Time Traveler

somit auch in den älteren Songs, und man muss schon ganz genau hinhören, um die Bruchstellen zu erkennen.

Die Bastelarbeit und die Neuaufnahmen haben Lemper und Turkisher in ihrem eigenen Studio in New York erledigt. Die Stücke aus dem Jahr 2000 sind inspiriert von Neo-Soul und Rhythm & Blues; sie machen "Time Traveler" zu einem coolen Soul-Album mit Chanson-Anteilen, das urban und zeitgenössisch klingt, ohne unbedingt mit den amerikanischen Stars des Genres mithalten zu wollen. Die neuen Stücke hören sich deutlich melancholischer an und zeigen, dass Ute Lemper nicht nur eine Sängerin mit einer ganz besonderen Stimme, sondern auch eine talentierte Songschreiberin ist.

Am 4. Juli wird sie sechzig Jahre alt. Aus diesem Anlass hat sie ihre Autobiographie "Die Zeitreisende - Zwischen Gestern und Morgen" (erschienen bei Gräfe und Unzer) geschrieben, in der sie ihre Karriere von der Kindheit in Münster über ihre frühen Erfolge in Deutschland in den Achtzigerjahren und ihre Zeit in Paris bis zu ihrem Durchbruch auf dem Broadway in New York schildert. Dort lebt Ute Lemper nunmehr seit 26 Jahren. Deutschland den Rücken gekehrt hat sie Ende der Achtziger, als sie nach einem frühen Karriere-Hoch am Theater des Westens in Berlin, wo sie als "Peter Pan" brillierte, bei der deutschen Kritik auf einmal in Ungnade fiel: Hellmuth Karasek bezeichnete sie im "Spiegel" als "Provinzschauspielerin" und fiel über ihre "Cabaret"-Interpretation in Paris her: Lemper habe keine Lebenserfahrung und könne deshalb als Sally Bowles Liza Minelli nicht das Wasser reichen (die die Rolle in der Verfilmung von "Cabaret" gespielt hatte): "Wer noch keine Biographie hat, kennt auch noch nicht die vorwurfsvollen Schatten der Vorgänger."

Geradezu beleidigend wurde Karasek, als er Lempers Kniescheiben das Aussehen von Radkappen attestierte. Sie war davon tief verletzt. Als sie Jahre später bei Peter Zadek die "Lola" spielte, schrieb sie: "Hellmuth Karasek, der mich im Spiegel furchtbar verrissen und beleidigt hatte, schickt Rosen und eine Entschuldigung für sein Geschreibsel. (. . .) Ich schlucke immer noch mit Mühe, denn der Kloß im Hals macht mein Herz schwer. Ich versuche, nicht an das Geschriebene zu denken, denn immerhin muss ich jeden Abend raus auf die Bühne. Vor meinem Auftritt denke ich: Um Gottes willen, ich traue mich nicht, wird man mir etwas antun?"

Die harsche Kritik ist mit dafür verantwortlich, dass Ute Lemper schließlich Leben und Karriere nach New York verlegt. Dort wird sie im Musical "Chicago" gefeiert, nimmt Platten mit Michael Nyman und The Divine Comedy auf, singt Lieder von Tom Waits und Nick Cave und ist als Schauspielerin in Robert Altmans Film "Prêt-à-Porter" in einem spektakulären Auftritt schwanger und nackt zu sehen. Doch der Umzug nach New York ist nicht leicht, er belastet die Beziehung zu ihren mittlerweile verstorbenen Eltern: "Ein Ozean und viel mehr liegt zwischen mir und der Musik der Kirchenglocken, der Welt und Stadt meiner Kindheit, aus der ich stamme."

Wie Ute Lemper sich als Sängerin zeitgenössischer Songs zwischen Soul, Pop und Chanson neu erfindet, das ist spannend zu lesen und zeigt nebenbei auch, wie unterschiedlich eine Künstlerin in verschiedenen Ländern wahrgenommen wird. ROLF THOMAS

Ute Lemper:

"Time Traveler".

Jazzhaus 4260075862286

(In-Akustik)

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