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sleepwalker

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Insgesamt 527 Bewertungen
Bewertung vom 03.09.2025
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlassen / Mörderisches Island Bd.4


ausgezeichnet

Da ich die anderen drei Island-Krimis von Eva Björg Ægisdóttir gelesen hatte, habe ich mich auf „Verlassen“ sehr gefreut. Tatsächlich hat mich das Buch nach wenigen Seiten so in seinen Bann gezogen, dass ich es in einem Rutsch durchgelesen habe. Für mich war es ein überaus spannender und clever aufgebauter Krimi. Wer allerdings eine Fortsetzung der Reihe mit Kriminalkommissarin Elma erwartet, wird enttäuscht sein – „Verlassen“ ist streng genommen ein „Prequel“ zur Serie, keine Fortsetzung.
Aber von vorn.
Die Familie Snæberg ist reich und mächtig und sie ist in ganz Island bekannt. Ihr Firmenimperium macht jedes Jahr einen Milliardenumsatz und einige der Familienmitglieder sind in den sozialen Medien sehr aktiv. Anlässlich des 100. Geburtstags des allerdings schon verstorbenen Patriarchen und Firmengründers Ingólfur Snæberg, trifft sich die Familie in einem exklusiven „Smart-Hotel“ auf der Halbinsel Snæfellsnes, mitten in den westisländischen Lavafeldern. Es wird ein typisches Familientreffen mit Streitereien, Drogen, Eifersüchteleien und viel zu viel Alkohol. Außerdem bestimmen dunkle Geheimnisse schnell die Stimmung zwischen den Familienmitgliedern und schon kurz nach der Ankunft zeigt sich, dass die Familie nicht wirklich harmonisch ist und überhaupt nichts so ist, wie es scheint. Als eine junge Frau verschwindet, bricht Chaos aus. Dann wird auch noch eine 14-Jährige vermisst. Gibt es einen Zusammenhang? Plötzlich herrscht zwischen allen Anwesenden ein spürbares Misstrauen und die Ermittler Sævar und Hörður von der Polizei in Akranes haben alle Hände voll zu tun, Licht ins Dunkel der Ermittlungen zu bringen.
Ich hatte bei diesem Buch den Fehler gemacht, die zahlreichen Rezensionen vorher zu lesen. Daher bin ich mit einem für mich völlig untypischen Misstrauen an die Lektüre herangegangen. Allerdings hat „Verlassen“ mich nach wenigen Seiten wirklich gefesselt. Es gibt mehrere Handlungsstränge, die Autorin erzählt sowohl aus unterschiedlichen Perspektiven als auch in verschiedenen Zeit-Ebenen. Die Erzählstränge von Petra und Lea Snæberg (die beiden sind Mutter und Tochter), Tryggvi (er ist der Lebensgefährte einer der Familienmitglieder und als einziger kein Teil des Imperiums, da er als Schreiner arbeitet) und der Hotelangestellten Irma sind jeweils in der Ich-Perspektive erzählt, während der Strang rund um Sævar, den Kriminalpolizisten aus Akranes einen externen Erzähler hat.
Das Buch umfasst einen kurzen Zeitraum von drei Tagen, es spielt sich zwischen dem 3. und dem 5. November 2017 ab. Es ist unblutig erzählt und kommt gänzlich ohne derbe Sprache aus, daher fand ich es sehr angenehm zu lesen. Die Kapitel sind überwiegend kurz und so gut wie jedes endet mit einem Cliffhanger. Die Leserschaft weiß zwar nach einer Weile, dass Sævar und Hörður in einem Tötungsdelikt ermitteln, man hat aber keine Ahnung, wer überhaupt das Opfer ist. Wie von der Autorin gewohnt, gibt es auch in „Verlassen“ eine große Anzahl an Charakteren, die sie ausführlich beschreibt. Der Stammbaum am Anfang des Buchs war dabei eine große Hilfe.
Der Spannungsbogen ist schwer zu beschreiben. Ich hatte von der ersten Seite an ein ungutes Gefühl im Magen, so wirklich spannend fand ich das Buch allerdings nicht, die Spannung kam mehr unterschwellig zum Tragen. Die vielen Geheimnisse aller Beteiligter, die so viele Fragen aufwerfen – mir hat das wirklich gefallen und die psychologische Komponente konnte mich begeistern. Die verkorkste Familie, die nur aus Egoisten und Egozentrikern zu bestehen scheint, ich fühlte mich wie am 80. Geburtstag meiner Oma. Am Beispiel der 14jährigen Lea zeigt die Autorin die Gefahren auf, die die Nutzung speziell von social Media-Plattformen mit sich bringen kann. Auch wenn Lea sich auf der sicheren Seite wähnt, ist das Erkennen von fake Profilen nicht leicht und hinter manchen vermeintlich trostspendenden Accounts steckt jemand ganz anderes.
Etwas ganz Anderes verbarg sich für mich auch hinter dem Buch, etwas, das ich ganz und gar nicht erwartet hatte. Der Titel „Verlassen“ reiht sich so schön in die Reihe aus „Verschwiegen“, „Verloren“ und „Verborgen“ ein und doch ist das Buch ganz anders. Dennoch war es für mich ein Volltreffer, ich freue mich jetzt schon auf „Verschworen“ und ich vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 03.09.2025
Suchanek, Andreas

Magic Island - Ruf der Seelentiere (Magic Island, Bd. 1) (eBook, ePUB)


sehr gut

Als großer Fan der „Flüsterwald“-Serie von Andreas Suchanek bin ich natürlich auch immer gespannt auf seine anderen Werke. „Magic Island - Ruf der Seelentiere“ ist der Auftakt zu einer neuen Serie. Obwohl mir das Buch gut gefallen hat, habe ich das Gefühl, dass es mit ihr ist wie mit einem Paar neuer Laufschuhe. Sowohl der Autor als auch ich müssen die neue Reihe ein bisschen „einlaufen“, um es uns in ihr so richtig bequem machen zu können. Fazit für mich daher: es ist noch Luft nach oben.
Aber von vorn.
Julian ist 15 Jahre alt und momentan gibt es in seinem Leben nichts Wichtigeres als Hunde. Er hat ein Aggressionsproblem, seine Wut kann er, vor allem, wenn es um Tiere geht, nicht immer kontrollieren. Daher hilft er in seiner Freizeit bei der Tierrettung aus, wobei er „Freizeit“ dabei sehr großzügig definiert. Schule und Hausaufgaben werden von ihm auf jeden Fall gern vernachlässigt. An einem Morgen, an dem er ohnehin schon zu spät für die erste Unterrichtsstunde in Richtung Schule unterwegs ist, wird er von einer Litfaßsäule in Berlin angesaugt und auf der unbewohnten Insel Elenum wieder ausgespuckt. Und nicht nur das. Durch ein Amulett, das auf magische Weise am Vorabend in seinem Zimmer aufgetaucht war, kann er sein Seelenschattentier wecken, welches natürlich ein Hund ist. Zusammen mit dem Husky Askan trifft er auf weitere Jugendliche aus der Menschenwelt, die ebenfalls auf die Insel „gesaugt“ wurden. Aiko aus Japan mit ihrem Drachen Timur, Kiano aus Ghana mit seinem Falken Azul und Cally aus New York machen sich mit Julian auf die Mission, die die Insel retten soll. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn das Böse ist den Helden immer einen kleinen Schritt voraus. Und es weiß über ihre Taten bestens Bescheid.
Ich mag die Bücher von Andreas Suchanek sehr, sowohl seine Bücher für Kinder und Teenager als auch seine Krimis. „Ruf der Seelentiere“ ist das erste seiner Werke, das mich nicht vom Fleck weg begeistert, eventuell bin ich inzwischen für Bücher dieser Art schlicht zu alt. Die Geschichte ist spannend erzählt, in sich stimmig und es fehlt auch nicht an Magie. Auch der starke Focus auf Freundschaft, Vertrauen und Zusammenarbeit ist schön zu lesen, das bin ich vom Autor aus seinen anderen Büchern so gewohnt. Der Spannungsbogen ist stellenweise sehr hoch und wird zunehmend höher, je mehr die Helden wissen, worum es geht und was überhaupt ihre Mission ist.
Was ich aber wirklich gewöhnungsbedürftig finde (und was mir das Gefühl gibt, echt zu alt für dieses Buch zu sein) ist die Sprache, derer sich Andreas Suchanek bedient. Zwar stellen alle Protagonisten schnell fest, dass sie und die Seelenschattentiere die Sprache der jeweils anderen problemlos sprechen und verstehen und trotzdem schreibt er in einer Form von „Denglisch“, die zwar modern sein mag, aber für mich unangenehm zu lesen ist. „»Ist Milo dein Boyfriend?«, fragte Cally.“, ist ein Beispiel neben der Verwendung von Worten wie „nice“ oder „cute“ und an einer Stelle ist ein kompletter Absatz auf Englisch. Natürlich weiß ich, was es heißt, und ich weiß auch, dass „die Jugend“ heute so spricht. Aber trotzdem frage ich mich: Muss das sein?
Für mich hat das Buch dadurch leider sehr viel an seinem Reiz verloren. Schade drum, denn es gab sehr viel Potential, das der Autor auch noch nicht voll ausgeschöpft hat. Die vier Jugendlichen, die als gemeinsamen Nenner ihre Probleme mit den Eltern haben, denen immer wieder ihre Schwächen klargemacht werden und sie lange brauchen, um zu erkennen, dass in ihren Schwächen auch Stärke liegen kann – das ist doch vermutlich etwas, womit sich jeder identifizieren kann. Das Drumherum mit einer geheimnisvollen Insel, einer Unbekannten, die vor 20 Jahren die Artefakte auf die Reise geschickt hat, die nun die Jugendlichen auf die Insel bringt, Magie, Verfolgungsjagden und der immerwährende Kampf Gut gegen Böse ist natürlich etwas, das man schon Hunderte Male so oder ein bisschen anders gelesen hat. Manche Dinge erinnern sogar extrem an andere Bücher, welche, kann ich hier aus Spoiler-Gründen nicht schreiben.
Ich fand das Buch spannend, trotz der sprachlichen Abzüge flüssig zu lesen und fantasievoll und liebevoll ausgestaltet. Von mir gibt es, wegen der für mich allzu „freshen“ Sprache und weil nicht alles hundertprozentig ausgegoren ist, vier Sterne.

Bewertung vom 25.08.2025
Follett, Ken

Eisfieber


ausgezeichnet

Es ist schon eine Weile her, dass ich Ken Folletts „Eisfieber“ gelesen habe. Als ich aber festgestellt habe, dass es schon über 20 Jahre sind, musste ich erst einmal tief durchatmen. Jetzt habe ich das Buch in der Neuauflage noch einmal gelesen. Ein spannendes und durch die Covid-Pandemie gruselig aktuelles Krimi-Element trifft auf Familientragik und eine Liebesgeschichte. Für mich hat das Buch in den 20 Jahren nichts an der Spannung verloren.
Aber von vorn.
Stanley Oxenford, Chef der schottischen Pharmafirma Oxenford Medical, plant für die Weihnachtsfeiertage ein Familientreffen in seinem Anwesen Steepfall. Die beiden Töchter des verwitweten Patriarchen samt Partner und Kindern haben zugesagt, und überraschend hat auch Sohn Kit sein Kommen angekündigt. Kit verfolgt allerdings ein ganz eigenes Ziel mit seiner Anwesenheit. Er ist das schwarze Schaf der Familie, der studierte Informatiker war vom eigenen Vater wegen Diebstahls aus der Firma geworfen worden. Jetzt hat der Junior Spielschulden in schwindelerregender Höhe, die er dringend begleichen muss. Parallel dazu bricht im Firmensitz von Oxenford Medical Panik aus. Die Firma hat sich auf die Herstellung von Impfstoffen spezialisiert und bei einer Bestandskontrolle wird das Fehlen von zwei Proben eines experimentellen antiviralen Medikaments festgestellt. Ein Laborant, der außer den beiden Proben auch eines der Versuchstiere aus dem BSL4-Labor (Labor mit der höchsten Sicherheitsstufe) entwendet hat, wird mit schweren Blutungen in seinem Gartenschuppen aufgefunden, kurz danach stirbt er. Offensichtlich hatte er sich bei dem Versuchstier mit Medoba-2 angesteckt, einem Virus aus der Ebola-Familie. Die Infektion mit diesem Virus verläuft zu 100 Prozent tödlich. Für Antonia „Toni“ Gallo, ehemalige Polizistin und jetzt Sicherheitschefin der Firma, rücken ruhige Weihnachten mit ihrer Mutter in weite Ferne. Die Firma hat sich vom Aufruhr wegen des toten Laboranten noch nicht erholt, als vier Kriminelle eindringen und das tödliche Virus stehlen. Tonis Jagd auf die Diebe wird durch einen Schneesturm enorm erschwert, deren Flucht verläuft aber ebenfalls anders als geplant und so treffen sich alle Beteiligten in Steepfall.
„Eisfieber“ ist ein dicht gepackter spannender Krimi. Die Handlung erstreckt sich über knapp drei Tage, wodurch nur wenig Leerlauf entsteht. Erzählt wird die Geschichte in drei Handlungssträngen: aus Sicht von Toni Gallo, aus Sicht der Oxenford-Familie und aus Sicht der Gangster. Nach einer Weile werden die Erzählstränge zusammengefügt. Sprachlich ließ das Buch sich, wie ich von Ken Follett gewohnt bin, gut und flott lesen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, vor allem die „Bösen“ finde ich sehr bildhaft dargestellt. Sowohl die Krimi-Aspekte als auch die Familienstreitigkeiten finde ich sehr realistisch erzählt. Allerdings bedient Ken Follett vielleicht ein bisschen zu viele Klischees. Junge, hübsche Frau mit Durchblick muss sich gegenüber weißen, cis-heteronormativen Machos beweisen und an mehreren Fronten kämpfen (sie muss sich überraschend über die Feiertage um ihre Mutter kümmern, es gibt Ärger mit dem ex-Freund und sie wird von einem Journalisten verfolgt), dazu kommt ein älterer reicher Witwer mit erwachsenen Kindern, die hauptsächlich Angst um ihr Erbe haben. Auf der anderen Seite sind skrupellose und brutale Kriminelle und das Mastermind, das hinter ihnen steht und das alles spielt sich in einer durch den Schneesturm ziemlich klaustrophobischen Atmosphäre ab.
Der Spannungsbogen wird von der ersten Seite an kontinuierlich aufgebaut, er ist überwiegend sehr hoch, nur bei den Ausflügen ins Privatleben der Protagonisten flacht er etwas ab, was ich aber manchmal als willkommene Verschnaufpause gesehen habe. Der Schluss kam hingegen für mich ein bisschen sehr abrupt. Trotz aller Spannung und einigen blutigen Szenen schafft Ken Follett es aber sogar, ab und an etwas Humor einzubauen. Ich fand das Buch auf jeden Fall auch beim zweiten Lesen spannend und ich habe die Lektüre genossen, von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 25.08.2025
Johannsen, Anna

Nach dem Leben


sehr gut

„Nach dem Leben“ ist der neue Krimi von Anna Johannsen aus der „Hanna Will & Jan de Bruyn“-Reihe. Ich verfolge die Serie seit dem ersten Teil und habe die Charaktere nach einigen Anfangsschwierigkeiten inzwischen ins Herz geschlossen. Dennoch bin ich mit dem vierten Buch etwas uneins. Zwar ist es ein solider Krimi aber die zwischenmenschliche Komponente nimmt für mich ein bisschen zu viel Raum ein.
Aber von vorn.
Der 75-jährige Helmut Gepken wird vom Postboten tot in seinem Haus in Damme gefunden. Er ist seit 15 Jahren geschieden und lebte allein auf dem platten Land. Zuerst sah es aus, als wäre er eines natürlichen Todes gestorben, die Obduktion ergibt aber, dass er an einer Hypoglykämie gestorben ist, ausgelöst durch eine Überdosis Insulin. Schon allein die Tatsache, dass ihm das Insulin in beide Brustwarzenhöfe injiziert wurde, macht klar, dass es sich um Mord handeln muss. Der Tote hinterlässt eine ex-Frau und einen Sohn, mit dem er nur sehr wenig Kontakt hatte. Schnell kommt ans Licht, dass er seit einiger Zeit größere Summen Geld von seinem Konto abgehoben hat. Von den insgesamt über hundertsechzigtausend Euro fehlt jede Spur. Wurde der Senior Opfer eines „Enkeltricks“ oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Helmut Gepken war nach seiner Scheidung zurück in das Haus gezogen, in dem er aufgewachsen ist. Viele in dem Dorf kannten ihn von früher, so erfahren die beiden LKA-Ermittler Hanna Will und Jan de Bruyn viel Interessantes. Liegt der Grund für den Mord in der Vergangenheit des Toten?
Mit dem Ermittlerteam Hanna Will und Jan de Bruyn hat Anna Johannsen ein sehr spezielles Paar erdacht. Momentan leben sie zusammen in einem Wohnmobil, unterbrochen von Hotel-Übernachtungen. Die beiden nähern sich seit dem ersten Teil der Reihe aneinander an, dann gehen sie wieder leicht auf Abstand, aber nicht so weit, dass es eine on-off-Beziehung wäre. Einigen wir uns einfach darauf: es ist kompliziert. Leidlich kompliziert ist auch der aktuelle Fall.
Es geht um sehr reale Themen, unter anderem Einsamkeit im Alter und Gauner, die gezielt älteren Menschen Geld abnehmen, dazu kommen Erpressung, Gerüchteküche in Dörfern und die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen. Alles in allem bietet der Krimi also einen vielfältigen Mix. Sprachlich ist er, wie ich von der Autorin gewohnt bin, gut geschrieben und flott zu lesen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, bei den Protagonisten Hanna und Jan ist die Entwicklung seit dem ersten Teil der Reihe erkennbar und auch die anderen Beteiligten kann man sich gut vorstellen. Schön fand ich auch, dass im Gegensatz zu vielen anderen Krimis die externen Ermittler von den örtlichen Kollegen willkommen geheißen werden und ihre Arbeit wertgeschätzt wird, auf Konkurrenzgehabe verzichtet Anna Johannsen dieses Mal komplett.
Was fehlt also an dem Buch, um es zu einer runden Sache zu machen? An manchen Stellen wirkt das Buch auf mich ein bisschen inkonsistent. Die Gedankenblitze von Jan kommen mir manchmal zu plötzlich und die Tatsache, dass er mit seiner Intuition so oft richtig liegt, mag zwar sehr kompetent aussehen, ist für mich aber oft nicht ganz plausibel. Manche Ansätze sind ebenso wenig ausgegoren und dennoch führen sie meistens zum richtigen Ergebnis, mir fehlten manchmal entscheidende Zwischenschritte und dadurch kam für mich auch der Schluss ein bisschen zu plötzlich.
Clever gewählt finde ich den Titel, denn er kann auf mehrere Arten gelesen werden: „Nach dem Leben“ im Sinne von „am Ende des Lebens“ oder „jemand trachtete dem Opfer nach dem Leben“. Aber noch ein Wort zur Todesursache: „Hypoglykämie oder einfach ausgedrückt Überzuckerung.“ – und das aus dem Mund der Rechtsmedizinerin! „Einfach ausgedrückt“ und dann auch noch falsch. Überzuckerung wäre Hyperglykämie.
Aber sei’s drum. Mich hat das Buch sehr gut unterhalten und es ist flott nebenher zu lesen. Von mir gibt es vier Sterne und ich freue mich auf den nächsten Teil.

Bewertung vom 25.08.2025
Zabel, Rick

On the Road


gut

„On the Road. Von der Freiheit auf dem Rennrad“ ist der Titel von Rick Zabels Buch (geschrieben in Zusammenarbeit mit Harald Braun). Ich mag Biografien und ich mag Sport. Zwar bin ich nicht unbedingt ein Radfahr-Fan, aber ich erfahre gerne mehr über die Menschen hinter den bekannten Namen. Wenn man mit 32 Jahren seine Autobiografie vorlegt, sollte man eine Menge zu erzählen haben. Und man sollte es in ansprechender Form zu Papier bringen.
Aber von vorn.
Rick Zabel hat viel zu erzählen, über Höhen in seiner Karriere und noch viel mehr über die Tiefen. Nachdem er das Fußballspielen aufgegeben hatte, machte er einige Zeit keinen Sport mehr. Ein Kommentar seiner Mutter brachte ihn dazu, mit „richtigem Radsport“ zu beginnen, denn er „war ein richtiger Pummel geworden“. Obwohl er aus einer Familie kommt, in der Radsport eine große Rolle spielte und immer noch spielt (er ist der Sohn des Radrennfahrers Erik Zabel und ein Enkel des Radrennfahrers Detlef Zabel), war es bis zu seiner Anmeldung beim RSV Unna gar nicht klar, ob er in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters treten würde. Dann aber begann er, sich für den Sport zu begeistern. Mit 13 Jahren verließ er sein Elternhaus in Kessebüren und besuchte fortan das Sportinternat in Erfurt. Nach viereinhalb Jahren verließ er Erfurt und brach die Schule in der elften Klasse mitten in einer „Mir egal“-Phase ab. Aufgrund seiner sportlichen Erfolge konnte er sich in schulischer Hinsicht erlauben, faul zu sein und hat sich „nicht wie jemand verhalten, den ich selbst gern kennengelernt hätte.“ Er kehrte in den Schoß der Familie und sein ehemaliges Kinderzimmer zurück. In den folgenden Jahre fuhr er für das Rabobank Development Team, das BMC Racing Team, Team Katusha Alpecin, Israel Start-Up Nation und Israel-Premier Tech. Er wurde als Profi nur mäßig erfolgreich, seine Laufbahn war ein stetes Auf und Ab. Er fuhr viermal den Giro d'Italia und viermal die Tour de France, stürzte oft, verletzte sich häufig und beendete die Karriere 2024 mit 31 Jahren. Jetzt ist der Vater von zwei Söhnen Rad-Influencer, Podcaster und Kommentator.
Alles in allem fand ich das Buch leider sehr mittelmäßig. Sprachlich ist es ein bisschen auf Podcast-Niveau, wobei ich seinen Podcast nicht kenne. Das Buch ist locker-flockig aus der Hüfte geschrieben und leicht zu lesen. Aber ich habe auch keine große Literatur erwartet. Was ich aber erwartet hatte, war eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Zwar schreibt Zabel ehrlich über seine eher mäßig verlaufene Karriere (in 13 Jahren als Profi ist er nie ganz vorne mitgefahren und feierte lieber, als richtig hart zu arbeiten), verliert sich ein bisschen in der Aneinanderreihung von Rennen und Platzierungen und vernachlässigt dabei meiner Meinung nach die Informationen zum Menschen Rick Zabel. Interessant fand ich seine Erzählungen über sein Verhältnis zu seinem Vater und die Schwierigkeiten, die das Tragen eines bekannten Namens mit sich bringt. Da befand er sich fast in einer No-Win-Situation. Fuhr er gut, hieß es „kein Wunder, bei dem Vater“ und fuhr er schlecht, fiel die Kritik härter aus als bei anderen. Dazu kam, dass sein Vater ein enorm hohes Maß an Trainingsfleiß und Zielstrebigkeit auszeichnet, etwas, das dem Sohn zeitweise schlicht fehlte. Informativ fand ich das Kapitel über den Umgang mit der Doping-Vergangenheit von Vater Erik und Hintergrundinformationen über Doping an sich. Leidlich interessant und informativ fand ich seine „Begriffe aus der Welt des Radsports“, allerdings gibt es ein paar davon genauso in anderen Sportarten, zum Beispiel ist mir als Läufer der „Hungerast“ (leider) sehr gut bekannt.
Einerseits schreibt Rick Zabel sehr reflektiert über seine Zeit im Profi-Radsport, seine Ehrlichkeit finde ich lobenswert. Er geht hart mit sich selbst ins Gericht, schreibt über seinen mangelnden Fleiß und Reibereien mit seinem Vater und hohen Erwartungsdruck. Egal, ob man seine Karriere als gescheitert ansieht oder es „er hat seinen Weg abseits des Sports gefunden“ - für mich ist das Buch auf jeden Fall keine wirklich gelungene Autobiografie und auch kein Buch über den Radsport und die Liebe dazu. Auch wegen der überschaubaren Seitenzahl und der fehlenden Bilder war es allenfalls eine nette Lektüre für einen verregneten Nachmittag. 2,5 Sterne, aufgerundet auf drei.

Bewertung vom 31.07.2025
Slaughter, Karin

Dunkle Sühne / North Falls Bd.1


ausgezeichnet

Bei neuen Büchern von Karin Slaughter bin ich immer der Erste, der zugreift, so auch bei ihrem neuesten Werk „Dunkle Sühne“. Als großer Fan der „Will-Trent“-Reihe bin ich bei neuen Wegen wie auch bei Stand-Alones sehr skeptisch, aber bei diesem Buch war das völlig unbegründet. „Dunkle Sühne“ ist der Beginn einer neuen Serie, die in North Falls spielen wird und der erste Teil hat mich wirklich mitgerissen. Was für ein Auftakt!
Aber von vorn.
Am 4. Juli wird in den USA nicht nur der Unabhängigkeitstag gefeiert, auch Madison Dalrymple feiert mit Vater, Stiefmutter und Halbbruder ihren 15. Geburtstag. Allerdings ist ihr nicht nach Familienidylle im Park mit städtischem Feuerwerk zumute, sie plant mit ihrer Freundin Cheyenne in zwei Monaten nach Atlanta abzuhauen, „in einer Suite im Ritz-Carlton wohnen und VIP-Tickets fürs Music Midtown-Festival bekommen, ein paar ältere Typen treffen, die mit ihnen in die angesagten Clubs gingen, und wahrscheinlich als Football-Spielerfrauen enden und in prächtigen Villen wohnen“. So der Plan, den die beiden hochpubertären und rebellischen Teenager bei einem Joint an diesem Abend besprechen wollen. Ihr Plan geht nicht auf, nach dem Feuerwerk werden von den beiden nur ihre Fahrräder gefunden (eines ist kaputt), außerdem eine große Menge Blut. Von Madison und Cheyenne fehlt aber jede Spur. Emmy Clifton ist nicht nur die Tochter des örtlichen Sheriffs Gerald Clifton und dessen Deputy, sondern auch die beste Freundin von Madisons Mutter. Sie suchen verzweifelt nach den beiden Vermissten, aber da bei Kindesentführungen die Zeitfenster sehr klein sind, in denen erwartet wird, das Opfer noch lebend zu finden, läuft ihnen die Zeit davon.
Zwölf Jahre nach der Verhaftung des Hauptverdächtigen wird dieser aus der Haft entlassen. Kurz darauf wird in North Falls wieder ein Teenager vermisst. Schnell ist klar: die vierzehnjährige Paisley Walker wurde entführt. Die Verdächtigen und die Ermittler sind dieselben. Und auch dieses Mal ist es ein Wettlauf gegen die Zeit.
Für mich war „Dunkle Sühne“ eine fast komplett runde Sache. Kritikpunkte sind die für mich manchmal nicht stimmige Wortwahl in der Übersetzung und der Titel, der irgendwie nicht passt. Sonst habe ich kaum Kritikpunkte: Setting, Charaktere, Schreibstil, Plot – da stimmt einfach alles. Die Kleinstadt-Atmosphäre wird unter anderem dadurch geprägt, dass alle miteinander verwandt zu sein scheinen, auch wenn sie untereinander zum Teil mehr oder weniger verfeindet sind. Die Geschichte an sich ist ein zwei großen Abschnitten erzählt, vor 12 Jahren und heute. Sie braucht ein bisschen, um in Fahrt zu kommen, aber nach ein paar Dutzend Seiten nimmt die Geschwindigkeit immer mehr zu. Durch die zahlreichen auch völlig unerwarteten Wendungen werden Tempo und Spannung hoch.
Was mir wirklich gut gefallen hat ist, dass die Leserschaft immer wieder auf den aktuellen Stand der Ermittlungen gebracht wird. „Was wissen wir?“ ist die Frage, die sich die Ermittler immer wieder stellen und dann folgt eine Zusammenfassung, ebenso auf die Frage „Was glauben wir zu wissen?“ So etwas war mir vorher in keinem Krimi/Thriller begegnet.
Die Charaktere sind dreidimensional und bildhaft beschrieben, jedem hat Karin Slaughter ganz eigene Merkmale mitgegeben, bei der Vielzahl der auftretenden Personen eine echte Leistung. Emmy kämpft an allen möglichen Fronten. Ihr Mann Jonah macht ihr zu schaffen, der Fall natürlich auch und sie steht immer im Schatten ihres Vaters und Vorgesetzten Gerald. Dazu wird ihre Mutter Myrna zunehmend dement. Und dann taucht auch noch Jude Archer auf, eine Kriminalpsychologin des FBI, die eine ganz eigene Verbindung zu North Falls hat.
Inhaltlich ist es ein „typischer Slaughter“, blutig und brutal, dazu gibt es Einblicke in die Abgründe menschlichen Verhaltens. Thematisch handelt der Thriller etwas ab, das nie die Aktualität verlieren wird: Mord, M***brauch, Machtm***brauch und die Naivität von Teenagern, cleverer zu sein, als alle anderen. An manchen Stellen hätte die Autorin sich ein bisschen kürzer fassen können, aber ihre Aus- und Abschweifungen und Längen bin ich gewohnt. Ebenfalls gewohnt bin ich ihre völlig überraschenden Wendungen, aber dieses Mal hat sie mich an ein paar Stellen eiskalt erwischt, auf diese Twists wäre ich im Leben nicht gekommen. Im Original heißt das Buch „We are all guilty here“ („Wir sind hier alle schuldig“) und der Titel passt hervorragend, denn in diesem Ort hat jeder irgendwelche wie auch immer geartete Geheimnisse.
Für mich war das Buch eine tolle Lektüre, ich habe mitgefiebert und mit Begeisterung mitgerätselt. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 25.07.2025
Follett, Ken

Das zweite Gedächtnis (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schon seit meiner Jugend bin ich ein Fan von Ken Follett. Auch „Das zweite Gedächtnis“ habe ich schon vor 25 Jahren kurz nach der Veröffentlichung gelesen. Obwohl ich kein übermäßig großer Freund von politischen Thrillern bin, hat das Buch mich begeistert. Es ist ein packender Thriller rund um den Start des ersten amerikanischen Satelliten am 1. Februar 1958.
Aber von vorn.
Ein Mann kommt frühmorgens auf einer Bahnhofstoilette zu sich und stellt entsetzt fest, dass er keinerlei Erinnerungen mehr hat. Von einem Obdachlosen erfährt er, dass er wohl Luke heißt, aber ansonsten weiß er weder wer er ist, wo er sich befindet oder welches Jahr man schreibt. Nach einiger Zeit merkt er, dass er über Wissen bezüglich Physik und Mathematik verfügt – aber er hat keine Ahnung, woher dieses Wissen kommt. Minutiös versucht er, das Rätsel seiner Identität zu lösen und taucht tief in einen Spionage-Sumpf rund um den Start der Explorer, die an diesem Tag den ersten Amerikanischen Satelliten ins Weltall bringen sollte. Er nicht weiß, wem er überhaupt vertrauen kann, hat keine Ahnung, wer Freund und wer Feind ist, merkt aber schnell, dass er verfolgt wird und ihm irgendjemand nach dem Leben trachtet. Aber warum? Als er für sich Licht ins Dunkel bringen kann, läuft der Countdown, sowohl für die Trägerrakete als auch für sein eigenes Leben. Die Uhr tickt und die Zeit läuft ab.
Ken Follett erzählt „Das zweite Gedächtnis“ in mehreren Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Leserschaft weiß dadurch sehr schnell sehr viel mehr als der Protagonist, da die unterschiedlichen Ebenen viel über ihn preisgeben, was er selbst sich noch zusammenreimen muss. So hat man aber auch sehr schnell eine Idee, wohin die ganze Geschichte führen wird, was meiner Spannung aber keinen Abbruch tat. Die Gegenwart erstreckt sich über einen überschaubaren Zeitraum von knapp drei Tagen. Dazu gibt es Rückblicke in die Vergangenheit, eingeschoben werden Passagen aus 1941, 1943, 1945, 1954 und den Schluss des Buchs bildet ein Epilog aus dem Jahr 1969. Die Kapitel in der Gegenwart sind mit den jeweiligen Uhrzeiten überschrieben, was der Geschichte zusätzliche Spannung verleiht, denn die Handlung ist zeitlich sehr eng getaktet. Informativ fand ich, dass am Anfang der einzelnen Kapitel kurze Hintergrundinformationen zur Raketentechnik stehen.
Das Buch hatte am Anfang ein paar kleine Längen, aber nach ein paar Dutzend Seiten hatte mich die Geschichte gepackt. Der kalte Krieg, der „Sputnik-Schock“, der Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltall und die Rolle der Geheimdienste (auch beim Einsatz experimenteller medizinischer Verfahren und Drogen bezüglich des Gedächtnisses), das „über-Leichen-Gehen“, die Verwirrung darüber, wer Freund und wer Feind ist – das alles machte für mich das Buch dann zum Page-Turner, heute genauso wie vor 25 Jahren. Spannend war es für mich auch, das Buch vor dem Hintergrund der Fortschritte in der Raketentechnologie zu lesen, ein Buch über Zeiten, in denen bemannte Raumfahrt noch Zukunftsmusik war und von der ISS und „Vergnügungsflügen“ ins All allerhöchstens geträumt werden konnte. Für mich ein Anlass, darüber nachzudenken, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat (positiv und negativ).
Die Charaktere sind überwiegend hervorragend ausgearbeitet, vor allem von den Protagonisten bekommt man ein sehr gutes Bild. Sprachlich ist es „ein echter Follett“, ein bisschen lang, ein bisschen ausschweifend, aber mit viel Sachkenntnis geschrieben, sehr spannend und sehr gut zu lesen. Da Liebesgeschichten bei ihm nicht fehlen dürfen, weist natürlich auch „Das zweite Gedächtnis“ eine solche auf (eigentlich sogar mehrere), aber der Autor schafft es, sie so einzubauen, dass sie nicht allzu klischeehaft ist und sich gut in die eigentliche Handlung einschmiegt. Leider habe ich ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehler gefunden, was ich immer sehr ärgerlich finde.
Aber abgesehen davon war die Lektüre für mich eine Freude und eine willkommene Reise in die Vergangenheit – historisch und persönlich gesehen. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 23.07.2025
Bogdahn, Martina

Mühlensommer


sehr gut

Ich bin Landkind, komme allerdings nicht von einem Bauernhof. Trotzdem habe ich vieles in Martina Bogdahns Buch „Mühlensommer“ wiedererkannt. Ich musste bei der Lektüre oft nicken, denn so war das Aufwachsen auf dem Land, inklusive der dementen Oma. Ich konnte die Streusel von Omas Apfel- und Zwetschgenkuchen schmecken und ihre Stimme beim Nachtgebet „Ich bin klein, mein Herz ist rein“ sagen hören. Für mich ein Debut-Roman, der Lust auf mehr macht.
Aber von vorn.
Die alleinerziehende Maria wollte eigentlich mit ihren beiden Teenie-Töchtern und einer befreundeten Familie als Auszeit vom stressigen Alltag in der Stadt ein entspanntes verlängertes Wochenende auf einer Berghütte verbringen. Ein Anruf ihrer Mutter stellt alles auf den Kopf. Hatten ihre Hauptprobleme vorher darin bestanden, eine Werbekampagne zu beenden, für ihre Tochter ein Ladekabel zu finden und für ihre Freunde ein absolut angesagtes Brot zu ergattern, muss sie jetzt überstürzt auf den elterlichen Bauernhof fahren. Ihr Vater hatte einen Arbeitsunfall und liegt im Krankenhaus. Die Mutter sorgt sich gleichermaßen um den verletzten Mann wie um Hof und Tiere, außerdem braucht sie Hilfe bei der Versorgung der dementen Oma. Maria war schon lange nicht mehr auf dem „Mühlenhof“, zwischen ihr, den Eltern und ihrem Bruder Thomas stehen unausgesprochene Dinge. Während das Unausgesprochene darauf wartet, ausgesprochen zu werden, prasseln auf Maria Erinnerungen. Sie denkt an Dinge wie Schweine, Schlachtungen, Herbstkatzen, Krippenspiele, Kartoffelpuffer und die Scham in der Schule, weil sie nach Schweinestall roch und ihre Klamotten keine Markenlogos hatten. Und in der Zwischenzeit möchte ihre Schwägerin aus ihrem ehemaligen Kinderzimmer einen Hot-Stone-Massageraum machen, dabei sieht da alles noch so aus, wie sie es bei ihrem Auszug zurückgelassen hat.
Erzählt wird die Geschichte etwas wirr, da die Autorin zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt. Oft wirkt das Buch auch wie eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger interessanten Anekdoten, die nicht durch einen roten Faden, sondern durch eine eher magere Rahmenhandlung zusammengehalten werden. Manche werden nicht ganz auserzählt und es bleiben ein paar lose Enden übrig. Da Martina Bogdahn selbst auf einem abgelegenen Bauernhof aufgewachsen ist, ist das Buch vermutlich autofiktional oder sogar autobiografisch. Einiges am Inhalt ist diskussionswürdig, ein paar Dinge auch moralisch zweifelhaft. Musste sie das Schicksal der Herbstkätzchen so schildern und die Schlachtung der Sau so beschreiben, wie sie es getan hat? Vermutlich fühlte es sich für sie richtig an, sonst hätte sie es nicht so geschrieben. Ja, vielleicht hätte dem Buch da eine Warnung gutgetan. Ein paar Passagen haben mich aber trotz aller Tragik schmunzeln lassen, vor allem, als Oma Maria sie ausgerechnet mit ihrem Onkel Herbert verwechselt.
Bezüglich der Charaktere ist das Buch im Gegenwarts-Erzählstrang ein bisschen schwach bestückt. Außer Marias Familie spielen fast nur ihre Freunde mit, mit denen sie das Wocheneden auf der Berghütte verbringen wollte. Die landen im Endeffekt auch auf dem Hof, scheinen dort fehl am Platz, wirken insgesamt eher oberflächlich und gingen mir ziemlich schnell auf die Nerven. Die zahlreichen Personen, die in Marias Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, sind zwar realistisch aber leider eher blass und stereotyp beschrieben. Hervorragend finde ich die Dynamiken in Dorf und Familie getroffen. Der Kontrast zwischen Stadt- und Landleben ist gut herausgearbeitet, eines ist aber auf beiden Seiten gleich: alle müssen in ihrem Alltag hart arbeiten. Maria hat, im Gegensatz zu ihrem Bruder Thomas den Absprung geschafft und das Landleben hinter sich gelassen, was er ihr zu neiden scheint. Allerdings sind ihre Wurzeln nach wie vor auf dem „Mühlenhof“ und sie scheint ihn als ihre Heimat anzusehen. „Man bekommt das Kind aus dem Dorf, aber nicht das Dorf aus dem Kind“ sagt ein Sprichwort. Und das stimmt bei Martina Bogdahn ebenso wie bei mir.
Nicht zuletzt wegen der Parallelen zwischen der Autorin und mir habe ich „Mühlensommer“ trotz seiner Schwächen sehr gern gelesen. Für mich war das Buch inhaltlich, stilistisch und auch sprachlich ein Treffer und bekommt vier Punkte.

Bewertung vom 23.07.2025
Mohlin, Peter;Nyström, Peter

Der stille Vogel / Karlstad-Krimi Bd.3


ausgezeichnet

„Der stille Vogel“ ist der dritte Teil um den ehemaligen FBI-Agenten John Adderly, geschrieben vom schwedischen Autorenduo Peter Mohlin und Peter Nyström. Da ich die anderen beiden Teile gelesen und für eher mittelmäßig befunden hatte, war ich auf dieses Buch sehr gespannt. Tatsächlich hat es mir wesentlich besser gefallen als die anderen, es war spannend und hatte nach ein paar leichten Anlaufschwierigkeiten eine Menge zu bieten.
Aber von vorn.
John Adderley aka Fredrik Adamsson arbeitet nach wie vor bei der Polizei in der schwedischen Provinz. Als ehemaliger FBI-Agent kommt ihm sein Leben im Zeugenschutz in Karlstad ein bisschen wie eine Verbannung vor. Momentan hat er allerdings einen guten Grund, seinen geplanten Umzug nach Berlin aufzuschieben: er hat Nicole, die achtjährige Tochter seines verstorbenen Bruders, bei sich aufgenommen. Als Mona, seine Kontaktperson im Zeugenschutzprogramm, plötzlich seine Chefin wird, gerät er in Zugzwang. Während eines Fußballspiels, bei dem Johns Nichte Nicole mitspielt und er zusieht, fällt ein Knochen aus einem Vogelnest. Die erste Untersuchung ergibt, dass es sich dabei um ein menschliches Schlüsselbein handelt. Im Herbst 1986 waren die Zwillinge Jens und Jonas Brodin spurlos verschwunden, Hauptverdächtiger war damals war der Vater Kenneth, da er „seltsam“ war. Er konnte aber ein wasserdichtes Alibi präsentieren und der Fall wanderte irgendwann als ungelöst zu den Akten. Jetzt holt John den Fall wieder aus der Versenkung und beginnt, in dem „Cold Case“ zu ermitteln, was eine willkommene Ablenkung zu seinem Privatleben ist. Er schafft es, Nicole bei neuen Pflegeeltern unterzubringen, dazu untersucht er das Verschwinden einer jungen Asylbewerberin, die abgeschoben werden soll. Dabei stößt er unter anderem auf Pål Kratz. Der ist nach 30 Jahren wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt und kennt alle und jeden. Kennt er auch die Lösung des Falls?
Da die Handlung in sich abgeschlossen ist und vieles aus den Vorgänger-Bänden eingeflochten ist, kann man das Buch sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen. Nachdem mich die ersten beiden Teile zwar gut unterhalten, aber nicht wirklich begeistert haben, hat der dritte Teil der Serie mich wirklich angenehm überrascht. Sprachlich ist er so gut wie die anderen, auch die Übersetzung ist sehr gut gelungen. Die Charaktere sind gut und dreidimensional beschrieben, John als Protagonist kenne ich schon seit „Der andere Sohn“ und seine Entwicklung ist spannend mitzuverfolgen. Er hat sich vom knurrigen Einzelkämpfer, der auf der Flucht vor einem nigerianischen Drogenkartell ist, zum sympathischen Ersatzvater von Nicole entwickelt. Er agiert im Beruf professionell und zielstrebig und zeigt bei einigen Gelegenheiten seine menschliche Seite. Die Charaktere neben ihm sind ebenfalls gut ausgearbeitet, fallen an seiner Seite allerdings relativ stark ab.
Die Geschichte an sich besticht durch ihre Komplexität, die zahlreichen Wendungen und die vielen Charaktere, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen. Anfangs wird sie aus mehreren Perspektiven erzählt, wodurch das Publikum einen tiefen Einblick in die Geschehnisse bekommt, aber im Unklaren bleibt, wohin die Geschichte führen wird. Zumindest hat man aber ein bisschen mehr Einblick als die Ermittler, was für mich die Spannung steigerte, zumal ich Täter-technisch mehrfach komplett auf den Holzweg geriet. Die Lösung des Falls blieb für mich dann hinter meiner eigenen Fantasie zurück und hat mich aber durchaus überrascht.
Im Kontrast zur eher lockeren Sprache bietet das Buch inhaltlich schwerere Kost. Unter anderem treffen Fremdenfeindlichkeit, schwierige Familienverhältnisse und eine Art „Querdenker“ mit Verschwörungsfantasien auf strafrechtlich relevante Delikte wie Diebstahl, Körperverletzung und Mord. Fast jeder der Charaktere hat in der Geschichte seine eigene „Leiche im Keller“ und es wird gelogen, was das Zeug hält. Für mich war „Der stille Vogel“ ein Volltreffer und ich empfehle das Buch gern jedem, der skandinavische Krimis mag. Ich freue mich auf den vierten Teil der Reihe, auf Schwedisch ist er bereits unter dem Titel „Den högra handen“ (die rechte Hand) erschienen. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 03.07.2025
Richford, Angela

Tod auf St Michael's Mount (eBook, ePUB)


weniger gut

Ich kenne sowohl Mont St. Michel als auch das englische Pendant St. Michael’s Mount, daher habe ich mich auf Angela Richfords Krimi „Tod auf St. Michael’s Mount“ sehr gefreut. Die Geschichte ist gut konstruiert, Mordermittlung trifft auf Lokalkolorit und eine Ermittlerin mit Ecken und Kanten. Was dem Buch für mich aber den Rest gegeben hat, war die Übersetzung. Da ich selbst vom Fach bin, frage ich mich, wie jemand mit einem Funken Übersetzerehre so etwas abliefern kann.
Aber von vorn.
DCI Fiona Sutherland zieht nach dem Scheitern ihrer Ehe mit ihrem Sohn Tim in den kornischen Küstenort Portreath. Kurz nachdem sie ihre Arbeit als Polizeichefin aufgenommen hat, wird in der Bucht eine Leiche angespült. Wie die Ermittlungen schnell ergeben, handelt es sich bei dem Toten um den seit rund drei Monaten vermissten Unternehmer Lionel Kellow. Der Diabetiker war zu einer Kajaktour aufgebrochen, dieses war nach einer Suchaktion herrenlos aufgefunden worden. Darin lag sein Blutzuckermessgerät, die letzte Messung zeigte einen lebensbedrohlich niedrigen Wert. Wenig überraschend ergibt die Obduktion, dass Kellow wegen Unterzuckerung ertrunken ist. In seinem Magen finden die Rechtsmediziner Reste eines Antidepressivums, das als Nebenwirkung blutzuckersenkend wirkt. Da der Mann nicht depressiv war, gab es für ihn keinen Grund, das Mittel zu nehmen und seine Witwe gerät in Verdacht, ihn ermordet zu haben. Die junge Deutsche war zweiundzwanzig Jahre jünger als der erfolgreiche Geschäftsmann und mit dem Erbe hat sie ein Motiv. Als aber die Reinigungskraft von Kellows Immobilienfirma ermordet aufgefunden wird, erweitert sich der Kreis der Verdächtigen.
Eigentlich hat das Debüt von Angela Richford alles, was ein gutes Buch braucht: Mord, Ermittlungen, Verdächtige und eine sympathische Ermittlerin. Ihre Probleme, sich in ihrem neuen Polizeirevier gegenüber den männlichen Kollegen behaupten zu können, sind sicher sehr realistisch. Auch ihr ex Mann macht ihr das Leben schwer, wobei sie ihm gegenüber bewundernswert konsequent auftritt. Ihre „innere Sekretärin“ Mrs. Jones mag als charmanter stilistischer Kniff gemeint sein – mir ging sie schnell auf die Nerven. Der Rest der Charaktere ist eher flach beschrieben, außer der Nachbarin, der Psychotherapeutin Tracey, bleiben alle ziemlich blass. Gelungen sind hingegen die Landschaftsbeschreibungen und auch die Idee hinter der Geschichte ist gut.
„Tod auf St Michael’s Mount“ ist nicht, wie auf dem Titelblatt angekündigt, ein Thriller. Das Buch ist allerhöchstens ein cosy Krimi, für mich zu cosy. Aber ich gebe zu, ich konnte mich wegen der indiskutablen Übersetzung ohnehin nur schwer auf die Geschichte konzentrieren. Ständig stolperte ich über englische Begriffe oder sogar ganze Sätze, die nicht übersetzt wurden. „A nice cup of tea“, „anyhow“ oder „pleased to meet you“ und noch eine Menge weiterer Beispiele fand ich weder charmant noch geeignet, um den englischen Lebensstil auszudrücken. Ich fand es störend und hätte mich als Übersetzer nicht getraut, einem Verlag so eine Übersetzung anzubieten. Auch umgangssprachlich-regionale Begriffe wie „perzen“ sollte man überdenken. Zwar lässt sich aus dem Zusammenhang erschließen, was gemeint ist, aber das Wort steht zum einen nicht im Duden und zum anderen hat es in unterschiedlichen Gegenden unterschiedliche Bedeutungen.
Ansonsten ist das Buch leicht zu lesen, am Schluss gibt es ein Stelldichein aller möglicher Verdächtiger, das in der Enttarnung des Täters gipfelt. Das erinnert an großartige Kriminalromane oder -filme – leider kann das vorliegende Buch da nicht mithalten. Alles in allem ist es ein guter Anfang, aber ausbaufähig. Ihren Brotjob als Ärztin sollte die Autorin besser noch nicht aufgeben. Fest steht aber, dass das Buch auf jeden Fall eine bessere Übersetzung und ein sorgfältigeres Lektorat verdient hätte, da bin ich vom Verlag „Aufbau digital“ Besseres gewohnt. Von mit zwei Sterne.