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jr17

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 25.03.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


sehr gut

Niedliche Geschichte

Lisa ist wohl nicht das einzige Mädchen, das sich alleine fühlt. Auch wenn Sibylle Berg am Ende schreibt "(...) Lisa, das einsamste Kind der Welt". Es sind Übertreibungen wie diese, die diese Graphic Novel so lesenswert machen: Sie zeigen beim Lesen, wie allgemeingültig Gefühle vom Alleinsein sind. Wie wenig Mobbing mit denen zu tun hat, die gemobbt werden und vielmehr damit, wie soziale Gefüge funktionieren und was passiert, wenn wir eine innere Stimme finden, die sich wehrt.
Die Illustrationen von Julius Thesing waren dafür wahnsinnig passend. Sie sind schlicht genug, um zum kindlichen Inhalt der Geschichte zu passen und doch wahnsinnig detailliert in manchen Bereichen - Mobber haben Flecken unter den Armen oder die Lehrerin eine zu große Brille und zwei Ketten auf einmal. Damit wird die Geschichte vollständig zum Leben erweckt.

Bewertung vom 22.02.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


sehr gut

Moralische Fragen

Es sind moralische Fragen, die Gaea Schoeters in ihrem Roman anspricht. Fragen, die zu stellen bereits Mut erfordert, ist ihre Antwort doch eigentlich so offensichtlich, dass bereits die Tatsache, sie in Frage zu stellen, bereits einem Affron gleichkommt.
In der Hauptperson Hunters (immerhin ist sie sich der Plattheit dieser Namensgebung bewusst und thematisiert sie kurz) vereint Schoeters das Feindbild der Tierschützer: Ein reicher US-Amerikaner, der zum Jagdvergnügen seit vielen Jahren nach Afrika kommt und nun die Big Five (Elefant, Löwe, Leopard, Büffel und Nashorn) mit der Jagd auf ein Nashorn voll machen möchte. Dabei wird der Ort "Afrika" weder weiter charakterisiert noch werden dessen Bewohner als gleichwertige Mitstreiter angesehen. Das Machtgefälle zwischen Hunter und seinem niederländischen Jagdbegleiter im Verhältnis zu denjenigen, die vor Ort wohnen, hat bereits einen unangenehmen Unterton. Doch als die beiden anfangen, junge afrikanische Jäger als die Option zu betrachten, die Big Six zu schießen wird deutlich, wie abgehoben und wie sehr entfremdet von allem und jedem die Mächtigen in diesem Roman sich fühlen. Schroeters beschreibt mit einer Klarheit, die fasziniert - man möchte das Buch kaum weglegen.

Bewertung vom 20.02.2024
ruh
Dost, Sehnaz

ruh


sehr gut

Kann man lernen, sich zu öffnen?

Cemal ist zunächst ein nahbarer Hauptcharakter. Es ist leicht, auf seiner Seite zu sein, hat er doch einen großen Gerechtigkeitssinn und eine noch größere Liebe zu seiner Tochter. Gleichzeitig wird im Laufe des Romans immer deutlicher, wie unnahbar er für seine Mitmenschen ist. Als Lesende lernen wir Eltern, Großeltern, selbst Urgroßeltern kennen, erfahren, was sie beschäftigt hat. Mit den Lebenden, die ihm am nähesten stehen, spricht er darüber jedoch kaum. Gleichzeitig ist die Sprache von Senaz Dost einnehmend - modern, assoziativ und sehr passend zum Inhalt des Romans. Alleine die für mein Empfinden fehlende Entwicklung der Charaktere, dämpft meine Euphorie. Allerdings: Auch das mag sehr bewusst gesteuert sein, um die Schwierigkeit zu erzählen, die es für Individuen hat, grundlegende Eigenschaften an sich selbst zu verändern.

Bewertung vom 24.11.2023
Die Wahrheiten meiner Mutter
Hjorth, Vigdis

Die Wahrheiten meiner Mutter


sehr gut

Spannende Projektionen

Es sind die wohl prägendsten Menschen in unserem Leben: die Eltern. Ob auf Grund ihrer An- oder Abwesenheit ist häufig egal. Das zeigt auch Vigdis Hjorth in ihrem neuen Roman. Die Protagonistin hat seit Jahren keinen Kontakt zu Mutter und Schwester, der Vater ist bereits gestorben. Doch während sie immer wieder betont, dass sie mit dem Schweigen Frieden geschlossen habe, zieht es sie, kaum lebt sie wieder in der gleichen Stadt wie Mutter und Schwester, immer wieder zu deren Häusern. Sie kommt nicht los von den Gedanken darüber, was Mutter und Schwester wohl gerade tun, denken und fühlen. Egal, wie sehr sie sich einredet, dass es ihr gleich sei.
Als Künstlerin verarbeitet sie das Gedachte und Gesehene in ihrer Arbeit. Doch wie Unglücklich es machen kann, wenn man mit denjenigen Menschen nicht spricht, die einem am nähesten stehen könnten, wird auf frappierende Art deutlich.

Bewertung vom 31.10.2023
Baustellen der Nation
Banse, Philip;Buermeyer, Ulf

Baustellen der Nation


ausgezeichnet

Differenzierte Analysen

Die Flut der Podcasts, auch zu politischen Themen, ist riesig. Doch was die Lage der Nation seit Jahren auszeichnet ist die große Differenziertheit, mit der sich Ulf Buermeyer und Philip Banse dem Politischen widmen. So auch in ihrem nun erschienenen Buch zu ausgewählten Schwerpunktthemen. Wer den Podcast bereits seit einiger Zeit verfolgt, wird von der Themenauswahl nicht überrascht: Es sind die Dinge, die für Buermeyer und Banse zentral sind. Windkraft, Deutsche Bahn, Digitalisierung oder soziale Ungerechtigkeiten, um nur einige zu nennen. Dabei gehen sie nach der gewohnten Formel vor: Sie beleuchten ein Thema nach dem Ist-Zustand und fragen dann, was sein könnte. Den Weg dorthin beschreiben sie detailliert, machen deutlich, was als nächstes angegangen werden muss und warum einige der öffentlichen Debatten, die geführt werden, da nicht hinführen. Diese Art des konstruktiven Journalismus informiert nicht nur und gibt argumentatives Futter gegen Populisten, sondern macht am auch Mut.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2023
The Magic Border
Parks, Arlo

The Magic Border


ausgezeichnet

Eine eigene Welt

"thank you
for staying as long as you have"
Damit endet Arlo Parks The Magic Border. Es sind Gedichte und Fragmente, die persönlicher kaum sein könnten. Dabei verändert sie immer wieder Stil und Form, um das auszudrücken, was jedes einzelne Werk ausmacht. Die Zweisprachigkeit der Ausgabe macht sie besonders: Wer des Englischen mächtig ist, kann im Original lesen - wer einzelne Wörter oder Ausdrücke nicht kennt, kann allerdings auf die Übersetzungen von Amanda Mukasonga zurückgreifen. Die Fotografien von Daniyel Lowden machen diese Ausgabe noch wertvoller. Sie passen zum Schmerz aber auch zur Alltäglichkeit vieler Schriften. Mir gefällt der Ausdruck, jemand habe eine starke Stimme nicht. Denn welche Stimme ist schwach? Was Arlo Parks jedoch ganz sicher hat: ihre ganz eigene Stimme. Es habe sie Überwindung gekostet, die persönlichen Gedichte zu veröffentlichen und anderen zu zeigen. Als Leserin kann ich nur sagen: Danke für die Überwindung.

Bewertung vom 16.10.2023
Vom Himmel die Sterne
Walls, Jeannette

Vom Himmel die Sterne


weniger gut

Show, don't tell - es ist der grundlegende Leitsatz, nach dem Autorinnen und Autoren meiner Meinung nach arbeiten sollten. Er bedeutet: Zeige mir, was du mir sagen möchtest, aber sage es mir nicht. Leider klappt das in diesem Roman gar nicht. Immer wieder werden Metaphern und Geschichten eingestreut, deren Bedeutung für die Romanhandlung aus Sicht der Hauptfigur Sallie direkt im Anschluss erklärt werden.
Dazu kommen wilde Verkettungen von Geschehnissen. Hier eine Schießerei, dort eine Schwangerschaft und ich werde das Gefühl nicht los, dass die Ereignisse recht unmotiviert aneinander gekettet wurden. Im Nachwort wird deutlich, dass sich Jeannette Walls an wahren Ereignissen der Zeit orientiert hat. Auch wenn sich das letzte Drittel des Romans in dieser Hinsicht etwas flüssiger liest, wünscht man sich doch, sie hätte etwas mehr erfunden und den Roman damit stimmiger gemacht.

Bewertung vom 05.09.2023
Eigentum
Haas, Wolf

Eigentum


ausgezeichnet

Sparen, sparen, sparen

Wenn die Mutter stirbt, ist das immer ein einschneidendes Erlebnis, selbst wenn man selbst nicht mehr der Jüngste ist. Wolf Haas lässt seinen Ich-Erzähler in seinem offenbar stark autobiografisch geprägten Roman die letzten Tage der Mutter und das, was da noch kommuniziert wird, in unnachahmlich Haas‘scher Manier schildern, fast so, als würde es einem mündlich erzählt. Die Verpflichtung, die Erinnerungen der Mutter an ein Leben, das immer darum kreiste, zu Eigentum zu kommen, in seinem Wissen zu bewahren, belasten den Erzähler, der eigentlich gerade eine Poetik-Vorlesung vorbereiten soll. Dabei scheint er kaum zu bemerken, dass das, was die Erinnerungen der Mutter mit dem Erzähler machen, eine prima Vorlage für seine Vorlesung sind. Das Ganze ist teilweise tieftraurig, aber auf jeder Seite auch gnadenlos schwarzhumorig.

Bewertung vom 17.06.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Tolle Atmosphäre

Robert Seethaler ist ein Meister darin, das Alltägliche zu beschreiben und daraus Erzählenswertes zu ziehen. In den 60er Jahren in Wien spielt der neue Roman - eine Zeit, deren Ton Seethaler schon in der Sprache toll trifft. Wenn in der Trafik die Zeitung geholt und im Café unter den Gästen getratscht wird, fällt es nicht schwer, sich 60 Jahre zurückversetzen zu lassen und sich die beschriebene Gesellschaft vorzustellen.
Dabei lässt Seethaler die Abgründe eben jener Gesellschaft nicht aus: Drogen- und Alkoholsucht, Depressionen, die Enge der durch die Erwartungen der Nachbarn generierten Pflichten und die Einsamkeit all derer, die auf den ersten Blick so wirken, als hätten sie das Leben im Griff. All das hängt er elegant an Öffnung und Schließung des Cafés ohne Namen auf. Wir sehen einen Ausschnitt dessen, was die beschriebenen Figuren in ihrem Leben erleben, trotzdem ist die erzählte Zeit abgerundet. Ein weiteres Mal ist Seethaler äußerst lesenswert!

Bewertung vom 27.04.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


sehr gut

Der Wert der Arbeit

Es ist das, wofür der deutschsprachige Raum berühmt ist: Menschen identifizieren sich mit ihrer Arbeit. Sie sprechen gerne darüber, wie schwer die Arbeit ist, wollen bemitleidet werden. Aber was passiert, wenn die Arbeit und damit der Sinn wegfällt? Das untersucht Birgit Birnbacher anhand ihrer knapp 40-jährigen Hauptperson. Es ist erschreckend wie verloren die Hauptperson ohne ihren Beruf ist, auch wenn ihr der nicht immer Spaß gemacht hat. Noch offensichtlicher wird das ungesunde Verhältnis, dass die Menschen zu ihrer Arbeit, ihrer Freizeit und ihren Interessen haben, bei den Beschreibungen der Dorfbewohner, nachdem die örtliche Firma zugemacht hat. Niemand weiß, was er mit sich anfangen soll. Mit bemerkenswerter Klarheit beschreibt Birnbacher den inneren Kampf einer Frau zwischen Pflicht und Selbstverwirklichung.