Autor: bücher.de
Datum: 23.10.2023
Tags: Empfehlung, Unser Buchtipp

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Los geht's mit Nincshof von Johanna Sebauer. Wir stellen das Buch vor und präsentieren ein Interview mit der Autorin!

Ein Dorf zum Vergessen

Die grotesk-komische Geschichte eines Ortes, der von der Bildfläche verschwinden soll

Wild, anarchisch und urkomisch – das ist „Nincshof“. Johanna Sebauer hat mit diesem Roman ein Debüt vorgelegt, für das sie schon vorab den Burgenländischen Literaturpreis erhalten hat und mit dem Harbour Front Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Die in Hamburg lebende Österreicherin erzählt vom äußersten Zipfel Österreichs, dort liegt das Dorf Nincshof. Die Legende sagt, die Nincshofer lebten sehr lange unentdeckt in den Sümpfen, verborgen hinter viel Schilf und dort, wie im Märchen, glücklich und zufrieden, ohne Gottesglauben oder einen Bürgermeister. Doch irgendwann wurden die Sümpfe, die das versteckte Dorf schützten, trockengelegt. Und seitdem gibt es Nincshof auch für den Rest der Welt. Was ist dran an dieser Legende, und warum ist es in Nincshof selbstverständlich, dass die Männer die Nachnamen ihrer Frauen annehmen und noch ein „er“ angehängt bekommen? Der verstorbene Gatte von Erna Rohdiebl hieß also zu Lebzeiten „der Rohdiebler“. 

Erna Rohdiebl, so heißt eine der Hauptfiguren. Sie ist alt, ein Freigeist, geht nachts unerlaubt schwimmen und findet die Idee der drei männlichen „Oblivisten“ erst nur zum Lachen. Doch dann denkt sie sich: Warum nicht, ist wenigstens aufregend. Und macht mit. Die Idee: Nincshof soll vergessen werden – das ist das Ziel der Oblivisten. Und an Erna Rohdiebls Küchentisch planen sie mit viel Pustzafeigenschnaps, wie das gehen könnte. Langsam, aber stetig arbeiten sie daran, löschen aus dem Netz, was zu löschen ist, schneiden Seiten aus Büchern, sagen Feste und Besuche ab und wollen auf keinen Fall irgendwo in der Presse auftauchen. Selbst der einst gute Fußballverein verliert nur noch und wird wohl bald vergessen werden ...

Natürlich gibt es Widersacher. Solche, die gar nicht wissen, dass sie eine wichtige Operation stören. Da wären im Allgemeinen die grauslichen Radfahrer und, unter ihnen, die allerschlimmsten: die Individualreisenden. Das sind die, die das „authentische Burgenland“ kennenlernen wollen. Ihnen gilt die härteste Verteidigungslinie im oblivistischen Kampf. Die Waffe: eine ländliche Zumutung für den Geruchssinn. Die anderen Radler geben manchmal schon bei fehlenden Wegweisern auf. Auch unwissend, dass Nincshof vergessen werden will, sind die Zugereisten: die bekannte Dokumentarfilmerin Isa Bachgasser und ihr Lebensgefährte, der ehemalige Architekt Silvano Mezzaroni. Sie haben eine alte Mühle gekauft, umgebaut, und Silvano ist nun Landwirt und stolzer Halter von Irrziegen. Für den Rest der Welt stinkende und hässliche Viecher, für Silvano sein Ein und Alles. Dass Isa mit dem Umzug von Wien nach Nincshof hadert und nicht wirklich ankommt, scheint ein Problem zu sein. Denn sie weiß nicht viel mit sich anzufangen und wird plötzlich neugierig auf die Dorfgeschichte. Was tun mit einer zu wissbegierigen Dokumentarfilmerin, die zwar beteuert, sie wolle keinen Film drehen – aber wer weiß schon, ob das stimmt.

Es ist ein großes Vergnügen, in diesen Nincshof-Kosmos einzutauchen. Johanna Sebauer hat sicher viel Freude gehabt beim Erfinden der oblivistischen Bewegung und ihrer Philosophie oder der Irrziegen, die es ebenso wenig gibt wie die Pustzafeigen. Und was Wahrheit ist und was Legende, darüber grübelt nur die Dokumentarfilmerin. Erna Rohdiebl sagt pragmatisch: „Es ist die erzählte Wahrheit.“ Und das reicht in Nincshof.

Interview mit Johanna Sebauer

Wenn Sie sich entscheiden müssten: Welche Charaktere in „Nincshof“ liegen Ihnen besonders am Herzen? Und warum?

Das ist wirklich schwer zu entscheiden. Ich mag sie alle auf ihre Art eigentlich gerne. Vielleicht kann ich so antworten: Am meisten Freude hatte ich beim Schreiben der Figur Selma Sadić. Sie ist die beste Freundin einer der Hauptfiguren Isa Bachgasser. An der Entstehung dieser Freundschaft herumzudenken, mochte ich sehr gerne. Im Originalmanuskript war dieser Teil viel länger, als er jetzt in der Buchfassung ist. Das alles drin zulassen, hätte aber zu weit von der Hauptgeschichte weggeführt, daher habe ich hier rigoros gekürzt. Mir Silvano Mezzaroni und seinen Irrziegen-Fanatismus auszudenken, hat mir auch Spaß gemacht.  

Welche Überraschung haben Sie beim Schreiben oder Recherchieren von „Nincshof“ erlebt?

Wenn man sich auf Google Maps die Gegend, in der ich Nincshof angesiedelt habe, genauer anschaut, und nacheinander auf die vermeintlichen Nachbardörfer von Nincshof klickt, sodass einem die Ortsgrenzen angezeigt werden, wird man feststellen, dass es ein Fleckchen Land gibt, dass, ohne Witz, nirgendwo dazugehört. Und dieser Fleck ist tatsächlich genau dort, wo ich Nincshof vermute. Zufall? Wer weiß, wer weiß … 

Warum ist es eine besonders gute Idee, „Nincshof“ zu verschenken? 

Ich denke, man kann Nincshof gut verschenken, wenn man Menschen auf ein besonderes, absurdes Erlebnis schicken möchte. Wenn man seine Freunde ein Abenteuer im Burgenland erleben lassen möchte, mit drückend heißen Sommernächten an Erna Rohdiebls Esstisch bei reichlich Pusztafeigenschnaps, Legenden über Vergessenes im Schilf, hochriskanten Irrziegenentführungen, illegalen Poolpartys, neu entstandenen Freundschaften und alten Heldinnen.

Der Herbst ist die Zeit mit den meisten Buchevents. Was war Ihr schönstes Erlebnis bei einer eigenen Veranstaltung? Und welches würden Sie am liebsten vergessen?

Ich hatte schon einige wirklich zauberhafte Lesungen mit tollem Publikum und viele schöne Gespräche mit Leserinnen und Lesern. Besonders in Erinnerung sind mir jene Lesungen, bei denen das Publikum entspannt ist und herzhaft lachen kann, wenn ich über die trotteligen Ideen der Oblivisten lese. Bei einer Veranstaltung musste die Moderatorin sich vor lauter Lachen immer wieder Tränen aus den Augenwinkeln wischen. Das war wirklich schön. Vergessen möchte ich bislang noch keine Veranstaltung. Allerdings verblasst die Erinnerung an Lesungen, bei denen das Publikum sehr still ist und kaum lacht, tatsächlich automatisch schneller aus der Erinnerung.

(Interview: Literaturtest, Oktober 2023)


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