren, denn zwischen den Zeilen steckt so viel mehr: Care-Arbeit, die natürlich an den Frauen hängen bleibt; Geschlechterrollen; Menschen, die scheinbar alles haben, aber auch nicht glücklicher sind und der immerwährende Kampf über die Runden zu kommen in einer immer teurer werdenden Welt.
Ich bin vielleicht etwas eingenommen, denn ich kenne Julia persönlich, aber ich habe ihren Roman geliebt und verschlungen. Kerstins Leben war mir nah und auch ihre Probleme sind mir nicht fremd.
Außerdem finde ich die Botschaft des Romans unheimlich wichtig: dass wie die Menschen, die sich bereit erklären, unseren Dreck wegzumachen, die die Arbeit erledigen, die wir (meistens) nicht selbst machen wollen, mit Respekt entgegentreten, denn hinter dem Reinigungswagen steht ein Mensch. Das vermittelt Julia keineswegs mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Leichtigkeit und Witz. Sprachlich versteht sie natürlich ihr Handwerk; es macht Freude, in den Text einzutauchen und irgendwann, nach Luft schnappend, wieder aufzutauchen.
Wirklich eine Herzensempfehlung.

Bewertung vom 29.02.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


gut

Inishmore ist eine irische Insel mit gerade mal 900 Einwohner*innen, die Zugezogenen mehr als nur Skepsis entgegenbringen. Das bekommt auch Cara zu spüren, die dort bereits seit über 10 Jahren Polizistin ist. Auch wenn sie einen von der Insel geheiratet hat und dank ihrer Oma jede Sommerferien auf Inishmore verbracht hat, verstummen die Insulaner, sobald sie den Pub betritt. Als sich der Todestag ihres Mannes zum zehnten Mal jährt, möchte die alte Clique diesen gemeinsam bestreiten. Zwar leben Cara, Maura und Daithi immer noch auf Inishmore, aber Seamus, Sorcha und Ferdy waren schon lange nicht mehr in ihrer alten Heimat. Doch das Wiedersehen verläuft anders als erwartet.
„Schneesturm“ von Tríona Walsh ist eher Krimi als Thriller. Am Anfang steht ein Mord, wir kennen alle Beteiligten, jede*r hat Dreck am Stecken und rätseln mit. Leider finde ich es nicht ideal umgesetzt. Cara, die zwar Polizistin ist, hat offensichtlich keine Ahnung von Ermittlungsarbeit und stolpert durch den Schneesturm, der die Insel von der Außenwelt abgeschnitten hat. Jede*r der Freund*innen hat etwas zu verbergen, sogar sie selbst und sie tappt lange im Dunkeln, bis sich alles mit einem überlauten Knall auflöst.
Ich hab schwer in das Buch gefunden, schon am Anfang fand ich vieles unlogisch und nach der Auflösung fühle ich mich veräppelt, um es noch nett auszudrücken. Die Motive sind sehr komplex, alles scheint sich zu verheddern, aber nicht auf die gute Art.
Sprachlich fand ich es ebenfalls nicht überragend. Es war langatmig und vieles, was ich als Leserin so verstanden habe, wurde unnötigerweise nochmal erzählt. Es gab Lichtblicke und ich wollte wissen, wie die Auflösung ist, deswegen bin ich dran geblieben.
Alles in allem gibt es bessere Thriller, die spannender geschrieben und durchdachte konstruiert sind. Schade, denn Potenzial war erkennbar.

Bewertung vom 19.02.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


ausgezeichnet

Jirka kehrt auf den Hof zurück, wo er die ersten 14 Jahre seines Lebens verbracht hat. Der Ort, der eigentlich Heimat bedeutet, hält für ihn nur schlechte Erinnerung und Schmerz bereit. Diese hat er tief in sich vergraben, doch jetzt drücken sie sich an die Oberfläche. Während er versuch, die Beziehung zu seiner Schwester Malene zu kitten; herauszufinden, wo sein verschwundener Vater ist und wie er zu Familienfreund Leander steht, muss er immer wieder mit der Vergangenheit kämpfen, die hier übermächtig ist.
Auf „Krummes Holz“ von Julja Linhof freute ich mich schon lange. Ich habe verfolgt, wie die ersten Stimmen es gelobt haben und immer öfter das wunderschöne Cover aufgetaucht ist. Ich habe diesem Roman entgegengefiebert und wurde nicht enttäuscht.
Der Ich-Erzähler Jirka ist so nah, erzählt so ungefiltert, dass man sich seinen Emotionen nicht entziehen kann. Mit wenigen, gezielten Worten lässt Julja Linhof Szenarien entstehen, deutet manchmal auch nur an und doch gingen es mir so nah, dass ich das Buch öfter mal zur Seite legen musste. Der Hof, der eine eigene Welt ist, abgeschottet vom Außen, zeigt Jirka immer wieder Grenzen auf, die er glaubte, überwunden zu haben. Hinter jeder Ecke, in jedem Schatten lauert die Vergangenheit, um ihn umzuwerfen und unter sich zu begraben.
„Krummes Holz“ ist ein beeindruckendes Debüt. Sprachlich ist es gewaltig. Würde ich in meinen Büchern Anstreichungen machen, wäre jeder zweite Satz markiert und gerade die Sprache, die gefüllt ist mit Bildern, macht diesen Roman so schmerzhaft und herausfordernd. Ich konnte mich dem nicht entziehen. Nach jedem Zuklappen hallte es noch nach.
Wer einen Feelgoodroman erwartet, ist hier falsch. „Krummes Holz“ ist keine leichte Kost, kein Roman für zwischendurch. Man muss sich darauf einlassen und ich werde es definitiv ein zweites Mal lesen.
Julja Linhofs Debüt zählt bereits jetzt zu meinen Jahreshighlights.