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CK
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Raum Stuttgart

Bewertungen

Insgesamt 188 Bewertungen
Bewertung vom 23.05.2025
Wir sind hier für die Stille
Riese, Dorothee

Wir sind hier für die Stille


schlecht

Schöner Titel, Schreibstil schwer zugänglich: Buch abgebrochen

„Wir sind hier für die Stille“ von Dorothee Riese - der Titel hatte mich stark angesprochen, genauso wieder Klappentext:
Es geht in diesem Roman um die fast sechsjährige Judith, die Anfang der 1990er Jahre mit ihren Eltern von Deutschland nach Rumänien auswandert, in ein abgelegenes Dorf in Transsilvanien am Rande der Karpaten. Judiths Eltern wollen, dass ihr Kind in einer ursprünglichen, vom Kapitalismus freien Gemeinschaft aufwächst. In Rumänien lernt Judith viele arme Menschen kennen, und ein Mädchen mit einer Ziege, Irina. Irina ist eine Romni.

Ich muss sagen, das war eines der wenigen Bücher, bei denen ich vorher keine Leseprobe gelesen habe, und das war ein großer Fehler. Wie gesagt, thematisch interessiert mich das sehr - aber ich fand den Schreibstil wirklich sehr schwer zugänglich. Ich fand mich in der Geschichte schwer zurecht, konnte oft die Zusammenhänge nicht sehen; die Figuren blieben für mich alle sehr gesichtslos und unnahbar.
Ich habe mich wirklich gequält mit dem Lesen – und dann nach ca. 2/3 des Buchs abgebrochen. Das kommt nicht oft vor, aber hier war mir meine Lesezeit dann doch zu schade.
Dieses Buch war trotz des an sich interessanten Themas und des sehr schönen Titels eine herbe Enttäuschung.

Bewertung vom 22.05.2025
Natürlich Maria
Groß, Maria

Natürlich Maria


gut

"Seelennahrung muss nicht zwangsläufig kompliziert sein."

Das Kochbuch „Natürlich Maria! Das Glück liegt in den kleinen Dingen. Rezepte für das Leben“ von Maria Groß ist ein sehr farbenfroh und wunderschön gestaltetes Kochbuch aus dem Brandstätter-Verlag.
Die sympathische und naturverbundene Maria Groß hat sich mit ihren Restaurant „Bachstelze“ einen Lebenstraum verwirklicht.
In diesem Kochbuch teilt sie nun ihre Rezepte mit uns. Das Buch Rezepte für Vorspeisen, Salate, Suppen, Hauptspeisen, Kuchen und Keksen, Desserts sowie auch Grundrezepte und Rezepte zur Vorratshaltung.
Vegetarier werden an diesem Buch ihre Freude haben, aber auch alle anderen kommen nicht zu kurz. Die Gerichte sind einfach, aber gleichzeitig raffiniert und etwas Besonderes.

Eine ganz nette Idee ist auch die mit abgedrucktem QR-Code bereitgestellte „Koch-Playlist“ – einfach mal anhören! Auch wenn mein Musikgeschmack nicht so ganz getroffen wurde, habe ich doch 1-2 schöne Lieder entdeckt.

Insgesamt ein stimmiges und schönes Kochbuch. Man erfährt zum einen etwas über die Lebensphilosophie von „Maria Ostzone“ (das Label finde ich echt originell und witzig!) und ihr Restaurant „Bachstelze“ (das ist sicher einen Besuch wert, wenn man mal in diese Gegend kommt!).
Insgesamt nimmt diese Selbstdarstellung und Werbung vielleicht etwas zu viel Raum ein - hier wären mehr Rezepte schön gewesen.

Das Buch liefert einige leckere Rezepte, bei denen das Nachkochen auch Amateuren gut gelingen sollte.
Die tollen Bilder machen noch mehr Lust, sofort alle Rezepte auszuprobieren.
Die Kochanleitungen sind teilweise etwas sehr knapp und mir persönlich gefallen nicht allzu viele der Rezepte bzw. sie sind nicht alltags-/familientauglich für uns.
Von daher ein schön gestaltetes Kochbuch, das mich nach einigem Testen leider nicht voll überzeugen konnte.

Bewertung vom 22.05.2025
Wenn die letzte Frau den Raum verlässt
Herr, Vincent-Immanuel;Speer, Martin

Wenn die letzte Frau den Raum verlässt


sehr gut

Wenn Männer über Gleichberechtigung sprechen - "Fix the system, not the women."

"Der Moment, in dem die letzte Frau den Raum verließ und die schicke Glastür zuzog, hat sich tief in unsere beiden Gedächtnisse eingebrannt (und inspirierte einige Jahre später den Titel dieses Buches). Die Atmosphäre änderte sich schlagartig. Einige Männer atmeten auf, andere sanken tiefer in ihren Stuhl, wieder andere warfen sich verschmitzte Blicke zu. Doch interessant wurde es, sobald die Gespräche begannen - allein unter Männer. Sprechfilter und aufgesetzte Masken fielen weg, der eben noch optimistische und kooperative Ton wandelte es sich im Handumdrehen."

Ich habe das Buch „Wenn die letzte Frau den Raum verlässt: Was Männer wirklich über Frauen denken“ als Frau gelesen und fürchte, nach wie vor fühlen sich hauptsächlich Frauen von den Themen Gleichstellung/Gleichberechtigung angesprochen.
Doch dieses Buch wurde von zwei Männern geschrieben, Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer, und ich finde, das sollten unbedingt auch alle Männer lesen!
Die beiden äußerst sympathischen und aufgeschlossenen Herren sind oft in reinen Männerrunden in Firmen unterwegs und haben dort, aber auch privat schon oft bemerkt, wie andere Männer gegen Gleichstellung argumentieren bzw. welche allgemeinen patriarchalen Denk- und Argumentationsmuster nach wie vor bestehen (manche dieser Aussagen sind echt heftig).
Insgesamt deckt das Buch viele Bereiche ab, die Arbeitswelt, aber auch das Privatleben und die leider sehr ungerechte Care Arbeit und den Mental Load.

"Eine unangenehme Wahrheit darf dabei nicht unter den Tisch fallen: Was Männer bis vor kurzem im Beruf erlebt haben (und vielerorts immer noch erleben), war de facto eine Männerquote. Männer wurden nicht nur aufgrund von Leistung oder Talent eingestellt und befördert, sondern teilweise oder manchmal ausschließlich aufgrund ihres Geschlechts. Anders ausgedrückt: in Wirtschaft und Politik haben es erstaunlich viele mittelmäßige oder sogar unqualifizierte Männer bis nach ganz oben geschafft. Von wie vielen Frauen kann man dasselbe sagen?"

"Die Autorin und Journalistin Alexandra Zykunov bringt dies berechtigterweise auf die Palme. Sie schreibt: 'Wenn wir von Männern sprechen, die helfen, statt von Männern, die einfach ihren Aufgabenbereich für ihre Familie, ihr Heim und den Haushalt darin übernehmen, sprechen wir Ihnen jegliches Recht ab, sich dafür auch aktiv verantwortlich zu fühlen. Begriffe wie "helfen", oder - noch schlimmer - "entlasten" - (....) meinen, dass er für diese Last per se nicht zuständig ist und dass es da eine andere Person gibt, die diese Last normalerweise trägt - nämlich die Frau."

In ihrem gut lesbaren und leicht verständlichen Buch zählen sie verschiedene Männertypen auf, analysieren auf sehr ehrliche und auch selbstkritische Weise die männliche Gedanken- und Sorgenwelt. Dabei kommen auch Forschungsergebnisse nich zu kurz. Nicht so geläufige Begriffe werden stets erklärt, so dass auch Neulinge bei diesem Thema alles gut verstehen können.
Ziel des Buches ist, auch Männer zu Verbündeten im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu machen.

Mein Mann sagte spontan, wenn Männer was zu dem Thema schreiben, liest er das jetzt auch gleich. Also: Empfehlt es vielen Männer weiter, die es dann hoffentlich auch anderen Männer weiterempfehlen (und Männer hören ja bekanntlich oft eher auf andere Männer). In der Hoffnung, dass es mehr Gleichberechtigung für ALLE gibt.

"Fix the system, not the women."

Bewertung vom 19.05.2025
Durch das Raue zu den Sternen
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


sehr gut

„Töne sind Vergangenheit“: Traurig-schöner Roman über Träume und Hoffnung

"Meine Mutter sagt, Töne sind Vergangenheit. Damit meint sie nicht, dass viele der besten Tonkombinationen lange vor meiner Geburt erfunden wurden. Sie meint jeden Ton. Wenn man einen hört, dann ist er schon eine Zeitlang unterwegs gewesen. Den Ort, an dem er geboren wurde, gibt es inzwischen vielleicht nicht mehr. Oder er ist kurz weggegangen. Also können wir gar nicht wissen, was in dem Moment gerade passiert und was das eigentlich ist, dieses Jetzt. Wir sind im Früher gefangen."

„Durch das Raue zu den Sternen“ von Christopher Kloeble hatte mich vom Cover und Klappentext sehr angesprochen.

Die 13jährige Arkadia Fink ist eine Außenseiterin im Dorf, nicht erst, seit ihre Mutter verschwunden ist. Musik ist ihr Leben, da ist sie ganz ihre Mutter. Ansonsten fällt das Mädchen durch ein Übermaß an Fantasie und ihr unkonventionelles Verhalten auf. Und Arkadia hat einen ungewönlichen Traum: Sie möchte unbedingt in einem berühmten Knabenchor mitsingen. Sie glaubt nämlich, wenn sie mit dem Chor auf einer großen Bühne singt, wird ihre Mutter zurückkehren....

Arkadias Vater kann mit dem Weggehen der Mutter nicht umgehen, Wut und Schweigen sind seitdem Alltag. Ich fand ihn als Person etwas schwer zu greifen, am besten hat es die Titelheldin vielleicht selbst formuliert:
"Die Zeitung liest er jeden Tag so gründlich, wie es sonst nur das Holz liest, an dem er arbeitet. Es ist erstaunlich, dass jemand so viele Worte in sich aufnehmen und so wenige von sich geben kann. Wo verstaut er sie alle? Ich würde ihm gern helfen, welche loszuwerden. Nur weiß ich nicht wie das gehen soll."

Das Buch zeigt eine große Liebe zur Musik und Arkadia ist eine wirklich außergewöhnliche Protagonistin. Für mich wirkte sie jedoch nicht komplett authentisch, auch wenn ich sie durchweg sympathisch und sehr interessant fand.

Ich hatte sehr große Erwartungen anders Buch, die leider nicht komplett erfüllt wurden. Ich habe es zwar sehr gerne gelesen, aber das letzte "gewisse Etwas" hat mir persönlich irgendwie noch gefehlt. Es wirkte alles zu sehr konstruiert und bemüht, mir hat noch eine gewisse Leichtigkeit gefehlt (auch das wäre sicher möglich bei einem an sich so traurigen Buch).
Daher entscheide ich mich für 4⭐️. Ich fand das Buch durchaus sehr lesenswert, ein wirklichs Highlight war es aber leider nicht für mich.

"Ein Musikstück klingt immer anders, je nachdem, wer es interpretiert. Ebenso ist eine Lebensgeschichte immer anders, je nachdem wer sie erzählt."

Bewertung vom 19.05.2025
Freiheit beginnt jetzt!
von der Groeben, Ulrike

Freiheit beginnt jetzt!


gut

Mehr Memoir als Ratgeber: Andere Erwartungen an das Buch gehabt - 3,5 ⭐️

Bis zu meinem Ruhestand ist es (leider 🙈🤣) noch etwas länger hin, aber ich finde es immer gut, sich mit zukünftig wichtigen Themen schon frühzeitig zu beschäftigen. Das Buch „Freiheit beginnt jetzt! Tipps für den Start in den (Un-)Ruhestand“ von Ulrike von der Groeben hätte da interessant sein können, dachte ich.
Frau von der Groeben kennt man seit 35 Jahren als Sportreporterin bei „RTL aktuell“, wenigstens vom Sehen. Zu Beginn ihres Rohestandes wurde sie permanent gefragt, was sie denn nun mache. Ihre Antwort „Erst mal nichts“ traf auf Unverständnis, woraufhin Frau von der Groeben der Frage nachgeht, wie durchgetaktet denn diese neue Phase überhaupt sein muss, ob und welche Aufgaben man braucht und wie man die viele freie Zeit sinnbringend nutzen kann.
Hierzu sprach sie mit Expertinnen und Experten zu Themen wie Ehrenamt, Finanzen, Gesundheit und Ernährung, soziale Kontakte, Tod und Nachlass.
Diese Gespräche mit den Expert*innen fand ich insgesamt noch am besten und hilfreichsten.
Insgesamt enthält das Buch aber hauptsächlich Berichte aus Frau von der Groebens Berufsleben/Leben. Dies nimmt einen sehr großen Teil ein, was leider nicht so meinen Erwartungen an das Buch entspricht.
Das Buch ist also insgesamt mehr ein Memoir einer durchweg sympathischen, wenn vielleicht auch eher privilegierten Person.
Weniger ist es ein dagegen ein Ratgeber bzw. es bietet mir zu wenig Neues. Das meiste davon wissen wir schon: Es ist gut, auch im Ruhestand gewisse Strukturen und Regelmäßigkeiten zu haben. Außerdem Hobbys oder Ehrenamt. Wer hier vielseitig interessiert ist und über gute Sozialkontakte verfügt, ist gewiss im Vorteil.
Also insgesamt gibt eine ganz nett und flüssig zu lesen, für mich bietet das Buch aber keinen wirklichen Mehrwert. 3,5 ⭐️

Bewertung vom 14.05.2025
Unter Grund
Liepold, Annegret

Unter Grund


gut

Hochaktuelles, wichtiges Thema - Umsetzung mit einigen Schwächen

"Durch die Scheiben des Busses blickt Franka auf das immer vertrauter werdende Idyll und empfindet keine Wehmut, nur Erleichterung, dass sich ihr Leben mittlerweile so weit davon entfernt abspielt.“

Im Roman „Unter Grund“ von Annegret Liepold muss die junge Franka sich ihrer dunklen Vergangenheit stellen. Als sie als Referendarin gemeinsam mit ihren Schülern sowie ihrer WG-Mitbewohnerin und Freundin Hannah, die als Journalistin über den NSU-Prozess in München berichtet, einen Gerichtsprozess besucht, bricht das alte Wunden auf. Anstatt ihrer Freundin endlich von damals zu erzählen, flüchtet sie lieber ins heimatliche Dorf in der Nähe von Erlangen.

"Aber Schweigen hat ein Verfallsdatum. Als Franka im fensterlosen Gerichtssaal saß und auf Zschäpe hinunter blickte, war ihr das mit einem Schlag klar geworden. Kaum ist das Datum überschritten, beginnen die Worte in einem zu gären, wandeln sich nach und nach zu etwas unberechenbaren. Hätte Sie Hannah vor fünf Jahren von Janna und Patrick erzählt, gleich nachdem sie zu ihr in die WG gezogen war, hätte Hannah sie vielleicht einfach in den Arm genommen und gesagt: 'Aber heute bist du eine andere.'
Doch sie hat das Verfallsdatum zu lange ignoriert, die Worte sind giftig geworden. Wenn sie jetzt den Mund öffnet, wird Hannah ihr vorwerfen, dass sie so lange geschwiegen hat, und ihre Freundschaft ist womöglich vorbei. Wenn sie weiterhin nicht sagt, auch."

"Sie muss verstehen, was damals passiert ist, und zurückfahren, an den Ort, der sie ausgespuckt hat wie einen lästigen Kaugummi. Sie weiß nicht, was schlimmer ist: Dass nichts mehr so sein könnte, wie sie es in Erinnerung hat, oder dass alles noch genauso bedrückend ist wie damals."

"Franka weiß, sobald sie aussteigt, will sie sofort wieder weg, schon jetzt hat sie das Gefühl, nur ein paar Minuten und nicht fünf Jahre weg gewesen zu sein."

Frankas Großmutter ist längst gestorben, doch ihre Mutter lebt noch immer im Dorf; ebenso ihre Tante June, aber ihr geht sie lange aus dem Weg. Stattdessen versucht sie endlich zu verstehen, was damals passiert war.
In ihrer Familie herrschte schon immer Schweigen. Besonders ihre Großmutter, die „Fuchsin“ genannt wurde, hatte viele Geheimnisse - und strikte Regeln. Als Franka elf Jahre alt war, starb ihr Vater, mit dem sie viel verband und gemeinsam in der Natur der Umgebung unterwegs war. Mit ihm teilte sie die Heimatverbundenheit. Nach seinem Tod fühlte sie sich immer verlorener und ihre schulischen Leistungen wurden schlechter.

"Sie rückte vor, Jahr um Jahr, immer knapp, aber es ging weiter, und mit jedem Jahr wurde sie entschlossener, sich nicht anmerken zu lassen, wie wir es tat, der Vorzeigefehler zu sein."

"'Wenn es keine Rolle mehr spielt, welche Wurzeln wir haben und welche Traditionen wir pflegen, dann ...' Die Worte stolperten aus ihr heraus, Tränen stiegen ihr in die Augen. Wenn sie noch mehr preisgab, würde Leon merken, wie verletzlich sie war.
'Dann was? Tradition heißt doch nur, dass man vergessen hat, wo der Anfang ist. Nur weil man was schon immer so gemacht hat, hat es doch keinen Wert an sich!'"

Sie entscheidet sich gegen eine Beziehung mit Leon, vor allem aus Unsicherheit, und findet stattdessen in Patrick und Janna Gleichgesinnte. Zum ersten Mal lernt sie Zugehörigkeit zu einer Gruppe kennen, und sie steigt, ohne sich wirklich bewusst dafür zu entscheiden, in die rechte Szene ein.

Hier ließ meine Begeisterung für das Buch dann (trotz des an sich sehr guten Schreibstils!) leider etwas nach. Franka als Person und vor allem ihre Enscheidungen bleiben für mich zu wenig klar und nachvollziehbar; sie kommt sehr rückgratlos und nicht greifbar bei mir an. Sie wird imner als Mitläuferin dargestellt, aber mir fehlte hier etwas.
Was möchte die Autorin damit aussagen, soll es eine Warnung sein? Ich hätte mir hier etwas mehr Deutlichkeit gewünscht, was Frankas Radikalisierung angeht; auch die rechte Szene des Dorfes hätte man eventuell klarer darstellen können.

Als Franka sich endlich mit ihrer Tante June ausspricht und es auch um die Vergangenheit ihrer Großmutter und den „Fuchsbau“ geht, war das etwas intensiver. Jedoch fand ich das Ende nicht wirklich gelungen, das Hin- und Herspringen zwischen NSU-Prozess im Heute und Frankas Vergangenheit mit dem Jugendprozess ist nicht immer leicht nachvollziehbar, ebenso wie die zeitlichen Sprünge in den Abschnitten im gesamten Buch. Das hätte man sicher besser lösen.

Hilfreich ist der Anhang mit Glossar und Verweisen zu den im Text verwendeten Begrifflichkeiten des rechten Gedankenguts.

Insgesamt ein Buch mit einem sehr wichtigen und (leider) hochaktuellen Thema, dessen Umsetzung leider nicht komplett überzeugen konnte.

Bewertung vom 13.05.2025
Liebe ist niemals normal
Brezina, Thomas

Liebe ist niemals normal


sehr gut

„Liebe gibt’s in all diesen Farben.“ – Humorvoller, queerer Coming-of-Age-Roman


Ich kannte bisher keine Bücher von Thomas Brezina, aber sein Roman „Liebe ist niemals normal“ begeistert gleich zu Beginn mit einer wirklich amüsanten Szene am sonntäglichen Mittagstisch bei seinen Eltern.
Doch eigentlich ist es gar nicht witzig: Der fast 22jährige Julian kommt aus einer mehr als konservativen Familie, noch dazu aus einer dörflichen Umgebung. Da ist es gar nicht so leicht, queer zu sein.
Als eine Mutter dann noch „verlangt“, dass er zur Feier seines 22. Geburtstgs ihnen endlich seinen „Boyfriend“ vorstellen soll und Julian das zusagt, ist das Chaos perfekt: Es gibt nämlich gar keinen Freund.
Im Schnellverfahren muss nun ein perfekter, vorzeigbarer Traummann her.
Mithilfe siner besten Freundin Antonia soll das gelingen. Diese meldet ihn bei zahlreichen Datingplattformen an, doch ein Date ist peinlicher und skurriler als das andere.
Nur sein E-Mail-Kontakt mit Tarek scheint vielversprechend zu sein, doch der möchte sich nicht mit ihm treffen. Und da ist noch der neue WEG-Mitbewohner Erik, der sehr geheimnisvoll ist, auf Julian arrogant und unsympathisch wirkt, ihn aber dann doch mehr interessiert, als es ihm lieb ist ...
Das Buch war sehr schnell gelesen, es ist sehr flüssig und locker geschrieben und ich wurde wirklich gut unterhalten. Es gab so manchen Lacher, aber es war auch tiefgründig und beschäftigt sich mich vielen Probleme des Erwachsenwerdens, besonders, was queere Personen angeht.
Dabei wird hier einiges geboten, von „Mann liebt Mann“, „Frau liebt Frau“ über Asexualität und auch Liebe zu Dritt.
Ein wirklich kurzweiliger, humorvoller und doch tiefgründiger Roman über die verschiedensten Formen und Farben der Liebe mit einem schönen Happy End.

Bewertung vom 12.05.2025
Himmlischer Frieden
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


sehr gut

Eine Kindheit in China: Historisch interessant, Umsetzung etwas zäh - 3,5⭐️

"Ich hatte gelernt, wie man für sich bleibt. Meine Einsamkeit war nichts, das ich hasste oder das mir unangenehm war - paradoxerweise fühlte sie sich tröstlich an, wie eine warme Decke, in die ich mich hüllen konnte; etwas, das mich vor der Welt da draußen beschützte. Etwas, das mich vor anderen Menschen beschützte - und vor ihrer Gewaltsamkeit."

Der Roman „Himmlischer Frieden“ von Lai Wen ist ein historisch interessantes Buch mit autobiografischen Zügen.
Hauptperson ist das Mädchen Lai. Sie wächst in einem Pekinger Arbeitsviertel auf. Ihr Vater ist recht schweigsam, ihre Mutter streng (und für mich wirkte sie oft kalt, abweisend und herzlos). Allein ihre Großmutter ist eine sehr präsente und liebevolle Person, wenn auch nicht ganz einfach. Doch Lai und ihr Bruder lieben sie bedingungslos.
Schon als Kind lernt Lai nach einem Kinderstreich mit Freunden die brutale Härte des Regimes kennen:

"Eine Stimme von weit weg. Sie wurde lauter. 'Es ist nie nur ein Spiel. Nichts ist nur ein Spiel. Wessen Idee war es? Wer hat sich einen solchen konterrevolutionären Plan ausgedacht? Dem Geist des Staates zu trotzen, dass sein wohlwollendes Licht auf alle loyalen Bürger scheinen lässt? Wer steckt hinter diesem unverfrorenen Akt antipatriotischer Sabotage?'"

"In jenem Moment schien Gens Gesicht ausdruckslos, seine Augen dunkel und leer - und doch begriff ich, dass er mich anschaute, und ich wusste instinktiv, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. Einfach so. Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass er sagen würde, es sei meine Schuld, und dass ich diejenige sei, die ist geplant hatte. Und auch wenn ein Teil von mir aufbegehren wollte, war die Kombination aus Erschöpfung und Angst und Schmerz so groß, dass ich zum ersten Mal in meinem Kinderleben ein ursprüngliches Gefühl der Hoffnungslosigkeit empfand. Es machte nichts, dass Gen mir gleich die Schuld an allem geben würde, dass er verraten würde, dass ich diejenige war, die sich den wahnsinnigen Plan ausgedacht hatte. Nichts bedeutet mehr etwas."

"Ich hatte noch nie erlebt, dass mein Körper so sehr in Mitleidenschaft gezogen war, niemals hatte ich eine solche Verletzung erlebt. Der pochende Schmerz war immer noch da, trotzdem konnte ich den Blick nicht abwenden. Ich war gerade zu hypnotisiert von dem, was mir angetan worden war."

Dank eines alten, freundlichen Buchhändlers bekommt Lai Zugang zu Büchern, die sie uns ihr Denken verändern.

"Ich war schon immer fasziniert von Wörtern gewesen. Oft versuchte ich, mich solange wie möglich mit ihnen zu beschäftigen, besonders mit denen, die ich nicht kannte. Ich bewegte sie in meinem Mund, kostet sie wie eine Süßigkeit."

"Ich las das Buch nachts in meinem Zimmer, unter der Bettdecke verborgen, und benutzte eine kleine Taschenlampe. Ich las mit einer Begierde, wie sie nur Kindern eigen ist; so hungrig, dass ich es kaum erwarten konnte, das Buch zu Ende zu lesen, obwohl ich gleichzeitig genau das fürchtete, denn dann würde ich wieder in meine eigene Wirklichkeit zurückkatapultiert."

"'Außerdem ", fügte er hinzu, "sind Bücher dazu da, gestohlen zu werden.'
'Wie meinen Sie das?', wollte ich wissen. Für einen Buchhändler schien mir das eine sonderbare Aussage zu sein.
Der alte Mann sah mich an.
'Meiner Meinung nach stiehlt jeder von uns, wenn er ein Buch liest, ein kleines Stück dieses Buches. Eir nehmen uns etwas davon, und was wir nehmen, wird zu einem Teil von uns. Die einzige Frage ist deshalb - was hast du dir davon genommen?'"

Als Lais Großmutter dement wird und stirbt, ist das ein harter Verlust für sie.

"Was die Demenz meiner Großmutter mich lehrte, was sie uns alle lehrte, war, dass es möglich ist, um die Lebenden genauso zu trauern wie um die Toten. Eine Person zu vermissen, auch wenn sie immer noch am Leben ist. Ihren Verlust zu spüren, obwohl sie noch da ist."

Bald verliebt Lai sich in Gen, den sie schon von Kind an kennt, der jedoch aus einem ganz anderen sozialen Umfeld kommt.
Dank eines Stipendiums bekommt Lai ein Stipendium an der renommierten Universität in Peking, wo sich ihr eine ganz neue Welt eröffnet. Sie schließt sich 1989 den Protesten der Studenten an...

Ich fand das Buch historisch interessant, man bekommt ein gutes Bild vom China der 70er- und 80er-Jahre. Leider war die Umsetzung etwas zäh, oft langatmig geschrieben und es passierte nicht wirklich viel. Es ist ein eher ruhiger Roman, der Durchhaltevermögen beim Lesen erfordert.
Bei einem Roman, in dem es um Widerstand und Revolution geht, hätte ich mir hier etwas mehr Intensität gewünscht.
Für mich daher kein Highlight, aber dennoch ein interessantes Leseerlebnis, das ich mit 3,5 ⭐️ bewerte.

Bewertung vom 09.05.2025
James
Everett, Percival

James


sehr gut

"Wenn man ein Sklave ist, macht man sich Entscheidungsfreiheit vor, wo es nur geht."

Man muss nicht zwangsläufig Mark Twains „Klassiker“ mit den Geschichten von Huckleberry Finn kennen, um „James“ von Percival Everett zu lesen, denn dies ist eine ganz neue Geschichte.
Hier kommt der Sklave Jim Ich-Erzähler zu Wort und erzählt aus seiner Perspektive.
Und was niemand wusste: Jim ist nicht dumm, er tut nur so, um gefahrlos zwischen den Weißen überleben zu können. So wie alle anderen Sklaven spricht er in Gegenwart der Weißen nur einen tumben „Sklaven-Slang“, der sie dumm wirken lässt. Die Kinder müssen diese einfältige Sprache lernen; untereinander reden die Sklaven nicht auf diese Art.

"Dich gefahrlos in der Welt bewegen zu können erforderte Beherrschung der Sprache, Geläufigkeit."

"Die Weißen erwarten, dass wir auf eine bestimmte Weise klingen, und es kann nur nützlich sein, sie nicht zu enttäuschen", sagte ich." Wenn sie sich unterlegen fühlen, haben nur wir darunter zu leiden. Oder vielleicht sollte ich sagen, 'wenn sie sich nicht überlegen fühlen.'"

Als man Jim nach New Orelans verkaufen will, flieht er mit dem jungen Halbwaisen Huck Richtung Norden, auf dem Weg in die Freiheit. Huck ist auf der Flucht vor seinem saufenden, prügelnden Vater. Und Jim möchte es in einen freien Staat schaffen, dort Geld verdienen und einen Weg finden, um seine Frau und seine Tochter freizukaufen.
Auf ihrer gefährlichen Reise folgt ein Abenteuer dem nächsten, von Überschwemmungen und Stürmen über Begegnungen mit Betrügern und anderen gefährlichen Menschen. Jim muss nicht nur auf sich aufpassen, sondern auch auf den jungen Huck.

Das Buch ist einerseits wirklich fesselnd und spannend, teilweise auch urkomisch – aber andererseits oft auch tragisch und sehr schmerzhaft zu lesen. Die quälende Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit ging mir wirklich nahe. Die Willkür und Brutalität der Aufseher und Sklavenhalter ist sehr authentisch und kaum zu ertragen.

"Ach was, Mann", sagte der Herzog." Das ist kein richtiger Mensch. Der spürt Schmerz nicht so wie wir. Der braucht eine Lektion, die er nicht vergisst. Sonst setzt er sich gleich wieder in den Kopf wegzulaufen. So sind diese Kreaturen nun mal gebaut."

"Was ich verbrochen habe? Ich bin ein Sklave, Norman. Ich habe eingeatmet, als ich hätte Ausatmen sollen. Was ich verbrochen habe?"

"Easter kniete sich hin und legte mir die Metallschelle um den Knöchel. Es war ein Schrecken aus der Vergangenheit, den ich verspürte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal gefesselt worden war, aber mein Körper erkannte das Gefühl. Falls ich jemals bereit war wegzulaufen, dann in diesem Augenblick."

"Ich bin froh, dass ich weggelaufen bin ", sagte Sammy.
"Wieso?"
"Kommt mir richtig vor."
Ich nickte.
"Er hat mich vergewaltigt, seit ich klein war", sagte Sammy.
Ich nickte. "Du bist immer noch klein."

Man kommt Jim im Laufe seiner Reise sehr nahe, seinen Gedanken und seinen Träumen. Man spürt, wie stark sein Wunsch nach Freiheit und einem selbsbestimmten Leben für sich und seine Familie ist. Jim wird sein eigener Herr und nennt sich von nun an James: „Mein Name gehörte endlich mir.“

"Ich war woanders. Ich war wieder auf der einen noch auf der anderen Seite dieses verdammten Flusses. Ich war nicht auf dem Mississippi. Ich war nicht in Missouri."

"Mit meinem Bleistift schrieb ich mich ins Dasein. Ich schrieb mich ins Hier."

„Ich bin der Todesengel, der gekommen ist, um bei Nacht süße Gerechtigkeit zu üben“, sagte ich. „Ich bin ein Zeichen. Ich bin deine Zukunft. Ich bin James.“

Mit „James“ hat Percival Everett ein fesselndes und kluges Buch geschrieben; eine Art Selbstermächtigung - es ist ein Roadtrip in die Freiheit.

"Ich bin kein Nigger", sagte ich zu ihm." Man kann sein, was man sein will. Besonders du. Du kannst weiß oder schwarz sein. Niemand wird dich in Frage stellen."

Bewertung vom 07.05.2025
Die Kollegin - Wer hat sie so sehr gehasst, dass sie sterben musste?
McFadden, Freida

Die Kollegin - Wer hat sie so sehr gehasst, dass sie sterben musste?


weniger gut

Enttäuschender Krimi mit unrealistischer Auflösung

Ich lese nicht mehr so oft und gerne Krimis wie früher, auf diesen hier war ich aber aufgrund des Klappentextes doch ziemlich neugierig. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an „Die Kollegin“ von Freida McFadden.
Die Geschichte spielt in einem Büro. Auf der einen Seite ist da die hübsche, beliebte Natalie Farrell. Und dann ist da noch Dawn Schiff, eine sehr zuverlässige Kollegin, die immer pünktlich ist und mehr als sorgfältig, eigentlich fast schon penibel. Und sie ist seltsam. Sie hat keine Freunde, hat komische Angewohnheiten und niemand im Büro mag sie.
Doch als sie einmal nicht pünktlich zur Arbeit erscheint, macht Natalie sich Sorgen. Dann erhält sie einen anonymen Anruf mit einem Hilferuf, woraufhin sie zu Dawns Wohnung fährt. Dawn ist nicht da, doch Natalie sieht etwas Schockierendes und es wird bald klar, dass Dawn ermordet worden sein muss ….
Ich möchte hier nicht mehr verraten, um nicht zu spoilern, denn hier kommt nun der für die Autorin wohl so „berühmte“ Plot-Twist.
Das Setting im Büro fand ich interessant. Die Charaktere dagegen fand ich alle ziemlich stark überzeichnet und nicht wirklich authentisch. Es war sicher so gewollt, um die Geschichte glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Doch auch die Geschichte war für mich insgesamt zu klischeehaft und überzeichnet. Der Plot-Twist war schon so halbwegs überraschend (jedenfalls für jemanden, der vorher noch kein Buch dieser Autorin gelesen hat), dennoch konnte mich das Buch insgesamt leider nicht wirklich überzeugen.
Vor allem das Ende fand ich ziemlich an den Haaren herbeigezogen; zu unrealistisch und für mich nicht befriedigend.
Als schnelle Leserin hatte ich das Buch rasch durch, da es sich insgesamt recht flüssig las. Ich wurde jedoch schon besser unterhalten und werde von dieser Autorin eher nichts mehr lesen.