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Edda246
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Hamburg

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Insgesamt 95 Bewertungen
Bewertung vom 19.10.2025
Hacke, Axel

Wie fühlst du dich? (MP3-Download)


ausgezeichnet

Treffende Zusammenfassung!

Axel Hacke, Buchautor und Kolumnist, liest selbst mit einer angenehmen vertrauenswürdigen Stimme. Man fühlt sich gleich angesprochen und aufgehoben.

Gefühle leiten durch das Leben. Axel Hacke fühlt, beobachtet und analysiert diese.
Er vergleicht Theorien und Erfahrungen bedeutender Frauen und Männer, stellt Gefühl und Vernunft gegenüber und dies im Wandel der Zeit.

Er spricht von eigenen Erfahrungen und erinnert Zeiten, in denen Gefühle weniger artikuliert wurden. Doch bezieht er seine Gedanken und treffenden Beobachtungen auf die Gegenwart - denn „die Zeiten haben sich radikal geändert“ Es gibt neue Erfahrungen und Erkenntnisse, wie man mit Gefühlen besser lernen kann umzugehen.
Heute gäbe es ein „Psychovokabular“ und die Konsumindustrie wäre ohne Gefühle undenkbar, bemerkt er. Gefühle werden dem Marktdenken unterstellt.

Soziale Netzwerke stellen emotionale Verbindungen her statt unmittelbare und unsere Gefühle sollen den Vorstellungen des Marktes unterworfen werden. Wir sind auf „mehr“ ausgerichtet und alles Alte soll durch besseres ersetzt werden. Durch die gesellschaftlichen hohen Erwartungen ist das Lebensgefühl nie wirklich gut, bemerkt er. Das Tempo der Beschleunigung überfordere den Menschen. Axel Hacke zeigt deutlich auf, spricht von den Strategien der Rechtspopulisten wie der Techmilliardären. Was dort behauptet, wird muss nicht stimmen oder mit den eigenen Gefühlen übereinstimmen.„Haben wir es nicht satt, unsere Gefühle schwerreichen Asozialen zur Verfügung zu stellen?“

Eine Frage, die wir uns täglich stellen sollen: Wie fühlst du dich. Es geht um die Fähigkeit der Reflexion und Eigenständigkeit. Man könne seine Gefühle nicht ändern, aber den Umgang damit. Er beleuchtet Angst, Hass und mehr und bietet Lösungsmöglichkeiten an, die uns selbst betreffen und unseren Umgang mit uns und der Welt.
„ Nur wer die Fallen kennt, die wir uns selber stellen kann sie vermeiden“.

Er stellt all dies dar in einer unterhaltsamen und erfrischenden Weise. Auch ist jeder Satz bedeutsam und vieles regt zum Nachdenken an. Mag es um eigene Erfahrungen mit Gefühlen gehen oder das Nachlesen der vielen Quellen, die er hinzuzieht. Lehrreich, informativ und umfangreich ist der große Schatz von philosophischen literarischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Beispielen, die das Buch ergänzen. Er drückt das aus, was viele quält, aber niemand so deutlich und ansprechend formulieren konnte. Mit einer einfachen humorvollen Sprache und einer Stimme, der man sich angesprochen und auch getröstet fühlt, erreicht er die Zuhörer. Ein wichtiges Buch!

Bewertung vom 18.10.2025
Tidhar, Lavie

Adama


ausgezeichnet

Bewegender und anregender historischer Roman!

Adama -Ein Generationenroman, der auch die Geschichte Israels aufzeigt.
Das Buch ist in Abschnitte aufgeteilt, die die Ereignisse in unterschiedlichen Jahren mit unterschiedlichen Protagonisten einer Familie darstellen.
Die Geschichte umfasst die Zeit von 1946 bis 2009 und beginnt mit Hannah, der Enkelin Ruths, die den Tod ihrer Mutter Esther erlebt und als deren Nachlass ein Kästchen mit Fotografien erhält. Sie fühlt sich trotz Trauer befreit, kann jederzeit die ihr unbekannte Vergangenheit ihrer Vorfahren ansehen, ohne beteiligt zu sein. Ein spannender Einstieg, der neugieríg macht. Doch, was hinter den Fotos steckt ist hochexplosive Geschichte, die verwoben ist mit persönlichem sowie dem Schicksal Israels.
Auf den noch folgenden Seiten wird man geschickt und schnell in die Dramatik des Lebens ihrer Großmutter Ruth geworfen, so dass einem kaum Luft bleibt.

Die Rahmenhandlung kreist um Ruth, die 1946 nach Palästina emigriert. Sie ist eine Überlebende des Holocaust und schließt sich dem (fiktiven) Kibbuz Trashim an, den sie als “Heilige Erde“ - Adama - betrachtet, um sich ein neues Leben aufzubauen.
Eigentum und Arbeitskraft werden gemeinschaftlich geteilt, die Kinder gemeinsam erzogen, eine ideale Lebensgestaltung mit harter Arbeit, um eine bessere Zukunft zu erschaffen. Das ist die Idee, ein Traum. Doch dann rüttelt dort eine gänzlich veränderte Lage auf und schockiert im Jahr 1989; wie hat sich die einstige Vorstellung entwickelt?

Erst Teil 3 erzählt die Geschichte wie es zur Emigration gekommen ist.
Mord, Flucht, verlorene Lieben, Sehnsüchte, Mord zum Überleben, Mord aus Hass, Mord um das Land zu erweitern.
Mehr dramatische Schicksalsschläge als Frieden und Frohsinn peitschen die Geschichte voran, jedoch die Handlungsweisen und Charaktere der Mitspielenden sind nachvollziehbar und farbig gestaltet und erwecken Empathie. Beeindruckende und anregende Verknüpfung von Generationengeschichte stimmt sich ab mit historischen Ereignissen. Die Protagonisten bleiben individuell und greifbar.

1948 ist ganz Galiäa ein Kriegsgebiet. Das Land soll den Juden gehören. „Es gibt kein Adama ohne Dam(Blut)“. Dann der 6-Tageskrieg 1967,der Jom-Kippur-krieg 1973.
Informativ, bewegend, gnadenlos, anhand von Einzelschicksalen bewegend erzählt, ein Plot mit hochdramatischen und abenteuerlichen Situationen, die zu einer Spirale von Konsequenzen führt.

Wie prägen diese Ereignisse die Überlebenden, welche Konsequenzen ziehen sie daraus und wo bleiben ihre Träume? Lavie Tidhar geht dieser Frage nach, alles wirkt real.
Der Kibbuz sollte Vereinigung erschaffen, Gemeinsamkeit - bringt jedoch durch die äußeren Umstände Individuen hervor, die, wenn es darauf ankommt vor nichts zurückschrecken, sei es wegen dem Selbstschutz, der Ideologie oder den militärischen Anforderungen des Staates zur Gebietsverteidigung und -erweiterung.

Das Cover der Originalversion ist ohne das Maschinengewehr abgebildet.
de Getreidezweig weist auf Fruchtbarkeit und Verbundenheit hin.
Das deutsche Cover zeigt ein Maschinengewehr, das gehalten wird mit dem Getreidezweig – dies ist für mich eine gelungene Zusammenfassung der folgenden Ereignisse des Romans.
Lavie Tidhar beschreibt unterhaltsam und gibt sehr viel Stoff zum Nachdenken mit ausdrucksvoller Sprache. ( z.B. „Das Haus verkroch sich in der Dämmerung“). Ich habe mich anschließend noch weiter informiert über Israels Geschichte, denn dieses Buch zeigt auch schonungslos andere Aspekte auf, als die, die mir bekannt waren.

Bewertung vom 14.09.2025
Puchner, Eric

Weißes Licht


sehr gut

Schöner Schreibstil mit Längen

Eric Puchner erzählt eine Generationsgeschichte, die in Montana spielt.
Cece bereitet ihre Hochzeit vor und lernt den besten Freund ihres Mannes Charlie kennen. Nach anfänglicher Abneigung verliebt sie sich in Garrett und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Cece ist für Garrett so etwas "wie die Rückkehr in die Welt“, was dann zu einer schicksalsträchtigen Entscheidung führt.
Auf über 500 Seiten und 50 Jahren erleben wir die Beziehungen zwischen Cece, Garrett, Charlie und deren Kindern. Der Roman erzählt von Freundschaft, Liebe, Tragödien, Trennungen und Versöhnung.
Gerade anfänglich bezaubert der Roman durch originelle Mitspieler, die für eine gute Unterhaltung sorgen; humorvolle Gedanken, Betrachtungen und Metaphern in witzigen Dialogen bringen Spaß. Die angenehm überschaubaren Charaktere spiegeln eine amerikanische Realität wider, und erwarten keine große Sympathie. Ich empfand eine gewisse Distanz, das mag an den Zeitsprüngen liegen, die Geschehen vorwegnehmen, was sich später aber wieder fügte - ein interessantes stilistisches Mittel. Die Beschreibung ihrer Lebensgeschichte über einen Zeitraum von 50 Jahren ist das Anliegen, ein Generationsroman.
Der Roman ist geschickt konstruiert. Rückblenden und verschiedene Sichtweisen beleben ihn. Eric Puchners Schreibstil ist unaufdringlich und gekonnt. Mir haben besonders die Dialoge sehr gut gefallen, ebenso die beeindruckenden Landschaftsbeschreibungen.
Gerade den Anfang fand ich sehr vielversprechend und beste Unterhaltung mit Esprit, 500 Seiten waren mir aber zu viel – obwohl geschickt aufgebaut und verzahnt, konnte mich weder die Story noch die Mitspieler richtig mitreißen, ich blieb oft distanziert, der Roman war mir zu mühselig lang und ich hätte mir gewünscht, dass er besser nachhallt.
Auffallend ist, dass Eric Puchner gekonnt formulieren und konstruieren kann, was bestimmt viele Leser mitreißt. Mich hat die Story an sich nicht gefesselt.

Bewertung vom 13.09.2025
Tägder, Susanne

Die Farbe des Schattens


ausgezeichnet

Intensive und berührende Wahrheitssuche!

Winter 1992 – Polizeihauptkommissar Arno Groth hat sein Hamburger Revier vor 3 Monaten verlassen, um als Aufbauhelfer Ost ins mecklenburgische Wechtershagen zu ziehen. Anders als in der Großstadt Hamburg ist er mit den Sorgen und Nöten einer Kleinstadt konfrontiert in all der Unsicherheit und Zukunftsangst nach der Wende. Die Menschen müssen sich neu orientieren. Arbeitslosigkeit, Geldentwertung, schwere persönliche Schicksale erwarten ihn.

Doch auch die jungen Jugendlichen sind dabei sich zu orientieren aufgrund der beginnenden Pubertät. Ein 11-jähriger Junge wird vermisst, Matti Beck. Die Becks wohnen in einem 5-stöckigen Plattenbau. Hauptkommissar Groth führt die Ermittlungen. Und da ist Ina, vor Kurzem nach Wechtershagen gezogen; was verschweigt die Taxifahrerin?
Dann taucht ein alter Fall vor 6 Jahren auf – gibt es einen Zusammenhang?

Falsche Fährten schärfen die Sicht auf die damalige Zeit. Spuren, die im Nichts verlaufen, aber für Hochspannung sorgen. Dann bewegt sich die Düsternis und Ungewissheit in der Geschichte, als ein wichtiges, bewusst zurückgehaltenes Ereignis ausgesprochen wird. Jetzt durchzieht die Hoffnung und das Vorankommen. Arno Groth trifft eine persönliche Entscheidung.

Der Hauptkommissar Groth ist sympathisch. Er begreift, obwohl vorher 25 Jahre in Hamburg, wie ein Kleinstädter im Osten angesehen wird. „Die Leute fühlen sich abgeschrieben“.
Der auf den Punkt gebrachte Zeitabschnitt, fast sezierend, zeigt die damalige Realität.

Es ist ein mühsamer aber sehr intensiver Weg der Aufklärung dieses Kriminalfalles. Trübe Stimmung aber eine sehr gründliche Suche. Präzise Beobachtungen und Beschreibungen beleuchten den Roman, schnörkellos werden die Lebenssituationen und das Umfeld aufgezeigt. Treffend ist das Zitat am Anfang von Uwe Johnson: “Die Dämmerung schärft die Lichter“.
Nicht unbedingt das Auffinden des Täters, sondern die genaue Beobachtung und Psychologie der Mitspieler mit deren Begegnungen in deren Umfeld nach der Wende sind maßgeblich für die Spannung in diesem Roman.
Die Erkenntnisse, die den Hauptfiguren neuen Lebensmut vermitteln, das genaue Hinsehen auf den Schmerz und wie jeder damit umgeht, ist berührend. Das Hautnahe wird betont durch die Gegenwartsform des Romans.
Susanne Tägder erzeugt auch mit ihrer flüssigen unabgelenkten Schreibweise einen speziellen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Für mich ein sehr lesenswerter und berührender Roman, der Zeitgeschichte und Kriminalfall auf eine spannende Weise vereint und lange nachhallt.

Susanne Tägder arbeitete zeitweise auch als vorsitzende Richterin im Karlsruher Sozialgericht.
Sie widmet dieses Buch all jenen, die bereit sind auf der Suche nach Wahrheit selbst der ungewissensten Spur zu folgen.

Bewertung vom 28.08.2025
Everett, Percival

Dr. No


sehr gut

Wortwitzige Verknüpfung von Spionageroman und Sozialkritik

Der Roman fängt schon mit einem Paradoxon an: “Weißt du noch, wann du deinen Geburtstag vergessen hast?“
Würden wir uns an alles erinnern, hätten wir keine Sprache für das Erinnern und Vergessen. Dann wäre nichts wichtig.“
Wala Kitu ist Professor für Mathematik. Experte für das Nichts.
Er trifft auf John Milton Bradley Sill, Milliardär, der ein James Bond Schurke sein will und eine Box, in der das Nichts sein soll in Fort Knox vorhat zu stehlen. Wala Kitu soll ihm dabei helfen und bekommt eine ansehnliche Summe überwiesen. „Ich will ihre ehrliche Verwirrung“ sagt Sill zu Wala. Auch Kitus Kollegin Eigen Vector ist bei dem Abenteuer dabei. Ebenso ein sprechender Hund mit nur einem Bein namens Trigo.
Doch ein Milliardär, der Schurke sein will, tut, was er für nötig hält, eine Moral scheint nicht zu existieren. So macht sich Wala Kitu bald mit Hund und Eigen Vector auf die Flucht und erlebt so einige Begrenzungen und Überraschungen.
Wala Kitu ist 35 Jahre alt, hat das Asperger Syndrom, ist weltfremd, unbedarft und genial. Er verkörpert das Gegenteil von der heldenhaften Vorstellung eines 007, der so alles im Griff zu haben scheint. Hier werden die bekannten James Bond Szenarien auf die Schippe genommen und parodistisch beleuchtet. Alle Klischees werden bedient. Gespickt wir dies mit mathematischen und philosophischen Formeln und Erkenntnissen. Die Konversation ist köstlich und auch teilweise ermüdend, denn „die ehrliche Verwirrung“ liegt beim Leser, versteht man das Wenigste, wenn es um mathematische Fachsimpelei geht.

Doch ist man amüsiert durch den, nicht immer entschlüsselten hintergründigen Wortwitz, der mitunter auch vordergründig ist, wenn z.B. der schwarze Kitu, der noch keinen Führerschein hat, von einem weißen Polizisten angehalten wird und die Situation völlig überraschend endet. Die Hauptdarsteller sind Schwarz. Und ebenso bezeichnend ist in Percival Everetts Romanen sind die Namen der Mitspieler, die jeweils eine Bedeutung haben, mag es eine geschichtliche oder aus anderen Romanen (eigenen oder fremden) entliehene oder wie Wala Kitus Name, der Nichts Nichts bedeutet. Eigen Vector ist ein Vector, der sich immer in eine Richtung bewegt. „Dinge müssen bezeichnet werden, alles was kein Ding ist, hat keinen Namen“, ist quasi ein Nichts.
Ein sprühendes, intelligentes Feuerwerk an Ideen und komischen und absurden Situationen. Bis zum Schluss weiß man nicht, was für eine Verbindung zwischen Wala Kitu und John Sill besteht und der Leser atmet auf, dass nicht auch Wala Kitu - wie ein Nebenbuhler, ebenso wie eine Kleinstadt im Nichts verschwindet, als hätte er nicht existiert.
Man genießt den Roman durch die einzelnen Gespräche und Kuriositäten: alles zu hinterfragen ist nicht das Anliegen. Es kommt der Spaß rüber, den Percival Everett offensichtlich beim Schreiben seines Romans hatte. Zum Nachdenken anregend ist die sozialkritische und politische Komponente.

Bewertung vom 20.08.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


ausgezeichnet

Beeindruckend – erstklassige Unterhaltung!

Amélie Mortiers, eine , nach Jahren wieder aufgetauchte Schulfreundin, macht Eric ein berufliches Angebot.
Eric Kherson, 40 Jahre alt, bislang erfolgreich und geradlinig in seinem Job, bemerkte in der letzten Zeit eine Müdigkeit und schleichende Depression. Er nimmt, zu jedermanns Überraschung, das Angebot an, fortan für die französische Regierung zu arbeiten,
Eric übt für Amélie den“Zauber des Unauffälligen aus“, er würde, meint sie “das entsprechende Fingerspitzengefühl“ für den neuen Job mitbringen.
Als Eric später in Seoul eine wichtige Präsentation vortragen soll, verpasst er den Termin und dies ist der Moment, wo sich sein Leben noch einmal ändern sollte und zwar grundsätzlich. Eric erkennt, was im Leben wirklich wichtig ist und setzt sich in Frankreich für dein selbst erlebtes koreanisches Ritual ein.

Das Buch bringt Spaß, denn Eric führen viele Ungewöhnlichkeiten voran, die ihm begegnen und die er tatsächlich annimmt ( wie oft übersehen wir diese wegweisenden Chancen, als Zufälle getarnt).
David Foenkinos kann sehr gut die Zwischentöne einfangen mit einer humorvollen und auf den Punkt gebrachten Sprachfertigkeit. Man vertraut dem Autor sofort aufgrund seiner Lebensklugheit und lässt sich gerne literarisch weiterführen mit dem Protagonisten Eric. Man ahnt fast, dass es gut ausgeht – das beruhigt. David Foenkinos holt den Leser ab und fängt ihn auf. Die Distanz zum Geschehen ist genau richtig und macht den Protagonisten sympathisch - vor allem auch die humorvolle und menschenliebende Sprachwahl „ der Zauber des Unauffälligen“ oder (über Amelie) „ Eric erkannte allmählich, dass die unermüdliche Inszenierung des Glücks die Aussicht auf einen Abgrund bot!“ Kleine, fast nebensächliche Andeutungen heben die Spannung und führen voran. Der Roman ist sehr anregend, sehr unterhaltsam und auf eine sanft eindringende Weise nachhallend. Ein wunderbares Leseerlebnis!

Bewertung vom 02.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

Beschwerliche Heldinnenreise

Junge Frau mit Katze – der Titel ist ansprechend, erscheint harmlos – ist er aber nicht.

Ela, die schon fünf Jahre an ihrer Doktorarbeit arbeitet, wird krank.
Dieser autofiktionale Roman beschreibt, wie sie mit den Symptomen umgeht und deren Ursachen findet, die medizinischen und die psychologischen.
„Kranksein gehörte zu meinem Leben, wie für andere das Atmen“, erkennt sie.
Ihre Konzentration liegt notgedrungen auf dem Körper, der immer stark reagiert. Sie bemerkt ständig neue reale Symptome mit daraus resultierenden Untersuchungen und Diagnosen von Ärzten: Kehlkopfentzündung, Herzmuskelentzündung, Asthma, Hashimoto, dann eine Grippe, Hat sie auch eine Katzenallergie entwickelt? Die Krankheitsbilder werden detailliert beschreiben, ebenso die Arztbesuche.
Elas Instinkt will sich nicht auf die Diagnosen einlassen, Tabletten nehmen. Unklare Befunde lassen sie zweifeln, Ängste lassen ihren Körper in Chaos versinken. Sie fragt sich, wie die Symptome zusammenhängen. Währenddessen führt Ela ihr Leben weiter wie bisher. Bald muss sie sich der Prüfung stellen. Ihr Doktorvater bietet ihr eine anschließende akademische Tätigkeit an. Trotz ihrer Krankheitsbilder, ihrer Unpässlichkeit, Bettlägerigkeit denkt sie ununterbrochen an ihre Disputation.
Ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter wird beschrieben, das zu ihrem Bruder, ihrer Freundin, auf deren Tochter sie tagsüber aufpasst. Dann macht ihre Mutter unerwartete eigene Schritte im Leben und hat auch vor, auf die Hochzeit des Bruders nach London zu kommen. Inzwischen sitzt Ela in ihrem Chaos aus Krankheiten, Diagnosen und eigenen Vorstellungen und dem Funktionieren fest.

Diese Verzweiflung von langandauernd Kranken wird selten beschrieben. Die Thematik hat unser vollstes Mitempfinden. Doch diese Umsetzung ist für mich streckenweise belastend und das „hinreißend Komische“ konnte ich nur in wenigen Sequenzen entdecken und mehr Humor als Ausgleich hätte vielleicht der Schwere der Situation Elas gut getan. So ist man konfrontiert mit allen Einzelheiten der Symptome diverser Krankheiten und den Diagnosen der Ärzte und Elas Reaktion darauf, was irgendwann beklemmend und ermüdend auf mich gewirkt und eine Distanz zu mir als Leserin geschaffen hat. Allerdings ist es natürlich bedeutsam, die Ursache und den Zusammenhang mit einer ganzheitlichen medizinischen Untersuchung zu verstehen und auf dies hinzuweisen – was in diesem Buch auch geschieht. Und, wichtig, wie Daniela Dröscher am Anfang mitteilt. “Schreibend kann ich versuchen, uns (die Mutter und sie) zu retten. So wie mich das Schreiben immer gerettet hat.“ Und so ist dieser autofiktionale Roman auch ein Heilmittel für sie in Romanform.

Als die Mutter die Reißleine zieht, ist der befreiende Cut eingetreten, die Symbiose zur Mutter, die noch bestand, entzweit, „mein Körper hat im Schatten ihres (der Mutter) Körpers gelebt“, weiß Ela. So findet Ela im letzten Abschnitt zu ihrem ureigenen Werdegang und Selbstermächtigung - eine beschwerliche und erfolgreiche Heldinnenreise. Alles findet an den richtigen Platz.

Die schöne und klare Sprache, die den Roman ausmacht, beeindruckt. Ebenso gelungen und inspirierend fand ich die japanischen Gleichnisse und die vor jedem Abschnitt gedruckten Zitate von Yoko Tawada.
Ela selbst hinterlässt bei mir einen gemischten Eindruck, die anderen Mitspieler bleiben eher flach - Ela nimmt sehr viel Raum ein. Die überbordende Sicht und den Umgang mit den Krankheiten lassen Abstand entstehen. Das entstehende Chaos wird auf den Leser abgeladen.
Einfach zu lesen mit schönem Schreibstil und streckenweise anstrengendem Inhalt.

Bewertung vom 31.07.2025
Doughty, Louise

Deckname: Bird


ausgezeichnet

Rasant, tiefsinnig und fesselnd!

Heather Berriman ist Agentin des britischen Geheimdienstes, arbeitet in Birmingham in einer Spezialeinheit.
Aus noch nicht sichtbaren Gründen, flüchtet sie aus einer Konferenz heraus, Tasche gepackt, exakt geplant für den Notfall und los. Sie weiß, es ist etwas im Busch, das sich gegen sie wendet.
Im Laufe der Geschichte entpuppt sich, wie es dazu gekommen ist.

Das Buch verspricht und hält eine rasante Abenteuerreise bereit, ihre Flucht. Sofort ist man mittendrin im Geschehen und fiebert mit Heather – vom Vater genannt Bird – mit. Das ganze Programm, agentenlike, mit Verkleidungen, ungewöhnlichen Verstecken und vorgetäuschten Charakteren erwartet uns. Sie bangt um ihr Leben, wird verfolgt und gesucht und muss schnelle Entscheidungen treffen. Immer auf dem Sprung, immer bereit, den Koffer zu schnappen. Die Flucht führt von England über Schottland und Norwegen bis nach Island. Heather muss und wird das Rätsel ihrer Verfolgung aufklären.

Das letzte Drittel der Geschichte steht voran, dann enthüllt sich nach und nach in Rückblenden, was dazu führte, bis sich der Kreis zum Ende hin schließt. Heather ist eine taffe Einzelgängerin - die wichtigen Abschnitte ihres Lebens werden dargestellt, ihr Werdegang, der sich bis nach ihrem 50. Lebensjahr hinzieht,

Der Roman ist rasant, sehr gut aufgebaut. Das Leben Heathers psychologisch fein beleuchtet und greifbar gemacht. Interessant ist dass es in diesem Roman mehr um ihren Werdegang mit der für ihr Überleben notwendigen Flucht als Weg geht, die notwendige Aufklärung dient eher als Ergänzung. Die Einsamkeit eines individuellen Lebens, das nichts Vergleichbares kennt und gerade deshalb an sich fesselnd und lebendig ist – der Überlebenswille und die notgedrungene Akzeptanz des Schicksals in dieser Lebensphase. Durchgängige Spannung machen dies Buch zum Pageturner.
Ergänzend und abrundend sind die beeindruckenden Landschafts- und Aufenthaltsbeschreibungen. Sehr gute und auch tiefsinnige Unterhaltung!

Bewertung vom 17.07.2025
Capes, Kirsty

Girls


ausgezeichnet

Herzerwärmend, spannend und nachwirkend!

Das Haus in Richmond birgt keine guten Erinnerungen.
Matilda erinnert sich. Ihre Schwester und sie wuchsen dort auf mit einer alleinerziehenden Mutter, die Bildende Künstlerin war. Jetzt ist sie gestorben und die Schwestern treffen einander nach Jahren wieder.
Die Erinnerungen ihrer Kindheit werden beschrieben und erzählt aus Sicht von Matilda, der Älteren der beiden.
Die Mutter liebt ihre Kunst mehr als ihre Töchter – das ist von Anfang an ein Statement. Egozentrikerin, immer nah am Abgrund, hemmungslos, gezeichnet von Depressionen, Drogen und Alkoholmissbrauch. Auch zeigt sie kaum Empathie, Verantwortung oder Fürsorge ihren Kindern gegenüber. Alles nichts Neues in Romanen.
Doch die Art und Weise wie Kirsty Capes diese Familiengeschichte erzählt, ist etwas Besonderes. Alle Personen werden genau betrachtet. Die Geschichte birgt ungewöhnliche Situationen.
Nach den Kapiteln eingefügte Auszüge und Interviews von Richard, Buchautor und neuer Freund von Matilda, runden die Geschichte ab. Es gibt noch Karoline, die Schwester von Ingrid, den meist abwesenden Vater und Beanie, die Tochter von Matilda
Matilda ist als Sozialarbeiterin, Expertin für junge Menschen vor der Pubertät mit seelischen Problemen, Nora studiert Kunstgeschichte und ist selbst Performancekünstlerin Auf einem abenteuerlichen Roadtrip durch die Mojawe Wüste bis nach San Francisco zur Retrospektive von Ingrids Kunst in der Moma nehmen Nora, Mattie und Beanie die Asche von Ingrid mit, um sie an einen geeigneten Platz zu verstreuen. „Wir müssen sie loswerden“, sagt Nora und meint die Asche der Mutter – doch geht es darum, Frieden mit der Mutter zu finden und jede auf ihre Art mit den Konsequenzen ihrer Kindheit umzugehen und Entscheidungen zu treffen. Und gleichzeitig und parallel erfahren wir von Matildas Beziehung zu ihrer Tochter Beanie, der sie näher kommt während der Wohnmobilfahrt zur Ausstellung von Ingrid und auch diese Beziehung unterliegt einem Wandel zum Verständnis.
Trotz der aufwühlenden Erinnerungen, werden die Schwestern so dargestellt, dass sie begriffen werden in ihren Impulsen und ihren Handlungen. Doch wie sind sie verkettet und abhängig voneinander und wie gehen sie mit ihrem Schicksal um?
Es kommen immer wieder Aspekte hinzu, die neu betrachtet werden und die das fortlaufende Verständnis der Einzelnen und die Annäherung unterstützen. Es kommt zur Konfrontation zwischen den Schwestern. Zum Schluss wird der letzte Wunsch der Mutter erfüllt entgegen allen kommerziellen Vorstellungen und nach dieser langen Tour hat jede der Beteiligten etwas gewonnen. Das Berührende sind nicht nur die Einzelschicksale sondern das Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten – ganz individuell und teils verblüffend. Ein warmherziges und spannendes Buch, das niemanden der Protagonisten im Stich lässt und auch den Leser vor die Frage stellt, wie er oder sie selbst mit der eigenen Individualität, den Entscheidungen und den Verantwortungen umgeht.
Ein sehr emotionales und herzerwärmendes Buch mit vielen ungewöhnlichen, teils urkomischen Situationen – empfehlenswert!

Bewertung vom 23.06.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


ausgezeichnet

Berührend und poetisch

USA, Illinois, Chicago: der über 70-jährige Bucky Bronco hat Schmerzen in den Gelenken und keine Krankenversicherung. Seit dem Tod seiner Frau ist er einsam, zusätzlich zwingen ihn die Schmerzen Tabletten zu nehmen. Doch seine Alltagssituation ändert sich, als er für ein Wochenende auf ein Musikfestival nach Scarborough in Yorkshire an der englischen Nordseeküste eingeladen wird. Earlon „Bucky“ Bronco war einst ein Soulsänger und ist eingeladen, seine beiden Hits zu singen. Er war mit 17 Jahren,1967, ein gefeierter Soulsänger, dessen Hits es über den Atlantik geschafft hatten. Bucky setzt sich ins Flugzeug und vergisst dort seine starken Schmerzmittel, die er fortlaufend benötigt.

Eine aufgeweckte Agentin, Dinah, holt ihn am Flughafen ab und zeigt ihm sein Hotel, das sich entpuppt, als hätte es die Glanzzeit schon hinter sich – genau wie Bucky sich fühlt.
Er erzählt Dinah, dass er jeden Song, er war auch Songwriter, nur 1 x gesungen hat und niemals aufgetreten ist. In Scarborough wäre sein allererster Auftritt.

Dinahs Alltag wird beschrieben, sie ist mit Mann und Kind in einer festgefahrenen Situation – ihr Mann sowie ihr Sohn überschreiten Grenzen des Respekts und nehmen Dinah als selbstverständlich hin, es fehlt der Lichtblick in ihrem Leben.“In stiller Verzweiflung geführtes Leben“
Bucky und Dinah öffnen sich dem anderen und es öffnen sich für beide jeweils neue Türen.
Beide Personen werden intensiv und melancholisch, lebendig beschrieben – man kann sie an kleinen Beobachtungen genau ergreifen. Eine poetische Schreibweise, die das jeweilige Dasein nicht bewertet, sondern es sich entfalten lässt. Sofort werden Sympathien gefasst zu den beiden Protagonisten beides Gestrandete an den jeweiligen Küsten. Es wird eine wunderbare, herzerwärmende Geschichte dauern, bis sie, gemeinsam in der rauen Nordsee ein Bad nehmen.
Die Stimmung der beiden Hauptdarsteller ist beeindruckend eingefangen, ebenso wie die sie umgebende Szenerie. Die Beobachtungen entspringen einem gesunden Menschenverstand und dies zutiefst Menschliche erkennt man wieder und ist berührt.
Bucky ist auf Entzug von den Opioiden, die Schmerzen strapazieren ihn.
Der Schmerz- und Trauerbewältigung und dem Entzug wird viel Raum gegeben – dennoch wichtig für den Aufbau und die Quintessenz, ist absolut glaubwürdig und zeigt eine Realität, von der sich oft weggeduckt wird – nicht so Dinah. Auch sie muss leiden – doch ihr Leid wird knallhart mit Abstand, sarkastisch beschrieben und ihre Beobachtungen zu ihrem Mann sowie zu ihrem Sohn sind so auf den Punkt gebracht, dass es äußerst witzig rüberkommt.
Benjamin Myers zeigt und bedient eine Palette menschlichen Daseins, die ich beeindruckend finde und so hallt dieses Buch bei mir noch lange nach.

Mir ist beim Lesen die Oscar prämierte Filmdokumentation „Searching for Sugarman“ in den Sinn gekommen, in der ein Sänger und Songwriter Sixto Rodriguez in späten Jahren erfährt, dass er in einem anderen Erdteil ein berühmter Sänger, ein Kultstar war – auch ihm wurden Anteile oder Tantiemen vorenthalten.