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Benutzername: 
Zauberberggast
Wohnort: 
München

Bewertungen

Insgesamt 179 Bewertungen
Bewertung vom 13.04.2025
Stammzellen
Lindermuth, Alina

Stammzellen


sehr gut

Man stelle sich vor, es gäbe eine Welt, die von der Lebensrealität her genau so ist wie unsere, nur gäbe es auf dieser Welt eine Krankheit, die Menschen zu Bäumen macht. Sie plötzlich befällt und dann fangen sie schrittweise an, zu mutieren…Erst versteifen sich die Zehen, dann bildet sich immer mehr Rinde an den Beinen. Erst der Unterkörper und dann kassiert die Pflanze auch noch drn Oberkörper und vor allem das menschliche Bewusstsein ein, bis die Person nicht mehr ist und an ihrer Stelle ein ganz normaler, lebender Baum. Aber eben ein Baum.

Mit diesem Gedankenspiel setzt sich die österreichische Autorin Alina Lindermuth in ihrem Roman “Stammzellen” auseinander. In ihrer Romanhandlung gibt es diese tückische Krankheit namens “Dendrose”, die eigentlich vor allem Menschen ab 50 befällt. Obwohl die Protagonistin des Romans, Ronja, noch wesentlich jünger ist, hat sie von Berufswegen mit der Dendrose zu tun. Sie verfolgt die aktuelle weltweite Forschung rund um die Krankheit und hat sogar einen Nebenjob als Dendro-Assistentin, wo sie Betroffene und deren Familien besucht. Schon gleich zu Beginn des Romans lernt sie den schönen Sprachwissenschaftler Elio kennen, der gerade an seiner Doktorarbeit über die Herkunft von Sprichwörtern forscht. Sie verlieben sich in dieser fragilen Welt, die von der neuen Krankheit und der Klimakrise fest umklammert wird. Und wie so oft in guter Literatur geht es also auch hier um die beiden ewigen Menschenheitsthemen-Bestseller Liebe und Tod, nur dass der Tod eben in ganz besonderer Form auftritt.

Lindermuth changiert erzählerisch immer wieder zwischen Ronjas Alltag als Ärztin am Krankenhaus (mich hat gewundert dass trotz Setting Österreich “Krankenhaus” und nicht ”Spital” gesagt wird) sowie ihrer Arbeit als Dendro-Assistentin und der Liebesgeschichte zwischen Elio und ihr. Letztere ist etwas spröde, aber ich denke, genau so wollte die Autorin sie auch darstellen. Liebe als Herausforderung, Liebe als Challenge. Von Anfang an liegt etwas Unausgesprochenes in der Luft und so ganz kommen die beiden irgendwie auf keinen wirklich zu 100 Prozent grünen Zweig.

Die Stärke dieses Romans ist es, Stimmungen einzufangen. Das Licht eines Nachmittags, die Schönheit der Natur in Zeit und Raum. Lindermuth lässt poetische Sprachbilder entstehen, sie kann schreiben. Ein Beispiel: “Der Herbst hat die Bäume und Sträucher fein säuberlich abgeräumt, hat die Blätter einzeln heruntergekämmt und die Äste stehen lassen wie erstarrte schwarze Finger, die nicht wissen zu scheinen, wozu sie in diesen Monaten überhaupt existieren.” (S. 138). Bei solchen Sprachbildern sage ich einfach: Jep, gekauft und für gut befunden.
Es ist quasi Nature Writing meets Dystopie/Science Fiction meets Liebesroman.

Das kleine Problemchen, das ich mit dem Roman hatte, liegt eher im Berich des Plots und der Figurenentwicklung. So richtig konnte ich den Finger nicht drauf legen, aber irgendetwas mutet trotz aller Schwere der Thematik künstlich, leicht oberflächlich und manchmal nicht ganz ausgereift an. Aber das mag auch nur mein rein subjektiver Eindruck sein. Lindermuth übrspringt erzählerisch immer wieder ganze Monate, die Kapitel sind nach ihnen benannt, also Mai, Dezember, Jänner, etc. Die Situation wird immer nur szenisch gestreift und wir sehen die feinen Nuancen, die Zwischentöne nicht. Es werden quasi nur die Jahresringe der Beziehung zwischen Elio und Ronja präsentiert, aber das Holz dazwischen bleibt blass. Mir hat also die Verdichtung etwas gefehlt im Sinne von Feinheiten.

Ansonsten ist die Idee natürlich grandios und mal eine Nature-Dystopie, die erfrischend und erschreckend anders zugleich ist. Wenn man das Buch zuschlägt ist man definitiv froh in einer Welt zu leben in der es keine Krankheit namens Dendrose gibt. Ein gutes Buch, mit sehr schöner, zur Thematik passenden Aufmachung, das ich für alle Liebhaber solcher Bücher auf jeden Fall empfehlen kann.

Bewertung vom 13.04.2025
Greta & Valdin
Reilly, Rebecca K

Greta & Valdin


sehr gut

Alles an diesem Roman wirkt auf den ersten Blick total over the top und bis zur groben Unglaubwürdigkeit konstruiert. Da ist eine maori-russisch-deutsch -jüdisch-rumänisch-spanische Familie in Neuseeland, der Vater Biologe, die Mutter schön und geheimnisvoll. Alle drei Kinder auf ihre Weise hyper intellektuell und getrieben, überwältigt von der modernen Welt und ihren Möglichkeiten. Valdin, der zweitälteste Sohn, ehemaliger Physiker und jetzt Reisejournalist mit eigener Sendung, ist schwul und zerbricht fast an der unerfüllten Liebe zu seinem viel älteren Exfreund Xabi, der wiederum der Bruder des Ehemannes seines Onkels ist. Klingt kompliziert, ist auch so. Er hat eine Schwester, Greta, die zweite Ich-Erzählinstanz dieses Buches. Die Kapitel und Perspektiven wechseln zwischen Valdin und ihr. Sie heißt dummerweise genau so wie die andere Greta, die die Ehefrau von Greta und Valdins älterem Bruder Caspar ist, der bereits als Teenager einen Sohn mit einem fremden Mädchen auf einer Party gezeugt hat, der jetzt bei ihnen lebt - Tang. Greta II ist Deutsche, aber Greta I war auch irgendwann mal in Deutschland zum Studieren. Greta II und Caspar haben miteinander noch eine sechsjährige Tochter, Freya. Ach ja und die eigentliche Greta also Greta I ist Tutorin für Vergleichende Literaturwissenschaft und struggelt mit ihrer sexuellen Identität und wechselnden Beziehungen. Eigentlich steht sie aber auf Frauen.

Die Entscheidung, zwei Figuren in einem Buch gleich zu nennen, ist - gelinde gesagt - speziell und legt den Finger in die Wunde der Exzentrik dieses Buches. Zudem heißt Caspar auch noch eigentlich ganz anders. Ich habe also gedacht, dass ich ein ziemlich buntes Kuddelmuddel, zu verwirrend und popkulturell, als dass ich es genießen werde. Kaum eine richtige Handlung zu erkennen und wer ist überhaupt wer. Tja, falsch gedacht. Ich habe das Buch und seine Charaktere richtig ins Herz geschlossen, als ich mich richtig darauf eingelassen habe. Valdin ist halt einfach eine Person, die einem sofort nahe geht und einen Platz in den Herzen der Lesenden einnimmt. Mit Greta habe ich mich etwas schwerer getan. Ihre Gedanken sind sehr viel mehr random, auch ihr Plot zerfasert viel mehr als der von Valdin, der eigentlich sehr auf die Beziehung mit Xavi fokussiert ist. Ich fand auch so schön, wie deren Geschichte dann aufgelöst wurde, also die von Xabi und Valdin. Letztlich ist es ein positives Buch darüber, dass man seinen Platz im Leben doch finden kann, wenn man nur lange genug danach sucht. Die Grundverwirrung und das Gefühl, dass alles künstlich und konstruiert ist, hat mich aber bis zum Ende nicht ganz verlassen, deswegen nur 4 Sterne von 5.

Bewertung vom 03.04.2025
»Wenn Ende gut, dann alles« / Svetlana und Tommi ermitteln Bd.1
Klüpfel, Volker

»Wenn Ende gut, dann alles« / Svetlana und Tommi ermitteln Bd.1


gut

“Ob ich ein paar Seiten schreiben sollte? Doch schon als ich den Computer aufgeklappt hatte, wusste ich, dass ich mich heute vergeblich abmühen würde. Meine Gedanken waren ganz woanders, und wenn ich etwas übers Schreiben wusste, dann, dass man es nicht erzwingen konnte. Durfte!” (Volker Klüpfel: Wenn Ende gut, dann alles, S. 120)

Das Motiv des Ermittler-Duos ist seit Sherlock Holmes und Dr. Watson aus der Kriminalliteratur nicht mehr wegzudenken. Meistens sind die beiden Ermittelnden komplette Gegensätze und liefern sich oft zur Belustigung der Lesenden einen Schlagabtausch, manchmal gibt es auch eine erotische Anziehung zwischen ihnen. In “Wenn Ende gut, dann alles”, dem ersten Roman-Soloprojekt von Volker Klüpfel, des einen Teils des versierten Krimi-Duos Klüpfel und Kobr, geht es genau um ein solches ungleiches Ermittlenden-Duo, bei dem der Humor-Faktor ganz klar im Vordergrund steht.

Der erfolglose Thriller-Autor Thomas - Tommi - Mann (ja, hier wird nicht tief gestapelt!) lebt im abgelegten Wohnwagen seines Vaters, der jetzt in einer Seniorenresidenz residiert. Geerbt hat er außer dem baufälligen Haus auf zwei Rädern auch noch dessen ukrainische Putzkraft Svetlana. Während Tommi verzweifelt versucht, mit dem Schreiben voranzukommen, macht Svetlana bei ihm sauber und mischt sich in sein Leben und Schreiben, seine Lektüre-Gewohnheiten, seine Ernährung und die Nicht-Beziehung zu seiner On-off-Freundin Michelle ein. Dann läuft ihnen ein Mädchen mit Down-Syndrom über den Weg, was nicht spricht und niemanden zu haben scheint. Daraus wird sozusagen der erste Fall des Ermittlerduos Tommi und Svetlana, den sie natürlich am Ende erfolgreich aufgeklärt haben werden.

Was ich wirklich richtig nice und originell fand an dem Roman, ist die Tatsache, dass der Protagonist und Ich-Erzähler Tommi ein struggelnder Schriftsteller ist und wir seinen Schreibfortschritt - oder besser gesagt: Rückschritt - quasi beobachten können. In einem Roman von einem Schriftsteller über einen Schriftsteller ist immer auch ein ganzes Stück Metaebene als tragende Wand eingezogen. Der Bestsellerautor Volker Klüpfel versetzt sich mit Tommi in jemanden hinein, der noch kein Buch zu Ende gebracht hat, dessen großer Traum es aber dennoch ist, Schriftsteller zu werden.

Was mir nicht so gefallen hat, war der Fall an sich, der eigentlich furchtbar tragisch ist, aber sehr auf die Humorebene gezogen wurde, weil es sich bei diesem Roman eben um einen Cosy Crime handelt. Auch wurde die Sache mit dem einsamen Kind im Speziellen dann viel zu gefällig durch eine Deus-Ex-Machina-Situation aufgelöst.
Dass sehr viel Text aus dem gebrochenen Deutsch von Svetlana generiert wurde, fand ich ebenfalls wenig zeitgemäß. Den naiv-klugen Kluftinger-Humor habe ich dennoch vermisst und nur an ganz wenigen, Tommi selbst betreffenden Stellen, aufblitzen sehen.

Ich hoffe, dass mir der nächste Band vom Inhaltlichen etwas mehr zusagen wird. Alles in allem habe ich aber besonders Tommi ein wenig ins Herz geschlossen und bin gespannt, was er und Svetlana noch so alles ermitteln werden.

Bewertung vom 18.03.2025
Hier draußen
Behm, Martina

Hier draußen


sehr gut

“Hier draußen” ist ein moderner Dorfroman, der in einer kleinen norddeutschen Ortschaft der Gegenwart spielt. Wir haben aber auch immer mal wieder Einschübe, Rückblenden, die die Situation auf der Handlungsebene mit Hintergrundinformationen unterfüttern. Diese Struktur hat mir sehr gefallen und war hier auch hilfreich, um das Gelesene besser zu verstehen.

Wir begegen in diesem Buch mehreren Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft verdienen. Die “alteingessenen” Dörfler sind alle um die 60 Jahre alt und entsprechend eingefahren, haben Gesundheits-, Finanz- und/oder Eheprobleme und viel zu viel Arbeit, denn die Kinder übernehmen in der Regel nicht mehr einfach so den Hof der Eltern, sondern ziehen in die Stadt oder in andere Bundesländer, studieren, leben ihr eigenes Leben. Ein umgekehrtes Phänomen ist der Zuzug gut situierter und gut ausgebildeter jüngerer Leute um die 30/40, die “hinaus aufs Land” wollen. So wie Lara und Ingo, zusammen mit ihren schulpflichtigen Kindern Erin und Erik. Sie haben sich einen “Resthof” gekauft - aber werden sie, die Städter aus Hamburg - er Manager bei einem Start-Up-Unternehmen, sie freiberufliche Grafikerin - wirklich den Rest ihres Lebens in diesem Kaff Fehrdorf verbringen? Dann gibt es noch Jutta und Armin, die “Öko-Hippies”, die vor 30 Jahren aus der Stadt ins Dorf gezogen sind, um eine WG zu gründen. Sie sind übriggeblieben, nicht wirklich zusammen, aber gelegentlich doch. Auch sie werden im Laufe der Handlung eine wichtige Rolle spielen.

Aber die Handlung, was ist das hier überhaupt? Das ist ein wenig das Problem des Romans. Der rote Faden, um den sich die Erzählung lose windet, ist eigentlich, dass Ingo eines Abends, als er von Hamburg, wo er nach wie vor arbeitet, nach Hause pendelt, eine weiße Hirschkuh überfährt. Der ortsansässige Jäger und Schweinebauer Uwe, ein ewiger Junggeselle, erschießt mit Ingo zusammen das leidende Tier. Dumm nur, dass eine Prophezeiung sagt, wer eine weiße Hirschkuh tötet, wird innerhalb eines Jahres sterben. Das ist an sich schon sehr spannend, wird aber im Laufe des Plots oft aus den Augen verloren. Es geht vielmehr darum, die Dörfler und ihre Probleme detailliert zu beschreiben.

Und das ist tatsächlich die Stärke des Romans. Besonders die Situation der ländlich lebenden Frauen hat Martina Behm hervorragend eingefangen. Anhand der jüngeren Städterin Lara beschreibt sie auf realistische Weise die Struggles einer arbeitenden Mutter, die sich für die Kinder, ihren Mann, das Haus, den Hund und und und den Allerwertesten aufreißt. Die als Selbständige weiterkommen möchte und der nur Steine in den Weg gelegt werden. Das Mental Load, oh dieses verdammte Mental Load. Die unsichtbaren Tasks, die Mütter immer und ständig auf dem Schirm haben müssen und die kein anderer sieht oder macht. Auch Tove Wirtz, die um die 60 ist, hat ihr Leben für andere gelebt: den undankbaren, cholerischen Mann, die beiden Söhne, die jetzt längst woanders wohnen, die Dorfgemeinschaft, den Hof. Wird auch sie nochmal ihr Glück finden? Uwe ist der unerwartete Sympathieträger des Romans. Seine Geschichte ist besonders herzzerreißend.

Für meinen Geschmack wurde die Handlung etwas zu sehr in die Länge gezogen. Man hätte hier sehr gut kürzen können, vor allem was die detaillierten Beschreibungen des Zubereitens von Nahrung, etc., angeht. Manches hätte ich genauer wissen wollen, anderes war mir hingegen zu ausführlich ausgearbeitet.

Alles in allem aber ein sehr unterhaltsamer, starker Dorfroman, den ich euch empfehlen kann.

Bewertung vom 18.03.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


sehr gut

“In der russischen Welt meiner Mutter ist Russland gut und heldenhaft und hat gar keine andere Wahl, als zu kämpfen. Herzlos ist das nicht von ihr, nur sehr wahrheitsverloren. Deswegen leidet Mama wohl auch so darunter, dass ihr Sohn diese russischen Wahrheiten aufs Verderben nicht erkennen will.” (S. 58)

“Russische Spezialitäten” hat mich deswegen interessierst, weil es darum geht, wie Menschen damit umgehen, wenn ihr Land zum politischen Aggressor wird. Und damit, dass ihre nationale bzw. kulturelle Identität zum Schimpfwort wird und zum Grund, warum sich andere Leute vielleicht nicht mehr so gerne mit ihnen abgeben möchten. Es ist ein autofiktionaler Roman, in dem der ukrainisch-moldawischstämmige Autor und Journalist Dimitrij Kapitelman, der in Kiew geboren wurde und seit seiner Kindheit mit seiner Familie in Leipzig lebt und dort - bis Corona kam - einen Laden für russisch-ukrainische Produkte betrieben hat, die jüngere Vergangenheit verarbeitet. Er tritt als Ich-Erzähler auf und im Mittelpunkt steht die Beziehung zu seiner Mutter. Obwohl die beiden ein inniges Mutter-Sohn-Verhältnis haben, sind sie doch anderer Meinung, was den Krieg zwischen Russland und der Ukraine angeht. Die Mutter ist auf der Seite des Aggressors und der Sohn versucht sie davon zu überzeugen, dass die Ukraine das Opfer ist und sich verteidigen muss. Zunächst ohne Erfolg. Schließlich fährt der Ich-Erzähler mitten im Krieg selbst in sein ukrainisches Geburtsland und muss dort mit anderen Problemen als mit der Sorge der Soldaten-Mütter kämpfen, ihre Söhne könnten bei der Kälte keine Mütze tragen.

Ich muss schon sagen, es hat ein bisschen gedauert, bis ich in dieses Buch “reingekommen" bin, bis ich den Vibe gefühlt habe und bis mir die Worte nahe ans Herz gegangen sind. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Dimitrij Kapitelman ein richtiger Sprachakrobat ist, der mit lautmalerisch-metaphorisch-allegorischen Bällen jongliert. Das war mir oft - gerade am Anfang - ein wenig too much. Eigentlich mag ich gut gewählte Sprachbilder, aber hier war mir unter anderem der lila Fliederstaub, der um die sozialistischen Plattenbauten weht, etwas zuviel des Guten. Wörter wie “umherbefruchten” (S. 14), “Tomatentrauer” (S. 25) oder “Krautinator” (S. 29) sind nur wenige Beispiele für die Anwendung von blumigen Neologismen in diesem Buch.

Letztlich aber hat mich das Buch zum Ende hin überzeugt, wo es dann sehr ernst und tragisch wird. Die komischen Elemente waren zwar nett, aber sie waren mir persönlich zu anekdotisch und der Ich-Erzähler ist mir durch diesen ‘Humor’ kein Stückchen näher gekommen. Am Ende habe ich aber doch eine gewisse Verbindung zu ihm gespürt, was das Buch für mich im Nachhinein lesenswert macht.

Bewertung vom 18.02.2025
Tinte, Staub und Schatten: Das Buch der Verlorenen
Metz, Alina

Tinte, Staub und Schatten: Das Buch der Verlorenen


ausgezeichnet

Es ist lange her, dass ich ein Kinderfantasy-Buch als Lektüre für mich gelesen habe. Weil “Tinte, Staub und Schatten” aber mit Buchmagie und einem bibliophilen Fantasy-Setting wirbt, hat es mich sofort angesprochen. Auch in Hinblick darauf, dass meine fast neunjährige Tochter das Buch dann ab 11 lesen kann (das ist die Altersempfehlung), habe ich mich für die Lektüre entschieden. Im Mittelpunkt steht nämlich auch ein starkes, 16-jähriges Mädchen, namens Minna. Sie macht sich nach ihrem Realschulabschluss allein auf in die Stadt, in der sie geboren worden ist, um den Tod ihrer Mutter vor 11 Jahren aufzuklären.

Man wird eigentlich von Anfang an in eine märchenhafte Buchwelt hineingeworfen - die Welt von Tinte, Staub und Schatten. Eine Welt, in der Bücher tödlich sein können und in der ein unterirdisches Bücher-Labyrinth existiert, in dem man durchaus sowohl sterben als auch verschwinden kann - so wie Minnas Mutter, die “Büchersucherin” war. Denn manche Bücher sind selten und sorgen dafür, dass das Gleichgewicht der Kräfte, das man doch in jeder Welt irgendwie braucht, aufrechterhalten wird. Deswegen gibt es die Büchersucher, die mit ihrer “Staubmagie” für Ordnung im Labyrinth sorgen. Für Staubmagie benötigt man metallische Geräte wie “Hyperbeln” und andere Dinge aus Kupfer, bei denen ich nicht so ganz geschnallt habe, was sie eigentlich genau tun und wie sie funktionieren. Aber Lektüre soll nicht zum pseudowissenschaftlichen Lehrgang verkommen, von daher habe ich das jetzt mal so hin genommen.

Das Spiel mit Intertextualität hat mir natürlich sehr gut gefallen, wobei ich es für die Ziel-Altersgruppe teilweise etwas “hoch” finde. Da werden zum Beispiel Dantes “Göttliche Komödie” zitiert und Cervantes’ “Don Quixote” und Goethes “Götz von Berlichingen”. Die meisten Elfjährigen werden damit wahrscheinlich noch nichts anfangen können, aber einmal ist ja immer das erste Mal, dass man etwas von Klassikern hört.

Aber jetzt zu dem, was einem Buch seinen Charakter verleiht - den Charakteren: Die rothaarige Minna, unsere Hauptfigur, bleibt eigentlich am blassesten von allen, was ein wenig schade ist. Ihr Movens, Büchersucherin zu werden, ist vor allem die Trauer um ihre Mutter und der Versuch, die Geschichte um deren Verschwinden im Labyrinth zu ergründen. Raban Krull, der düstere Antiquar, Büchersucher und Minnas Lehrmeister, ist ganz klar am Vorbild Severus Snape modelliert und wir als Lesende erfahren bis zum Ende dieses ersten Bandes - es ist eine Reihe - nicht, ob seine Motive gut oder böse sind oder sogar beides. Sein tollpatschiger, aber liebenswerter Sohn Gulliver wird als späterer Love Interest für Minna aufgebaut. Ganz toll und erwähnenswert finde ich, dass es in diesem Kinderroman auch queere Charaktere gibt. Der etwas mysteriöse und vom Aussehen her androgyne Jascha, macht bereits am Anfang deutlich, dass er auf Männer steht. Sein späterer Rivale, der Wilde Jäger Parzival - der auch ganz offen bisexuell ist und stöndig mit Jascha flirtet, ist ebenfalls spannend und auch hier könnte ich mir vorstellen, dass der Trope Enemies to Lovers im Laufe der Reihe anhand von diesen beiden Figuren “eingelöst” wird.

Obwohl das Bücher-Labyrinth - wie es sich für ein Labyrinth gehört - ziemlich komplex war und es ein paar Längen gab, fand ich das Buch zum Ende hin aber wieder ganz toll und spannend. Das ist vor allem den überraschenden Plot Twists zu verdanken. Am Ende gibt es einen riesigen Cliffhanger, der dann wahrscheinlich im zweiten Band, der im Herbst 25 erscheinen soll, aufgelöst wird. Hat mich sehr gut unterhalten!

Bewertung vom 31.01.2025
Bible Bad Ass
Löhle, Edith

Bible Bad Ass


gut

“Vielleicht ist es an der Zeit, einen längst fälligen Frühjahrsputz in mir zu machen: verstaubte Glaubenssätze ab-swiffern, veraltete Rollenverhältnisse entsorgen, Werte neu anordnen. Ich will, dass es in mir glänzt.” (S. 109)

Viele junge und mittelalte Menschen kehren der Kirche heutzutage zurecht den Rücken. Was in diesem konservativen Männerverein abgeht, ist leider ganz und gar nicht mehr feierlich. Da können sie noch so viel Wein trinken und Hostien essen. Die Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen zieht sich bis in unsere heutige, man sollte meinen, moderne und aufgeklärte Zeit.
Am allerschlimmsten sind aber die furchtbaren Missbrauchsskandale, die vertuscht und verschleiert werden.

Die Protagonistin des Romans “Bible Bad Ass”, Klara, hat ebenfalls mit der konventionellen Kirche gebrochen. Sie ist Journalistin bei einem hippen Frauenmagazin und als sie für ihren Chef - ausgerechnet während ihrer MENstruation - mal wieder eine tolle Story aus dem Hut zaubern soll, stößt sie auf die Geschichte der queeren evangelischen Pfarrerin Annina Ligniez, die ihr eine andere, sehr weibliche Sicht auf Bibel und die Kirche offenbart. Annina Ligniez ist eine reale Person, mit der Edith Löhle für den Roman tatsächlich zusammengearbeitet hat. Als Klara plötzlich in eine Whatsapp-Gruppe gerät, in der biblische Frauen ihre realen Geschichten erzählen, kommt es bei der Journalistin zu einem Umdenken: Können wir nicht zu einer modernen Form des Glaubens finden, indem wir den Fokus auf Schwesternschaft und Liebe lenken, statt auf Männerwirtschaft und Ausgrenzung?

Das positive und das negative Element dieses Romans sind für mich eins: eine Flut an Informationen. Wenn man böse ist, könnte man sagen: Infodump, wenn man nett ist: Aufklärung. Man merkt einfach, dass die Autorin Journalistin und mit dem Finger stets bei Google ist. Für einen Roman mit Ich-Erzählerin fehlt mir die detaillierte Herausarbeitung des inneren Konflikts der Hauptfigur. Klar geht es auch immer wieder darum, dass sie angepisst ist von ihrem frauenfeindlichen, nicht-gendernden Umfeld und um die Probleme mit ihrem Freund Nico. Letzteren liebt sie eigentlich, aber er nimmt sie in ihrer extrem feministischen Haltung nicht immer ernst und das führt zu Problemen. Aber ich habe die Figur Klara dennoch nicht ganz greifen können, sie kam oft rüber wie ein wandelndes Klischee. Eigentlich Katholikin mit schwäbischen Wurzeln, die im hippen Berlin wohnt. Prenzlauer-Berg-Drama ick hör dir trapsen…

[Spoiler ahead] Als Realistin finde ich es nicht gut, dass uns das Buch mit einer metaphysischen Erklärung für den Chat mit den biblischen Frauen abspeist. Woher kam dann das Ganze jetzt? Ist es fake oder real hardcore metaphysisch? Und dass die Protagonistin am Ende als esoterische und singuläre Spinnerin dasteht, hat mir auch nicht gefallen. Eine potenzielle Pseudo-Reformatorin, die alle Beziehungen zu ihrem bisherigen Leben abbricht? Interessant wäre gewesen zu wissen, was sie jetzt daraus macht. Aber an dieser Stelle endet leider das Buch.

Das heißt jetzt allerdings nicht, dass ich aus “Bible Bad Ass” nichts mitgenommen habe. Während das Buch als Roman für mich kaum funktioniert, ist es als Informationsquelle für die jahrhundertelange Frauenfeindlichkeit der Institution Kirche Gold wert. Ich habe sehr viel gelernt über weibliche Geschichte und die Ungerechtigkeiten, die Männer den biblischen Frauen - angetan haben, indem sie deren Geschichte und Bedeutung z.B. für Jesus fehlinterpretiert oder klein gehalten haben. Ob es sie nun gab oder nicht, ist dabei irrelevant.

Eigentlich ein sehr tolles, informatives und wichtiges Buch. Als erzählendes Sachbuch hätte es mir aber noch besser gefallen.

Bewertung vom 26.01.2025
Der Klavierschüler
Singer, Lea

Der Klavierschüler


sehr gut

“...man muss nicht Thomas Mann sein. In jedem Menschen lebt vermutlich der Wunsch, erkannt zu werden. Erkannt als das, was er ist oder war.” (S. 126)

“Der Klavierschüler” von Lea Singer hat meines Erachtens ein klares Zielpublikum: Intellektuelle. Wer sich so gar nicht mit der Welt der europäischen Künstler*innen der 1930er Jahre auskennt, der hat hier schlechte Karten, überhaupt einen Einstieg zu finden. Klar, es geht eigentlich um eine Liebesgeschichte und die sollte ja für jede/n zugänglich sein, oder? Aber die Liebe zwischen dem Protagonisten, dem Schweizer Musiker Nico Kaufmann (1916-1986) und dem russischen Star-Pianisten Vladimir Horowitz (1903-1989) wird schon auf sehr verkopfte Weise präsentiert. Klar, das Buch ist hervorragend recherchiert und komponiert, aber selbst für die, denen Namen wie Antonio Borgese und Nathan Milstein etwas sagen, ist es eher geistige Arbeit als Lesevergnügen.

"Der Klavierschüler” ist mehr fiktionalisierte Zeitgeschichte und literarische Autobiografie als ein klassisches Stück Literatur. Die Autorin hat sich am realen Leben von Nico Kaufmann orientiert. Als Basis ihrer Erzählung hat sie die Briefe von Horowitz an seinen Schüler Nico Kaufmann aus den Jahren 1937-1939 und dessen unveröffentlichte Romanfragmente quasi als Erste gesichtet und ausgewertet. Sie bilden das Grundgerüst der Handlung. Einzig durch den “Fremden” (Donati), den Singer als fiktionale Figur (glaube ich) einführt und der wegen der von Kaufmann gespielten Musik noch am Leben ist und jetzt seine Geschichte hört, verleiht sie der erzählten Biografie eine literarische Komponente.

Die Handlung ist spröde und an sich schon nicht so leicht zugänglich. Das liegt meines Erachtens an der verschachtelten Erzählsituation und auch an den fehlenden Anführungszeichen bei der direkten Rede. Man muss sich vieles erschließen: Wer spricht und welche Zeitebene wird besprochen. Die Rahmenhandlung spielt 1986 in Zürich, wo Nico Hoffmann auf den suizidgefährdeten Donati trifft. Am Anfang wird dieser Donati von der Schweizer Gesellschaft für Sterbehilfe gesucht, um ihn seinen finalen Drink, für den er unterschrieben hat, zu verabreichen. Donati entkommt aber, weil er Musik (Schumanns “Träumerei”) hören möchte. In einem Luxushotel trifft er auf Kaufmann, der ihm das Stück spielt und anschließend seine Lebensgeschichte erzählt. Dafür machen sie einen kleinen Roadtrip durch Zürich und drum herum. Bis auf ganz zu Beginn fehlt der Spannungsbogen und ich tat mich etwas schwer, an der Geschichte dranzubleiben.

Wenn ich an den Roman denke, kommen mir Nomen in den Sinn, die sich leitmotivisch durch dieses Buch ziehen: Musik, Klang, Sünde, Tod, Unsterblichkeit. Außerdem die Missachtung und Verfolgung, der Homosexuelle im 20. Jahrhundert ausgesetzt waren. Eine traurige Zeit und es bleibt uns allen zu hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Momentan sieht die Zukunft nicht so rosig aus und wir sollten wo es geht, die Fahne der Menschlichkeit und Toleranz hoch halten.

Ein sehr gutes, aber schwer zugängliches Buch mit einem schweren geistigen Überbau, in dem wir zwar eine Liebesgeschichte, aber nur wenig direkte erzählte Interaktion zwischen den Liebenden haben. Ich kann “Der Klavierschüler” allen empfehlen, die sich für queere Geschichte und Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts interessieren.

Bewertung vom 22.01.2025
Das verwinterte Herz
Pfalzgraf, Jennifer

Das verwinterte Herz


ausgezeichnet

Es begab sich vor langer Zeit, etwa um das Jahr 1780 herum. Da lebten in der Hauptstadt des französischen Reiches zwei Menschen, die einander spinnefeind waren. Zum einen der Junker Miłosz Lepiński, der die Profession eines Magiers unterhielt. Diese musste er im Untergrund ausüben, denn diejenigen, die der Magie mächtig waren, wurden von der französischen Polizei dazumal, der Maréchaussée, sträflich verfolgt. Miłosz war ein Vicomte aus den polnischen Königslanden.
Zum anderen war da die Maid Germaine de Saint-Nazaire. Auch sie war von adeligem Geblüt, eine Comtesse gar. Sie zählte gerade einmal 23 Lenze, hatte aber schon viele arme Seelen auf dem Gewissen. Das lag an ihrem gar unüblichen Broterwerb - sie wurde bezahlt, um Menschen ins Jenseits zu befördern. Die beiden Leute hatten gar schon viel erlebt in ihrem jungen Leben, doch nun mussten sie miteinander eine Reise antreten, die ihrer beiden Dasein für immer verändern sollte. Diese wunderschöne winterliche Mär erzählt euch die ehrenwerte Schriftgelehrte Jennifer Pfalzgraf in ihrem Buche “Das verwinterte Herz”.

Und ich erzähle euch jetzt, wie ich diese “Mär” so fand. Zuallererst muss ich sagen, dass in diesem kurzen Werk von 218 Seiten, das die Autorin als “Dark Fantasy Novelle” bezeichnet, kein Wort zu viel oder zu wenig ist. Eine eingängige Prosa, die das Wichtige erzählt, das Unwichtige ausspart und trotzdem nicht mit einem detaillierten Setting und einer einnehmenden winterlichen Atmosphäre geizt. “En point” könnte man passend zum französischen Handlungsort wahrheitsgemäß sagen. Neben der wirklich märchenhaften Liebesgeschichte, die den roten Faden der Erzählung bildet, lebt diese von ihren beiden hervorragend ausgearbeiteten Protagonist*innen Germaine und Miłosz. Ich habe selten “lebensechtere” Charaktere kennenlernen dürfen, die sich beim Lesen förmlich materialisieren und lebendig werden. Ich habe das Geplänkel und den gewitzten Schlagabtausch der beiden sehr genossen. Ebenso das Gefühl, wie langsam aber sicher die Liebe zwischen den Seiten emporsteigt wie der winterliche Morgennebel über dem Meer bei Nantes, dem letzten Schauplatz der Novelle. Der metaphorische Überbau und die literarischen Querverweise überzeugen auf ganzer Linie. Ich bin wirklich beeindruckt, wie viel schriftstellerische Könnerschaft im Selfpublishing möglich ist. Schön und wichtig finde ich auch die Content Notes/Triggerwarnungen am Ende des Buches. Ich habe dennoch zwei kleine Kritikpunkte: Erstens hätte ich mir gewünscht, dass das Buch tatsächlich noch länger gewesen wäre. Das Ende huschte etwas zu schnell herbei und ich hätte Germaine und Miłosz gerne noch viel ausführlicher begleitet. Ich weiß aber auch, dass die Autorin das Buch bewusst als Novelle konzipiert hat, um sich von Fantasy-Epen abzuheben und aus rein pragmatischen Gründen des Büchermachens und des Vertriebs.
Zweitens fand ich es nicht allzu "dark". Ich hätte es vielleicht eher als eine “Historical Fantasy Novelle” statt “Dark Fantasy” bezeichnet. Die Autorin erklärt es aber damit, dass in Dark Fantasy eben Dinge vorkommen, die sensible Leser*innen abschrecken könnten wie z.B. Gewalt, Mord/Tod oder die Verfolgung von Andersdenkenden. Deshalb auch die Content Notes.

Allen Leser*innen, die “aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen”, sei dieses magische, warmherzige, aber stellenweise auch düstere Werk - trotz seiner Kürze und dem meiner Meinung nach nicht ganz so dunklen Dark - wärmstens an selbiges gelegt.

Bewertung vom 15.01.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

“Es ging darum, mit seinen Worten den Übergangsbereich zu berühren. Die unsichtbare Nahtstelle zwischen den Welten des tatsächlich Geschehenen und des möglich Gewesenen. Wie ein Kletterer durfte man von diesem Grat nicht abrutschen und weder in den Himmel reinen Wortgeklingels noch in die Faktenhölle des gelebten Lebens stürzen.” (“Wackelkontakt”, S. 147)

Die eben zitierten Gedanken stammen aus dem Kopf unseres Protagonisten Franz Escher, der über seine Profession als Trauerredner nachdenkt und die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Was ist wirklich passiert und was ist Wunschdenken oder Fiktion? Das sind Fragen, die sich Escher im Laufe der Handlung, von der ich auf keinen Fall zu viel verraten darf, noch öfter stellen wird.

Franz Escher und Elio Russo alias Marko Steiner.
Das sind zwei Männer, die von der seltsamen Geschichte des jeweils anderen fasziniert sind. Escher liest ein Buch über Elio/Marko und vice versa. Sie haben viele Gemeinsamkeiten und doch auch wieder gar keine. Irgendwie eint sie aber die Leidenschaft für das Zusammensetzen. Escher ist leidenschaftlicher Puzzler, Steiner setzt Fahrräder und Elektronisches wieder zusammen.
Aber Escher und Steiner sind eben auch ganz surrealer Weise zwei literarische Figuren, die den jeweils anderen als literarische Figur kennen und innerhalb eines literarischen Werkes das literarische Werk lesen, in dem der jeweils andere vorkommt. Simpel, wie Wolf Haas selbst über seine Geschichte sagte, aber genial (wie das Feuilleton und meine Wenigkeit über die Idee sagen). Das ist verrückt, kafkaesk, meta- und intertextuell, das ist spaßig und traurig und so spannend, dass ich das Buch kaum links liegen lassen oder nicht an es denken konnte, während ich es las (und das war keine lange Zeit).

Dieser raffinierte erzählerische Trick, dass die Handlung immer häppchenweise so weit voranschreitet, bis Franz oder Marko/Elio sowie andere in der Geschichte eine Rolle spielende Personen das Buch mit der Geschichte des jeweils anderen zur Hand nehmen, ist einfach genial! Ich frage mich, wie es sein kann, dass bislang noch niemand auf diese brillante Idee gekommen ist.

Ungefähr auf Seite 116 habe ich erst gecheckt, auf was das Ganze erzähltechnisch hinausläuft und war von meiner Erkenntnis getroffen wie ein Stromschlag - passend zum Titel. Einfach so unfassbar genial dieser Plot und natürlich die erzählerische Umsetzung.

Das Leitmotiv des Romans ist die Kunst von M.C. Escher, dem Namensvetter unseres Protagonisten Franz Escher. Seine Puzzle-Leidenschaft beginnt mit einem 1000-Teile-Puzzle von Eschers zeichnenden Händen, die sich selbst zeichen. Das ist natürlich eine Anspielung auf die Unmöglichkeit dieses metatextuellen Romans selbst, in dem zwei Geschichten einander spiegeln und sich der Kausalität von Raum und Zeit entziehen. Wolf Haas fungiert hier also als literarischer M. C. Escher.

Dieser Roman ist beileibe keine Coverschönheit. Hier kommt die Schönheit wahrlich von innen. Es ist eine, die sich aus einem Mix aus feinsinnigem Humor, literarischer Perfektion, meisterhafter Wortgewandtheit und einem scharfen Blick für die Unzulänglichkeiten des Menschlichen speist. Unbedingt lesen!