Jonathan Safran Foer
Audio-CD
Hier bin ich
630 Min.. Lesung. Gekürzte Ausgabe
Übersetzung: Ahrens, Henning;Gesprochen: Herbst, Christoph Maria
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Statt: 29,95 €**
**Unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers
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Julia und Jacob haben sich auseinandergelebt, doch wie könnten sie sich einfach trennen, ohne dass ihre drei Söhne darunter leiden oder gar sie selbst? Lieber diskutieren sie alle Szenarien tagelang durch und kümmern sich aufopferungsvoll um den inkontinenten Hund und die bevorstehende Bar Mitzwa des Ältesten. Als die israelische Verwandtschaft bei ihnen in Washington D. C. eintrifft, ereignet sich plötzlich ein katastrophales Erdbeben im Nahen Osten und die Ereignisse überschlagen sich. Jacob wird mit den Forderungen seines israelischen Cousins, er müsse für »seine Heimat« kämpfen,...
Julia und Jacob haben sich auseinandergelebt, doch wie könnten sie sich einfach trennen, ohne dass ihre drei Söhne darunter leiden oder gar sie selbst? Lieber diskutieren sie alle Szenarien tagelang durch und kümmern sich aufopferungsvoll um den inkontinenten Hund und die bevorstehende Bar Mitzwa des Ältesten. Als die israelische Verwandtschaft bei ihnen in Washington D. C. eintrifft, ereignet sich plötzlich ein katastrophales Erdbeben im Nahen Osten und die Ereignisse überschlagen sich. Jacob wird mit den Forderungen seines israelischen Cousins, er müsse für »seine Heimat« kämpfen, unter Druck gesetzt. Ist die Ehe noch zu retten, wenn er nun endlich einmal seine gewohnten Pfade verlässt? Und wie können wir all die Rollen, die wir zu spielen haben, glaubhaft unter einen Hut bringen?
Jonathan Safran Foer ist der Autor der preisgekrönten Bestsellerromane Alles ist erleuchtet und Extrem laut und unglaublich nah sowie dem Sachbuch-Bestseller Tiere essen. Zuletzt erschien von ihm Wir sind das Klima!. Foer gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Gegenwartsautoren. Er lebt in New York.
Henning Ahrens lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte die Lyrikbände Stoppelbrand, Lieblied was kommt und Kein Schlaf in Sicht sowie die Romane Lauf Jäger lauf, Langsamer Walzer und Tiertage. Für S. Fischer übersetzte er Romane von Richard Powers, Kevin Powers, Khaled Hosseini. Zuletzt erschien Glantz und Gloria. Ein Trip, 2015, der mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Christoph Maria Herbst verkörperte u.a. die Titelfigur in der Serie Stromberg, für die er den Deutschen Fernsehpreis, den Grimme-Preis, den Bayerischen Fernsehpreis und siebenmal den Deutschen Comedypreis erhielt. Als Hörbuchsprecher ist er eine Klasse für sich.
Henning Ahrens lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte die Lyrikbände Stoppelbrand, Lieblied was kommt und Kein Schlaf in Sicht sowie die Romane Lauf Jäger lauf, Langsamer Walzer und Tiertage. Für S. Fischer übersetzte er Romane von Richard Powers, Kevin Powers, Khaled Hosseini. Zuletzt erschien Glantz und Gloria. Ein Trip, 2015, der mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Christoph Maria Herbst verkörperte u.a. die Titelfigur in der Serie Stromberg, für die er den Deutschen Fernsehpreis, den Grimme-Preis, den Bayerischen Fernsehpreis und siebenmal den Deutschen Comedypreis erhielt. Als Hörbuchsprecher ist er eine Klasse für sich.

Produktdetails
- Verlag: Argon Verlag
- Anzahl: 9 Audio CDs
- Gesamtlaufzeit: 630 Min.
- Erscheinungstermin: 7. November 2016
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783839815137
- Artikelnr.: 44956588
Herstellerkennzeichnung
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© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
Die Zahnfee wohnt hier nicht mehr
Kernschmelze bei den Eltern - und dann? Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer erzählt in "Hier bin ich" eine jüdische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Zerstörung Israels.
Zu Beginn der Zerstörung Israels", so hebt der neue Roman von Jonathan Safran Foer an, zu Beginn der Zerstörung Israels also "überlegte Isaac Bloch, ob er sich umbringen oder ins jüdische Seniorenheim gehen sollte".
Isaac ist der Patriarch der Familie Bloch, dessen galizische Verwandtschaft von den Nationalsozialisten nahezu vollständig ausradiert wurde. Nur er und sein Bruder hatten wie durch ein Wunder überlebt. Während der Bruder nach Israel ging, verschlug es Isaac nach Washington. Und
Kernschmelze bei den Eltern - und dann? Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer erzählt in "Hier bin ich" eine jüdische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Zerstörung Israels.
Zu Beginn der Zerstörung Israels", so hebt der neue Roman von Jonathan Safran Foer an, zu Beginn der Zerstörung Israels also "überlegte Isaac Bloch, ob er sich umbringen oder ins jüdische Seniorenheim gehen sollte".
Isaac ist der Patriarch der Familie Bloch, dessen galizische Verwandtschaft von den Nationalsozialisten nahezu vollständig ausradiert wurde. Nur er und sein Bruder hatten wie durch ein Wunder überlebt. Während der Bruder nach Israel ging, verschlug es Isaac nach Washington. Und
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eigentlich hatte er jetzt nur noch einen Wunsch: lange genug mit dem Leben durchzuhalten, um die Barmizwa seines Urenkels noch erleben zu können. Doch die steht wenige Tage vor dem großen Ereignis ohnehin zur Disposition, noch ehe ein Erdbeben und die gesamte arabische Welt Israel in die Knie zwingen und Isaacs Pläne damit über Bord werfen werden. Denn auch in der Familie Bloch hat sich etwas zugetragen, dessen Auswirkungen Isaacs Urenkel Sam immerhin mit den Folgen der Zerstörung des japanischen Reaktors vergleicht: Sams Eltern Jacob und Julia, Isaacs Enkel, wollen sich scheiden lassen.
Von der Unvereinbarkeit der Katastrophen, einer geopolitischen und einer häuslich-privaten, handelt der explosive Roman "Hier bin ich", dessen Titel auf das Buch Genesis zurückgeht. Freilich konnte man Jonathan Safran Foer noch nie vorwerfen, als Autor großen Themen aus dem Weg zu gehen. In seinem Romandebüt "Alles ist erleuchtet" (2002, deutsch 2003) verhandelte er in experimenteller Erzählform den Holocaust, "Extrem laut und unglaublich nah" erzählte 2005 von einem Jungen, der durch den 11. September seinen Vater verlor. Mit "Hier bin ich" will der 1977 in Washington geborene Schriftsteller nach elfjähriger Romanpause nichts Geringeres als eine Great American-Jewish Novel schreiben. Daran muss er sich messen lassen.
Im Kern umkreist sein Buch die Frage, was es für amerikanische Juden heute bedeutet, jüdisch zu sein. Ist es eine Frage der Religion oder der Kultur, der Erziehung oder der Vorliebe für einen bestimmten Humor? Und natürlich steht da wie ein Elefant im Raum immer auch die Frage: Wie hältst du es mit Israel?
Dass die jährlich auch in dieser Washingtoner Familie zum Pessach-Seder-Fest ausgesprochene Formel "Nächstes Jahr in Jerusalem" zum Allgemeinplatz, das versprochene Land zur Plattitüde verblasst ist, diesen Gedanken wirft der Roman ein ums andere Mal auf. Tatsächlich bleibt die eingangs erwähnte Zerstörung Israels jedoch die folgenden dreihundert Seiten zunächst unerwähnt - denn "Hier bin ich" entpuppt sich viel mehr denn als die dystopische Ausmalung eines gar nicht so unvorstellbaren Flächenbrands im Nahen Osten als ein gerade für Foer überraschend konventionell erzählter Scheidungsroman aus dem bürgerlichen Milieu rund um den Washingtoner Cleveland Park.
Im Zentrum stehen die Eheleute Jacob und Julia sowie deren blankes Entsetzen, als sie erkennen, dass ihnen in ihrem geschmackvollen Haus in der Newark Street das Glück abhandengekommen ist. Die Lücke zum Glück sind die häusliche Routine und ein Familienalltag, der wie ein schwarzes Loch all das, was einst mit großartigem Sex und der Geburt von drei Söhnen so verheißungsvoll begann, verschluckt hat. Foer schreibt gegen Tolstois berühmten Satz an, wonach sich alle glücklichen Familien ähnelten, aber jede unglückliche Familie auf ihre besondere Art unglücklich sei. Bei ihm gleichen "alle glücklichen Morgen einander, wie auch alle unglücklichen Morgen". Weil alle Bemühungen, ihm vorzubeugen, das Gegenteil bewirkten, weil sich "das Universum aus irgendeinem rätselhaften, überflüssigen, unfairen Grund gegen die harmlose Abfolge von Kleidern, Frühstück, Zähnen und nervigen Haarwirbeln, Rucksäcken, Schuhen, Jacken und Abschieden verschworen hat".
Mit viel Detailkenntnis und furiosem Humor erfasst der selbst unlängst von der amerikanischen Autorin Nicole Krauss geschiedene Foer das Drama der Mittelklasse. Jacob, der erfolgreiche wie unablässig hadernde Autor einer Fernsehsitcom, und seine Frau Julia, die als Architektin noch nie ein Haus gebaut hat, dafür als Dekorateurin die Villen ihrer vermögenden Kundschaft einrichtet, gehören jener urbanen Spezies an, die sich aus Prinzip gegen Konventionen stemmt, um dann verblüfft festzustellen, wie konventionell sie geworden ist: Längst haben auch Jacob und Julia Zweitwagen, Steuerberater und Doppelwaschbecken. Und während sie stets wissen, was am besten ist (Miele-Staubsauger, Vitaminmixer, Misono-Messer), freudianische Mengen von Sushi verputzen und ihren zehnten Hochzeitstag mit einem Ausflug in eine Weinkellerei verbinden, die sie auf "Remodelista", der Internetseite für bewusstes Leben, gefunden haben, wissen sie der allmählichen Verfremdung nichts entgegenzusetzen. So weit, so ähnlich, Zahnfee inklusive.
Was hier beschrieben wird, die suburbia tristesse, ist weder neu noch originell. "Es hatte weder Tätlichkeiten noch Grausamkeiten gegeben, nicht einmal Gleichgültigkeit", heißt es einmal: Der Ursprung der Misere war Nähe, "die Unfähigkeit, ein Schamgefühl zu überwinden". Julia kann die Fingernägel Neugeborener mit den Zähnen stutzen, aber ihren Mann nicht mehr anfassen. Und Jacob, der den Kindern das Lesen beibringt, weiß nicht mehr, wie er seine Frau ansprechen soll.
Dabei wird in diesem Roman gesprochen, was das Zeug hält. Darin liegt seine unheimliche Rasanz. Vier Generationen Bloch reden, bis auf Isaac, unaufhörlich, siebenhundert Seiten lang. Es ist ein nicht enden wollendes, komisches, sehnsüchtiges, irrwitziges Geplapper und Gezeter, ein Streiten und Abwägen, wiedergegeben häufig in Dialogen, Monologen, Internet-Chats, Spielekommentaren und Nachrichtenabschriften, ein Tohuwabohu, in dem sich Jonathan-Franzen-Interieurs mit Woody-Allen-Figuren und der Sexbesessenheit Philip Roths verbinden. Während Jacobs Vater Irv alle Gespräche zielsicher in politische Leitartikel münden lässt, flüchten die anderen, wenn es ernst wird, in ihre Innenwelten, die sie ganz nach Gusto tapezieren können: Der sensible Sam, der so vieles begreift, noch ehe es den Erwachsenen dämmert, beschäftigt sich im virtuellen Paralleluniversum von "Other Life" lieber mit der Latina Samantha, einem weiblichen Avatar, den er geschaffen hat. Auch Jacob führt mittels seines Zweithandys im dirty talk mit einer Fernsehkollegin ein Eigenleben. Und agiert dort als jener sexbesessene Macho, der er im echten Leben nicht sein kann.
Die Diaspora, von der dieser Roman erzählt, ist nicht nur in Washington, D.C. zu verorten, sondern findet sich überall: im Internet, im Möbelhaus oder in den gedanklichen Fluchten, die Julia vor den Anforderungen als überlastete Mutter und gelangweilte Ehefrau immer wieder unternimmt. Das Hier ist dabei von zentraler Bedeutung. "Hier bin ich", antwortete Abraham, als Gott ihn rief, seinen Sohn zu opfern. Abraham sagte nicht ,Ja?", wie Sam weiß, und fragte nicht "Was willst du?", sondern war für ihn da. Sam denkt über die biblische Szene nach, weil er sich verraten fühlt.
Sams Eltern wollen ihm nicht glauben, dass der Zettel mit den Schimpfwörtern und rassistischen Ausdrücken, den sein Lehrer gefunden hat, nicht von ihm stammt. Doch selbst wenn, meint der Junge, sollten sie für ihn da, also hier sein, statt zu fragen, was er angestellt habe. "Sie hätten sich auf meine Seite stellen sollen, weil ich ihr Kind bin."
Wer sich auf wessen Seite stellt oder nicht - Eltern und Kinder, wenn der inkontinente Hund eingeschläfert werden muss, Enkel und Großväter, wenn Letztere nicht ins Altersheim wollen, amerikanische Juden und Israel, wenn es angegriffen wird -, das alles verhandelt der Roman in all der Widersprüchlichkeit und Unauflöslichkeit seiner Sujets. Da steckt rasend viel Witz und Wahrheit und Verve drin. Und dann wundert man sich, dass Foer, dessen voriges Buch "Tiere essen" von vegetarischer Lebensweise handelte, hier nicht umhinkommt, Sätze unterzubringen, die wie Kalenderweisheiten klingen. Kaum eine Seite, auf der sich nicht ein Sinnspruch finden ließe wie: "Die Suche nach dem Glück ist die Flucht vor der Zufriedenheit", was gleich mehrmals zitiert wird, "Das falsche Leben zu leben ist schlimmer, als den falschen Tod zu sterben" oder "Das Leben wird von einem Ereignis zu einem Prozess". Ja, selbst der Avatar Samantha sagt: "Was um Himmels willen musste passieren, damit ein rundum gutes menschliches Wesen gesehen wurde? Nicht bemerkt, sondern gesehen. Nicht gewürdigt, nicht geschätzt, nicht einmal geliebt. Sondern wirklich gesehen."
Die Ambivalenzen des modernen Lebens, an denen das Familienglück erstickt wie an einem vertrockneten Bagel, werden so detailliert ausgerollt, dass die eingangs angekündigte Apokalypse im Nahen Osten, die sich in der Mitte des Romans dann wirklich ereignet, nie mehr in den Vordergrund gelangt. Der Roman hat gar nicht den Anspruch, politisch zu sein. Das Krisen- und Kriegsszenario, die Millionen Flüchtlinge und Tote in Nahost, sie bleiben seltsam fern. Fast meint man, dass sie vor allem dazu dienen, Jacobs erbärmliche Ichbezogenheit, die Trivialität seiner Probleme in größtmöglichem Kontrast zu illustrieren. Es ist jedenfalls eine einseitige Sicht auf den Flächenbrand, gegen die Benjamin Netanjahu wohl nichts einzuwenden hätte, schon allein weil die Palästinenser oder das Dilemma des Staates Israel, nicht nur Zufluchtsort für Verfolgte, sondern auch Besatzer zu sein, kaum erwähnt werden.
Was den Washingtoner Blochs viel näher geht als die Zerstörung Israels, sind ihre eigenen Traumata, ein Unfall vor Jahren, bei dem Sam beinahe seinen Daumen verlor, und immer wieder die Frage, warum der Sex nicht mehr so gut sein kann wie früher. "Hier bin ich" ist ein Roman, der von der Unvereinbarkeit der großen Tragödien mit den kleinen Malaisen handelt. Dass Letztere mehr weh tun können als Erstere, das ist seine bittere Erkenntnis.
SANDRA KEGEL
Jonathan Safran Foer: "Hier bin ich". Roman.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 688 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von der Unvereinbarkeit der Katastrophen, einer geopolitischen und einer häuslich-privaten, handelt der explosive Roman "Hier bin ich", dessen Titel auf das Buch Genesis zurückgeht. Freilich konnte man Jonathan Safran Foer noch nie vorwerfen, als Autor großen Themen aus dem Weg zu gehen. In seinem Romandebüt "Alles ist erleuchtet" (2002, deutsch 2003) verhandelte er in experimenteller Erzählform den Holocaust, "Extrem laut und unglaublich nah" erzählte 2005 von einem Jungen, der durch den 11. September seinen Vater verlor. Mit "Hier bin ich" will der 1977 in Washington geborene Schriftsteller nach elfjähriger Romanpause nichts Geringeres als eine Great American-Jewish Novel schreiben. Daran muss er sich messen lassen.
Im Kern umkreist sein Buch die Frage, was es für amerikanische Juden heute bedeutet, jüdisch zu sein. Ist es eine Frage der Religion oder der Kultur, der Erziehung oder der Vorliebe für einen bestimmten Humor? Und natürlich steht da wie ein Elefant im Raum immer auch die Frage: Wie hältst du es mit Israel?
Dass die jährlich auch in dieser Washingtoner Familie zum Pessach-Seder-Fest ausgesprochene Formel "Nächstes Jahr in Jerusalem" zum Allgemeinplatz, das versprochene Land zur Plattitüde verblasst ist, diesen Gedanken wirft der Roman ein ums andere Mal auf. Tatsächlich bleibt die eingangs erwähnte Zerstörung Israels jedoch die folgenden dreihundert Seiten zunächst unerwähnt - denn "Hier bin ich" entpuppt sich viel mehr denn als die dystopische Ausmalung eines gar nicht so unvorstellbaren Flächenbrands im Nahen Osten als ein gerade für Foer überraschend konventionell erzählter Scheidungsroman aus dem bürgerlichen Milieu rund um den Washingtoner Cleveland Park.
Im Zentrum stehen die Eheleute Jacob und Julia sowie deren blankes Entsetzen, als sie erkennen, dass ihnen in ihrem geschmackvollen Haus in der Newark Street das Glück abhandengekommen ist. Die Lücke zum Glück sind die häusliche Routine und ein Familienalltag, der wie ein schwarzes Loch all das, was einst mit großartigem Sex und der Geburt von drei Söhnen so verheißungsvoll begann, verschluckt hat. Foer schreibt gegen Tolstois berühmten Satz an, wonach sich alle glücklichen Familien ähnelten, aber jede unglückliche Familie auf ihre besondere Art unglücklich sei. Bei ihm gleichen "alle glücklichen Morgen einander, wie auch alle unglücklichen Morgen". Weil alle Bemühungen, ihm vorzubeugen, das Gegenteil bewirkten, weil sich "das Universum aus irgendeinem rätselhaften, überflüssigen, unfairen Grund gegen die harmlose Abfolge von Kleidern, Frühstück, Zähnen und nervigen Haarwirbeln, Rucksäcken, Schuhen, Jacken und Abschieden verschworen hat".
Mit viel Detailkenntnis und furiosem Humor erfasst der selbst unlängst von der amerikanischen Autorin Nicole Krauss geschiedene Foer das Drama der Mittelklasse. Jacob, der erfolgreiche wie unablässig hadernde Autor einer Fernsehsitcom, und seine Frau Julia, die als Architektin noch nie ein Haus gebaut hat, dafür als Dekorateurin die Villen ihrer vermögenden Kundschaft einrichtet, gehören jener urbanen Spezies an, die sich aus Prinzip gegen Konventionen stemmt, um dann verblüfft festzustellen, wie konventionell sie geworden ist: Längst haben auch Jacob und Julia Zweitwagen, Steuerberater und Doppelwaschbecken. Und während sie stets wissen, was am besten ist (Miele-Staubsauger, Vitaminmixer, Misono-Messer), freudianische Mengen von Sushi verputzen und ihren zehnten Hochzeitstag mit einem Ausflug in eine Weinkellerei verbinden, die sie auf "Remodelista", der Internetseite für bewusstes Leben, gefunden haben, wissen sie der allmählichen Verfremdung nichts entgegenzusetzen. So weit, so ähnlich, Zahnfee inklusive.
Was hier beschrieben wird, die suburbia tristesse, ist weder neu noch originell. "Es hatte weder Tätlichkeiten noch Grausamkeiten gegeben, nicht einmal Gleichgültigkeit", heißt es einmal: Der Ursprung der Misere war Nähe, "die Unfähigkeit, ein Schamgefühl zu überwinden". Julia kann die Fingernägel Neugeborener mit den Zähnen stutzen, aber ihren Mann nicht mehr anfassen. Und Jacob, der den Kindern das Lesen beibringt, weiß nicht mehr, wie er seine Frau ansprechen soll.
Dabei wird in diesem Roman gesprochen, was das Zeug hält. Darin liegt seine unheimliche Rasanz. Vier Generationen Bloch reden, bis auf Isaac, unaufhörlich, siebenhundert Seiten lang. Es ist ein nicht enden wollendes, komisches, sehnsüchtiges, irrwitziges Geplapper und Gezeter, ein Streiten und Abwägen, wiedergegeben häufig in Dialogen, Monologen, Internet-Chats, Spielekommentaren und Nachrichtenabschriften, ein Tohuwabohu, in dem sich Jonathan-Franzen-Interieurs mit Woody-Allen-Figuren und der Sexbesessenheit Philip Roths verbinden. Während Jacobs Vater Irv alle Gespräche zielsicher in politische Leitartikel münden lässt, flüchten die anderen, wenn es ernst wird, in ihre Innenwelten, die sie ganz nach Gusto tapezieren können: Der sensible Sam, der so vieles begreift, noch ehe es den Erwachsenen dämmert, beschäftigt sich im virtuellen Paralleluniversum von "Other Life" lieber mit der Latina Samantha, einem weiblichen Avatar, den er geschaffen hat. Auch Jacob führt mittels seines Zweithandys im dirty talk mit einer Fernsehkollegin ein Eigenleben. Und agiert dort als jener sexbesessene Macho, der er im echten Leben nicht sein kann.
Die Diaspora, von der dieser Roman erzählt, ist nicht nur in Washington, D.C. zu verorten, sondern findet sich überall: im Internet, im Möbelhaus oder in den gedanklichen Fluchten, die Julia vor den Anforderungen als überlastete Mutter und gelangweilte Ehefrau immer wieder unternimmt. Das Hier ist dabei von zentraler Bedeutung. "Hier bin ich", antwortete Abraham, als Gott ihn rief, seinen Sohn zu opfern. Abraham sagte nicht ,Ja?", wie Sam weiß, und fragte nicht "Was willst du?", sondern war für ihn da. Sam denkt über die biblische Szene nach, weil er sich verraten fühlt.
Sams Eltern wollen ihm nicht glauben, dass der Zettel mit den Schimpfwörtern und rassistischen Ausdrücken, den sein Lehrer gefunden hat, nicht von ihm stammt. Doch selbst wenn, meint der Junge, sollten sie für ihn da, also hier sein, statt zu fragen, was er angestellt habe. "Sie hätten sich auf meine Seite stellen sollen, weil ich ihr Kind bin."
Wer sich auf wessen Seite stellt oder nicht - Eltern und Kinder, wenn der inkontinente Hund eingeschläfert werden muss, Enkel und Großväter, wenn Letztere nicht ins Altersheim wollen, amerikanische Juden und Israel, wenn es angegriffen wird -, das alles verhandelt der Roman in all der Widersprüchlichkeit und Unauflöslichkeit seiner Sujets. Da steckt rasend viel Witz und Wahrheit und Verve drin. Und dann wundert man sich, dass Foer, dessen voriges Buch "Tiere essen" von vegetarischer Lebensweise handelte, hier nicht umhinkommt, Sätze unterzubringen, die wie Kalenderweisheiten klingen. Kaum eine Seite, auf der sich nicht ein Sinnspruch finden ließe wie: "Die Suche nach dem Glück ist die Flucht vor der Zufriedenheit", was gleich mehrmals zitiert wird, "Das falsche Leben zu leben ist schlimmer, als den falschen Tod zu sterben" oder "Das Leben wird von einem Ereignis zu einem Prozess". Ja, selbst der Avatar Samantha sagt: "Was um Himmels willen musste passieren, damit ein rundum gutes menschliches Wesen gesehen wurde? Nicht bemerkt, sondern gesehen. Nicht gewürdigt, nicht geschätzt, nicht einmal geliebt. Sondern wirklich gesehen."
Die Ambivalenzen des modernen Lebens, an denen das Familienglück erstickt wie an einem vertrockneten Bagel, werden so detailliert ausgerollt, dass die eingangs angekündigte Apokalypse im Nahen Osten, die sich in der Mitte des Romans dann wirklich ereignet, nie mehr in den Vordergrund gelangt. Der Roman hat gar nicht den Anspruch, politisch zu sein. Das Krisen- und Kriegsszenario, die Millionen Flüchtlinge und Tote in Nahost, sie bleiben seltsam fern. Fast meint man, dass sie vor allem dazu dienen, Jacobs erbärmliche Ichbezogenheit, die Trivialität seiner Probleme in größtmöglichem Kontrast zu illustrieren. Es ist jedenfalls eine einseitige Sicht auf den Flächenbrand, gegen die Benjamin Netanjahu wohl nichts einzuwenden hätte, schon allein weil die Palästinenser oder das Dilemma des Staates Israel, nicht nur Zufluchtsort für Verfolgte, sondern auch Besatzer zu sein, kaum erwähnt werden.
Was den Washingtoner Blochs viel näher geht als die Zerstörung Israels, sind ihre eigenen Traumata, ein Unfall vor Jahren, bei dem Sam beinahe seinen Daumen verlor, und immer wieder die Frage, warum der Sex nicht mehr so gut sein kann wie früher. "Hier bin ich" ist ein Roman, der von der Unvereinbarkeit der großen Tragödien mit den kleinen Malaisen handelt. Dass Letztere mehr weh tun können als Erstere, das ist seine bittere Erkenntnis.
SANDRA KEGEL
Jonathan Safran Foer: "Hier bin ich". Roman.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 688 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eine lange Kritik, die Eva Behrendt da verfasst hat. Viel Licht wirft sie aber nicht auf diesen Roman. Vordergründig geht es um einen jüdisch-amerikanischen Schriftsteller, der mit Frau und zwei Kindern in Washington DC lebt und dessen Ehe auseinanderbricht. Und dann gehts um die Weltlage, ein Erdbeben im Nahen Osten. Beide Erzählstränge dienen, wenn man Behrendt richtig liest, vor allem dazu, die Identität des Autors zu schärfen, der ewig unentschlossen, abschweifend, kreisend eine Selbstbestimmung anstrebt. Inwiefern das gelingt, bleibt offen. Aber die totale Konzentration auf das eigene Ich, die Behrendt da beschreibt, klingt in ihrer Rezension doch sehr abtörnend.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Zauberhafte Dialoge, die extrem klug und unglaublich absurd sind. Ein todkomisches Buch.« myself
Gebundenes Buch
Zulassung plus Couch
Wenn eine Karriere als Romancier so fulminant begonnen hat wie die von Jonathan Safran Foer, ist man natürlich neugierig auf Neues aus dessen Feder. Nach elf Jahren ist nun «Hier bin ich» erschienen, sein dritter Roman, zugleich auch sein Opus magnum. Waren …
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Zulassung plus Couch
Wenn eine Karriere als Romancier so fulminant begonnen hat wie die von Jonathan Safran Foer, ist man natürlich neugierig auf Neues aus dessen Feder. Nach elf Jahren ist nun «Hier bin ich» erschienen, sein dritter Roman, zugleich auch sein Opus magnum. Waren die ersten beiden Romane aus einer kindlichen Perspektive erzählt, so ist es hier die eines jüdischen Mannes aus der US-Hauptstadt Washington, der eine Trennung von seiner Frau durchlebt. Die sich ankündigende Scheidung ist eingebettet in ein aufgeklärt liberales, jüdisches Lebensumfeld der Familie, das zwischen Amerika und Israel oszillierend allgegenwärtig ist und die innere Geschichte einer Entfremdung sogar weitgehend überlagert, den Trennungsroman zu einem jüdischen Sittenbild ausweitet. An seine einstigen literarischen Erfolge als junger postmoderner Schriftsteller, soviel sei hier schon gesagt, kann der US-Amerikaner, der vor zwei Jahren selbst geschieden wurde, damit allerdings nicht anknüpfen.
Julia Bloch, Architektin von Beruf, findet zufällig ein zweites Handy ihres Mannes. Nachdem ihr ältester Sohn das Passwort geknackt hat, entdeckt sie darauf dessen abstoßend vulgäre SMS-Korrespondenz mit einer Kollegin. Jakob Bloch, der Scripts für eine Fernsehshow schreibt, initiiert durch diesen drögen Verbalsex mit einer Frau, die er niemals angerührt hat, ungewollt einen Prozess der Entfremdung, welcher für das Ehepaar und die drei heranwachsenden Söhne in einem Auseinanderbrechen ihrer bis dato intakten, unkonventionellen Familie endet. Diese soziale Krise spiegelt sich in einer politischen Katastrophe für den Staat Israel, das Land wird durch ein verheerendes Erdbeben schwer getroffen, was seine feindlichen Nachbarn dazu ermuntert, die Gunst der Stunde zu nutzen und den solcherart angeschlagenen Erzfeind nun auch noch mit Krieg zu überziehen. Als der israelische Premierminister alle waffenfähigen Juden in der Diaspora zur Rückkehr nach Israel auffordert, entschließt sich Jakob spontan, dem Aufruf zu folgen. Er, der noch nie ein Held war, versagt aber auch hier, verharrt letztendlich kleinlaut doch lieber in seiner gutbürgerlichen amerikanischen Existenz. Ihm wird am Ende sogar das Einschläfern seines alten, inkontinenten Hundes zu einer Entscheidung, die ihn fast überfordert.
Ein jüdisches Buch, hat Philip Roth einmal geäußert, erkenne man nicht an dem, wovon die Rede ist, sondern daran, dass es immer weiter redet, ohne Ende. Insoweit ist dieser sprachverliebte Roman jüdisch durch und durch, zudem erschließt sich sein Inhalt größtenteils in seinen geradezu slapstickartigen Dialogen, Geschwätz mit oft pingpongartig wechselnden Kurzsätzen, bei denen die Antwort auf eine Frage oft in der erstaunten Wiederholung der Frage selbst besteht. Besonders die temporeichen Gespräche mit den frühreifen Söhnen sind amüsant, verlieren sich nicht selten aber abschweifend auch völlig ins Leere. Bei alldem erfährt der Leser en passant so einiges vom American Way of Life in der heutigen Zeit, da wird völlig tabulos Gott und die Welt hinterfragt. An einer Stelle antwortet Jakob entnervt, aber schlagfertig auf Vorhaltungen seiner Frau, seinen psychischen Zustand betreffend: «Du solltest dir wirklich eine Zulassung und eine Couch besorgen».
Der Roman einer Midlife-Crisis weist schon durch den Titel auf die verzweifelte Sinnsuche des Helden hin. Und das Judentum wiederum, wie es die aufgeklärte Familie Bloch lebt, sei nicht religiös motiviert, erfahren wir Leser, sondern sei lediglich Brauchtum, man fühle sich einfach als Jude. Gleichwohl lauschen die sonst so vorlauten Blochs andächtig der grandiosen Trauerrede des Rabbis bei der Beerdigung des Urgroßvaters, für mich übrigens die stärkste und zudem geistreichste Passage im ganzen Roman. Flott geschrieben, ironisch Distanz haltend, ist dieser dickleibige Roman zweier Krisen durchaus lesenswert, auch wenn er teilweise allzu geschwätzig erscheint und philosophisch zuweilen schlicht Nonsens verbreitet.
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