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Edda246
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Hamburg

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Insgesamt 89 Bewertungen
Bewertung vom 02.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

Beschwerliche Heldinnenreise

Junge Frau mit Katze – der Titel ist ansprechend, erscheint harmlos – ist er aber nicht.

Ela, die schon fünf Jahre an ihrer Doktorarbeit arbeitet, wird krank.
Dieser autofiktionale Roman beschreibt, wie sie mit den Symptomen umgeht und deren Ursachen findet, die medizinischen und die psychologischen.
„Kranksein gehörte zu meinem Leben, wie für andere das Atmen“, erkennt sie.
Ihre Konzentration liegt notgedrungen auf dem Körper, der immer stark reagiert. Sie bemerkt ständig neue reale Symptome mit daraus resultierenden Untersuchungen und Diagnosen von Ärzten: Kehlkopfentzündung, Herzmuskelentzündung, Asthma, Hashimoto, dann eine Grippe, Hat sie auch eine Katzenallergie entwickelt? Die Krankheitsbilder werden detailliert beschreiben, ebenso die Arztbesuche.
Elas Instinkt will sich nicht auf die Diagnosen einlassen, Tabletten nehmen. Unklare Befunde lassen sie zweifeln, Ängste lassen ihren Körper in Chaos versinken. Sie fragt sich, wie die Symptome zusammenhängen. Währenddessen führt Ela ihr Leben weiter wie bisher. Bald muss sie sich der Prüfung stellen. Ihr Doktorvater bietet ihr eine anschließende akademische Tätigkeit an. Trotz ihrer Krankheitsbilder, ihrer Unpässlichkeit, Bettlägerigkeit denkt sie ununterbrochen an ihre Disputation.
Ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter wird beschrieben, das zu ihrem Bruder, ihrer Freundin, auf deren Tochter sie tagsüber aufpasst. Dann macht ihre Mutter unerwartete eigene Schritte im Leben und hat auch vor, auf die Hochzeit des Bruders nach London zu kommen. Inzwischen sitzt Ela in ihrem Chaos aus Krankheiten, Diagnosen und eigenen Vorstellungen und dem Funktionieren fest.

Diese Verzweiflung von langandauernd Kranken wird selten beschrieben. Die Thematik hat unser vollstes Mitempfinden. Doch diese Umsetzung ist für mich streckenweise belastend und das „hinreißend Komische“ konnte ich nur in wenigen Sequenzen entdecken und mehr Humor als Ausgleich hätte vielleicht der Schwere der Situation Elas gut getan. So ist man konfrontiert mit allen Einzelheiten der Symptome diverser Krankheiten und den Diagnosen der Ärzte und Elas Reaktion darauf, was irgendwann beklemmend und ermüdend auf mich gewirkt und eine Distanz zu mir als Leserin geschaffen hat. Allerdings ist es natürlich bedeutsam, die Ursache und den Zusammenhang mit einer ganzheitlichen medizinischen Untersuchung zu verstehen und auf dies hinzuweisen – was in diesem Buch auch geschieht. Und, wichtig, wie Daniela Dröscher am Anfang mitteilt. “Schreibend kann ich versuchen, uns (die Mutter und sie) zu retten. So wie mich das Schreiben immer gerettet hat.“ Und so ist dieser autofiktionale Roman auch ein Heilmittel für sie in Romanform.

Als die Mutter die Reißleine zieht, ist der befreiende Cut eingetreten, die Symbiose zur Mutter, die noch bestand, entzweit, „mein Körper hat im Schatten ihres (der Mutter) Körpers gelebt“, weiß Ela. So findet Ela im letzten Abschnitt zu ihrem ureigenen Werdegang und Selbstermächtigung - eine beschwerliche und erfolgreiche Heldinnenreise. Alles findet an den richtigen Platz.

Die schöne und klare Sprache, die den Roman ausmacht, beeindruckt. Ebenso gelungen und inspirierend fand ich die japanischen Gleichnisse und die vor jedem Abschnitt gedruckten Zitate von Yoko Tawada.
Ela selbst hinterlässt bei mir einen gemischten Eindruck, die anderen Mitspieler bleiben eher flach - Ela nimmt sehr viel Raum ein. Die überbordende Sicht und den Umgang mit den Krankheiten lassen Abstand entstehen. Das entstehende Chaos wird auf den Leser abgeladen.
Einfach zu lesen mit schönem Schreibstil und streckenweise anstrengendem Inhalt.

Bewertung vom 31.07.2025
Doughty, Louise

Deckname: Bird


ausgezeichnet

Rasant, tiefsinnig und fesselnd!

Heather Berriman ist Agentin des britischen Geheimdienstes, arbeitet in Birmingham in einer Spezialeinheit.
Aus noch nicht sichtbaren Gründen, flüchtet sie aus einer Konferenz heraus, Tasche gepackt, exakt geplant für den Notfall und los. Sie weiß, es ist etwas im Busch, das sich gegen sie wendet.
Im Laufe der Geschichte entpuppt sich, wie es dazu gekommen ist.

Das Buch verspricht und hält eine rasante Abenteuerreise bereit, ihre Flucht. Sofort ist man mittendrin im Geschehen und fiebert mit Heather – vom Vater genannt Bird – mit. Das ganze Programm, agentenlike, mit Verkleidungen, ungewöhnlichen Verstecken und vorgetäuschten Charakteren erwartet uns. Sie bangt um ihr Leben, wird verfolgt und gesucht und muss schnelle Entscheidungen treffen. Immer auf dem Sprung, immer bereit, den Koffer zu schnappen. Die Flucht führt von England über Schottland und Norwegen bis nach Island. Heather muss und wird das Rätsel ihrer Verfolgung aufklären.

Das letzte Drittel der Geschichte steht voran, dann enthüllt sich nach und nach in Rückblenden, was dazu führte, bis sich der Kreis zum Ende hin schließt. Heather ist eine taffe Einzelgängerin - die wichtigen Abschnitte ihres Lebens werden dargestellt, ihr Werdegang, der sich bis nach ihrem 50. Lebensjahr hinzieht,

Der Roman ist rasant, sehr gut aufgebaut. Das Leben Heathers psychologisch fein beleuchtet und greifbar gemacht. Interessant ist dass es in diesem Roman mehr um ihren Werdegang mit der für ihr Überleben notwendigen Flucht als Weg geht, die notwendige Aufklärung dient eher als Ergänzung. Die Einsamkeit eines individuellen Lebens, das nichts Vergleichbares kennt und gerade deshalb an sich fesselnd und lebendig ist – der Überlebenswille und die notgedrungene Akzeptanz des Schicksals in dieser Lebensphase. Durchgängige Spannung machen dies Buch zum Pageturner.
Ergänzend und abrundend sind die beeindruckenden Landschafts- und Aufenthaltsbeschreibungen. Sehr gute und auch tiefsinnige Unterhaltung!

Bewertung vom 17.07.2025
Capes, Kirsty

Girls


ausgezeichnet

Herzerwärmend, spannend und nachwirkend!

Das Haus in Richmond birgt keine guten Erinnerungen.
Matilda erinnert sich. Ihre Schwester und sie wuchsen dort auf mit einer alleinerziehenden Mutter, die Bildende Künstlerin war. Jetzt ist sie gestorben und die Schwestern treffen einander nach Jahren wieder.
Die Erinnerungen ihrer Kindheit werden beschrieben und erzählt aus Sicht von Matilda, der Älteren der beiden.
Die Mutter liebt ihre Kunst mehr als ihre Töchter – das ist von Anfang an ein Statement. Egozentrikerin, immer nah am Abgrund, hemmungslos, gezeichnet von Depressionen, Drogen und Alkoholmissbrauch. Auch zeigt sie kaum Empathie, Verantwortung oder Fürsorge ihren Kindern gegenüber. Alles nichts Neues in Romanen.
Doch die Art und Weise wie Kirsty Capes diese Familiengeschichte erzählt, ist etwas Besonderes. Alle Personen werden genau betrachtet. Die Geschichte birgt ungewöhnliche Situationen.
Nach den Kapiteln eingefügte Auszüge und Interviews von Richard, Buchautor und neuer Freund von Matilda, runden die Geschichte ab. Es gibt noch Karoline, die Schwester von Ingrid, den meist abwesenden Vater und Beanie, die Tochter von Matilda
Matilda ist als Sozialarbeiterin, Expertin für junge Menschen vor der Pubertät mit seelischen Problemen, Nora studiert Kunstgeschichte und ist selbst Performancekünstlerin Auf einem abenteuerlichen Roadtrip durch die Mojawe Wüste bis nach San Francisco zur Retrospektive von Ingrids Kunst in der Moma nehmen Nora, Mattie und Beanie die Asche von Ingrid mit, um sie an einen geeigneten Platz zu verstreuen. „Wir müssen sie loswerden“, sagt Nora und meint die Asche der Mutter – doch geht es darum, Frieden mit der Mutter zu finden und jede auf ihre Art mit den Konsequenzen ihrer Kindheit umzugehen und Entscheidungen zu treffen. Und gleichzeitig und parallel erfahren wir von Matildas Beziehung zu ihrer Tochter Beanie, der sie näher kommt während der Wohnmobilfahrt zur Ausstellung von Ingrid und auch diese Beziehung unterliegt einem Wandel zum Verständnis.
Trotz der aufwühlenden Erinnerungen, werden die Schwestern so dargestellt, dass sie begriffen werden in ihren Impulsen und ihren Handlungen. Doch wie sind sie verkettet und abhängig voneinander und wie gehen sie mit ihrem Schicksal um?
Es kommen immer wieder Aspekte hinzu, die neu betrachtet werden und die das fortlaufende Verständnis der Einzelnen und die Annäherung unterstützen. Es kommt zur Konfrontation zwischen den Schwestern. Zum Schluss wird der letzte Wunsch der Mutter erfüllt entgegen allen kommerziellen Vorstellungen und nach dieser langen Tour hat jede der Beteiligten etwas gewonnen. Das Berührende sind nicht nur die Einzelschicksale sondern das Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten – ganz individuell und teils verblüffend. Ein warmherziges und spannendes Buch, das niemanden der Protagonisten im Stich lässt und auch den Leser vor die Frage stellt, wie er oder sie selbst mit der eigenen Individualität, den Entscheidungen und den Verantwortungen umgeht.
Ein sehr emotionales und herzerwärmendes Buch mit vielen ungewöhnlichen, teils urkomischen Situationen – empfehlenswert!

Bewertung vom 23.06.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


ausgezeichnet

Berührend und poetisch

USA, Illinois, Chicago: der über 70-jährige Bucky Bronco hat Schmerzen in den Gelenken und keine Krankenversicherung. Seit dem Tod seiner Frau ist er einsam, zusätzlich zwingen ihn die Schmerzen Tabletten zu nehmen. Doch seine Alltagssituation ändert sich, als er für ein Wochenende auf ein Musikfestival nach Scarborough in Yorkshire an der englischen Nordseeküste eingeladen wird. Earlon „Bucky“ Bronco war einst ein Soulsänger und ist eingeladen, seine beiden Hits zu singen. Er war mit 17 Jahren,1967, ein gefeierter Soulsänger, dessen Hits es über den Atlantik geschafft hatten. Bucky setzt sich ins Flugzeug und vergisst dort seine starken Schmerzmittel, die er fortlaufend benötigt.

Eine aufgeweckte Agentin, Dinah, holt ihn am Flughafen ab und zeigt ihm sein Hotel, das sich entpuppt, als hätte es die Glanzzeit schon hinter sich – genau wie Bucky sich fühlt.
Er erzählt Dinah, dass er jeden Song, er war auch Songwriter, nur 1 x gesungen hat und niemals aufgetreten ist. In Scarborough wäre sein allererster Auftritt.

Dinahs Alltag wird beschrieben, sie ist mit Mann und Kind in einer festgefahrenen Situation – ihr Mann sowie ihr Sohn überschreiten Grenzen des Respekts und nehmen Dinah als selbstverständlich hin, es fehlt der Lichtblick in ihrem Leben.“In stiller Verzweiflung geführtes Leben“
Bucky und Dinah öffnen sich dem anderen und es öffnen sich für beide jeweils neue Türen.
Beide Personen werden intensiv und melancholisch, lebendig beschrieben – man kann sie an kleinen Beobachtungen genau ergreifen. Eine poetische Schreibweise, die das jeweilige Dasein nicht bewertet, sondern es sich entfalten lässt. Sofort werden Sympathien gefasst zu den beiden Protagonisten beides Gestrandete an den jeweiligen Küsten. Es wird eine wunderbare, herzerwärmende Geschichte dauern, bis sie, gemeinsam in der rauen Nordsee ein Bad nehmen.
Die Stimmung der beiden Hauptdarsteller ist beeindruckend eingefangen, ebenso wie die sie umgebende Szenerie. Die Beobachtungen entspringen einem gesunden Menschenverstand und dies zutiefst Menschliche erkennt man wieder und ist berührt.
Bucky ist auf Entzug von den Opioiden, die Schmerzen strapazieren ihn.
Der Schmerz- und Trauerbewältigung und dem Entzug wird viel Raum gegeben – dennoch wichtig für den Aufbau und die Quintessenz, ist absolut glaubwürdig und zeigt eine Realität, von der sich oft weggeduckt wird – nicht so Dinah. Auch sie muss leiden – doch ihr Leid wird knallhart mit Abstand, sarkastisch beschrieben und ihre Beobachtungen zu ihrem Mann sowie zu ihrem Sohn sind so auf den Punkt gebracht, dass es äußerst witzig rüberkommt.
Benjamin Myers zeigt und bedient eine Palette menschlichen Daseins, die ich beeindruckend finde und so hallt dieses Buch bei mir noch lange nach.

Mir ist beim Lesen die Oscar prämierte Filmdokumentation „Searching for Sugarman“ in den Sinn gekommen, in der ein Sänger und Songwriter Sixto Rodriguez in späten Jahren erfährt, dass er in einem anderen Erdteil ein berühmter Sänger, ein Kultstar war – auch ihm wurden Anteile oder Tantiemen vorenthalten.

Bewertung vom 06.05.2025
Deitch, Hannah

Killer Potential


ausgezeichnet

Witzig, spritzig, intelligent – beste Unterhaltung!

Evie ist SAT-Tutorin, bereitet auf die Prüfung zur Zulassung für die Uni vor.
Als sie eines Tages zu ihrer Schülerin Serena Victor kommt, findet sie deren Eltern tot auf, die Mutter erschlagen, der Vater noch mit dem Kopf im Koiteich, ertrunken.
Noch bevor sie die Polizei anrufen kann, und starr vor Angst, hört sie einen Hilfeschrei aus einer Kammer unter der Treppe und findet eine junge Frau gefesselt vor.
Die Situation eskaliert, als Serena, die Tochter und Nachhilfeschülerin, auftaucht.
Evie und die fremde Frau müssen fliehen.
Es beginnt ein wahnwitziger Roadtrip à la Thelma und Louise. Doch diese Geschichte ist anders, es sind Evie und Jae. Jae spricht anfänglich nicht – wer ist sie, die Unbekannte, die Geisel?
Es kommen nach und nach Wahrheiten zum Vorschein – doch wie werden sie gedeutet? Die Spannung steigt zwischen den beiden notgedrungen Flüchtenden - und die äußeren Situationen eskalieren. Unerwartete und verblüffende Wendungen in schneller Aktion treiben die Flucht voran – gibt es noch einen Ausgang?

Die Szenerien sind sofort eingängig, man kann sich auf das rasante Abenteuer leicht einlassen. Die Aufregung und die Unsicherheit innerhalb ihrer erzwungenen Beziehung ist psychologisch fein beobachtet und dargestellt. Die Gedanken Evies, das bis ins Kleinste Erdachte neben Erinnerungen und detaillierten Beobachtungen und Beschreibungen machen den Roman äußerst unterhaltsam. Er sprüht vor Intelligenz und treffendem Witz!

Obwohl es nur die beiden Hauptdarstellerinnen gibt, wird die Geschichte nie langweilig, sondern bleibt anregend, ein kaum aus der Hand gelegtes Buch. Lediglich der Schluss zieht sich für meinen Geschmack etwas hin, ist allerdings schlüssig und rundet die Geschichte ab.

Bewertung vom 23.04.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

Ein beeindruckender und vielschichtiger Roman!

Amanda Peters ist eine Schriftstellerin mit Mi'kmaq Abstammung – ein indigenes Volk, das im Nordosten der USA und Kanada lebt.
Ihr Vater war Beerenpflücker und inspirierte sie, ebenso wie die Erzählungen ihrer Familie zu dieser Geschichte, eine Geschichte, die sich so auch hätte zutragen können.
Es beginnt mit den Erinnerungen von Joe, einem der Kinder einer 7 köpfigen indigenen Familie. Er erinnert sich an die Zeit vor 50 Jahren als die Familie r Anfang der 1960ger Jahre nach Maine in die USA gefahren war, um wie jedes Jahr dort Beeren zu pflücken. Plötzlich verschwindet das jüngste Kind, Ruthie. Trotz wochenlanger Suche bleibt sie verschwunden – eine Tragödie für alle Beteiligten!
In wechselnden Erzählungen von Joe und Norma werden die darauffolgenden Jahrzehnte erzählt und stellen dar, wie dieses Ereignis zwei Familien geprägt hat, welche Wellen ein Schlüsselereignis schlägt, welche Kettenreaktion eine schreckliche Tragödie auslöst.
Was bedeutet der Zusammenhalt einer Familie, was passiert ihr bei so einem Ereignis? Diese Geschichte zeigt, wie unterschiedlich und schwerwiegend die Konsequenzen sein können und dass eine Tragödie die Folgezeit tief beeinflusst. Unschuld und Schuld, Angst und Verzweiflung treiben eine Suche voran bis zur Erlösung.
Beide Protagonisten, Norma sowie Joe treffen Entscheidungen für ihr späteres eigenes Familienleben, mit diesen Erfahrungen. Amanda Peters beschreibt dies mit einer Selbstverständlichkeit und Ehrlichkeit von Joe und Norma, die lebensklug ist.
Unglaublich mitreißend und hochgradig emotional beschrieben. Eine sehr gute Zeitbeschreibung, vor allem während des Beerenpflückens, rundet dies ab.

Es könnte sich so abgespielt haben, könnte eine wahre Geschichte sein, die vielen native Indians passiert ist. Jede Seite ( Buchseite sowie die der Protagonisten Joe und Norma )ist spannend und lässt tief in die einzelnen Charaktere blicken. Wie sie die Geschichte und die Einzelschicksale im Rahmen derer Möglichkeiten webt und agieren lässt, ist äußerst fesselnd. Mit viel Feingefühl zeichnet sie ihre Protagonisten im Zusammenhang mit der damaligen Zeit, deren Vorurteilen und Moralvorstellung. Man entdeckt immer wieder neue Aspekte, die zum Nachdenken anregen, ein vielschichtiger Roman! Auch wirft diese beschriebene Zeit einen wichtigen Blick auf amerikanische und kanadische Geschichte bezüglich Indigener Menschen und wird in Erinnerung gerufen, Damals wurden Indigene Indianer oder Rothäute genannt, abfällig betrachtet und minderwertig von den Weißen angesehen, übliche Vorurteile hatten Bestand und Unrecht konnte geschehen. Der „Indian Act“, sollte den kanadischen Indigenen ihre Identität nehmen, sie wurden von etlichen Rechten beschnitten. Sogenannte Indianerbeauftragte entschieden über den Schulgang indigener Kinder, die ihren Familien entrissen werden konnten usw.
( Erst 2009 bat Barack Obama in einer Erklärung um Verzeihung)
Eine beeindruckende Erzählung und wichtiges Zeitzeugnis.

Der Roman wurde in über 17 Ländern veröffentlicht.

Bewertung vom 02.04.2025
Serrano, Beatriz

Geht so


ausgezeichnet

Eine überaus geistreiche und witzige Punktlandung!

Ursprünglich studierte Marisa, 32 Jahre alt, Kunstgeschichte – wird aber von dort rekrutiert in eine Werbeagentur. Überzeugt davon, dass es vorübergehend sei, arbeitet sie inzwischen schon 8 Jahre in der Werbebranche, ist im mittleren Management und berichtet über Ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen. Sie kennt die Strukturen und Verhaltensweise in dieser Branche bis ins Kleinste, ist ein wichtiger Teil davon. Sie verspottet das System, weil sie weiß, wie es tickt. „Meine Arbeit besteht darin, freundlich zu sein und heiße Luft zu verkaufen“.
Um diese „heiße Luft zu ertragen, schaut sie sich in freier Zeit pausenlos jegliche Art von Youtube-Videos an. Manchmal weint sie, hat Herzschmerzen und nimmt Tabletten, Ängste zu lösen. Doch sie hält durch.

8 Stunden täglich mit entfremdeten und unbefriedigten Arbeiten zu verbringen, verlangt einiges von ihr ab. Sie hat das Flair einer erfolgreichen, selbstbewussten und klugen Madrider Großstadtfrau, die sich in dem „Dschungel „ bewährt“, auch in den kuriosesten Situationen. Mit distanzierten Betrachtungen nimmt Marisa die Werbebranche bzw. ihre Agentur aufs Korn. Witzig und spritzig wird der Alltag geschildert. Sarkastisch sein zu können und doch mittendrin zu sein – ein Spagat! Doch der lässt auch Federn. Trotz ihrer Distanz ist Marisa Teil dieses absurden Systems. Beatriz Serrrano erzeugt Spaß und Spannung anhand von diesen absurd witzig dargebrachten Szenen. Man selbst lacht und weiß, dass es in Teilen so ist, dass es bekannt vorkommt. Die Protagonistin ist menschlich verständlich, sympathisch. Nicht nur für 20-30 Jährige – diese geistreichen Betrachtungen sind zeitlos. Unglaublich witzig dargebracht und erscheint weitaus kreativer als das beschriebene Kreative in der gezeigten creative Branche – und das ist schon kurios und exzellent an sich. Spritzig, witzig, jeder Abschnitt amüsant und auf den Punkt gebracht.

Bewertung vom 26.03.2025
Godfrey, Rebecca;Jamison, Leslie

Peggy


ausgezeichnet

Peggy Guggenheims Leben im lebendigen Zeitkolorit

Rebecca Godfrey stellt in ihrem Buch überlieferte Szenen der legendären Peggy Guggenheim dar und verknüpft sie auf originelle Weise, so dass ein Roman entstanden ist, der sehr wohl so geschehen sein könnte. Leslie Jamison vollendete ihn später anhand der Aufzeichnungen von Rebecca Godfrey. Der Roman umfasst den Zeitabschnitt von 1920 – 1938 und schildert die turbulenten Jahre Peggys in New York, Paris und Südfrankreich durch Sicht und Gedanken von Peggy. Dies wird erzählt bis zur Eröffnung ihrer ersten Galerie in London.
Peggy Guggenheim ist bekannt als eine exzentrische, ausschweifende und schillernde Persönlichkeit mit zahlreichen Liebesaffären. In diesem Roman wird sie von einer Seite dargestellt, die sie im Rahmen ihrer Zeit menschlich, greifbar und sympathisch macht.
Wie wurde Peggy Guggenheim zu einer weiblichen Ikone, die maßgeblich zur Bekanntmachung und Anerkennung der moderne Kunst des 20. Jahrhunderts beitrug?
Peggy Marguerite Guggenheim, 1898 als wohlhabendes jüdisches Mädchen geboren, wurde durch durch ihren Vater inspiriert, die bildende Kunst zu begreifen, er führt sie in die Betrachtung von Malereien ein und erkennt ihre Begabung. Der Vater stirbt auf der Überfahrt der legendären Titanic 1912. Mit 21 erbt Peggy ein Vermögen, zieht nach Paris in das Milieu von Künstlern und Intellektuellen, finanziert ausschweifende Partys und unterstützt mittellose Künstler. Selbst sittsam erzogen, ist sie beeindruckt von Intellektuellen und Künstlern in Paris, heiratet den „ König der Bohème “ Laurence Vail. Doch, mit 23, fühlt sie sich nicht als Bohemiènne. Sie sagt auch, „ich bin keine Debütantin (eine junge Frau, die in die Gesellschaft eingeführt wird), ich bin ein Libertin“ – ein Freigeist. Ihre Mutter: „Gut so, dann endest du nicht als Nichtsnutz“. Mit fast 40, 1938, gründet sie in London ihre erste Galerie, das Guggenheim Jaune, mit Werken moderner Kunst, das sie weltweit bekannt und berühmt machen wird.
Rebecca Godfrey zeigt auf spannende Weise Peggy Guggenheims Werdegang. Eine sehr gute Recherche bis ins Detail zu der Zeit zwischen 1920 und 1938 – man spürt regelrecht die damalige Stimmung der Oberschicht in New York, der Bohème in Paris mit dem Surrealismus und den persönlichen menschlichen Verbindungen. Das Zeitkolorit wird lebendig hervorgeholt.

Sie webt und konstruiert um wichtige Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts die Gedanken und Träume neben der Realitätsbewältigung aus Sicht von Peggy.
Berühmte und bekannte Namen, die Peggys Weg kreuzen z.B. von den Vanderbilts, Rockefellers, Henry Hilton sowie Man Ray, Samuel Beckett ergänzen diese schillernde Zeit. Die Frauenrolle ist im Aufbruch ( die Suffragettendemonstration in New York wird beschrieben), gut dargestellt anhand der Beschreibungen der unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit begegnenden Frauen sowie der Vorstellungen ihrer Schwester und Mutter.
Kleine Beobachtungen und erfrischende Gedanken, auch die Kommunikation mit Künstlern geben wichtige Hinweise auf den Zeitgeist und ihren Einfluss. Sie entwirft Szenen, die fesseln und in die dargestellte Zeit optimal einbinden. Absolut spannend!
Manches wird in Abschnitten vorweg genommen, was sich später klärt, der Lesefluss reißt nicht ab, wird dadurch interessant. Es ist ein durchgängig spannender Roman der sich stark an die tatsächlichen Begebenheiten hält und eine Peggy Guggenheim kreiert, die menschlich und sympathisch ihren ungewöhnlichen Weg findet.

Bewertung vom 17.03.2025
Piontek, Sia

Der Wolf im dunklen Wald / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Ein super Krimi mit vielen Wendungen und sympathischer Ermittlerin

Carla Seidel, Ermittlerin im Morddezernat, hat sich von Hamburg nach Dannenberg versetzen lassen. Und das dort friedliche Wendland erfordert nun Ihren vollen Einsatz. Ein Mord hat im Dragahner Forst während einer Gesellschaftsjagd stattgefunden.
Carla ist aufgefordert, zu ermitteln. Nebenbei und nicht unwichtig ist der 18. Geburtstag ihrer Tochter Lana, die trotz baldiger Volljährigkeit die Zuwendung ihrer Mutter noch benötigt. Carla ist voll eingebunden und muss zwischen Privatem und Arbeit jonglieren.
Was hat der Mord mit dem Freiherrn von Boenning zu tun, der die Jagdgesellschaft ins Leben rief? Carla recherchiert und die unterschiedlichen Spuren führen weit zurück in die Vergangenheit. Parallel dazu ist auch Lana am Rande verwickelt in die Angelegenheit, da ihr neuer Schwarm Fabian, der Sohn des verdächtigen Gutsbesitzers, mit ihr zum Mordzeitpunkt auf einem Aussichtsturm zur Wildbeobachtung war. Lana forscht auf eigene Faust.
Carla ist von Anfang an sympathisch, wir erfahren viel über ihre Vergangenheit und werden solidarisch, denn Carla kämpft mit eigenen Dämonen. Sie bleibt eine taffe Ermittlerin, die auch mal auf eigene Faust vorprescht. Ein bestimmtes Kribbeln bringt sie voran und letztendlich auf die richtige Fährte.
Der Roman ist vielseitig und detailliert recherchiert, intelligent und vielschichtig aufgebaut. Er zeigt Facetten der Persönlichkeiten der Mitspieler, deren Hintergründe, möglichen Beweggründe, deren Ängste, Sehnsüchte, auch das Scheitern und der Auseinandersetzung mit den Kompromissen der Realität sind greifbar dargestellt. Wirtschaftliche, politische Szenarien werden beleuchtet. Die Protagonisten und Verdächtigen sind überschaubar. Die Handlungsorte und die Darstellung der Mitstreiter ist feinsinnig beobachtet und beschrieben. Ein Spannungsroman voller Überraschungen und Wendungen, über 400 Seiten Lesefreude pur. Dies ist ein zweiter abgeschlossener Teil der taffen Ermittlerin, ich freue mich auf einen dritten. Hut ab - beste spannende Unterhaltung!

Bewertung vom 03.03.2025
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


sehr gut

Gute Unterhaltung!

Es geht um einen Raubüberfall am 2. Juli 2022, der exakt 7 Minuten dauern wird.
Doch wie kam es dazu? Das Buch schildert ausführlich die Geschichte in Rückblenden und gegenwärtigem Voranschreiten.
Da sind Arpad mit seiner Frau Sophie in einem schicken Designer Glashaus am Genfer See und da ist das Pärchen Greg und Katrine, die etwas entfernt in einer Mittelschichts-Siedlung, von den Reichen spöttisch „die Warze“ genannt, mit ihren Kindern wohnen,
Den Reichen bleibt kein Wunsch offen und so könne sie mit einer Lässigkeit damit umgehen. Sophie, Anwältin, ist schön, attraktiv und zufrieden. Ihre Ausstrahlung beeindruckt vor allem Greg, Polizist, der schon bald Möglichkeiten ersinnt, sie heimlich zu beobachten. Sie strahlt für ihn etwas Animalisches aus, dem er sich nicht entziehen kann. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Sophie und Katrine freunden sich an. Es taucht ein Fremder auf. Liebe, Intrigen, Grenzüberschreitungen und alte und neue Geheimnisse – dies verspricht eine gute Unterhaltung.
Wie immer hat Joel Dicker den Roman intelligent konstruiert. Langsam angehend, doch dann mit immer mehr unerwarteten Wendungen steigert sich die Spannung.
Die Verknüpfungen der mitspielenden Personen zu dem Raubüberfall wird deutlich und auch jedes Eigeninteresse und Beweggrund – und das sind sehr unterschiedliche - kommen Häppchenweise ans Licht und da mehr Personen in die Geschichte einsteigen steigt die Spannung.
Es überzeugt, dass der Plot wichtig ist und das ist gelungen. Eine eher leichte Lektüre, die man gern in einem Stück anhört oder durchliest. Torben Kessler liest ausgezeichnet und bringt die einzelnen Charaktere zum Leben.