Herman Koch
Audio-CD
Angerichtet
Autorisierte Lesefassung. 468 Min.
Mitarbeit: Król, Joachim; Übersetzung: Baryga, Heike; Regie: Teichmann, Vera
Nicht lieferbar
Weitere Ausgaben:
Ein Abend im Sternerestaurant.
Zwei Ehepaare - eine lebenswichtige Entscheidung.
Der preisgekrönte Bestseller aus den Niederlanden erzählt ein Familiendrama, das um die Fragen kreist: Wie weit darf Elternliebe gehen? Was darf man tun, um seine Kinder zu beschützen? Ein Roman, der ins Herz schneidet.
Zwei Ehepaare - zwei Brüder und ihre Frauen - haben sich zum Essen in einem Spitzenrestaurant verabredet. Sie sprechen über Filme und Urlaubspläne und vermeiden zunächst das eigentliche Thema: die Zukunft ihrer Söhne Michel und Rick. Die beiden Fünfzehnjährigen haben etwas getan, das ihr Leben für immer ruinieren kann. Paul Lohman, der Erzähler und Vater von Michel, will das Beste für seinen Sohn. Und ist bereit, dafür weit zu gehen, sehr weit. Auch die anderen am Tisch haben ihre eigene, geheime Agenda. Während des Essens brechen die Emotionen auf, schwelende Konflikte zwischen den Brüdern entladen sich, und auf einmal steht eine Entscheidung im Raum, die drei der vier mit aller Macht verhindern wollen. Mit unglaublicher Raffinesse und großem Sprachwitz erzählt Herman Koch eine Geschich te von bedingungsloser Liebe, Gewalt und Verrat. "Angerichtet" ist ein aufwühlender Roman, der lange nachhallt. Ein starkes Stück Literatur.
Zwei Ehepaare - eine lebenswichtige Entscheidung.
Der preisgekrönte Bestseller aus den Niederlanden erzählt ein Familiendrama, das um die Fragen kreist: Wie weit darf Elternliebe gehen? Was darf man tun, um seine Kinder zu beschützen? Ein Roman, der ins Herz schneidet.
Zwei Ehepaare - zwei Brüder und ihre Frauen - haben sich zum Essen in einem Spitzenrestaurant verabredet. Sie sprechen über Filme und Urlaubspläne und vermeiden zunächst das eigentliche Thema: die Zukunft ihrer Söhne Michel und Rick. Die beiden Fünfzehnjährigen haben etwas getan, das ihr Leben für immer ruinieren kann. Paul Lohman, der Erzähler und Vater von Michel, will das Beste für seinen Sohn. Und ist bereit, dafür weit zu gehen, sehr weit. Auch die anderen am Tisch haben ihre eigene, geheime Agenda. Während des Essens brechen die Emotionen auf, schwelende Konflikte zwischen den Brüdern entladen sich, und auf einmal steht eine Entscheidung im Raum, die drei der vier mit aller Macht verhindern wollen. Mit unglaublicher Raffinesse und großem Sprachwitz erzählt Herman Koch eine Geschich te von bedingungsloser Liebe, Gewalt und Verrat. "Angerichtet" ist ein aufwühlender Roman, der lange nachhallt. Ein starkes Stück Literatur.
Herman Koch, geboren 1953, ist Kolumnist, Komiker, Fernsehmacher und weltweit erfolgreicher Bestsellerautor.
Produktdetails
- Verlag: Argon Verlag
- Originaltitel: Het Diner
- Anzahl: 6 Audio CDs
- Gesamtlaufzeit: 468 Min.
- Erscheinungstermin: 6. September 2010
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783839810583
- Artikelnr.: 29805534
Herstellerkennzeichnung
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Henkersmahlzeit für einen Lehrer
Selbstbetrug als Leibgericht: Herman Kochs brillante Tragikomödie über die Dehnbarkeit der Moral hat die Holländer fasziniert. Jetzt wird auch auf deutsch "Angerichtet".
Als Aperitif des Hauses haben wir heute einen Champagner rosé." Vollendet ist die Höflichkeit dieses Maître d'Hôtel, alles an ihm eine unablässige Verbeugung. Man weiß ja wirklich nie, ob sich hinter der gespreizten Etikette nicht abgrundtiefe Verachtung für die Gäste verbirgt. Es mag andererseits wohl sein, dass sich dieser Gast, sagen wir es gleich: dass sich Paul Lohmann, der Bruder des berühmten, mit besten Aussichten für den Posten des Ministerpräsidenten kandidierenden Landespolitikers Serge Lohmann, ein wenig
Selbstbetrug als Leibgericht: Herman Kochs brillante Tragikomödie über die Dehnbarkeit der Moral hat die Holländer fasziniert. Jetzt wird auch auf deutsch "Angerichtet".
Als Aperitif des Hauses haben wir heute einen Champagner rosé." Vollendet ist die Höflichkeit dieses Maître d'Hôtel, alles an ihm eine unablässige Verbeugung. Man weiß ja wirklich nie, ob sich hinter der gespreizten Etikette nicht abgrundtiefe Verachtung für die Gäste verbirgt. Es mag andererseits wohl sein, dass sich dieser Gast, sagen wir es gleich: dass sich Paul Lohmann, der Bruder des berühmten, mit besten Aussichten für den Posten des Ministerpräsidenten kandidierenden Landespolitikers Serge Lohmann, ein wenig
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in die Überlegung hineinsteigert, etwas, das den Zusatz "des Hauses" trage, müsse doch eigentlich gratis sein und dürfe nicht, wie die Karte ausweist, zehn Euro kosten: "Das ist doch wirklich irreführend! Das klingt doch eher nach einer Einladung als nach zehn Euro? Zehn Euro! Zehn! Oder mal anders betrachtet: Hätten wir ein Glas schalen Champagner rosé des Hauses bestellt, wenn wir zuvor gewusst hätten, dass wir zehn Euro dafür zahlen müssen?" Nein, so nicht. Nicht mit ihm! Das Mädchen wird gerufen, doch da erscheint der Bruder samt Gattin in der Tür. Der Maître, der später dann doch "Dreckskerl" gerufen wird - aber das ist, wie gesagt, erst später -, hat noch einmal Glück gehabt.
Abstreiten lässt es sich nicht: Wer sich von der roséfarbenen Servilitätsarroganz vollendet höflichen Spitzenpersonals nicht einschüchtern lässt, der hat unsere Sympathie. Und auch das affige Mise-en-scène des allseits hofierten Bruders bricht Paul für uns auf Menschenmaß herunter. Wer sich hier aus Distinktionsinteresse als Weinkenner zu erkennen gebe, so verrät der Erzähler, leerte früher locker eine Familienflasche Cola beim Abendessen, um darauf "voluminöse Rülpser" zu produzieren. Überhaupt seien die Schulhof-Rülpser der Ursprung seiner Popularität gewesen. Und im Grunde sei er darüber nie hinausgekommen: "In seinem tiefsten Inneren war Serge immer ein Bauer geblieben, ein ungehobelter Arsch." Ja, dieser Paul, das ist unser Mann: unbestechlich, hart, charmant neurotisch, wie spätestens klar wird, als ihn der Gedanke verrückt macht, Serge spüre nach einem Platztausch mit Pauls Frau Claire deren "Körperwärme durch den Stoff seiner Hose".
Und auch als liebender Vater, das zeigen die Rückblicke, solidarisiert sich Paul nie mit der Gesellschaft und ihrer Disziplinierungswut: Nein, er ist kompromissloser Anwalt seiner Brut. Selbstverständlich verspricht er dem Fahrradladenbesitzer, dessen Scheibe nun leider einmal zu Bruch gegangen ist, den Schaden zu übernehmen. Aber dessen "Rotzlöffel"-Ansprache, die muss er sich nicht anhören: "Ich kam mit meinem Sohn hierher, um die Scheißscheibe zu ersetzen, und nicht, um mir dein ätzendes Palaver über Fußball spielende Kinder anzuhören. Worum geht es hier eigentlich, du Arschgesicht?" Gut gegeben, auch wenn das den Geschädigten noch weiter auf die Palme bringt. Dann muss es eben eine Stehfahrradpumpe richten, die sich zufällig in der Nähe befindet und gut in der Hand liegt: ",Du bleibst besser, wo du bist', sagte ich ganz ruhig. ,Bis jetzt ist es nur eine Fensterscheibe.'"
Doch wir schweifen ab, so wie Paul immer wieder abschweift im Verlauf dieses Abendessens, dessen Gänge den Roman strukturieren, das aber nicht grundlos arrangiert wurde. Allen vier Beteiligten ist von Beginn an klar, worum es geht, nur der Leser hinkt noch etwas hinterher. So weit sind wir nun aber gar nicht abgeschweift: "Wir müssen uns über unsere Kinder unterhalten." Eine Fensterscheibe nämlich ist das eine, Obdachlose sind etwas anderes. Es liegt ein grausiges Geschehen diesem Festessen zugrunde, ein Geheimnis, das uns häppchenweise serviert wird und das - aus Dummheit - kurz davor steht, gelüftet zu werden. Verantwortlich sind Michel, das einzige Kind Pauls und Claires, sowie Rick, ein Sohn von Serge und Babette. Auf ganz andere Weise beteiligt ist Beau, der aus Burkina Faso stammende Adoptivsohn des Politikers, dessen "Scheinheiligkeit", dessen "Schlawinertum, diese perfide Art", der Erzähler mit Nachdruck herausstellt: Er wolle ja auch kein positiver Rassist sein, der das Bürschchen "nur wegen seiner Hautfarbe und seiner Herkunft nett fände". Die Zukunft aller Beteiligten steht auf dem Spiel, für manche wird das Essen zur Henkersmahlzeit.
Es ist so geschickt inszeniert wie schmerzlich einzugestehen: Dieser grundehrliche Erzähler ist einem bald nicht mehr geheuer. Schon wie er sich ausmalt, dass Franzosen im Urlaubsparadies seines Bruders alle Niederländer malträtieren, Mord und Vergewaltigung eingeschlossen, wirkt mehr als zynisch. Doch spätestens seine Ansicht, der Zweite Weltkrieg habe doch sehr reinigend gewirkt, eben weil er eine so stattliche Opferzahl produziert habe ("Allein statistisch ist es ausgeschlossen, dass alle diese Opfer nur gute Menschen waren"), weist ihn als pathologischen Misanthrophen aus: "Überall gibt es Menschen, dachte ich. Es gibt so viele, dass sie ihre Häuser bis an die Gleise bauen."
Pauls Kriegslob kostete ihn vor Jahren die Stelle als Lehrer und scheint trotz medikamentöser Behandlung nur halb unter Kontrolle zu sein. Ein unzuverlässiger, schuldbeladener Erzähler ist als Mensch eine Enttäuschung, narrativ aber die reinste Freude. Mehr und mehr lesen wir diesen tragikomischen Roman gegen seinen Protagonisten, der sich als viel verwahrloster, kranker und aggressiver erweist, als wir ahnten. Nun fließt auch in den Erinnerungen zunehmend Blut. Dem wortreichen Dehnen der Moral liegt Verzweiflung zugrunde, ein unerklärlicher Lebensüberdruss: "Ähnlich kam mir manchmal das Leben vor, wie eine frisch angerichtete warme Mahlzeit, die langsam kalt wird. Ich wusste, dass ich essen musste, weil ich sonst sterben würde, aber ich verspürte keinen Appetit mehr." Wie weit wird dieser Mann gehen als Anwalt seiner Brut? Doch auch die anderen drei Elternteile wie die Söhne haben eine geheime Agenda: Ständig muss der Leser sein Radar neu justieren. Und nicht zuletzt das ist es, was dieses Buch so aufregend macht.
Aus den Niederlanden, diesem "kleinen Land", um es mit Bondscoach Bert van Marwijk zu sagen, kommt seit Jahren nicht nur Spitzenfußball, sondern auch ein erzählerischer Spitzenrealismus, was sich sogar wörtlich verstehen lässt: ein Realismus mit Spitzen. Da, wo deutsche Erzählungen gerne in Tiefsinn oder Schwermut abkippen, kippen die niederländischen mit Lust in den hintergründigen, schwarzen Humor. Was Dürrenmatt einst programmatisch formulierte, hier lebt es fort: "Die schlimmstmögliche Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Komödie." Herman Koch, geboren 1953, ist denn auch nicht nur Schriftsteller, sondern zugleich Komiker und Schauspieler. "Het Diner", sein fünfter Roman, kletterte schnurstracks und für viele Monate an die Spitze der niederländischen Bestsellerliste - dorthin also, wo sich sonst nur Vampire befinden. Das niederländische Publikum verlieh dem Buch zudem den Preis "Das beste Buch des Jahres 2009". Und um nun die Moral ein letztes Mal zu dehnen: Auch wenn Paul Lohmann ein pathologischer Fall sein mag, wie er diesen snobistischen Sterne-Kellner abserviert, das hat Klasse.
OLIVER JUNGEN
Herman Koch: "Angerichtet". Roman. Aus dem Niederländischen von Heike Baryga. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010. 310 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abstreiten lässt es sich nicht: Wer sich von der roséfarbenen Servilitätsarroganz vollendet höflichen Spitzenpersonals nicht einschüchtern lässt, der hat unsere Sympathie. Und auch das affige Mise-en-scène des allseits hofierten Bruders bricht Paul für uns auf Menschenmaß herunter. Wer sich hier aus Distinktionsinteresse als Weinkenner zu erkennen gebe, so verrät der Erzähler, leerte früher locker eine Familienflasche Cola beim Abendessen, um darauf "voluminöse Rülpser" zu produzieren. Überhaupt seien die Schulhof-Rülpser der Ursprung seiner Popularität gewesen. Und im Grunde sei er darüber nie hinausgekommen: "In seinem tiefsten Inneren war Serge immer ein Bauer geblieben, ein ungehobelter Arsch." Ja, dieser Paul, das ist unser Mann: unbestechlich, hart, charmant neurotisch, wie spätestens klar wird, als ihn der Gedanke verrückt macht, Serge spüre nach einem Platztausch mit Pauls Frau Claire deren "Körperwärme durch den Stoff seiner Hose".
Und auch als liebender Vater, das zeigen die Rückblicke, solidarisiert sich Paul nie mit der Gesellschaft und ihrer Disziplinierungswut: Nein, er ist kompromissloser Anwalt seiner Brut. Selbstverständlich verspricht er dem Fahrradladenbesitzer, dessen Scheibe nun leider einmal zu Bruch gegangen ist, den Schaden zu übernehmen. Aber dessen "Rotzlöffel"-Ansprache, die muss er sich nicht anhören: "Ich kam mit meinem Sohn hierher, um die Scheißscheibe zu ersetzen, und nicht, um mir dein ätzendes Palaver über Fußball spielende Kinder anzuhören. Worum geht es hier eigentlich, du Arschgesicht?" Gut gegeben, auch wenn das den Geschädigten noch weiter auf die Palme bringt. Dann muss es eben eine Stehfahrradpumpe richten, die sich zufällig in der Nähe befindet und gut in der Hand liegt: ",Du bleibst besser, wo du bist', sagte ich ganz ruhig. ,Bis jetzt ist es nur eine Fensterscheibe.'"
Doch wir schweifen ab, so wie Paul immer wieder abschweift im Verlauf dieses Abendessens, dessen Gänge den Roman strukturieren, das aber nicht grundlos arrangiert wurde. Allen vier Beteiligten ist von Beginn an klar, worum es geht, nur der Leser hinkt noch etwas hinterher. So weit sind wir nun aber gar nicht abgeschweift: "Wir müssen uns über unsere Kinder unterhalten." Eine Fensterscheibe nämlich ist das eine, Obdachlose sind etwas anderes. Es liegt ein grausiges Geschehen diesem Festessen zugrunde, ein Geheimnis, das uns häppchenweise serviert wird und das - aus Dummheit - kurz davor steht, gelüftet zu werden. Verantwortlich sind Michel, das einzige Kind Pauls und Claires, sowie Rick, ein Sohn von Serge und Babette. Auf ganz andere Weise beteiligt ist Beau, der aus Burkina Faso stammende Adoptivsohn des Politikers, dessen "Scheinheiligkeit", dessen "Schlawinertum, diese perfide Art", der Erzähler mit Nachdruck herausstellt: Er wolle ja auch kein positiver Rassist sein, der das Bürschchen "nur wegen seiner Hautfarbe und seiner Herkunft nett fände". Die Zukunft aller Beteiligten steht auf dem Spiel, für manche wird das Essen zur Henkersmahlzeit.
Es ist so geschickt inszeniert wie schmerzlich einzugestehen: Dieser grundehrliche Erzähler ist einem bald nicht mehr geheuer. Schon wie er sich ausmalt, dass Franzosen im Urlaubsparadies seines Bruders alle Niederländer malträtieren, Mord und Vergewaltigung eingeschlossen, wirkt mehr als zynisch. Doch spätestens seine Ansicht, der Zweite Weltkrieg habe doch sehr reinigend gewirkt, eben weil er eine so stattliche Opferzahl produziert habe ("Allein statistisch ist es ausgeschlossen, dass alle diese Opfer nur gute Menschen waren"), weist ihn als pathologischen Misanthrophen aus: "Überall gibt es Menschen, dachte ich. Es gibt so viele, dass sie ihre Häuser bis an die Gleise bauen."
Pauls Kriegslob kostete ihn vor Jahren die Stelle als Lehrer und scheint trotz medikamentöser Behandlung nur halb unter Kontrolle zu sein. Ein unzuverlässiger, schuldbeladener Erzähler ist als Mensch eine Enttäuschung, narrativ aber die reinste Freude. Mehr und mehr lesen wir diesen tragikomischen Roman gegen seinen Protagonisten, der sich als viel verwahrloster, kranker und aggressiver erweist, als wir ahnten. Nun fließt auch in den Erinnerungen zunehmend Blut. Dem wortreichen Dehnen der Moral liegt Verzweiflung zugrunde, ein unerklärlicher Lebensüberdruss: "Ähnlich kam mir manchmal das Leben vor, wie eine frisch angerichtete warme Mahlzeit, die langsam kalt wird. Ich wusste, dass ich essen musste, weil ich sonst sterben würde, aber ich verspürte keinen Appetit mehr." Wie weit wird dieser Mann gehen als Anwalt seiner Brut? Doch auch die anderen drei Elternteile wie die Söhne haben eine geheime Agenda: Ständig muss der Leser sein Radar neu justieren. Und nicht zuletzt das ist es, was dieses Buch so aufregend macht.
Aus den Niederlanden, diesem "kleinen Land", um es mit Bondscoach Bert van Marwijk zu sagen, kommt seit Jahren nicht nur Spitzenfußball, sondern auch ein erzählerischer Spitzenrealismus, was sich sogar wörtlich verstehen lässt: ein Realismus mit Spitzen. Da, wo deutsche Erzählungen gerne in Tiefsinn oder Schwermut abkippen, kippen die niederländischen mit Lust in den hintergründigen, schwarzen Humor. Was Dürrenmatt einst programmatisch formulierte, hier lebt es fort: "Die schlimmstmögliche Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Komödie." Herman Koch, geboren 1953, ist denn auch nicht nur Schriftsteller, sondern zugleich Komiker und Schauspieler. "Het Diner", sein fünfter Roman, kletterte schnurstracks und für viele Monate an die Spitze der niederländischen Bestsellerliste - dorthin also, wo sich sonst nur Vampire befinden. Das niederländische Publikum verlieh dem Buch zudem den Preis "Das beste Buch des Jahres 2009". Und um nun die Moral ein letztes Mal zu dehnen: Auch wenn Paul Lohmann ein pathologischer Fall sein mag, wie er diesen snobistischen Sterne-Kellner abserviert, das hat Klasse.
OLIVER JUNGEN
Herman Koch: "Angerichtet". Roman. Aus dem Niederländischen von Heike Baryga. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010. 310 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Hoch spannend, genial, faszinierend und brillant geschrieben.« Christine Westermann WDR 5
Broschiertes Buch
Die Rahmenhandlung von Herman Kochs Bestseller „Angerichtet“ ist ganz harmlos: Zwei Brüder treffen sich mit ihren Frauen in einem vornehmen Restaurant, um über ihre Kinder zu sprechen. „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist …
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Die Rahmenhandlung von Herman Kochs Bestseller „Angerichtet“ ist ganz harmlos: Zwei Brüder treffen sich mit ihren Frauen in einem vornehmen Restaurant, um über ihre Kinder zu sprechen. „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, zitiert der Ich-Erzähler Paul Lohman aus Tolstois Anna Karenina. Natürlich zählt er sich, seine Frau Claire und Sohn Michel zu den glücklichen Familien, während er an seinem Bruder Serge, einem aufstrebenden Politiker, kein gutes Haar lässt und auch dessen Familie (seine Frau Babette, den leiblichen Sohn Rick und den schwarzen Adoptivsohn Beau) kritisch sieht. Doch wie unzuverlässig Paul als Erzähler ist, welche Abgründe sich auch in seiner Familie auftun und dass Serge als moralische Instanz viel eher taugt als die drei anderen am Tisch, offenbart sich dem Leser erst nach und nach. Koch erzählt raffiniert, lässt von einem Kapitel zum nächsten immer mehr Informationen über die Gründe des Abendessens und die Protagonisten heraus und konfrontiert seine Leser mit einem ziemlich düsteren Bild gutbürgerlicher Familien. Nicht nur das, was die Jungs Michel und Rick getan haben, ist schrecklich, sondern auch, wie ihre Eltern damit umgehen. Dem Buch ist ein Zitat aus dem Tarantino-Film „Reservoir Dogs“ vorangestellt – welchen Bezug diese pessimistische Gewaltorgie um Vertrauen und Verrat zu einem niederländischen Familiendrama hat, wird beim Lesen klar.
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Broschiertes Buch
Der Roman „Angerichtet“ von Autor und Schauspieler Hermann Koch wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 2017 unter dem Titel „The Dinner“ mit Richard Gere.
Zwei Pärchen, die Brüder Serge und Paul mit ihren Frauen, treffen sich in einem Restaurant der gehobenen …
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Der Roman „Angerichtet“ von Autor und Schauspieler Hermann Koch wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 2017 unter dem Titel „The Dinner“ mit Richard Gere.
Zwei Pärchen, die Brüder Serge und Paul mit ihren Frauen, treffen sich in einem Restaurant der gehobenen Kategorie zum Essen. Serge ist erfolgreichen Politiker und denkt, er wäre etwas Besseres. Paul kann seinen Widerwillen über die Zusammenkunft kaum unterdrücken. Beide Eltern haben ein Problem. Ihre fünfzehnjährigen Söhne Rick und Michel haben etwas Folgenschweres getan.
Die Handlungskulisse Restaurant lässt den Akteuren nur begrenzten Spielraum. Witzig eingeordnet sind die Kapitelüberschriften von Aperitif bis Trinkgeld. Pauls Problem mit Serges überkandideltem Verhalten nimmt viel Raum ein. Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus Sicht von Paul erzählt. Es fällt leicht, sich seiner Meinung anzuschließen. Die Frage ist, warum gehen Paul und Claire trotz Abneigung zu dem Essen. Eine Erinnerung, Paul der etwas im Zimmer seines Sohnes Michel entdeckt, gibt erste Hinweise. Worum es wirklich geht, bleibt weiter rätselhaft. Mit dem Gespräch der Vier im Restaurant plätschert die Geschichte so dahin. Es scheint klar, dass alles einer Eskalation entgegen steuert. Mit dem Einbau von Rückblicken und neuen Handlungskulissen nimmt der Roman Fahrt auf. Das Unfassbare ist kaum in Worte zu fassen. Haben die Eltern versagt? Nicht nur Serges auch Pauls Schwächen werden deutlich. Unterschiedliche Meinungen und Lösungswege treffen aufeinander. Wie weit geht Elternliebe? Das ist das zentrale Thema von „Angerichtet“. Paul und Claire entwickeln sich mehr zu Hauptfiguren als Serge und Babette. Wer hat das Ruder in der Hand? Mehr als eine Wahrheit kommt ans Licht. Als Trumpf erweist sich der Erzählstil. Dem Leser werden wichtige Infos in Puzzlestücken serviert. Auch die Kulisse Restaurant wirkt im Nachhinein passend. Das Realitätsnahe beeindruckt. Leicht zu glauben, dass alles so passiert sein könnte. Hat jeder Mensch eine dunkle Seite? Zum Ende hat die Geschichte längst eine besondere Intensität entwickelt. Auch wenn nicht alles restlos aufgeklärt wird. Die Story ist rund und schlüssig. Das Überschreiten von Grenzen schockiert.
Das Cover hat mehr Humor als der Inhalt. Der Titel wird durch den Hummer kreativ in Szene gesetzt. Gerne hätte es auch ein paar Details zum Krimiflair gegeben können. „Angerichtet“ wird anfangs unterschätzt, kann dann aber seine Leser mitreißen. Im Nachhinein eine Lektüre, die sich lohnt.
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